S.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung 99
VI. VORLESUNG
VORAUSSETZUNGEN UND TECHNIK
DER DEUTUNGMeine Damen und Herren! Also wir bedürfen eines neuen
Weges, einer Methode, um in der Erforschung des Traumes von
der Stelle zu kommen. Ich mache Ihnen nun einen naheliegenden
Vorschlag, Nehmen wir als Voraussetzung für alles Weitere an,
daß der Traum kein somatisches, sondern
ein psychisches Phänomen ist. Was das bedeutet;
wissen Sie, aber was berechtigt uns zu dieser Annahme? Nichts,
aber wir sind auch nicht gehindert, sie zu machen. Die Sache liegt
so: Wenn der Traum ein somatisches Phänomen ist, geht er uns
nichts an; er kann uns nur unter der Voraussetzung, daß er ein
seelisches Phänomen ist, interessieren, Wir arbeiten also unter
der Voraussetzung, er sei es wirklich, um zu sehen, was dabei
herauskommt. Das Ergebnis unserer Arbeit wird darüber ent-
scheiden, ob wir an der Annahme festhalten und sie nun ihrer-
seits als ein Resultat vertreten dürfen. Was wollen wir denn
eigentlich erreichen, wozu atbeiten wir? Wir wollen, was man in
der Wissenschaft überhaupt anstrebt, ein Verständnis der Phä-
nomene, die Herstellung eines Zusammenhanges zwischen ihnen,
and in letzter Ferne, wo es möglich ist, eine Erweiterung unserer
Macht über sie. ・Wir setzen also die Arbeit unter der Annahme fort, daß der
Traum ein psychisches Phänomen ist. Dann ist er eine Leistung
und Äußerung des Träumers, aber eine solche, die uns nichts
sagt, die wir nicht verstehen. Was tun Sie nun in dem Falle, daß
ich eine Ihnen unverständliche Äußerung von mir gebe? Mich
fragen, nicht wahr? Warum sollen wir nicht dasselbe tun dürfen,
den Träumer befragen, was sein Traum be-
deutet?Erinnern Sie sich, wir befanden uns schon einmal in dieser Si-
S.
100 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
mation. Es war bei der Untersuchung gewisser Fehlleismngen,
eines Falles von Versprechen. Jemand hatte gesagt: Da sind
Dinge zum Vorschwein gekommen, und darauf fragten wir —
nein, zum Glück nicht wir, sondern andere, die der Psychoana-
lyse ganz fernstehen, da fragten ihn diese anderen, was er mit
dieser unverständlichen Rede wolle. Er antwortete sofort, daß er
die Absicht gehabt hatte zu sagen: das waren Schweinereien, daß
er aber diese Absicht zurückgedrängt gegen die andere, gemil-
derte: da sind Dinge zum Vorschein gekommen. Ich erklärte
Ihnen schon damals, diese Erkundigung sei das Vorbild jeder
psychoanalytischen Untersuchung, und Sie verstehen jetzt, daß
die Psychoanalyse die Technik befolgt, sich soweit es nur angeht,
die Lösung ihrer Rätsel von den Untersuchten selbst sagen zu las-
sen. So soll uns auch der Träumer selbst sagen, was sein Traum
bedeutet.‚Aber so einfach geht das bekanntlich beim Traum nicht. Bei
den Fehlleistungen ging cs in einer Anzahl von Fällen; dann
kamen wir zu anderen, in denen der Befragte nichts sagen wollte,
ja sogar die Antwort, die wir ihm nahelegten, entriistet zurück-
wies. Beim Traum fehlen uns die Fälle der ersten Art völlig; der
"Träumer sagt immer, er weiß nichts. Zurückweisen kann er unsere
Deutung nicht, da wir ihm keine vorzulegen haben. So sollten
wir also unseren Versuch wieder aufgeben? Da er nichts weiß und
wir nichts wissen und ein Dritter erst recht nichts wissen kann,
gibt's wohl keine Aussicht, es zu erfahren. Ja, wenn Sie wollen,
geben Sie den Versuch auf. Wenn Sie aber anders wollen, so kön-
nen Sie den Weg mit mir fortsetzen. Ich sage Ihnen nämlich, es
ist doch sehr wohl möglich, ja sehr wahrscheinlich, daß der Träu-
mer es doch weiß, was sein Traum bedeutet, nur weiß
ernicht, daß er es weiß, und glaubt darum,
daß er es nicht weiß,Sie werden mich aufmerksam machen, daß ich da wiederum
eine Annahme einführe, schon die zweite in diesem kurzen Zu-S.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung 101
sammenhange, und den Anspruch meines Verfahrens auf Glaub.
