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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.17.5.1910
Lieber Freund
Sie werden mir das Zeugnis geben, daß
ich es selten versäumt habe, mich mit Ihnen
zu unterhalten, wenn es möglich war, und
sollen nun erfahren, daß ich seit dem 5. dM
(Ihr reizender Brief traf mich gerade nach
dem 54! Geburtstag) an einer Influenza
laborire, die mich zuerst stim̄los u jetzt
kraftlos gemacht hat. Über Pfingsten
war ich in Karlsbad, wo ich Frau u Tochter
blühend antraf, u von wo ich zwar nicht
die Genesung aber doch schönen Nephrit
mitbrachte. Die Woche vor den Feiertagen
war die beschäftigteste des ganzen Jahres
und ich steifte mich darum, der Krankheit
nichts vom Erwerb zu opfern. Jetzt bin ich
hoffentlich bei Ihnen entschuldigt u Ihr
Denken sucht keine anderen Motive.
Ich kann heute wieder schreiben, wenn
auch nicht ordentlich eßen.Den Kurs, meine ich, kündigen Sie nach
einer Weile wieder an u warten auf
Ihrem Posten als Feldherr, bis die Armee
zusam̄enkommt. Für D.P. meinen besten
Dank für alle Ihre Mühen. Ihre Spende
befindet sich seit Mittwoch in Steiner’s
Händen. -
S.
In Wien arbeiten sie sehr eifrig. Der Vertrag
mit Bergmann über das Zentralblatt ist
unterschrieben, die erste Num̄er für den
Okt. bestim̄t. Ich zeichne auf Bergmanns
Wunsch als Herausgeber, werde mit dem
Vortrag in Nürnberg eröffnen.Jones schreibt prächtige Berichte über Kämpfe
u Siege in Amerika.Unser Som̄er steht so weit fest, daß wir am
1 Aug in Noortwiyk bei Leyden (Hotel
Nordsee) eintreffen. Die 14 Tage vorher
sind noch unbestim̄t. An den Plänen über
die ev. Fahrt durchs Mittelmeer werde
ich mich lebhaft betheiligen. Denken Sie,
dasselbe, worauf wir wegen Worcester
verzichten mußten!Ich schreibe Ihnen heute nicht mehr, weil ich
noch sehr untätig bin, auch die zwei
Nächte auf der Eisenbahn ganz gegen
meine Konstitution nicht geschlafen habe,
u hoffe jetzt sehr bald von Ihnen
zu hören.
Herzlichst
Ihr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
Ungarn
http://data.onb.ac.at/rec/AC16238491 Autogr. 1053/6(1–14) HAN MAG