• S.

    Montag 1 Dez 84

    Mein kleines Weibchen

    Jetzt sitzt Rosa also bei Dir u das 
    Plaudern geht los u Du fragst 
    gewiß auch manchmal nach mir 
    u hörst allerlei u merkst, daß Du 
    schon alles weißt. Wie großartig 
    der Abschied war, ein Gefolge 
    von 24 Personen wenigstens u wie 
    die gute Bronca dan̄ geweint 
    hat, u wie Rosa in tapferer Ergebung 
    zuletzt in ihr Coupe gegangen 
    ist u alles andere möchte ich 
    Dir lieber erzählen als schreiben.

    Nun unterhaltet Euch nur 
    recht gut u denkt viel an 
    schöne Zeiten.

  • S.

    Von mir ist nicht viel Neues 
    zu berichten, lieber Schatz. Ich 
    habe heute wieder meinen 
    Kurs gelesen und hatte eine 
    recht schwere Stunde: Vortrag 
    über Elektricität. Meine Arbeiten 
    gehen elend langsam, doch 
    will ich mich auf die eine, die 
    Hirnarbeit jetzt mit mehr Intensität 
    werfen.

    Sieh, nun bin ich mit meinen 
    Berichten wieder zu Ende 
    Gute Nacht, Liebchen u morgen 
    mehr.

    Dienstag 2 Dez 84

    Mein kleines Weibchen

    Heute kam kein Brief von Dir, nichts 
    was mich ernin̄ert hätte, daß ich ein 
    braves schönes Mädchen habe, wenn 
    ich eine solche Erin̄erung überhaupt 

  • S.

    brauchte. Aber das ist das einzige, wovon 
    ich außer an die Nerven noch denke. 
    Ich bin wirklich tief drin in der Arbeit 
    ich lerne u lehre, lese u versuche u 
    finde nicht Zeit mich an meine Existenz 
    zu erin̄ern. Nach der Visite um ½ 7h 
    bin ich so völlig erschöpft, alle Knochen 
    u Muskeln sind wie mit Häm̄ern 
    todtgeschlagen, aber mein Ingenium 
    ist frisch, ich freue mich der ganzen Arbeit, 
    des langsam anwachsenden Rufes 
    im Haus, der freundlichen Beziehungen 
    zu fast allen Collegen, deren Führer 
    ich wol in nicht langer Zeit sein werde. 
    Habe ich einmal zwei schlechte Tage hinter-
    einander, so fällt mir bald ein, daß 
    ich eigentlich an einem Darmkatarrh 
    leide u es ist erstaunlich, ein wie 
    wenig nervöser, ein wie gesunder 
    Mensch ich bin, sobald ich mich daran 
    erin̄ert u mich ordentlich behandelt 
    habe. 

  • S.

    Bei aller Geschäftigkeit mache ich eigentlich 
    nichts Besonderes, die Arbeiten für 
    die Publikation stehen fast still, es 
    ist nur die Erledigg der laufenden 
    Geschäfte: Curs, Abtheilung, Fälle, 
    was meine Zeit aufzehrt. Aber 
    nicht meine Kraft, meine Lebens-
    lust, meine Liebe zu meinem 
    Liebchen. Halt Du brav aus u ich 
    werde es auch.

    Wie gerne wollte ich jetzt einige 
    Tage mit Dir, mit Euch dreien 
    sein. Wir könnten wieder so schön 
    in allen Genüßen schwelgen 
    u ich würde mit drei solchen Damen 
    Aufsehen machen. Grüße Minna 
    u Rosa herzlich und vergiß 
    nicht Deinen

    Sigmund