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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.16 Dez 10
Lieber Freund
Ihre Arbeit ist natürlich ohne Zensur der
Schriftleitung übergeben worden. Nr 3 des
Zentralblattes ist heute erschienen. Der
Schreber ist bis auf ein paar Anmerkungen
fertig geworden, saure Arbeit. Hohngelächter
oder Unsterblichkeit or both; der Schritt in
die Psychiatrie ist wol das Kühnste, was wir
bis jetzt unternom̄en haben. Der Aufsatz
ist „flüchtig hingemacht“, während 10‑11stündiger
Analysenarbeit, heuer besonders unangenehm,
entstanden, bringt aber die Ihnen bekannten
schönen Stellen. Am Sonntag schreibe ich
noch die kurzen Formulierungen über
das Lust‑ u Realich nieder. Ich will beides
Jung nach München mitbringen. Von
Bleuler habe ich noch keine Bestim̄ung
über unser Zusam̄entreffen erhalten.
Er wird gewiß in der letzten Stunde
Schwierigkeiten machen.Weihnachten wird heuer der Trauer wegen
bei uns nicht gefeiert.Die nächste 4te Num̄er des Zentralblatts
bringt den schönen Vortrag Putnam’s
in Toronto. Es geht in der Literatur im
Ganzen gut. Für die Angewandten -
S.
habe ich 3 Hefte bereitliegen: den Oedipusaufsatz
von Jones, eine juridische Arbeit eines bisher
ganz unbekannten Zürichers über den
Vatermord u die allerdings erst ange-
kündigte Studie von Abraham über
Segantini.Gesundheit und Stimmung halten mit der
Erfreulichkeit dieser Dinge nicht ganz
Schritt. Nicht zu verwundern. Wenn
man nur nicht reich werden müßte!Fliess habe ich jetzt überwunden, worauf
Sie so neugierig waren. Adler ist ein
kleiner Fliess redivivus, ebenso paranoisch.
Stekel als Anhang zu ihm heißt wenigstens
Wilhelm.Ich grüße Sie herzlich u erwarte Ihre
Antwort auf meinen Vorschlag, die
Publikation der Gedankeninduktion
betreffend.Ihr Freud
Vielleicht gehe ich wirklich in München zur Hofastrologin.
Berggasse 19
Wien 1090
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VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
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http://data.onb.ac.at/rec/AC16294248 Autogr. 1053/8(1–12) HAN MAG