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Semmering
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
27.8.24Lieber Herr Doktor
Wenn ich nur einen Tag gewartet, hätte ich mir meinen vorigen Brief erspart. Ich getraue mich nicht zu hoffen, daß die Wieder¬holung dieses Falles bevorsteht. Ihr Brief war mir aber sehr schmerzlich. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie so schreiben könnten. Daß die Überraschungen doch nie ein Ende haben. Man ist niemals auf alles vorbereitet.
Als Sie mir zuerst vom "Trauma der Geburt" erzälten, machte ich zwei Bemerkungen, an die ich beide anknüpfen kann. (Viel¬leicht zieht meine Erinnerung hier zwei Anlässe zusammen.) Die erste war: Das ist nicht die richtige Darstellung. Sie antworteten fast trotzig: Ich kann es aber nicht anders. In Wirklichkeit hat Ihre Darstellung einen großen Anteil an der kritischen Reserve, die sich auch bei mir gegen Ihren Fund ergeben hat, nachdem der erste faszinierende Eindruck über¬wunden war. Das Korrekte wäre gewesen zu zeigen, wo sich die Neuerung an das Vorhandene und von Ihnen nicht Bestrittene ansetzt, also an die Libido-Theorie, den Ödipuskomplex, die Rolle des Vaters. Das ist in Ihrem Buch entweder ganz übergangen oder so flüchtig gestreift worden, daß es den Eindruck einer noch nicht überwundenen Unentschiedenheit oder einer höflichen Verbeugung macht, während die Konsequenz das Denken auf anderes lenkt und solche Eindrücke sind bei solchem Versagen der eigenen Darstellung sehr entscheidend. Sie lassen also z.B. mir zunächst zwei Wege offen, die zu einem eigenen Urteil führen, den der Beobachtung und den
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des Messens an den früheren Meinungen oder wenn Sie wollen Vorurteilen. Meine Beobachtung hat mir noch keine Entscheidung ermöglicht, aber bisher auch nichts geliefert, was in Ihrem Sinne spräche.
In diesem letzten Halbjahre hatte ich 6 Fälle, 5 davon wußten von Ihrer Theorie, einige durch Sie selbst unterrichtet. Ich habe mich natürlich von der Andeutung eines Widerspruchs fern gehalten. Das Ergebnis war, daß die Analysen verliefen wie sonst, ohne daß sich eine zauberhafte Erleichterung oder Beschleunigung ergab. Ihre Erfahrungen sind andere, aber heben sie die meinigen auf? Wir wissen beide, daß Erfahrungen vieldeutig sind, also, weiteres abwarten.
Das Recht, eine eigene Meinung zu haben, gilt doch auch für mich. Ich habe mich bemüht, es bei jedem meiner Freunde und Anhänger zu respektieren, solange wir einen gemeinsamen Boden bewahren konnten. Als ich mit Jung am besten stand, vertrat er die Meinung, die Dem. pr. sei toxischer Natur und nicht aus der Libidotheorie zu erklären. Es hat mich nicht gestört. Mit Ferenczis Aufstellungen in der Homosex., in manchen Punkten seiner Aktivität war und bin ich nicht einverstanden; er legt nach meinem Urteil zu großen Wert auf die volle Übereinstimmung mit mir, ich keinen. Angenommen, Sie hätten mir eines Tages eröffnet, Sie könnten an die Urhorde und den Urvater nicht glauben oder hielten die Scheidung in Ich und Es für unzweckmäßig, glauben Sie wirklich, ich hätte
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Sie darum nicht zu Tische geladen oder von meiner Intimität ausgeschlossen; Sie waren freilich immer sehr zurückhaltend in solchen kritischen Stellungsnahmen, wahrscheinlich zu sehr. Und nun scheinen Sie tief erschüttert und gekränkt, daß ich gegen Ihr Geburtstrauma ablehnend bin, wobei Sie noch mein Zugeständnis haben, daß es mir nie leicht wird, mich in neue Gedanken zu finden, die irgendwie nicht auf meinem Weg liegen oder zu denen mich mein Weg noch nicht geführt hat.
Bleibt der zweite Weg, die Messung an den Vorurteilen. Da habe ich vielerlei zu bekennen, z.B. zum Unvermögen des Verständnisses, wie die Zauberformel der Zurückführung der Libido auf die Mutter jene erlösende Wirkung äußern soll, die bei den andern Akten der Analyse ausbleibt. Nach unserer Theorie ist alle Objektlibido ursprünglich narzißtisch. Diese Zurückführung geht noch weiter und ich habe ihr nie eine heilende Wirkung zuschreiben können. Übrigens können Sie jedesmal unterscheiden, ob die Libido von der Mutter weg auf ein anderes Objekt gegangen ist, oder ob es einfach so zuging, daß die Mutter das erste Objekt war (Einf. d. Narzißmus die ich gerade jetzt korrigiere) und daß andere Anteile der narzißt. Libido sich auf andere Objekte gewendet haben? Das sind alles so dunkle und unentschiedene Dinge, daß ein großes Maß von Toleranz für
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ihre Beurteilung zuzulassen ist.
