• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    12.3.11.

    Lieber Freund

    Ich weiß nicht mehr, wie es gekommen ist, daß 
    Sie von den letzten Vorgängen überrascht 
    sein konnten. Ich hatte viel auswärtige 
    Korrespondenz u machte die Trdeutung 
    fertig. Das Wesentliche hole ich jetzt nach. 
    Die Adlerdebatten haben einen für ihn 
    sehr ungünstigen Eindruck hinterlassen 
    und gelegentlich mußte ich ihn mit einem 
    entschiedenen Wort zurückweisen. Auch 
    die unbew. Anzeichen – Vergessen, Versprechen – 
    waren gegen ihn, so zog er denn die Kon-
    sequenz u trat zurück. Stekel, der jetzt 
    ganz verwildert u eine starke persön-
    liche Opposition gegen seine Person schürt, 
    benützte die Gelegenheit, ihm seine Freund-
    schaft zu bezeugen. Das übrige vollzog 
    sich ganz ruhig. Die Gestürzten schmollen, 
    sitzen jetzt „unten“ am Tisch, beteiligen sich 
    nicht an den Debatten usw. Ich habe aller-
    dings den Eindruck, von dem Sie sprechen, 
    daß es nicht rechtzeitig war, sich zurück-
    zuziehen, u daß viel Schaden damit ge-
    schehen ist, aber auch den anderen, 
    daß von all den Wienern nur einer 
    eine wissenschaftliche Zukunft hat, der 
    kleine Rank, der sehr wacker bei mir 
    ausgehalten hat.

  • S.

    Nun gestehe ich, daß ich die beiden auch im 
    Zentralbl loswerden möchte, die Rache für 
    ihr Benehmen auf dem Kongreß gegen 
    Sie und mich damit vervollständigen 
    u das Organ ganz in die Hand zu nehmen. 
    Aber sie wissen das und sind vorsichtig, 
    dh höflich u entgegenkom̄end. Bei der ge-
    ringsten prinzipiellen Schwierigkeit hier 
    würde ich sie über Bord werfen; ich habe 
    sie völlig satt. Da ich aber nicht eigentlich 
    bösartig sein will, muß ich mit ihnen 
    weiter arbeiten, so lange es geht, dh, so 
    sich fügsam zeigen.

    Ich gehe mit dem Gedanken um, das Zentralbl 
    vom Kongreß an zum offiziellen Organ 
    der IΨΑ zu machen, so daß jedes Mitglied 
    für den um ein wenig zu erhöhenden 
    Vereinsbeitrag Abonnent würde. Das 
    Korrespondenzbl würde aufgehen u die Zentrale 
    eine offene Spalte für ihre Mitteilungen 
    im Zentralbl erhalten. Jung findet den 
    Plan sehr gut. Bergmann ist noch nicht 
    gewonnen, wird aber weiter bearbeitet 
    werden.

    Ich bin wirklich voll leistungsfähig, habe aber 
    seit 2 Wochen weniger zu thun u Aus-
    sicht auf neue Unterbrechungen bei 
    geringem Zufluß, so daß ich in diesem 
    Jahr nicht sehr reich werden kann. 
    Das hat mich nicht abgehalten, mir verschiedene 

  • S.

    Kostbarkeiten zum 25j. Jubiläum 
    der Praxis (Ostersonntag) zum Geschenk 
    zu machen, die Sie bei Ihrer nächsten An-
    wesenheit bewundern müßen. Ihr Ohrge-
    hänge kam gerade am Tage des Einkaufs 
    an u litt unter dem Vergleiche. Ich danke 
    Ihnen jetzt, daß Sie das Geld für mich bei 
    der Preisherabsetzung ausgelegt haben.

    Vorigen Sonntag hatte ich den Besuch unseres 
    exponirten Anhängers Sutherland aus 
    Sagor in Indien, der ein prächtiger 
    Mensch ist, er übersetzt die Trdeutung. 
    Hinter ihm steht ein anderer, jüngerer, 
    Barkley (?) Hill, der ΨΑ an den Hindus 
    macht u bei ihnen alles bestätigt, auch 
    darüber publiziren wird. Vor zwei Tagen 
    hat sich dann ein neuer Weltteil 
    gemeldet, Australien. Der Sekretär 
    der neur Abteilung des austral Kongreßes 
    erklärt sich als Abonnent des Jahrbuchs 
    u bittet um einen kurzen Bericht 
    über meine Theorien, der in der Publik-
    ation des Kongreßes abgedruckt werden 
    soll, da diese Lehren in Australien 
    noch ganz unbekannt sind. Aus 
    Afrika noch kein Lebenszeichen!

    Auf zwei Vergleiche, die mir so 
    beiläufig eingefallen sind, haben 
    Sie ein Vorrecht. Wenn wir die 

  • S.

    perversen Grundlagen unserer moralischen 
    Reaktionsbildungen aufdecken u den 
    Kranken von neuem in Konflikte bringen, 
    die er für erledigt hält, so ist das dem 
    Umkristallisiren des Mineralogen ver-
    gleichbar, der so schönere u reinere 
    Kristalle zu erhalten hofft –. Die Über-
    tragung ist die noch weiche u produktive 
    Cambiumschicht der Neurose, während die 
    Symptome wie in anorgan. Erstarrung 
    sind.

    Ich hoffe bald einige der grundlegenden Gestalt-
    ungen des Kernkomplexes fixiren zu 
    können, womit die Adler’sche Ketzerei 
    theoretisch abgethan wäre. Vielleicht bringt 
    der Som̄er in Karlsbad Inspiration.

    Martin geht bereits gut, wenn auch 
    mit steifem Knie. Er dürfte auf ein 
    Jahr beurlaubt werden u wird unter-
    deß sein Jus wiederaufnehmen. 
    Zu Ostern möchte ich nach Bozen, um auf 
    dem Ritten Sommerwohnung zu suchen. 
    – Was macht Frau G’s Tochter?

    Ich grüße Sie herzlich 
    Ihr Freud

    Die An France‑Arbeit kom̄t 
    ins Doppelheft 7/8 des Zentralbl.