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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.6.X.09
Lieber Freund
Ich kann Ihnen heute noch
nicht antworten, auch noch
nicht den Brief zurückschicken.
Ich will erst einige Nächte
darüber schlafen u einige
Tage darüber brüten. Nur
so viel sehe ich jetzt: Man
darf ruhig annehmen, daß
die Person das ihr Vorge-
legte mit ihren Augen liest –
so wie Sie diesen Brief lesen
– durch irgend einen Kunst-
griff. Dafür sprechen alle
ihre Beteuerungen u die
von ihr dargebotenen Garantien.
Aber, davon abgesehen; scheint
an der Sache etwas zu sein.
Das übrige sieht aus wie
echt! Nicht daß das Frauenzimmer -
S.
besondere höhere Gaben
besäße. Sie brauchen wirklich
nicht zu bedauern, daß Sie
nicht nach der Zukunft gefragt
haben. Die bildet sich im̄er
neu, die weiß auch der liebe
Gott nicht vorher. Sondern die
Übertragung Ihrer Gedanken
auf nicht begreiflichen Wegen
ist das Merkwürdige u die
mögliche Neuheit. Schweigen
Sie vorläufig darüber; wir
werden weitere Versuche
anstellen müßen.Ende dieser Woche werde
ich mich gefaßt haben u mich
äußern können.Ich bin von viel Arbeit u
einigem Ungemach hier
empfangen worden.
Herzlichen Gruß
Ihr Freud
Bergasse 19
Wien 1090
Austria
VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
Hungary
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