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Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19
Liebe Freunde,
Ich habe nicht ohne Verwunderung von verschiedenen Seiten gehört, daß die letzten Publikationen unseres Ferenczi und Rank, ich meine ihre gemeinsame Arbeit und die über das Trauma der Geburt, in Berlin unliebsame Erregung hervorgerufen haben. Dazu kam, daß ich von einem in unserer Mitte direkt aufgefordert wurde, mich über die schwebende Angelegenheit, in welcher er einen Keim der Entzweiung erblickt, unter Euch zu äußern. Ich komme also seinem Wunsche nach, legt es mir nicht als Aufdringlichkeit aus, meine Absicht ginge ja eher dahin, möglichst Zurückhaltung und üben und jedem von Euch freien Weg zu lassen.
Ich habe mit Sachs, als er zuletzt hier war, einige Bemerkungen über das Geburtstrauma ausgetauscht und vielleicht rührt daher der Eindruck, daß ich in der Veröffentlichung dieser Schrift eine oppositionelle Regung erblicke und mit deren Inhalt ganz und gar nicht einverstanden bin. Ich meine aber, schon der Umstand, daß ich die Widmung derselben angenommen habe, sollte diese Auffassung unmöglich machen.
Der Sachverhalt ist der: Unser gutes Einvernehmen, Eure so oft bewiesene Achtung für mich sollen keinen von Euch in der freien Betätigung seiner Produktivität stören. Ich verlange nicht, daß Ihr Euch bei Euren Arbeiten mehr darnach richtet, ob sie mir gefallen werden als ob sie so geraten, wie es der Beobachtung und Eurer Auffassung entspricht. Völlige Übereinstimmung in allen Detailfragen der Wissenschaft und über alle neueröffneten Themen ist unter einem Halbdutzend Menschen verschiedener Natur überhaupt nicht möglich und nicht einmal wünschens-
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wert. Die Bedingung für unser fruchtbringendes Zusammenarbeiten ist nur die, daß keiner den gemeinsamen Boden der psychoanalytischen Voraussetzungen verläßt und dessen dürfen wir doch bei jedem einzelnen des Komitees sicher sein. Dazu kommt noch ein Umstand, der Euch nicht unbekannt ist und der mich besonders ungeeignet macht für die Funktion eines despotischen, immer wachen Zensors. Ich habe es nicht leicht, mich in fremde Gedankengänge einzufühlen, muß in der Regel warten, bis ich den Anschluss an sie auf meinen eigenen verschlungenen Wegen gefunden habe. Wenn Ihr also jedesmal bei einer neuen Idee warten wollt, bis ich sie billigen kann, so läuft sie Gefahr unterdes recht alt zu werden.
Meine Stellung zu den beiden in Rede stehenden Büchern ist nun folgende. Die gemeinsame Arbeit schätze ich als eine Korrektur meiner Auffassung von der Rolle des Wiederholens oder Agierens in der Analyse. Ich hatte mich noch davor gefürchtet und diese Vorfälle, Erlebnisse heißt Ihr sie jetzt, als unerwünschte Misserfolge betrachtet. R. und F. machen auf die Unausweichlichkeit und die nützliche Verwertung dieses Erlebnisses aufmerksam. Sonst kann die Schrift als ein erfrischender und zersetzender Eingriff in unsere gegenwärtigen analytischen Gewohnheiten anerkannt werden. Sie hat nach meinem Urteil den Fehler, daß sie nicht vollständig ist, d.h. sie führt die Änderungen der Technik, die den beiden Autoren am Herzen liegt, nicht aus, sondern deutet sie nur an. Mit dieser Abweichung von unserer "klassischen Technik", wie Ferenczi sie in Wien nannte, sind gewiss mancherlei Gefahren verbunden, aber damit ist ja nicht gesagt, daß man sie nicht vermeiden kann. Insoferne es sich hier um Fragen der Technik handelt,
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finde ich den Versuch der beiden Autoren, ob man es nicht zu praktischen Zwecken anders machen kann, durchaus berechtigt. Es wird sich ja zeigen, was dabei herauskommt. Jedenfalls müßten wir uns hüten, ein solches Unternehmen von vorneherein als ketzerisch zu verurteilen. Gewisse Bedenken braucht man indes nicht zurückzudrängen. Ferenczis aktive Therapie ist eine gefährliche Versuchung für ehrgeizige Anfänger und es gibt kaum einen Weg, sie von solchen Versuchen fernzuhalten. Ich will auch aus einem andern Eindruck oder Vorurteil kein Geheimnis machen. In meiner Krankheit habe ich erfahren, daß ein rasierter Bart 6 Wochen braucht, ehe er sich wieder hergestellt hat. Seit meiner letzten Operation sind jetzt drei Monate verflossen und ich leide noch immer unter den Veränderungen der Narben. So fällt es mir schwer zu glauben, daß man in einer wenig längeren Zeit, 4-5 Monaten, bis in die tiefen Schichten des Unbewußten vordringen und dauernde Veränderungen im Psychischen zustande bringen kann. Aber ich werde mich natürlich vor der Erfahrung beugen. Ich persönlich werde wohl die "klassischen Analysen" weitermachen, denn erstens nehme ich ja kaum Patienten sondern nur Schüler, bei denen es darauf ankommt, daß sie möglichst viel von den inneren Vorgängen miterleben — Lehranalysen können ja nicht ganz so behandelt werden wie Heilanalysen — und zweitens bin ich der Ansicht, daß wir noch immer sehr viel Neues zu suchen haben und uns noch nicht darauf einlassen können, wie es bei der verkürzten Analyse notwendig ist, nur auf unseren Voraussetzungen zu fußen.
