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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.3 Dez 10.
Lieber Freund
Sie werden gewiß erstaunt gewesen sein,
daß ich auf Ihre erschütternde Mitteilung,
Sie seien selbst ein Medium, nicht eher
reagirt habe. Ich könnte auch heute noch
nicht schreiben, wenn ich nicht etwas elend mit
Influenza wäre u die Vorlesung (sowie die
Tarockpartie) abgesagt hätte. Ich bin nämlich
sonst Schreber, nichts als Schreber, freilich erst
von 10 h abends an, u mit dieser Arbeit ist
ein Befreiungskampf verbunden, dessen
literarisches Ergebnis mich allerdings nicht
befriedigt.Verhindern konnte ich es natürlich nicht, daß
mich Ihre Nachricht sehr beschäftigt hat. Ich
sehe das Schicksal kommen, das unaufhalt-
sam nahende, u merke, daß es Ihnen die
Aufklärung der Mystik u ähnliches bestim̄t
hat u daß es ebenso vergeblich wie eng-
herzig wäre, Sie davon zurückzuhalten.
Doch meine ich, darf man einen Versuch
wagen, es zu verzögern. Ich möchte Sie
auffordern, noch zwei volle Jahr in der
Verborgenheit zu sammeln u erst 1913
hervorzutreten, dann allerdings im
Jahrbuch u mit offenem Visir. Sie
kennen meine praktischen Gegengründe
u meine geheimen peinlichen Empfindungen. -
S.
Jetzt möchte ich wissen, wann Sie nach Wien
kommen, da Sie sich für den Dezember
angesagt haben. Eitingon hat sich von
Damaskus her am 5‑8 angekündigt.Die Sache mit Bleuler scheint günstiger zu stehen,
er wird in irgendeiner Form bei uns
bleiben, wenn auch vielleicht nicht im Verein.
Ich bin dabei ein Rendezvous mit ihm in
München anzunehmen (in den Weihnachts-
tagen), u Jung hat versprochen hinterrücks
nachzu kom̄en, wenn er abgereist ist.Aus Deutschland regnet es Beschimpfungen
nach wie vor; Putnam hat seinen zweiten
Aufsatz für die ΨΑ eingesendet, ebenso
ritterlich u entschieden wie den ersten, aber
praktischer. (J. of. nerv. a mental Disease, Nov. 10)
Der erste wird in der Jännernum̄er des
Zentralblattes erscheinen. Das Blatt erwartet
glaub’ ich, Originalbeiträge von Ihnen. Ich
werde jetzt der Schriftleitung scharf
auf die Finger sehen. Die Sache mit Adler
und Stekel will friedlich ablaufen, aber
meine Position in Wien ist schwierig.Ich hoffe, daß Sie Ihre zarte Rücksicht
für mich jetzt aufgeben u mir sehr
bald wieder schreiben werden.Herzlichen Gruß
Ihr FreudP.S. Kennen Sie den
„Amerikamüden von
Kürnberger? Emmes!
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
Ungarn
http://data.onb.ac.at/rec/AC16294248 Autogr. 1053/8(1–12) HAN MAG