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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.Karlsbad
22.7.14.
Lieber Freund
Ich antworte Ihnen umgehend, weil
Sie im Begriffe sind, sich dem Briefver-
kehr für eine Zeit zu entziehen.
Ihr Brief hat mich nicht ganz befriedigt.
Ich meine, Sie überschätzen die Bedeutung
Jungs für mein Gefühlsleben ähnlich
wie er selbst. Ich weiß von keinem neuen
Kurs mit meinen Freunden. Das eine
gebe ich Ihnen zu, daß ich wieder einmal
die Erfahrung gemacht, es sei zu früh
sich zurückzuziehen und die Arbeit
auf andere zu überwälzen, und jetzt
werde ich wahrscheinlich keinen Versuch
mehr dazu machen. Es muß eine große
Ermüdung gewesen sein, die sich in
jenen Learstim̄ungen ausdrückte
u vielleicht habe ich in den letzten 20
Jahren das Recht dazu erworben. Aber
man muß nicht alle seine Rechte auch
geltend machen wollen. Ich verzichte
also u nehme mein Kreuz geduldig
auf mich.Unser heuriges Beisam̄ensein habe
ich auch nicht dem Wolbehagen, sondern -
S.
neuer Arbeit geopfert, für die ich Ge-
selligkeit nicht brauchen kann. Auch
arbeite ich gerade mit Ihnen nicht leicht
zusam̄en. Sie packen die Dinge anders an
und sind darum oft anstrengend für
mich. Bis jetzt kann ich sagen: Nulla dies
sine linea und ich hoffe, es wird bis zum
Herbst so bleiben. Ein Mnskrpt ist heute
an Rank abgegangen.Anna schreibt aus England, daß Jones
sich sehr nett gegen sie u die Familie
benim̄t, bei der sie Gast ist, den ersten
Sonntag dort war u am nächsten wieder-
zukom̄en versprochen hat. Ich will nichts
thun, um den Verkehr zu stören. Die
Kleine soll nur lernen, sich zu behaupten
aber sie wird wol geschickt genug sein,
einer Erklärung auszuweichen, die nur
zu einer Enttäuschung führen kann
Sie fühlt sich selbst ganz sicher.Grüßen Sie Frau Gisela herzlich
u schreiben Sie noch, ehe Sie nach
England abgehen.Mit herzlichem Gruß.
Ihr
Freud
Villa Fasolt, Schlossberg
Karlsbad 360 01
Tschechien
Erzsebetkőrut 54
Budapest 1071
Ungarn
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