Nun zum zweiten und ungleich interessanteren Buch, dem Geburtstrauma von Rank. Ich stehe nicht an auszusagen, daß ich dieses
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Werk für sehr bedeutungsvoll halte, daß es mir sehr viel zu denken gegeben hat und daß ich mit meinem Urteil darüber noch nicht fertig bin. Was ich klar erkenne, ist folgendes. Wir haben ja die Mutterleibsphantasie längst gekannt und gewürdigt, aber bei der Stellung, die Rank ihr gibt, bekommt sie eine weit höhere Bedeutung und zeigt uns mit einem Mal den biologischen Hintergrund des Ödipuskomplexes. Um es in meiner Sprache zu rekapitulieren: An das Trauma der Geburt muß ein Trieb anknüpfen, der die frühere Existenz wieder herstellen will. Man könnte ihn den Glückstrieb heissen und verstünde dabei, daß der Begriff Glück, zumeist in erotischer Bedeutung gebraucht wird.
Rank geht nun über die Neurotik hinaus in allgemein menschliches Gebiet und zeigt, wie die Menschen im Dienst dieses Triebes die Außenwelt verändern, während der Neurotiker in seiner Phantasie auf kürzestem Weg durch Rückkehr in den Mutterleib sich diese Arbeit erspart. Nimmt man zu Ranks Anschauung die Idee von Ferenczi hinzu, daß der Mann sich durch sein Genitale vertreten läßt, so bekommt man zum erstenmal eine Ableitung des normalen Geschlechtstriebs, die sich in unser Weltverständnis einfügt.
Nun kommt der Punkt, an dem für mich die Schwierigkeiten beginnen. Der phantastischen Rückkehr in den Mutterleib setzen sich Hindernisse entgegen, welche Angst hervorrufen, die Inzestschranke, woher stammt nun die? Ihr Vertreter ist offenbar der Vater, die Realität, die Autorität, welche den Inzest nicht gestattet. Warum haben diese die Inzestschranke aufgerichtet? Meine Erklärung war eine historisch-soziale, phylogenetische. Ich leitete die Inzestschranke ab von der Urgeschichte der menschlichen Familie und sah also in dem aktuellen
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Vater das wirkliche Hindernis, welches die Inzestschranke auch im neuen Individuum aufrichtet. Hier weicht Rank von mir ab. Er weigert sich, auf die Phylogenese einzugehen und läßt die Angst, welche dem Inzest widerstrebt, direkt die Geburtsangst wiederholen, so daß die neurotische Regression in sich selbst durch die Natur des Geburtsvorganges gehemmt wäre. Diese Geburtsangst würde zwar auf den Vater übertragen, aber er wäre nur ein Vorwand für sie. Im Grunde sollte die Einstellung zum mütterlichen Leib oder Genitale von vorneherein eine ambivalente sein. Dies ist der Widerspruch. Ich finde es sehr schwer, mich hier zu entscheiden, sehe auch nicht, wie es leicht aus der Erfahrung gelingen kann, denn in der Analyse wird man immer wieder auf den Vater als den Träger des Verbotes stossen. Aber das ist natürlich kein Argument. Ich muß derzeit die Frage offen lassen. Als Gegenargument kann ich noch anführen, daß es nicht in der Natur eines Triebes liegt, assoziativ gehemmt zu werden, wie hier der Trieb zur Rückkehr in die Mutter durch die Assoziation mit dem Geburtsschreck. Eigentlich setzt ja jeder Trieb als Drang nach Wiederherstellung eines alten Zustandes ein Trauma als Ursache der Änderung voraus und so könnte es keine anderen als ambivalente, d.h. von Angst begleitete Triebe geben. Natürlich wäre darüber noch sehr viel einzelnes zu sagen und ich hoffe, daß der von Rank heraufbeschworene Gedanke noch Gegenstand zahlreicher und fruchtbarer Discussionen werden wird. Ein Umsturz, eine Revolution, in Widerspruch gegen unsere gesicherten Erkenntnisse liegt aber nicht vor, sondern eine interessante Ergänzung, deren Wert bei und und den Außenstehenden allgemein anerkannt werden sollte.
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Wenn ich noch hinzufüge, daß es mir nicht klar ist, wie die vorzeitige Bewußtmachung der ärztlichen Übertragung als Mutterbindung zur Abkürzung der Analyse beitragen kann, so habe ich Euch ein getreues Bild meiner Stellung zu den beiden in Rede stehenden Arbeiten gegeben. Ich schätze sie also sehr, anerkenne sie schon jetzt teilweise, habe meine Zweifel und Bedenken gegen manche Stücke ihres Inhalts, erwarte seine Klärung von fortgesetzter Überlegung und Erfahrung und möchte allen Analytikern empfehlen, sich nicht zu rasch ein Urteil über die angeregten Fragen zu bilden, am wenigsten aber ein absprechendes.
Verzeiht meine Weitschweifigkeit, vielleicht hält sie Euch davon ab, mich aufzustören, um mich über Dinge zu äußern, die Ihr ebensogut selber beurteilen könnt.
Freud