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S.
Semmering
20 Sept 27Dear Dr Brill
Heute früh fand ich unter meiner Post
einen New Yorker Brief, dessen Aufschrift mir
bekannt vorkam. Doch war ich nicht
sicher, ich hatte die Schrift Jahre lang
nicht gesehen. Sollte es Brill sein? Es
war Brill. Ich lasse alles andere liegen und
beeile mich, ihm zu antworten.Vorerst zwei Sätze zur Einleitung:
ein Vorwurf u ein Geständnis. Der
erste lautet kurz: Sie hätten mir
früher schreiben können. Der zweite
sagt: Es ist richtig, daß ich Sie besonders
streng beurteilt habe. Es ist leicht
dafür die Erklärung zu finden. Weil
Sie mir besonders nahe gestanden
sind und ich besonders viel von Ihnen
erwartet hatte. Was sich nicht erfüllt
hat.Ein paar Worte zur gegenwärtigen Streit-
frage über die Laienanalyse: Sie haben
Unrecht wenn Sie sagen, daß ich die
Situation in Amerika nicht kenne.
Ich kenne die Details nicht, ob Mr X oder
Mr Z. den oder jenen Schwindel ver-
übt hat, aber ich kenne die Situation
im Ganzen, habe sie in meinem
„Nachwort“ (letzte Nummer der Zeitschr)
ausdrücklich zugegeben. Aber ich bleibe
dabei nicht bestehen, ich kenne auch
die Gründe dieses unerquicklichen
Zustandes, urteile, daß Ihre Ein-
stellung zur Sache nicht geeignet
ist, etwas daran zu ändern und
lehne es ab, eine für die Zu-
kunft der Analyse so wichtige
Frage nach so armseligen Gesichts-
punkten zu entscheiden. -
S.
Die Gründe sind, wenn Sie es hören wollen,
dreierlei: Ihr (d.h. der Analytiker) Mangel
an Autorität, die Urteilslosigkeit des
amerikanischen Publikums, und der
niedrige Stand der öffentlichen Moral
in God’s own country, die besonders,
wenn es sich um Gelderwerb handelt,
beide Augen zudrückt, Gegenstück
zur amerikanischen Frömmigkeit
und Moralheuchelei. [Das sind Dinge,
die ich nicht ad hoc erfinde, die
von einer ganzen Reihe tapferer
amerik. Intellektueller eingestanden
und bekämpft werden]. So kann
es geschehen, daß ein Haufen gewissen-
loser Ausbeuter sich auf die analytische
Praxis stürzt, wie seinerzeit die
Eröffnung eines neuen Territoriums,
um den Leuten Geld abzunehmen,
Frauen zu verführen, den Einfluß
der Analyse zu misbrauchen. Die
merkwürdige Leichtgläubigkeit des
Publikums kom̄t ihnen entgegen. Wenn
einer sagt: Ich bin von Freud ausgebildet
worden, ich habe 3 Monate in Wien gear-
beitet, ich habe mit Stekel, Adler etc
gesprochen, so fällt es keinem ein zu
fragen: Ist das auch wahr? oder: Ist das
auch genug, um mich herstellen zu
können? Ich erhalte hier oft Briefe
aus Deutschland, die mitteilen, Herr
X. behauptet ein direkter Schüler
von Ihnen zu sein. Kann ich mich
ihm anvertrauen? Ich antworte,
ich kenne den Mann nicht, und
der Schwindel ist entlarvt. Warum
weiß sich der Amerikaner nicht
gegen Betrug zu schützen? Es ist
smart, den Anderen zu betrügen,
aber doch nicht, betrogen zu werden. -
S.
Ihre rein negative Einstellung
zu alledem scheint mir die
unpraktischeste Reaktion zu sein. Sie
nehmen keinen Nichtarzt in die Verein-
igung auf, verweigern jedem die Mög-
lichkeit der Ausbildung, wollen ver-
bieten, daß die europaeischen Lehr-
institute amerikanischen Laien Unter-
richt geben oder bestätigen. Was
erreichen Sie damit? Daß alles so
bleibt, wie es ist. Anstatt daß Sie
die Laienschwindler durch die Erziehung
von gewissenhafteren und besser vor-
bereiteten Laienanalytikern verdrängen.
Ihr Einwand ist, daß die amerik. Laien
ungebildet und unbrauchbar sind, nicht
wie die europaeischen. Aber erstens –
istkönnen Sie da strenge Auswal
treffen, wobei die Lehrinstitute
in Europa Sie gewiß und noch
ernsthafter als bisher unterstützen
werden, und zweitens ist das wieder
Schuld von Amerika u kann nur
langsam ausgeglichen werden.
Auch die amerik Ärzte sind weniger
gebildet als die unsrigen und
ich brauche Ihnen nur anzudeuten,
von wievielen dieser Ärzte - selbst
Mitglieder Ihrer Gruppe - ähnliche
moralische Verfehlungen gegen Pat.
bekannt sind, wie von den Laien-
analytikern. Verlangen Sie eine
Ausdehnung des jus impune necandi
auch auf weitere Vorrechte der
profession?Genug davon, kommen wir zum Per-
sönlichen. Jones, der in der ganzen
Sache keine eindeutige Rolle
spielt, hat mir einen Brief
von Ihnen gezeigt, in dem -
S.
