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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.15 Nov 10
Lieber Freund
Geschwind ein Stückchen Neuigkeit für Sie
(in Ihr Eigentum) fixiren, was einen
starken Beweis für die Gedankenüber-
tragung bringt. Das wird ja doch Ihre große
Entdeckung. Also hören Sie.In München giebt es eine Hofastrologin, die
aus Geburtstagsdaten mit Hilfe astron.
Tafeln die Zukunft vorhersagt. Einer
meiner Patienten (Dr phil, ernsthafter, einer
Lüge nicht zu verdächtigender Mensch) hat
sich von ihr wahrsagen lassen. Er gab ihr den
Geburtstag des Schwagers (Mannes der
einzigen Schwester) u sie entwarf danach
eine nicht üble Schilderung von ihm!!
Am meisten frappirte ihn aber, daß sie pro-
phezeite, der Schwager werde im Juli eine
Austern‑ oder Krebsvergiftung durch-
machen, die seinem Darm auf längere
Zeit zu schaffen geben werde. Die Prophezei-
ung erfolgte im Januar, sie ist im Juli
allerdings nicht eingetroffen, aber das
Verdienstliche an ihr bleibt, daß der
Schwager eine Vergiftung durch einen
Hum̄er richtig im Juli d. Jahres vorher gehabt
hat. Sie hat also einfach das Vergangene
wieder prophezeit!!! Meine Einwendung,
daß dies die ärgste Blamage für -
S.
einen Propheten sei, die sich denken ließe,
machte dem Erzäler keinen Eindruck, offenbar
weil ihm die Aussicht so sehr gefiel.Im April d.J. eine neue Sitzung. Er legte ihr
seinen eigenen Geburtstag vor u erfuhr,
in der Familie dieser Person werde es im
Oktober einen Todesfall geben, höchstens
werde er sich bis Mitte Nov. herausziehen.
Besonderen Eindruck machte es ihm dann,
daß sie auf den Geburtstag der Schwester
das nämliche sagte, obwol sie nicht wußte, daß
es seine Schwester sei. Er bezog es bewußt
auf Vater oder Onkel. Natürlich kann
wieder nur der Schwager gemeint sein.
Die Zeitbestim̄ung paßt nun zu folgendem
Zusam̄enhang. Er hatte kurz vorher die Kur
mit mir verabredet, für die genau das
nämliche ausgemacht wurde. Er kam dann
am 10 Okt. Dann machte er die Prophezeiung
wahr indem er bei mir das Geständnis, er
erwarte den Tod des Schwagers, in solcher
Verhüllung am 15 Nov. ablegte!!!Wenn Sie die Πaranoia publiziren wollen, eilen
Sie sich, denn mein Schreber wird fürs
erste Heft des III Bandes fertig gemacht
Nachträglich kom̄en Sie um den Eindruck.
So aber kann ich mich noch auf Ihre
Mittheilungen berufen.Ich stecke bis zur Schnauze in
schwerer Arbeit. Herzlichen Dank für
Ihre sonstigen Worte.
Ihr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
Hungary
http://data.onb.ac.at/rec/AC16294248 Autogr. 1053/8(1–12) HAN MAG