würdigkeit enorm herabsetze. Unter der Voraussetzung, daß der
Traum ein psychisches Phänomen ist, unter der weiteren Voraus-
setzung, daß es seelische Dinge im Menschen gibt, die er weiß,
ohne zu wissen, daß et sie weiß, usw. Dann braucht man nur die
innere Unwahrscheinlichkeit jeder dieser beiden Voraussetzun-
gen ins Auge zu fassen, um beruhigt sein Interesse von den
Schlüssen aus ihnen abzuwenden,Ja, meine Damen und Herren, ich habe Sie nicht hieher kom-
men lassen, um Ihnen etwas vorzuspiegeln oder zu verhehlen.
Ich habe zwar „Elementare Vorlesungen zur Einführung in die
Psychoanalyse“ angekündigt, aber damit habe ich keine Darstel-
lung in usum delphini beabsichtigt, die Ihnen einen glatten
Zusammenhang zeigen soll mit sorgfältigem Verstecken. aller
Schwierigkeiten, Ausfillung der Lücken, Ubermalen der Zweifel,
damit Sie ruhigen Gemüts glauben sollen, Sie haben etwas Neues
gelernt. Nein, gerade darum, weil Sie Anfinger sind, wollte ich
Ihnen unsere Wissenschaft zeigen, wie sie ist, mit ihren Uneben-
heiten und Härten, Anforderungen und Bedenken, Ich weiß
nämlich, daß es in keiner Wissenschaft anders ist und besonders
in ihren Anfängen gar nicht anders sein kann. Ich weiß auch, daß
der Unterricht sich sonst bemüht, diese Schwierigkeiten und Un-
vollkommenheiten dem Lernenden zunächst zu verbergen. Aber
das geht bei der Psychoanalyse nicht. Ich habe also wirklich
zwei Voraussetzungen gemacht, die eine innerhalb der anderen,
und wem das Ganze zu mühselig und zu unsicher ist, oder wer
an höhere Sicherheiten und elegantere Ableitungen gewöhnt ist,
der braucht nicht weiter mitzugehen. Ich meine nur, der soll
Psychologische Probleme überhaupt in Ruhe lassen, denn es ist
zu besorgen, daß er die exakten und sicheren Wege, die er zu
begehen bereit ist, hier nicht gangbar findet. Es ist auch ganz
überflüssig, daß eine Wissenschaft, die etwas zu bieten hat, um
Gehör und um Anhänger werbe. Ihre Ergebnisse müssen für sieS.
102 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Stimmung machen, und sie kann abwarten, bis diese sich Auf-
merksamkeit erzwungen haben,Diejenigen von Ihnen aber, die bei der Sache verbleiben wol-
len, kann ich daran mahnen, daß meine beiden Annahmen nicht
gleichwertig sind. Die erste, der Traum sei ein seelisches Phi.
nomen, ist die Voraussetzung, die wir durch den Erfolg unserer
Arbeit erweisen wollen; die andere ist bereits auf einem anderen
Gebiete erwiesen, und ich nehme mir bloß die Freiheit, sie von
dorcher auf unsere Probleme zu übertragen.Wo, auf welchem Gebiet sollte der Beweis erbracht worden
sein, daß es ein Wissen gibt, von dem der Mensch doch nichts
weiß, wie wir es hier für den Träumer annehmen wollen? Das
wäre doch eine merkwürdige, überraschende, unsere Auffassung
des Seelenlebens verändernde Tatsache, die sich nicht zu verber-
gen brauchte. Nebenbei eine Tatsache, die sich in ihrer Benen.
mung selbst aufhebt und doch etwas Wirkliches sein will, eine
contradictio in adjecto. Nun, sie verbirgt sich auch gar nicht.
