• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    3.7.10

    Lieber Freund

    Der Bruderkomplex hätte Ihnen den Magen 
    nicht zu verderben gebraucht. Der Abend 
    ist nicht zu Stande gekom̄en, da Brill seine 
    Last so schnell als möglich loswerden u 
    darum Montag früh abreisen wollte. 
    Die Leute am Sonntag zusam̄enzubringen 
    ist aber aussichtslos u jeder Aufenthalt 
    dann unbehaglich. So verzichtete ich. 
    Ihre Neugierde, wie es hier geht, befriedige 
    ich gerne. Wir sind recht erschöpft u in 
    ziemlicher Verlegenheit wegen des 
    Som̄ers. Eine Vorhut, aus Tante und 
    zwei Kleinigkeiten bestehend, hatten 
    wir nach Bistrai zu Dr Jekels geschickt 
    u wollten beide Alte dann bis zum 
    1 Aug. nachkom̄en, die Jungen unterdeß 
    auf Abenteuer schicken. Aber wir er-
    fahren, daß Bistrai zuwenig Raum 
    hat u auch sonst nichts Rechtes ist. Die 
    Buben haben bis auf Martin sich nicht 
    untergebracht, und so sagte ich Jekels ab 
    u bin ratlos. Wahrscheinlich gehen 
    wir beide mit zwei Buben in eine 
    holländische Pension im Haag u schauen 
    uns die Städte ein wenig an, bis an 
    der See Platz wird, u die andere 
    Partei sucht noch Unterschlupf in 
    Deutschland irgendwo auf der Route. 

  • S.

    Ich selbst bin schon ziemlich erschöpft, habe sogar 
    einen Tag wegen Fieber nicht gearbeitet. 
    Es war aber ein Nebenhöhleninfektions-
    anfall. Mit dem Darm geht es viel 
    besser, zu einer Herstellung ist es doch nicht 
    die Zeit. Alle Wünsche konzentiren sich auf 
    die Sept.‑Reise, die später der Inhalt liebe-
    voller Überlegungen sein soll. – Die Arbeit 
    ist nur um eine Stunde verringert, hört 
    am 14 natürlich mit einem Schlage auf.

    Amüsant war der Vortrag von Hoche, '
    in der nied Berliner Klinik, größte Aner-
    kennung bisher erzielt. 

    Vor einigen Tagen war die erste Redaktions-
    sitzung, alles noch sehr mangelhaft organisirt. 
    Vielleicht sind Menschen doch nicht zu ändern. 
    Eine Kritik Stekels über das Buch von 
    Neutra mußte wegen blumenreicher 
    Entrüstung konfiszirt werden. 
    Das Jahrb ist noch im̄er nicht da. Jung schreibt 
    viel, über eine Arbeit von ihm, an der ich 
    manches auszusetzen hatte. Es stockt alles 
    ein wenig.

    Ich schreibe Ihnen, sobald ich von unseren 
    Plänen mehr weiß. Dann auch über drei 
    Arbeiten, die ich im Keime mit mir 
    herumtrage. Mit vielen Grüßen an 
    Frau G.

    Ihr herzlich ergebener 
    Freud