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    PROF. DR. FREUD 
    WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    Den Haag
    21. 7. 10.
     

    Lieber Herr Doktor

    Sonderbar ergreift mich aus Ihrem Brief 
    die Erinnerung, daß irgendwo über ΨA 
    geschrieben wird.  Streiten sich denn die 
    Leute noch immer darüber?

    Wenn ich also doch wieder an diesen Interessen 
    theilnehmen soll, so möchte ich die Bemerkg 
    von der noch schrofferen Ablehnung unter-
    drücken. Es ist vornehm, dieß nicht bemerkt 
    zu haben. Es kann also gemildert werden.  
    Auch „mißverständlich“ kann wegbleiben. Es könnte 
    hinreichen zu schreiben, daß ich durch meine 
    Untersuchungen genötigt war den Begriff 
    Sexual. im weiteren Sinne zu nehmen u 
    darin dem deutschen Sprachgebrauch gefolgt 
    bin, der so vieles als „Lieben“ bezeichnet 
    u somit die Einheit alles Lieben vom 
    grobsinnlichen Sexualverkehr bis zur 
    anspruchlosen Zärtlichkeitszuwendung 
    behauptet.  Die eingeschränkte u herabsetzende 
    Verwendg des Wortes Sexualität mußte 
    ich ablehnen, durch das Beharren auf ihr 
    ergeben sich die Widersprüche der Gegner. 
    Die Verwendung in unserem Sinne ist psycholog. 
    zu rechtfertigen u führt zu den fruchtbarsten 
    Gesichtspunkten.  Die beiden letzten

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    Sätze des neuen Abschnittes ließen sich dahin 
    zusam̄enfassen, dass nicht nur die wirklichen 
    Bethätigungen, sondern auch die Phantasie-
    bildungen zum Sexualleben gerechnet 
    werden müssen.

    Im Ganzen meine ich, den Herren Gegnern 
    nicht zu viel Einräumungen machen.  Hübsch 
    unberührt bleiben.

    Ich danke Ihnen sehr für Ihre Mittheilung 
    u hoffe, daß Sie sich nach gethaner 
    Arbeit auch werden Ferien gönnen 
    können.

    Meine Adresse vom 1 August an:
    Noordwijk bei Leiden, Hotel Noordzee

    Mit herzlichem Gruss
    Ihr Freud