Es liegt nicht an ihr, wenn man nichts von ihr weiß oder sich
nicht genügend um sie kümmert, So wenig, wie es unsere Schuld
ist, daß alle diese psychologischen Probleme von Personen abge-
urteilt werden, die sich von all den hiefür entscheidenden Be-
obachtungen und Erfahrungen ferngehalten haben.Der Beweis ist auf dem Gebiet der hypnotischen Erscheinun-
gen erbracht worden. Als ich im Jahre 1889 die ungemein ein.
drucksvollen Demonstrationen von Liébault und Bern-
heim in Nancy mitansah, war ich auch Zeuge des folgenden
Versuches. Wenn man einen Mann in den somnambulen Zustand
versetzt hatte, ihn in diesem alles mögliche halluzinatorisch er-
leben lief und ihn dann aufweckte, so schien er zunächst von den
Vorgängen während seines hypnotischen Schlafes nichts zu wis-
sen. Bernheim forderte ihn dann direkt auf zu erzählen, was
sich mit ihm während der Hypnose zugetragen. Er behauptete,
er wisse sich an nichts zu erinnern, Aber Bern he i m bestandS.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung 103
darauf, er drang in den Mann, versicherte ihm, et wisse es, müsse
sich daran erinnern, und siehe da, der Mann wurde schwankend,
begann sich zu besinnen, erinnerte zuerst wie schattenhaft eines
der ihm suggerierten Erlebnisse, dann ein anderes Stück, die Er-
innerung wurde immer deutlicher, immer vollständiger und end-
lich war sie lückenlos zu Tage gefördert. Da er aber nachher
‚wußte und inzwischen von keiner anderen Seite etwas erfahren
hatte, ist der Schluß berechtigt, daß er um diese Erinnerung
auch vorher gewußt hat. Sie waren ihm nur unzugänglich, er
wußte nicht, daß er sie wisse, er glaubte, daß er sie nicht wisse.
Also ganz der Fall, den wir beim Träumer vermuten.Ich hoffe, Sie werden von der Feststellung dieser Tatsache
überrascht sein und mich fragen: Warum haben Sie sich auf die-
sen Beweis nicht schon früher, bei den Fehlleistungen berufen,
als wir dazu kamen, dem Mann, der sich versprochen hatte,
Redeabsichten zuzuschreiben, von denen er nichts wußte und
die er verleugnete? Wenn jemand von Erlebnissen nichts zu wis-
sen glaubt, deren Erinnerung er doch in sich trägt, so ist es nicht
mehr so unwahrscheinlich, daß er auch von anderen seelischen
Vorgängen in seinem Inneren nichts weiß, Dies Argument hätte
uns gewiß Eindruck gemacht und uns im Verständnis der Fehl.
leistungen gefördert. Gewiß hätte ich mich schon damals darauf.
berufen können, aber ich sparte es auf bis zu einer anderen Stelle,
an der es notwendiger wäre. Die Fehlleistungen haben sich zum
Teil selbst aufgeklärt, zum anderen Teil hinterlieBen sie uns die
Mahnung, dem Zusammenhang der Erscheinungen zuliebe die
Existenz solcher seelischer Vorgänge, von denen man nichts
weiß, doch anzunehmen. Beim Traum sind wir gezwungen, Erklå-
rungen von anderswoher heranzuziehen, und überdies rechne
ich damit, daß Sie hier eine Übertragung von der Hypnose her
leichter zulassen werden. Der Zustand, in dem wir eine Fehl.
leistung vollziehen, muß Ihnen als der normale erscheinen, er
hat mit dem hypnotischen keine Ähnlichkeit. Dagegen bestehtS.
104 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
eine deutliche Verwandtschaft zwischen dem hypnotischen Zu-
stand und dem Schlafzustand, welcher die Bedingung des Träu-
mens ist. Die Hypnose heißt ja ein künstlicher Schlaf; wir sagen
der Person, die wir hypnotisieren: schlafen Sie, und die Sug-
gestionen, die wir erteilen, sind den Träumen des natürlichen
Schlafes vergleichbar. Die psychischen Situationen sind in bei-
den Fällen wirklich analoge. Im natürlichen Schlaf ziehen wir
unser Interesse von der ganzen Außenwelt zurück, im hypnoti-
schen wiederum von der ganzen Welt, aber mit Ausnahme der
einen Person, die uns hypnotisiert hat, mit welcher wir im Rap-
port bleiben. Übrigens ist der sogenannte Ammenschlaf, bei dem
die Amme im Rapport mit den Kind bleibt und nur von diesem
zu erwecken ist, ein normales Seitenstück zum hypnotischen. Die
Übertragung eines Verhältnisses von der Hypnose auf den natür-
lichen Schlaf scheint also kein kühnes Wagnis. Die Annahme,
daß auch beim Träumer ein Wissen um seinen Traum vorhanden
ist, das ihm nur unzugänglich ist, so daß er es selbst nicht glaubt,
ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Merken wir uns übrigens,
daß sich an dieser Stelle ein dritter Zugang zum Studium des
Traumes eröffnet; von den schlafstörenden Reizen aus, von den
Tagträumen und jetzt noch von den suggerierten Träumen. des
hypnotischen Zustandes,Nun kehren wir vielleicht mit gesteigertem Zutrauen zu un-
serer Aufgabe zurück. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß der
Träumer um seinen Traum weiß; es handelt sich nur darum, ibm
‚möglich zu machen, daß er sein Wissen auffindet und es uns mit-
teilt. Wir verlangen nicht, daß er uns sofort den Sinn seines
Traumes sage, aber die Herkunft desselben, den Gedanken und
Interessenkreis, aus dem er stammt, wird er auffinden können.