Die Heilwirkung der Analyse haben wir bisher der Überwindung der Widerstände bei der Umwandlung des Verdrängten in Bewußtes zugeschreiben. Ob das mit der Annahme vereinbar ist, die man aus Ihrem Buch herausspürt, daß diese Wirkung von dem Gelingen des Abreagierens des Geburtstraumas herrührt, bedarf einer eingehenden Diskussion. Der erste Eindruck ist, es geht nicht zusammen. Über dem ganzen Thema schwebt ein Dunkel, das mir zu durchbrechen noch nicht gelungen ist. Ihr Buch hat es heraufbeschworen und nichts dazu getan es zu lichten. Ihre Behandlung der Angst erscheint voll von Widersprüchen. Einerseits ist diese Angst eine wohltätige Einrichtung, weil sie die begehrte Regression verbietet, andererseits ist eine Woltat der Analyse, diese Angst des Geburtstraumas durch Abreagieren aufzuheben, dann würde erst recht der Weg zur Regression frei. Irgend etwas stimmt da nicht. Ich vermute, die Geburt kann überhaupt nicht als psychisches Trauma gewertet werden, wahrscheinlich, weil noch keine Objektbesetzung besteht, sondern als physiologisches Trauma, das auch auf psychologische Weise durch die Herstellung des Ausdrucks für einen Affekt erledigt wäre. Ich glaube, Sie eröffnen das psychologische Konto zu früh. Aber ich sehe da noch nicht klar.
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In einem Brief, auch wenn er so lang wird wie dieser, kann man nur Proben des Stoffes erörtern. Ich möchte die Diskussion darüber gerne mit Ihnen, lieber Rank, durch einige Winterabende fortsetzen, wenn Sie wieder in der Verfassung dazu sind. Aber - nun kommt der zweite Ausspruch. Ich sagte damals, mit so einem Fund macht sich ein Anderer selbständig. An diese Einschränkung klammere ich mich noch, sonst müßte ich die Lage für trostlos erklären. In Ihrem Brief stehen garstige Dinge. Abraham "profunde Ignoranz" zuzuschreiben, und ihn für einen "vorlauten [gestrichen: aufdringlichen] Schreier" zu erklären, dazu gehört eine Urteilstrübung, die nur durch maßlose Affektivität erklärbar ist und schlecht zur Überwindung von Komplexen stimmt. Ein böser Dämon läßt Sie sagen: Die psa. Bewegung sei doch nur eine "Fiktion" und legt Ihnen dabei selbst die Worte des Feindes auf die Zunge. Eine abstrakte Sache kann auch real sein und ist darum noch keine "Fiktion".
Ihre bitterböse Bemerkung, Sie seien froh nicht analysiert zu sein, sonst hätten Sie Ihren Fund nicht gemacht, der auf der Existenz der Komplexe beruht, ist doch nicht gerechtfertigt, Sie übersehen die Gefahr, der bereits einige erlegen sind, das, was sich in einem rührt, als Theorie in die Wissenschaft zu projizieren, was wirklich nicht den Wert einer Überwindung hat.
Das Stück Exegese wird mir sehr peinlich, aber einige Stellen Ihres Briefes klingen, als
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seien Sie entschlossen, nach mehr als 15jähriger Intimität und gemeinsamer Arbeit die Beziehungen zu uns und zu unserer Sache abzubrechen und so der Verdächtigung Recht zu geben, die Sie zuerst so empört hat. Wenn das Ihr Ernst ist, was kann ich thun, was Ihnen sagen, was Sie nicht selbst direkt wissen können und in diesen 15 Jahren selbst gefunden haben müssen. Wäre mein Kranksein weitergegangen, so hätte es Ihnen eine gewisse nicht leichte Entscheidung erspart. Da ich mich, wie es scheint, auf Weiterleben einrichten muß, stehe ich vor einer Situation, die ich noch vor kurzem als undenkbar verworfen hätte. Besonders schmerzlich, daß ich den Anlaß dieses Verlustes als so unzureichend finde, kaum ein Trost, daß ich den Anteil meines eigenen Verschuldens nicht entdecken kann. Meine Gefühle für Sie sind durch nichts erschüttert worden, ich kann noch immer die Hoffnung nicht aufgeben, daß Sie weiter zur ruhigen Selbstbesinnung kommen werden.
Ich habe keine Eile, diesen Brief abzuschicken, werde vorher bei Ihrer Frau anfragen, wann Sie zurückerwartet werden.
Herzlich Ihr
Freud