• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    3 Dez 09

    Lieber Freund

    Hier das Konzept einer Vorrede. 
    Ich konnte nicht abwarten, bis 
    mein Schreibkrampf, der auf 
    allen Widerständen gegen 
    meine Thätigkeit ruht, abge-
    laufen ist. Sagen Sie nun dazu 
    Ihre Meinung; und ob Sie 
    nicht eine Übersetzung dieses 
    oder eines modifizirten 
    Textes veranlassen wollen.

    Das Jahrbuch hat mich in 
    Wien erwartet; es ist sehr 
    stattlich ausgefallen. Spätere 
    Bände werden hoffentlich 
    nicht so auffällig von meinem 
    Namen dominirt sein. Ihre 
    Arbeit lasse ich mir für Sonntag, 
    nach Absendung von Worcester V.

    Das besprochene Exemplar 
    des Alltagslebens für Frau 
    Gisela ist hoffentlich bereits 

  • S.

    aus Ihrer in ihre Hand gelangt.

    Der Leonardovortrag am 
    Abend des von uns gemein-
    sam begonnenen Tages hat 
    mich wenig befriedigt. Stein 
    war dabei. Ich habe nichts Gutes 
    als Antwort zu hören bekom̄en 
    von Adler sogar ungewöhnlich 
    plattes u danebengehendes Zeug.

    Ich genieße jetzt ein wenig 
    Muße, da ich 2 Stunden weniger 
    arbeite. Dirsztay’s Eltern 
    waren bei mir u haben sich 
    der Kur recht freundlich erwiesen. 
    Auf den Verlauf bei Dr P. bin 
    ich recht gespannt.

    Putnam hat Photographien 
    aus den Adirondacks angekündigt 
    in einem sehr liebenswürdigen 
    Schreiben.

    Ich grüße Sie und Frau G. herzlich 
    Ihr Freud

     

    CD: 
    Dr P.: Dr Pollak

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Der zweite Halbband des Jahrbuches, November 1909. Freud war in diesem Band mit der "Rattenmann"-Analyse (1909d) vertreten.

    Offenbar Ferenczis Arbeit >Introjektion und Übertragung<, die ebenfalls in diesem Halbband erschienen war.

    Freud hatte am 1. Dezember in der Mittwoch-Gesellschaft über >Eine Phantasie des Leonardo da Vinci< gesprochen (Protokolle II, S. 306-319), nachdem er Ferenczi in Budapest

    besucht hatte (siehe 86 F, Anm. 10).

    Siehe 89 Fer.

  • S.

    [Beilage – Autograph –zu diesem Brief.
    Es fehlt das Faksimile, die Transkription ist, ebenso wie die anmkerkungen, netnommen aus: 
    Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)]
                               

    Die psychoanalytische Untersuchung der Neurosen ([der] mannigfachenA Formen von seelisch bedingter Nervosität) hat den Zusammenhang dieser Störungen mit dem Triebleben, mit den Beeinträchtigungen desselben durch die Ansprüche der Kultur, mit der Phantasie‑ und Traumtätigkeit des normalen Einzelwesens und mit den Schöpfungen der Volksseele in Religion, Mythus und Märchen aufzudecken erstrebt. Die auf diese Untersuchungsmethode gegründete psychoanalytische Behandlung der Nervösen stellt an Arzt und Patient weit höhere Ansprüche als die bisher gebräuchlichen mit Medikamenten, Diät und Wasserprozeduren, bringt aber den Kranken soviel mehr Erleichterung und anhaltende Stärkung für die Aufgaben des Lebens, daß man sich über die unaufhaltsamen Fortschritte dieser therapeutischen Methode trotz heftiger Opposition nicht zu verwundern braucht.

    Der Verfasser der nachstehenden Aufsätze, mir enge befreundet und mit allen Schwierigkeiten der psychoanalytischen Probleme wie wenige vertraut, ist der erste Ungar, der es unternimmt, die Gebildeten seiner Nation durch diese in seiner und ihrer Muttersprache abgefaßten Arbeiten für die Psychoanalyse zu interessieren. Möge ihm dieser Versuch gelingen und den Erfolg haben, für das neue Arbeitsgebiet neue Arbeitskräfte aus der Mitte seiner Kompatrioten zu gewinnen.

    Wien, im Dezember 1909
    Freud

    A In der gedruckten Fassung (Sigmund Freud, Gesammelte Werke,

    Bd. 7, S. 469): mannigfacher.