Im Falle der Fehlleistung, erinnern Sie sich, wurde er gefragt,
wie er zu dem Fehlwort „Vorschwein“ gekommen war, und sein
nächster Einfall gab uns die Aufklärung. Unsere Technik beim
Traume ist nun eine seht einfache, diesem Beispiel nachgeahmte.S.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung 105
Wir werden ihn wiederum fragen, wie er zu dem Traume ge-
kommen ist und seine nächste Aussage soll wieder als Aufklä-
rung angesehen werden. Wir setzen uns also über den Unter.
schied, ob er etwas zu wissen glaubt oder nicht glaubt, hinaus und
behandeln beide Fälle wie einen einzigen.Diese Technik ist gewiß sehr einfach, aber ich fürchte, sie
wird Ihre schärfste Opposition hervorrufen. Sie werden sagen:
Eine neue Annahme, die dritte! Und die unwahrscheinlichste
von allen! Wenn ich den Träumer frage, was ihm zum Traum
einfälle, soll gerade sein nächster Einfall die gewünschte Aufklå.
rung bringen? Aber es braucht ihm ja gar nicht einzufallen, oder
es kann ihm Gott weiß was einfallen. Wir können nicht einsehen,
worauf sich eine solche Erwartung stützt. Das heißt wirklich zu-
viel Gottvertrauen zeigen an einer Stelle, wo etwas mehr Kritik
besser passen würde. Überdies ist ja ein Traum nicht ein einzelnes
Fehlwort, sondern besteht aus vielen Elementen. An welchen
Einfall soll man sich da halten?Sie haben in allem Nebensächlichen recht. Ein Traum unter.
scheidet sich von einem Versprechen auch in der Vielheit seiner
Elemente. Dem muß die Technik Rechnung tragen. Ich schlage
Ihnen also vor, daß wir den Traum in seine Elemente zerteilen
und die Untersuchung für jedes Element gesondert anstellen,
dann ist die Analogie mit dem Versprechen wieder hergestellt.
Auch darin haben Sie recht, daß der zu den einzelnen Traumele-
menten Befragte antworten kann, es falle ihm nichts ein. Es gibt
Fälle, in denen wir diese Antwort gelten lassen, und Sie werden
später hören, welche. Es sind bemerkenswerterweise solche Fälle,
in denen wir selbst bestimmte Einfälle haben können. Aber im
allgemeinen werden wir dem Träumer, wenn er keinen Einfall
zu haben behauptet, widersprechen, wir werden in ihn drängen,
werden ihm versichern, daß er einen Einfall haben müsse und —
werden Recht bekommen. Er wird einen Einfall dazu bringen,
irgendeinen, uns gleichgültig, welchen. Gewisse Auskünfte, dieS.
106 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
man historische nennen kann, wird er besonders leicht erteilen.
Er wird sagen: Das ist etwas, was gestern vorgefallen ist (wie
in den beiden uns bekannt gewordenen „nüchternen Träumen“),
oder: Das erinnert mich an etwas, was sich vor kurzer Zeit er-
eignet hat — und auf diese Art werden wir bemerken, daß die
Ankniipfungen der Träume an Eindrücke der letzten Tage weit
häufiger sind, als wir zuerst geglaubt haben. Endlich wird er sich
auch vom Traum aus an ferner liegende, eventuell sogar an weit
zutückliegende Begebenheiten erinnern.In der Hauptsache aber haben Sie unrecht. Wenn Sie meinen,
es sei willkürlich anzunehmen, daß der nächste Einfall des
Tråumers gerade das Gesuchte bringen oder zu ihm führen müsse,
der Einfall könne vielmehr ganz beliebig und außer Zusammen-
hang mit dem Gesuchten sein, es sei nur eine Äußerung meines
Gottvertrauens, wenn ich es anders erwarte, so irren Sie groß.
