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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.24 Dez 15
Lieber Freund
Infolge des raschen Wechsels Ihrer Aufenthalte
bin ich veranlaßt, Ihnen umgehend zu
antworten. Ich hätte mich auch telegr. nach
dem Befinden Ihrer Mutter erkundigt,
wenn ich gewußt hätte, wo Sie sind und ob Sie
noch Ihre Wohnung in Bpest haben. Wir
freuen uns sehr zu hören, daß die Erkrank-
ung gut überstanden ist. Erfahrungsgemäß
leben alte Leute nach einer guten Pneu-
monie dann sehr lange Jahre.Meine Frau frohlockt eben über eine
gleichzeitig eingetroffene Mehlsendung.
Rank ist gestern nach Krakau gefahren, um
den wahrscheinlichen Ort seiner nächsten
Schicksale zu inspiziren. Ich kann ihn, sosehr
er mir und den Zeitschriften fehlen
wird, nicht zurückhalten, seine Wiener
Existenz ist in militärischer Hinsicht,
leider auch in anderer, sehr unsicher.
Er hätte sich sehr gerne mit Ihnen über
die Intern Zeitsch verständigt, die jetzt
absoluten Stoffmangel hat, wird
aber um Neujahr gewiß noch hier
sein.Ihre Übersiedlung nach Bpest ist das
nächste Erwünschte. Da ich jetzt beweglicher -
S.
bin als Sie, sind wir eines öfteren
Wiedersehens sicher. Wir sind diesmal
zu Weihnacht ganz einsam, ganz kinder-
los. Annerl ist nach Hambg gefahren.
hat bisher berichtet, daß Max unvermuteter
Weise irgendwohin weit weg versetzt
wurde, während er sich Hoffnung machte,
seine ganze Abrichtung über in Hmbg zu
bleiben. Von den anderen fehlen in
dieser Woche Nachrichten. Olis Hochzeit ver-
lief sehr animirt. Montag abds waren
sie noch bei uns mit R. M Rilke zu-
sam̄en, der seines Militärdienstes
wegen in Wien ist und ein reizender
Gesellschafter war. Sie würden sich auch
sehr leicht mit ihm verstehen.Sonstiger Horizont düster, Arbeitslust
gering. Nächstens muß ich doch die
Reinschrift für die Vorlesungen be-
ginnen.In der Hoffnung Sie sehr bald zu sehen
oder zu hören
herzlich
Ihr
FreudP.S. Jones hat in der Intern Rundschau
(Zürich) einen Aufsatz über „Krieg und
Sublimierung“ veröffentlicht, in dem eine
Note einmal sagt: Siehe auch den Aufsatz
Zeitgemäßes etc. von F. Er ist aber selbst eine
unverhohlene Wiedergabe dieses Aufsatzes.Anmerkungen Falzeder:
Ernest Jones, „Krieg und Sublimation“, Internationale Rundschau, 20. Dezember 1915, 1 (10/11): S. 497-506, die Fußnote auf S. 505.
Rainer (René) Maria Rilke (1875-1926), der berühmte österreichische Dichter aus Prag. Befreundet mit Lou Andreas-Salomé. Rilke war während des Ersten Weltkriegs hauptsächlich in München, machte aber 1915/16 für ein halbes Jahr Kriegsdienst in Wien, bis er aus Gesundheitsgründen entlassen wurde. Nach dem Krieg wohnte Rilke in der Schweiz, wo er in Val Mont bei Montreux starb.
Berggasse 19
Wien 1090
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