• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    3.1.1911

    Lieber Freund

    Als Neujahrsgeschenk folgende Prophezeiung 
    für Ihre Sam̄lung, vielleicht das schönste 
    Stück, das Sie bis jetzt haben, soweit 
    ich das Material kenne.

    Frau von 37 J. an Zw erkrankt seit der Mit-
    theilung ihres Mannes, daß die Ursache 
    ihrer Kinderlosigkeit in seiner Azoo-
    spermie liege. Im 27 Jahr. Beginn mit 
    Angstsymptomen. Ein Jahr später (28 J). 
    ließ sie sich von einem Wahrsager in 
    Paris aus den Linien der Hand prophe-
    zeien, sie werde große Kämpfe bestehen 
    und bis zum 32 J. zwei Kinder haben. 
    Damit hat sie sich eine Zeitlang getröstet 
    jetzt ist die Prophezeiung also schon seit 5 J 
    überholt.

    Analyse. Die Kämpfe sind aus der Situation 
    klar. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht 
    war selbst die älteste von 5 Geschwistern. 
    Sie schwankte damals, ob sie nicht ihren 
    Mann verlassen sollte. Im̄erhin merk-
    würdig, daß der Wahrsager ihr dieß 
    u den Kinderwunsch direkt ohne weitere 
    Fragestellung sagte. Aber woher der 
    Termin u woher die Zweizahl der Kinder?

  • S.

    Meine Frage: Wie alt war Ihre Mutter 
    bei Ihrer Geburt?

    Antwort: Sie war 30 J, als sie heiratete. 
    (Sofortige Korrektur) Sie war 30 J, als ich 
    zur Welt kam

    Frage Wie groß ist die Zwischenzeit zwischen 
    Ihnen u Ihrer nächsten Schwester?

    Antwort 1 ½ Jahre.

    Ich: Ihre Mutter hatte also mit 28 J noch 
    gar kein Kind. Sie trösteten sich, ich 
    werde wie meine Mutter werden, 
    mit 32 J schon zwei Kinder haben.

    Die Kämpfe kom̄en bei der Mutter 
    wol nicht in Betracht?

    Sie: Nein.

    Ich: Was setzt diese Phantasie ferner 
    voraus? Daß Sie sich von Ihrem Mann 
    tren̄en oder daß er stirbt, ¿¿¿ so daß 
    Sie trotz des Trauerjahres noch Zeit 
    haben, nicht hinter der Mutter zurück-
    zu bleiben.

    Sie: Ich habe im̄er die große Angst, daß 
    ihm etwas passirt. Als er gestern abends 
    fortfahren wollte, hatte ich Schwierig-
    keiten ihm zum Zug heute früh zuzu-
    reden. Wenn gerade mit dem von 
    mir empfohlenen Zug ein Unglück 
    geschähe!

    Herzlichen Gruß 
    Ihr Freud