Ich habe mir schon einmal die Freiheit genommen, Ihnen vor.
zuhalten, daß ein tief wurzelnder Glaube an psychische Freiheit
und Willkürlichkeit in Ihnen steckt, der aber ganz unwissen-
schaftlich ist und vor der Anforderung eines auch das Seelen-
leben beherrschenden Determinismus die Segel streichen muß,
Ich bitte Sie, es als eine Tatsache zu respektieren, daß dem Ge-
fragten. dies eingefallen ist und nichts anderes. Aber ich setze
nicht dem einen Glauben einen anderen entgegen. Es läßt sich
beweisen, daß der Einfall, den der Gefragte produziert, nicht
willkürlich, nicht unbestimmbar ist, nicht außer Zusammenhang
mir dem von uns Gesuchten steht. Ja, ich habe unlängst erfahren,
— ohne übrigens zuviel Wert darauf zu legen, — daß auch die
experimentelle Psychologie solche Beweise vorgebracht hat.Bei der Bedeutung des Gegenstandes bitte ich um Ihre be.
sondere Aufmerksamkeit. Wenn ich jemand auffordere zu sagen,
was ihm zu einem bestimmten Element des Traumes einfällt, so
verlange ich von ihm, daß er sich der freien Assoziation unter
Festhaltung einer Ausgangsvorstellung über-S.
V1) Voraussetzungen und Technik der Deutung 107
lasse. Dies erfordert eine besondere Einstellung der Aufmerk.
samkeit, die ganz anders ist als beim Nachdenken und das Nach.
denken ausschließt. Manche treffen eine solche Einstellung leicht;
andere zeigen bei dem Versuch ein unglaublich hohes Maß von
Ungeschicklichkeit. Es gibt nun einen höheren Grad von Frei.
heit der Assoziation, wenn ich nämlich auch diese Ausgangsvor-
stellung fallen lasse und etwa nur Art und Gattung des Einfalles
festlege, 2. В. bestimme, daß man sich einen Eigennamen oder
eine Zahl frei einfallen lassen solle. Dieser Einfall müßte noch
willkürlicher, noch unberechenbarer sein als der bei unserer Tech.
nik verwendete. Es lift sich aber zeigen, daß er jedesmal
strenge determiniert wird durch wichtige innere Einstellungen,
die im Moment, da sie wirken, uns nicht bekannt sind, ebenso-
wenig bekannt wie die störenden Tendenzen der Fehlleistungen
und die provozierenden der Zufallshandlungen:Ich und viele andere nach mir haben wiederholt solche Unter-
suchungen für Namen und Zahlen, die man sich ohne jeden An-
halt einfallen li angestellt, einige derselben auch veröffentlicht.
Man verfährt dabei in der Weise, daß man zu dem aufgetauchten
Namen fortlaufende Assoziationen weckt, die also nicht mehr
ganz frei, sondern wie die Einfälle zu den Traumelementen ein-
mal gebunden sind, und dies so lange, bis man den Antrieb dazu
erschöpft findet. Dann hat man aber auch Motivierung und Be.
deutung des freien Nameneinfalls aufgeklärt. Die Versuche er-
geben immer wieder das nämliche, ihre Mitteilung erstreckt sich
oft über reiches Material und macht weittläufige Ausführungen
notwendig. Die Assoziationen der frei aufgetauchten Zahlen sind
vielleicht die beweisendsten; sie laufen so schnell ab und gehen
mit so unbegreiflicher Sicherheit auf ein verhülltes Ziel los, daß
sie wirklich verblüffend wirken. Ich will Ihnen nur ein Beispiel
einer solchen Namenanalyse mitteilen, weil es sich giinstiger-
weise mit wenig Material erledigen läßt,Im Laufe der Behandlung eines jungen Mannes komme ich
S.
108 — Vorlesungen zur Einführung in die Psyckoanalyse
auf dieses Thema zu sprechen und erwähne den Satz, daß man
sich trotz der anscheinenden Willkür doch keinen Namen ein-
fallen lassen kann, der sich nicht als enge bedingt durch die
nächstliegenden Verhältnisse, die Eigentümlichkeiten der Ver-
suchsperson und ihre momentane Situation erwiese. Da er zwei-
felt, schlage ich ihm vor, ohne Aufschub selbst einen solchen Ver-
such zu machen. Ich weiß, daß er besonders zahlreiche Be-
ziehungen jeder Art zu Frauen und Mädchen unterhält, und
meine darum, er werde eine besonders große Auswahl haben,
wenn er sich gerade einen Frauennamen einfallen lasse, Er ist
damit einverstanden. Zu meinem, oder vielleicht zu seinem Er.