Sie die Vermutung aussprechen, ich wollte die
N Yorker aus der Internationalen heraus-
drängen. Das ist ein prächtiges Stück
Projektion, ich habe nie daran gedacht.
Jones war der erste, der eine solche
Drohung auf dem Kongreß ausgesprochen
hat. Aber genötigt uns mit dieser
Möglichkeit zu beschäftigen, müßen
wir uns fragen, was wir denn
verlieren würden. Die Antwort
ist: Nichts in wissenschaftlicher, kolleg-
ialer und materieller Hinsicht. Wissen-
schaftlich ist Ihre Gruppe steril, sie
lehren nicht und ihre Beiträge und
Neuerwerbungen sind kaum zu bewerten.
Wenn Sie heute ein Institut in NY
eröffnen würden, wer könnte -
außer Ihnen und Jelliffe - etwas
lehren? Und Sie würden wahrschein-
lich finden, daß Sie Ihre kostbare Zeit
besser verwerten können. Kollegial?
Aber Sie haben in allen diesen Jahren
keinen Wert auf den Kontakt mit
uns gelegt. Sie kom̄en nicht zu unseren
Kongreßen, Sie schreiben keine Briefe.
Sie selbst, Brill, kom̄en oft genug
nach Europa wegen persönlicher Angelegen-
heiten, für einen Kongreß haben
Sie keine Zeit. Sie werfen mir zB. vor,
daß ich „Hem̄ung, Angst u Symptom“ an
Pierce Clark überlassen habe. Aber was
weiß ich, ob er vertrauenswürdig ist
oder nicht? Keiner von uns steht
im Briefverkehr mit Amerika
u erfährt etwas von den Vorgängen
in Ihrer Gesellschaft. Und wer
kümmert sich dort darum, wenn
ein Buch von mir erscheint?
So gewöhnt man sich leider daran, -
S.
nichts von Amerika zu erwarten,
u die Dinge gehen zu lassen, wie sie wollen.
Endlich in materieller Hinsicht? Es ist
bekannt, in welcher Notlage sich unsere
Institutionen befinden. Ich sage nicht,
daß Sie uns durch Sam̄lungen in dem
reichen Amerika helfen konnten
u es unterlassen haben, aber die
Tatsache bleibt, daß wir nicht weniger
Hilfe haben würden, wenn Sie nicht
zu uns gehörten. Schließen Sie nicht
daraus, daß ich wirklich den Austritt
der NY wünsche, ich würde ihn trotzdem
affektiv bedauern; objektiv könnte
er uns nicht schrecken.Und nun zum Allerpersönlichsten! Ich
weiß sehr wol, welche Verdienste Sie
sich um die Einführung der Analyse
in Amerika erworben haben. Aber
es war nicht Ihr Schaden und es erweckte
die Erwartung, daß Sie sich weitere
Verdienste erwerben werden,
anstatt sich zur Ruhe zu setzen, nachdem
Sie ein reicher Mann geworden
sind. Sie wissen, meine Unzufrieden-
heit begann, als ich hörte, wieviel
Pat. Sie im Tag sehen und daß
Sie Behandlungen von 35 Minuten
geben, um soviel Pat. sehen zu können.
Sie antworteten einmal, das seien
nicht analytische Fälle, sondern psycho-
therapeutische Beeinflußungen,
aber █████████, die mich in
Berchtesgaden aufsuchte, war gewiß
ein analytischer Fall. Als ich merkte,
daß Sie Ihre eigenen Wege gehen
und nicht genug für die Sache thun,
habe ich den Versuch gemacht,
Frink zu einem verlässlicheren
Brill auszubilden. Er mislang, -
S.
ich konnte den psychotischen Kern bei dem so
begabten Menschen nicht bewältigen.
Rank hat meinen Namen u seine
frühere Beziehung zu mir misbraucht,
als er in seine hochstaplerische Phase
eintrat. Ich war an seiner ersten
Amerikareise ganz unbeteiligt. Ihre
Empfindlichkeit hat sich seither immer mehr
gesteigert. Ich meine, sie spricht für
Ihr Gewissen, daß Sie meine auf Sie
gesetzten hohen Erwartungen nicht
erfüllt haben. Dann ist es – wie bei
Frink – am bequemsten, wenn alles
meine Schuld ist.Auch Ferenczi ist nicht auf meinen Rat
nach Amerika gegangen. Ich war eher
dagegen. Aber Ihr unfreundliches Benehmen
gegen ihn ist mir nicht verständlich ge-
worden. Haben Sie ihm wirklich die
nach amerik. Maßstab unbeträchtliche
Summe nicht gegönnt, die er sich unter
schwerer Arbeit erworben, während
er soviel durch Reden u Vorträge
für die Analyse leistete? Mein
Eindruck ist, Sie haben auch hierin den
analytischen Standpunkt gegen den
amerikanischen aufgegeben.Was kann ich am Ende sagen? Daß ich
gerne bereit bin, meine seit jeher
bestehende persönliche Sympathie
für Sie durch objektive Aner-
kennung zu ergänzen, nur er-
warte ich, daß Sie mir Anlaß
dazu geben. Hoffentlich verstehen
Sie es, hinter der aufrichtigen
Kritik das aufrichtige Interesse
herauszuhören.Herzlich Ihr
Freud