• S.

    Prof. Dr. Freud                                    
    Wien, IX. Berggasse 19.

    30.X.14.

    Lieber Freund

    Ich habe gestern bei S 54 der neuen Kranken-
    geschichte1 halt gemacht und kann meinen 
    wüsten Kopf (vom Schnupfen) nicht besser 
    als mit Briefschreiben beschäftigen.

    Ihrem Brief entnehme ich, wie lebhaft noch 
    Ihr infantiles Schuldbewußtsein ist! 
    Die plötzliche Unterbrechung der Kur, wo 
    sie am interessantesten und ergibigsten 
    war, ist natürlich sehr dumm gewesen. Aber 
    da half ja nichts. Ich stelle Ihnen jetzt die 
    Prognose, daß die Selbstanalyse sehr bald 
    versagen wird, und das ist Recht, denn 
    Selbst‑ u Fremdanalyse lassen sich nicht 
    summiren. Was wir hier für Sie thun 
    können damit Sie nicht im Dienst 
    untergehen, kann offenbar nur Drängen 
    zu den ψα Interessen sein. Ich habe Ihnen 
    durch Rank einige neue Erscheinungen 
    schicken lassen, die Sie freundlichst als 
    Redakteur für die Zeitschrift würdigen 
    wollen, die übrigens auch an sich inter-
    essant sind. Binswanger verdient be-
    sonderes Interesse. Pfister hat plötzlich 
    die Fähigkeit gefunden, Adler in dem 
    Licht zu sehen, das ich aufgesteckt habe. 

  • S.

    Er thut eigentlich nichts anderes als einige 
    meiner Bemerkungen breittreten. Seine 
    spezielle Kunst ist es, aus solchen Einwendungen 
    so großartiges Lob zu destilliren. Die Ein-
    seitigkeit, spekulative Verbohrtheit und 
    Absurdität scheinen große Verdienste 
    um die Wissenschaft zu begründen. Sie 
    werden sich sehr amüsiren. Außerdem 
    haben Sie den Kolarits: Die Bibliothek 
    bittet natürlich um Rücksendung.

    Gestern kamen auch die Fahnen der neuen 
    Nr der Zeitschrift. Ich habe mich sehr gefreut 
    zu sehen, wie sinn‑ und gehaltvoll auch 
    Ihre kleineren Beiträge sind.

    Ein Italiener Levi Bianchini, Prof. extraord 
    in Neapel und Direktor des „Manicomio“ 
    will eine internat psychiat Bibliothek 
    herausgeben u mit einer Übersetzung 
    meiner „5 Vorlesungen“ beginnen. Er bietet 
    auch einen Austausch der Journale an. 
    Angenom̄en.

    Von meinen Arbeiten werde ich Ihnen 
    schicken, was transportabel ist, die Fahnen 
    der Sexualtheorie, sobald sie kommen, 
    den Text der neuen Krankengeschichte, 
    wenn ich einen Maschinenabzug davon 
    erhalten kann. Wenn die Bahnverbindg 
    menschlich wäre, könnte ich Sie einmal 
    über Sonntag besuchen. Vederemo!

    Alle lassen Sie herzlich grüßen 

    Ihr 
    Freud