staunen, bricht aber jetzt keineswegs eine Lawine von Frauen-
namen über mich los, sondern er bleibt eine Weile stumm und
gesteht dann, daß ihm ein einziger Name in den Sinn gekommen
sci, kein anderer daneben: A 1b in e. — Wie merkwürdig, aber
was knüpft sich får Sie an diesen Namen? Wieviel Albinen
kennen Sie? Sonderbar, er kannte keine Albine, und es fiel ihm
zu diesem Namen auch weiter nichts ein. So konnte man an-
nehmen, die Analyse sei mißlungen; aber nein, sie war nur bereits
vollendet, es war kein weiterer Einfall erforderlich. Der Mann
hatte selbst ungewöhnlich helle Farben, in den Gesprächen der
Kur hatte ich ihn wiederholt scherzhaft einen A b i n o genannt;
wir waren eben damit beschäftigt, den weiblichen Anteil an
seiner Konstitution festzustellen. Er war also selbst diese Albine,
das derzeit interessanteste Frauenzimmer,Ebenso erweisen sich Melodien, die einem unvermittelt ein-
fallen, als bedingt durch und zugehórig zu einem Gedankenzug,
der ein Recht hat, einen zu beschäftigen, ohne daß man um diese
Aktivität weiß. Es ist dann leicht zu zeigen, daß die Beziehung
zur Melodie an deren Text oder an ihre Herkunft anknüpft; ich
muß aber so vorsichtig sein, diese Behauptung nicht auf wirklich
musikalische Menschen auszudehnen, über die ich zufällig keine
Erfahrung habe. Bei solchen mag der musikalische Gehalt derS.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung 109
Melodie für ihr Auftauchen maßgebend sein. Häufiger ist gewiß
der erstere Fall. So weiß ich von einem jungen Manne, der von
der allerdings reizenden Melodie des Parisliedes aus der
„Schönen Helena“ eine Zeitlang geradezu verfolge wurde, bis ihn
die Analyse auf die derzeitige Konkurrenz einer „Ida“ mit einer
„Helene“ in seinem Interesse aufmerksam machte.Wenn also die ganz frei auftauchenden Einfälle in solcher
Weise bedingt und in einen bestimmten Zusammenhang ein-
geordnet sind, so werden wir wohl mit Recht schließen, daß
Einfälle mit einer einzigen Gebundenheit, der an eine Ausgangs-
vorstellung, nicht minder bedingt sein können. Die Unter-
suchung zeigt wirklich, daß sie außer der Gebundenheit, die wir
ihnen durch die Ausgangsvorstellung mitgegeben haben, eine
zweite Abhängigkeit von affektmichtigen Gedanken. und Inter.
essenkreisen, Kom plexen, erkennen lassen, deren Mitwir-
kung im Moment nicht bekannt, also unbewußt ist.Einfälle von solcher Gebundenheit sind Gegenstand sehr leht.
reicher experimenteller Untersuchungen gewesen, die in der
Geschichte der Psychoanalyse eine bemerkenswerte Rolle gespielt
haben. Die W u n d t sche Schule hatte das sogenannte Assozia-
tionsexperiment angegeben, bei welchem der Versuchsperson der
Auftrag erteilt wird, auf ein ihr zugerufenes R ei z w o rt môg-
lichst rasch mic einer beliebigen R e a k ti o n zu antworten, Man
kann dann das Intervall studieren, das zwischen Reiz und Reaktion
verläuft, die Natur der als Reaktion gegebenen Antwort, den et-
waigen Irrtum bei einer spiiteren Wiederholung desselben Ver-
suches und ähnliches. Die Züricher Schule unter der Führung
von Bleules und Jung hat die Erklärung der beim Asso.
ziationsexperiment erfolgenden Reaktionen gegeben, indem sie
die Versuchsperson aufforderte, die von ihr erhaltenen Reak-
tionen durch nachträgliche Assoziationen zu erläutern, wenn sie
etwas Auffilliges an sich trugen. Es stellte sich dann heraus, daß
diese auffälligen Reaktionen in der schürfsten Weise durch dieS.
