• S.

    PROF. DR. FREUD
    Wien, XI., BERGGASSE 19

    13. 1. 18

    Kältetremor!

    Lieber Freund

    Ich bin sehr froh, daß Sie meine letzten
    Schwierigkeiten nicht ernster genom̄en
    haben. Ihr gleichmäßiges Temperament
    u Ihre unzerstörbare Lebensbereitschaft
    bewähren sich jetzt gut gegen meine Ab-
    wechslungen von Mut und Resignation.
    Meinem Brief an Kraus war wol anzu-
    sehen, gegen welche Widerstände er ge-
    schrieben wurde. Die Handschrift wechselte
    mindestens 4mal auf den zwei Seiten.
    Aber der Inhalt war wenigstens un-
    verfänglich; Antwort habe ich auch dies-
    mal nicht erhaltenwill gerne darauf
    verzichten. wenn es Ihnen nur nützt.

    Ihre Kritik an Pötzl war sehr ehren-
    voll für ihn, weil ganz aufrichtig.
    Er ist jetzt Mitglied geworden, ver-
    sichert auf entsprechende Vorhaltung,
    daß er seither viel weiter in
    der Analyse gekom̄en ist. Er wirdsoll
    übrigens bald als Nachfolger von
    Pick nach Prag kom̄en; auch kein
    Nachteil für uns.

    Die Holländer machen jetzt Ernst. Kürz-
    lich erhielten wir einen Haufen
    Referate von ihnen über holl. 
    Arbeiten u Streitschriften,

  • S.

    u eine ganz ausgezeichnet klare u ent-
    schiedene Zurückweisung der jüngsten
    Jung'schen Leistung über die Psychologie
    der ubw Prozeße (1917). In Warschau
    soll eine neue Ortsgruppe in Bildung
    begriffen sein.

    Sonst wenig Neues. Ich lese [Darwinismen]
    eigentlich noch ohne rechte Tendenz, wie
    einer, der sich sehr viel Zeit lassen
    kann, was ja mit Bezug auf die Papier-
    not auch zutreffen dürfte; die Praxis
    noch im̄er sehr reichlich u auch noch
    interessant, Erfolge gut. Einer meiner
    Jungen (Ernst) ist gegenwärtig Ihnen
    näher als mir, er dürfte heute die
    Schwester in Schwerin besuchen. Von
    den beiden anderen gelegentlich
    Nachrichten, nichts Übles. Wenn der
    Krieg lange genug dauert, bringt
    er ja doch alle um.

    Reik war gestern aus dem dunkelsten
    Montenegro bei mir. Er geht wieder
    dahin zurück erwartet aber wie so
    viele andere seine Versetzung
    an die Westfront. Er sieht gut aus,
    hat nach Ihnen gefragt, ließ sich einiges
    zum Referieren mitgeben.
    Gestern las ich auch die Vorrede
    zur zweiten Auflage von Rank's
    Künstler. Leben Sie wol bleiben
    Sie ein mutiger Casimiro

    u seien Sie herzlich gegrüßt
    von Ihrem Freud

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    Vorläufige editorische Anmerkung:
    Die folgende Passage findet sich auf der zweiten Seiten am linken Rand quergeschrieben hinzugefügt:
    "u seien Sie herzlich gegrüßt
    von Ihrem Freud"