Dr. Sigm. Freud
Docent für Nervenkrankheiten
a. d. Universität.

Wien, 
IX., Berggasse 19.

  • S.

    2. 7. 08

    Dear Dr Brill

    Ich bin froh, daß ich Ihre Adreße habe u Ihnen
    zu Ihrer Verheiratung herzlich Glück wünschen kann.
    Sie haben in Wien u Salzbg nichts von dem bevorstehenden
    Ereigniß gesprochen u auch Ihr Brief schweigt darüber
    so vollkom̄en, daß ich doch nicht irre, ich hätte vor Kurzem
    die Anzeige Ihrer Vermälung erhalten? Ich hoffe
    also, Sie sind nicht allein mit der Übersetzung
    beschäftigt, sondern auch sonst glücklich u zufrieden.

    Ihre Ausschnitte haben mich sehr interessirt, besonders
    die treffenden Bemerkungen von Dr Baily über Dubois,
    dessen Buch ich wirklich auch nicht höher einschätzen
    kann, aber ich bin kein ganz zuverlässiger Kritiker
    darüber. Gewiß sind die Widerstände gegen die
    Betonung des sexuellen Moments wie überall
    so auch in Amerika, die stärksten. Die Art der Beweis-
    führung, die Sie in Ihren Beispielen gewält haben,
    ist eine sehr zutreffende. Bei Ihnen drüben ist doch
    vielleicht mehr Aufrichtigkeit zu finden als in
    unserem faulen Europa.

    Ich corrigire eben die zweite unveränderte Auflage
    der „Studien“ und sehe, daß es nicht schwer sein wird,
    Ihnen die Anmerkungen zu geben, durch welche
    die Darstellung von damals auf das Niveau
    von heute gehoben werden kann. Wir werden
    uns darüber noch verständigen.

  • S.

    Gestern verbrachte ich den Abend mit Dr Campbell
    u seiner Frau, einem Schotten, der schon bei Meyer in New
    York war u in einigen Monaten als klinischer Assistent
    wider zu ihm kom̄en wird. Sie kennen ihn entweder
    schon oder werden ihn bald kennen lernen. Es scheint,
    daß er seinen Einfluß dort zu Gunsten der Psychoanalyse
    geltend machen wird. Ich gewinne den erfreulichen
    Eindruck, daß mit Ihrer Aller Hilfe New York
    bald ein neuer Infektionsherd sein wird wie
    bisher Zürich.

    Ich bin von der schweren Arbeiten dieses Jahres sehr ermüdet
    werde in 14 Tagen auf Ferien nach Berchtesgaden
    in Bayern gehen (Adreße: Dietfeldhof) u dort,
    sobald ich wider arbeiten kann, die zwei Kranken-
    geschichten für unser Jahrbuch schreiben. Ich hoffe
    fortlaufend von Ihnen zu hören u denke, daß
    Sie auch mit persönlichen Nachrichten nicht so
    zurückhaltend sein sollen.

    Ihr herzlich ergebener
    Freud