10 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Komplexe der Versuchsperson determiniert waren. Bleuler
und J un g hatten damit die erste Brücke von der Experimental-
psychologie zur Psychoanalyse geschlagen.In solcher Weise belehrt, werden Sie sagen können: Wir aner-
kennen jetzt, daß freie Einfälle determiniert sind, nicht will.
kiirlich, wie wir geglaubt haben, Wir geben dies auch für die Ein.
fälle zu den Elementen des Traumes zu. Aber das ist es ja nicht,
worauf es uns ankommt. Sie behaupten ja, daß der Einfall zum
Traumelement durch den uns nicht bekannten psychischen Hin-
tergrund eben dieses Elements determiniert sein wisd. Das scheint
uns nicht erwiesen. Wir erwarten schon, daf sich der Einfall zum
Traumelement durch einen der Komplexe des Triumers bestimmt
zeigen wird, aber was nützt uns das? Das führt uns nicht zum
Verständnis des Traumes, sondern wie das Assoziationsexpe-
riment zur Kenntnis dieser sogenannten Komplexe. Was haben
diese aber mit dem Traum zu tun?Sie haben recht, aber Sie übersehen ein Moment. Übrigens
gerade jenes, wegen dessen ich das Assoziationsexperiment nicht
zum Ausgangspunkt får diese Darstellung gewählt habe. Bei
diesem Experiment wird die eine Determinante der Reaktion,
nämlich das Reizwort, von uns willkürlich gewählt: Die Reaktion
ist dann eine Vermittlung zwischen diesem Reizwort und dem
eben geweckten Komplex der Versuchsperson. Beim Traum ist
das Reizwort ersetzt durch etwas, was selbst aus dem Seelenleben
des Träumers, aus ihm unbekannten Quellen, stammt, also sehr
leicht selbst ein ,Komplexabkómmling^ sein könnte. Es ist
darum die Erwartung nicht gerade phantastisch, da auch die an
die Traumelemente angeknüpften weiteren Einfälle durch keinen
anderen Komplex als den des Elements selbst bestimmt sein und
auch zu dessen Aufdeckung führen werden.Lassen Sie mich an einem anderen Falle zeigen, daß es tatsäch-
lich so ist, wie wir es für unseren Fall erwarten. Das Entfallen
von Eigennamen ist eigentlich ein ausgezeichnetes Vorbild fürS.
VI) Voraussetzungen und Technik der Deutung m
den Fall der Traumanalyse; nur ist hier in einer Person bei.
sammen, was bei der Traumdeutung auf zwei Personen verteilt
ist. Wenn ich einen Namen zeitweilig vergessen habe, so habe
ich doch die Sicherheit in mir, daß ich den Namen weiß; jene
Sicherheit, die wir uns får den Träumer erst auf dem Umwege
über das Bernh ei m sche Experiment aneignen konnten. Der
vergessene und doch gewufite Name ist mir aber nicht zuging.
lich, Nachdenken, wenn auch noch so angestrengres, hilft dabei
nichts, das sagt mir bald die Erfahrung. Ich kann mir aber jedes-
mal an Stelle des vergessenen Namens einen oder mehrere Er.
satznamen einfallen lassen, Wenn mir ein solcher Ersatzname
spontan eingefallen ist, dann wird erst die Übereinstimmung
dieser Situation mit der der Traumanalyse evident. Das Traum-
element ist ja auch nicht das Richtige, nur ein Ersatz fiir etwas
anderes, fir das Eigentliche, das ich nicht kenne und durch die
Traumanalyse auffinden soll. Der Unterschied liegt wiederum
nur darin, daß ich beim Namenvergessen den Ersatz unbedenk-
lich als das Uneigentliche erkenne, während wir diese Auffassung
für das Traumelement erst mühselig erwerben mußten. Nun gibt
es auch beim Namenvergessen einen Weg, vom Ersatz zum un-
bewuften Eigentlichen, zum vergessenen Namen zu kommen.
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf diese Ersatznamen richte
und weitere Einfälle zu ihnen kommen lasse, so gelange ich nach
kürzeren oder längeren Umwegen zum vergessenen Namen und
finde dabei, daß die spontanen Ersatznamen wie die von mir her.
vorgerufenen mit dem vergessenen in Beziehung standen,
durch ihn determiniert waren.Ich will Ihnen eine Analyse dieser Art vorführen: Eines Tages
bemerke ich, daß ich über den Namen jenes Ländchens an der
Riviera, dessen Hauptort Monte Carlo ist, nicht verfüge. Es ist zu
ärgerlich, aber es ist so. Ich versenke mich in all mein Wissen um
dieses Land, denke an den Fürsten Albert aus dem Hause Lusig.
nan, an seine Ehen, seine Vorliebe får Tiefsceforschungen, undS.
