-
S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.10 Nov 09
Lieber Freund
Ich danke Ihnen sehr für Ihre interessanten Berichte,
mir in einer etwas oeden Zeit doppelt will-
kom̄en. Ich antworte Ihnen unmittelbar, zur
Rücksendung bedarf es einer freien Stunde
an einem der nächsten Tage.Im ganzen finde ich daß diese letzten Versuche
wegen Indisposition des Mediums wenig ergeben
haben. Auch scheint mir Ihre Veranstaltung
etwas zu complicirt, welches Urteil ich über
Ihre Chiffrirversuche ausdehnen möchte. Ich
glaube, Sie brauchen zunächst Experimente, aus
denen das vermutete Grundfaktum, das
Spiegeln der Gedanken des Anderen unzweifel-
hafter als bisher hervorgeht, sondern solche,
die die Frage, ob sie liest oder nicht, endgiltig
ausscheiden laßen. Man sollte zuerst entgegen-
kom̄en u nicht hem̄en. ZB ein Brief, der in
Ihrem Bruder gewiße Affekte hervorruft,
wäre ganz angezeigt. Ganz erfolglos waren
auch diese Experimente nicht u in manchen
Hinsichten sehr verdächtig. Das eine, was Sie über
unsere Annahme hinaus zu schätzen scheinen
möchte ich auf das Niveau derselben wieder
zurückführen. „Die mehreren Hände, die in einem
Topf wühlen“ deuten wirklich nicht auf neue
Fähigkeiten der Frau S. Es wäre auch eine
sonderbare Charakteristik für einen
Maler, der das überhpt nicht mit einer Hand -
S.
thut. Sondern Ihr Bruder ahnt Ihre Beziehung zu Frau
G. wie Sie richtig vermuten, hat möglicherweise
von jenem Maler doch Kenntniß gehabt, vielleicht
sehr dunkle, die ihn im Ausdruck seines Gedankens
etwas beeinflußt, u sein Gedanke war: daß da
mehrere Männer mit einer Frau zu thun haben.
herumschmieren, sagt man ja auch. Frau S errät
wieder nur seinen Gedanken. Die Technik
wird ja übhpt sein, die S. ganz zu elliminiren
und am sich spiegelnden Objekt die Analyse vorzu-
nehmen. Es wird, da Ihr Bruder eine neue
Unbekannte einführt u sich der Analyse weigert
kaum etwas anderes übrig bleiben als, wie
Sie andeuten – mit gut überlegtem Program̄
nach Berlin zu reisen.Ihr Traumvortrag hat mir bes. durch seine vortreff-
lichen Beispiele sehr gefallen, u ich will über
seine Verwendung weiter nachdenken. Nur
eine Stelle der Einleitung bedarf der Abänderg
oder Correktur. S 2: „Doch auch den letzteren
gelang es nicht (den Symbolikern), die Absonderlichkeiten
der Tr verständlich zu machen oder die Trer-
klärung in das Prokrustesbett einer gekünstelten
Allegoristik zu zwängen.“ Soll es anstatt „oder“
nicht heißen „ohne“? Allegoristik ist übrigens
ein unmögliches Wort u müßte ersetzt werden
(geSpiel mit gek All?). -
S.
Ich bin wissenschaftlich fixirt durch
die amerikan. Vorträge, von
denen der erste bereits abge-
segelt ist. Sonst habe ich Glück
in zwei Kleinigkeiten gehabt,
mit dem Gegensinn der Urworte
und einer Analyse von – staunen
Sie nur über das erlauchte Objekt –
Leonardo da Vinci. Aber nichts Größeres.
Die Zeit ist sonst recht oede, ich bin
voll besetzt u habe mich mit Absicht
in der Arbeit eingeschränkt, aber
manche Fälle sind langweilig u
der Zulauf bleibt ganz aus, so
daß ich fast gar nichts an den
„Kreis“ vertheilen kann. Ich er-
warte, daß sie nächstens streiken
und abfallen. Jung schreibt mir
gar nicht mehr, so daß ich heute
mit einer Karte bei ihm ange-
fragt habe. Eitingon, der mich
zweimal wöchentlich zum Nachtspaziergang -
S.
abgeholt hat, auf dem
er sich analysiren ließ, kom̄t
Freitag zuletzt u geht dan̄ für
ein Jahr nach Berlin. Ein formid-
abler Angriff, halb schwachsinnig
halb hellseherisch, u in heiligen
Geifer getaucht, ist in der Evang.
Freiheit von Foerster gegen
mich ganz speziell gerichtet
worden. Pfister freut sich schon
lange darauf, ihm zu antworten.Sie werden gewiß gerne hören,
daß meine Tochter ohne Eingriff
beweglich geworden ist u sich wieder
sehr ihres Lebens freut. Meine
Frische ist durch einen Wiener
Schnupfen arg geknickt worden.
Ich habe Bilder aus Hamburg
bekom̄en, die ich für sehr schlecht
halte. Wenn Sie doch eines
wollen, so sagen Sie es im ver-
sprochenen langen Brief.Ihr herzlich ergebener
FreudCD:
Frau S: Frau Seidler
(Spiel mit gek All?).(geSpiel mit gekünstelter All?).geKleine Details, die in folgenden editorischen Anmerkungen ausgewiesen sind, muss man prüfen
Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)
A In der Handschrift: hervorgehen.
B In der Handschrift steht statt des Semikolons ein Punkt, das nachfolgende Wort beginnt jedoch mit einem Kleinbuchstaben.
C Hervorgehoben durch doppelte Punktlinie unter dem Wort.
In der veröffentlichten Fassung ist Ferenczi Freuds Vorschlag gefolgt (1909, 66; Unbewußtes, S. 116).
Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966), deutscher Philosoph, Pädagoge und Pazifist; seit 1901 Professor in Zürich, nachdem er Deutschland wegen Majestätsbeleidigung verlassen hatte müssen. Foerster war als pädagogische und moralische Autorität angesehen. Sein Artikel: >Psychoanalyse und Seelsorge<, Teil 1 und 2, Evangelische Freiheit, 1909, 31: S. 335-346 und 374-388. Vgl. 96 F und Anm. 2.
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
VII Erzsebet-kőrut 54
Budapest 1073
Ungarn
http://data.onb.ac.at/rec/AC16219896 Autogr. 1053/4(1–10) HAN MAG