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Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.
6. Dez 15
Lieber Freund
Ich schreibe Ihnen doch lieber nach Pápa, da
Postverkehr jetzt ganz unberechenbar ist;
will hoffen, daß Ihre drei Erwartungen
sich noch vor Weihnachten erfüllen und
lade Sie ein, von Ihren Ferialtagen einige
in Wien zu verbringen. Unternehmungen
irgend welcher Art sind für Private jetzt
ausgeschloßen. Bei uns können Sie wenigstens
etwas von Ihrem Mehl vorgesetzt bekom̄en.Ich bin zwar beschäftigt, aber mäßig, 6½
Stunden, und reichlich zugänglich für
alle Besprechungen. Eine Arbeit, wie Sie
sie unternom̄en haben, ist nie ein reines
Genießen; für mich war es meist qual-
volles Ringen. Warum sollen Sie es besser
haben?Ich kann Ihnen einen großen diplomatischen
Erfolg vermelden. Heller hat zugesagt,
beide meine Bücher zu nehmen und
dafür die Zeitschrift aufrecht zu halten.
Ich setzte einigen Zweifel in ihn, aber er
hat sich zuverlässig und enthusiastisch gezeigt.
Für die Vorlesungen will er 100 K
für den Bogen zalen, von Anfang
an Doppelauflage machen u mich bei
einem zweiten Abdruck noch intensiver
beteiligen. Am 1 Jan 16 soll ich ihm ein
Stück des Manuskripts liefern, im Februar -
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die erste Lieferung erscheinen. Beabsichtigt ist
nämlich eine Sonderung in drei Partien:
Fehlhandlung, Traum und Einleitung in die
Neurosenlehre. Das zweite Buch, die μψ Ab-
handlungen, will er eine Weile später her-
ausbringen. Ich habe die Vorlesungen jede
Woche aufgeschrieben und bin jetzt bei der
8ten. Die Hörer, gegen 100 an Zal, scheinen
sich lebhaft zu interessiren, inskribirt
sind allerdings nur 7 % von ihnen. Viel-
leicht daher der Zulauf.Von familiären Dingen teile ich Ihnen mit,
daß mein Schwiegersohn in Hmbg für
den 8 dM einberufen ist u diesmal kaum
zurückgestellt werden wird. Es ist günstig,
daß er seine Ausbildung zur Artillerie
ganz nahe bei Hambg durchmachen soll.
Oli’s Hochzeit ist für den 19 dM festgesetzt,
ganz im Stil einer Kriegstrauung.
Er kann ja kaum abkom̄en, fährt
die Nacht vor der Trauung auf der Eisen-
bahn u hat im ganzen für dieses wichtige
Geschäft 2 Tage Urlaub. Die Mitwelt
wird nach Vollzug benachrichtigt werden,
für Hochzeitsgeschenke hat er keinen
Platz in seiner Baracke u Glück-
wünsche werden ihn nur unglücklich
machen, soweit nicht wir sie beantworten
können. Das Ereignis ist keine unge-
trübte Freude. Sie ist ein Mädchen -
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von viel Bildung, Aufrichtigkeit
und Vornehmheit, aber sie ist begeisterte
Medizinerin, will ihren eigenen Beruf
auf keinen Fall aufgeben, u wir ver-
stehen nicht, wie sich diese Interessen mit
denen Oli’s vertragen sollen, der die
nächsten Jahre gewiß kein Heim in einer
Universitätsstadt gründen kann. Auch
zweifeln wir, ob sie, im Reichthum aufge-
wachsen sich dazu haben wird, die Beschwerden
seiner Lebensweise zu teilen. Die Rolle
eines Prinzgemals oder eines Seekapitäns
zu spielen, wird ihm kaum behagen. Er
wird seine Frau bei sich haben wollen.
Natürlich schwinden alle Schwierigkeiten,
wenn die beiden sich lieb genug haben,
aber wer kann ein Frauenzim̄er kennen,
und sie selbst weiß doch auch nichts von
sich, ehe sie die Erfahrung des Mannes
gemacht hat. So sehen wir der Zukunft des
Paares nicht ohne Sorge entgegen. Ich weiß
nicht, wie weit Sie Oli kennen; ein wenig
seine Neurose. Die wird keinen geschick-
ten oder feurigen Liebhaber aus
ihm machen, obwol er des Weibes in jeder
Weise sehr bedarf. Das Bedenklichste
scheint mir sein Mangel an Schmiegsam-
keit, der ihn intolerant gegen weibliche
Schwächen und unfähig machen wird, eine -
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Enttäuschung zu vertragen und ohne Schaden zu
beenden. Im übrigen ist sein Wesen nicht in
seiner Neurose; ich halte ihn für genial ver-
anlagt und hoffe, daß er plötzlich einmal
durch wichtige Funde in seinem Fach zu Be-
deutung kommen wird. Bei einem solchen
Menschen kann man Verkümmerung
in gewißen Hinsichten ruhig hinnehmen,
aber ob auch die Frau dazu bereit sein
wird? Da wir ihn nicht sprechen und wegen
der Zensur ihm kaum schreiben können,
müßen wir alles gehenlassen, wie es kann,
sind übrigens auch durch die Erwägung
zurückgehalten, daß die Einmengung der
Alten selten Gutes stiftet. Vielleicht
sehen wir zu schwärzlich.Martin schreibt, daß er mit seinem Geschütz
auf einen hohen Schneeberg kom̄en wird.
Ernst friert über Triest, scheint es ziemlich
sicher aber wenig behaglich zu haben.Der junge Sisa schaut gut aus. Vielleicht
kann man ihn einmal auf die Verbrecher
aus Schuldgefühl hetzen, die mich eben
beschäftigen. Ihre Vorsicht ist im Ganzen
sehr berechtigt, die Jungen sind entweder
nicht originell oder rebellisch.Ich grüße Sie herzlich
Ihr
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
Hotel Royal szálloda
Győr 9000
Ungarn
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