112 Vorlesumgen zur Einführung in die Psychoanalyse
was ich sonst zusammentragen kann, aber es hilft mir nichts. Ich
gebe also das Nachdenken auf und lasse mir an Stelle des ver.lotenen Ersatznamen einfallen. Sie kommen rasch. Monte
Carlo selbst, dann Piemont, Albanien, Monte.
video, Colico, Albanien fällt mir in dieser Reihe zuerst auf,
es ersetzt sich alsbald durch Montenegro, wohl nach dem
Gegensatze von Weiß und Schwarz. Dann sehe ich, daß vier
dieser Ersatznamen die nämliche Silbe m on enthalten; ich habe,
plötzlich das vergessene Wort und rufe laut: Monaco. DieErsatznamen sind also wirklich vom vergessenen ausgegangen,
die vier ersten von der ersten Silbe, der letzte bringt die Silben.
folge und die ganze Endsilbe wieder. Nebenbei kann ich auch
leicht finden, was mir den Namen für eine Zeit weggenommen
hat, Monaco gehört auch zu M ii n c h e n als dessen italienischer
Name; diese Stadt hat den hemmenden Einfluß ausgeübt.
Das Beispiel ist gewiß schön, aber zu einfach. In anderen
Fällen müßte man zu den ersten Ersatznamen eine größere Reihe
von Einfållen nehmen, dann wäre die Analogie mit der Traum.
analyse deutlicher, Ich habe auch solche Erfahrungen gemacht.
Als mich einmal ein Fremder einlud, italienischen Wein mit ihm
zu trinken, ergab es sich im Wirtshause, daß er den Namen jenes
Weines vergessen hatte, den er, weil er ihm im besten Gedenken
geblieben war, zu bestellen beabsichtigte. Aus einer Fülle von
disparaten Ersatzeinfällen, die dem anderen an Stelle des ver.
gessenen Namens kamen, konnte ich den Schluß ziehen, daß die
Rücksicht auf irgendeine Hedwig ihm den Namen des Weines
weggenommen hatte, und wirklich bestätigte er nicht nur, daß er
diesen Wein zuerst in Gesellschaft einer Hedwig verkostet, son-
dern fand auch durch diese Aufdeckung seinen Namen wieder.
Er war zu der Zeit glücklich verheiratet, und jene Hedwig ge-
håne früheren, nicht gerne erinnerten Zeiten an.Was beim Namenvergessen möglich ist, muß auch in der
Traumdeutung gelingen können, vom Ersatz aus durch an-S.
w-««-i»-»I»»---M«-«-«-«r--»»-i-k«-us
knüpfende Assoziationen das verhaltene Eigentliche zugänglich
zu machen, Von den Assoziationen zum Traumelement dürfen
wir nach dem Beispiel des Namenvergessens annehmen, daß sie
sowohl durch das Traumelement als durch das unbewufte
Figentliche desselben déterminiert sein werden. Somit hätten wit
einiges zur Rechtfertigung unserer Technik vorgebracht.VIL VORLESUNG
MANIFESTER TRAUMINHALT UND
LATENTE TRAUMGEDANKENMeine Damen und Herren! Sie sehen, wir haben die Fehl.
leistungen nicht ohne Nutzen studiert. Dank diesen Bemühungen
haben wir — unter den Ihnen bekannten Voraussetzungen —
zweierlei erworben, eine Auffassung des Traumelements und eine
Technik der Traumdeutung. Die Auffassung des Traumelements
geht dahin, es sei ein Uneigentliches, ein Ersatz für erwas anderes,
dem Träumer Unbekanntes, ähnlich wie die Tendenz der Fehl.
leistung, ein Ersatz für etwas, wovon das Wissen im Träumer
vorhanden, aber ihm unzugänglich ist. Wir hoffen, dieselbe Auf-
fassung auf den ganzen Traum, der aus solchen Elementen be-
steht, übertragen zu können. Unsere Technik besteht darin, durch
freie Assoziation zu diesen Elementen andere Ersatzbildungen
auftauchen. zu lassen, aus denen wir das Verborgene erraten
können.Ich schlage Ihnen jetzt vor, eine Abänderung unserer Nomen-
klatur eintreten zu lassen, die unsere Beweglichkeit erleichtern
soll. Anstatt verborgen, unzugänglich, uneigentlich sagen wir, in-
dem wir die richtige Beschreibung geben, dem Bewußtsein des
Träumers unzugänglich oder un bewußt. Wir meinen damit
8
Freud_1930_Vorlesungen_6te_k
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