S.
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TRIEBE UND TRIEBSCHICKSALE
Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine
Wissenschaft über klaren und scharf definierten Grundbegriffen
aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine Wissenschaft
mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht. Der richtige
Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der
Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert,
angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. Schon
bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse ab-
strakte Ideen auf das Material anzuwenden, die man irgendwoher,
gewiß nicht aus der neuen Erfahrung allein, herbeiholt. Noch
unentbehrlicher sind solche Ideen – die späteren Grundbegriffe
der Wissenschaft – bei der weiteren Verarbeitung des Stoffes.
Sie müssen zunächst ein gewisses Maß von Unbestimmtheit an
sich tragen; von einer klaren Umzeichnung ihres Inhaltes kann
keine Rede sein. Solange sie sich in diesem Zustande befinden,
verständigt man sich über ihre Bedeutung durch den wieder-
holten Hinweis auf das Erfahrungsmaterial, dem sie entnommen
scheinen, das aber in Wirklichkeit ihnen unterworfen wird. Sie
haben also strenge genommen den Charakter von Konventionen,
wobei aber alles darauf ankommt, daß sie doch nicht willkürlich
gewählt werden, sondern durch bedeutsame Beziehungen zum
empirischen Stoffe bestimmt sind, die man zu erraten vermeint,
noch ehe man sie erkennen und nachweisen kann. Erst nach
gründlicherer Erforschung des betreffenden Erscheinungsgebietes
kann man auch dessen wissenschaftliche Grundbegriffe schärferS.
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erfassen und sie fortschreitend so abändern, daß sie in großem
Umfange brauchbar und dabei durchaus widerspruchsfrei werden.
Dann mag es auch an der Zeit sein, sie in Definitionen zu
bannen. Der Fortschritt der Erkenntnis duldet aber auch keine
Starrheit der Definitionen. Wie das Beispiel der Physik in glän-
zender Weise lehrt, erfahren auch die in Definitionen festgelegten
„Grundbegriffe“ einen stetigen Inhaltswandel.Ein solcher konventioneller, vorläufig noch ziemlich dunkler
Grundbegriff, den wir aber in der Psychologie nicht entbehren
können, ist der des Triebes. Versuchen wir es, ihn von ver-
schiedenen Seiten her mit Inhalt zu erfüllen.Zunächst von Seiten der Physiologie. Diese hat uns den Begriff
des Reizes und das Reflexschema gegeben, demzufolge ein von
außen her an das lebende Gewebe (der Nervensubstanz) gebrachter
Reiz durch Aktion nach außen abgeführt wird. Diese Aktion
wird dadurch zweckmäßig, daß sie die gereizte Substanz der Ein-
wirkung des Reizes entzieht, aus dem Bereich der Reizwirkung
entrückt.Wie verhält sich nun der „Trieb“ zum „Reiz“? Es hindert
uns nichts, den Begriff des Triebes unter den des Reizes zu sub-
summieren: der Trieb sei ein Reiz für das Psychische. Aber wir
werden sofort davor gewarnt, Trieb und psychischen Reiz gleich-
zusetzen. Es gibt offenbar für das Psychische noch andere Reize
als die Triebreize, solche, die sich den physiologischen Reizen
weit ähnlicher benehmen. Wenn z. B. ein starkes Licht auf das
Auge fällt, so ist das kein Triebreiz; wohl aber, wenn sich die
Austrocknung der Schlundschleimhaut fühlbar macht oder die
Anätzung der Magenschleimhaut.1Wir haben nun Material für die Unterscheidung von Trieb-
reiz und anderem (physiologischem) Reiz, der auf das Seelische
einwirkt, gewonnen. Erstens: Der Triebreiz stammt nicht aus1)Vorausgesetzt nämlich, daß diese inneren Vorgänge die organischen Grund-
lagen der Bedürfnisse Durst und Hunger sind.S.
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der Außenwelt, sondern aus dem Innern des Organismus selbst.
Er wirkt darum auch anders auf das Seelische und erfordert zu
seiner Beseitigung andere Aktionen. Ferner: Alles für den Reiz
Wesentliche ist gegeben, wenn wir annehmen, er wirke wie ein
einmaliger Stoß; er kann dann auch durch eine einmalige zweck-
mäßige Aktion erledigt werden, als deren Typus die motorische
Flucht vor der Reizquelle hinzustellen ist. Natürlich können sich
diese Stöße auch wiederholen und summieren, aber das ändert
nichts an der Auffassung des Vorganges und an den Bedingungen
der Reizaufhebung. Der Trieb hingegen wirkt nie wie eine momentane
Stoßkraft, sondern immer wie eine konstante Kraft.
Da er nicht von außen, sondern vom Körperinnern her angreift,
kann auch keine Flucht gegen ihn nützen. Wir heißen den Trieb-
reiz besser „Bedürfnis“; was dieses Bedürfnis aufhebt, ist die
„Befriedigung“. Sie kann nur durch eine zielgerechte (adäquate)
Veränderung der inneren Reizquelle gewonnen werden.Stellen wir uns auf den Standpunkt eines fast völlig hilflosen,
in der Welt noch unorientierten Lebewesens, welches Reize in
seiner Nervensubstanz auffängt. Dies Wesen wird sehr bald in
die Lage kommen, eine erste Unterscheidung zu machen und
eine erste Orientierung zu gewinnen. Es wird einerseits Reize
verspüren, denen es sich durch eine Muskelaktion (Flucht) ent-
ziehen kann, diese Reize rechnet es zu einer Außenwelt; ander-
seits aber auch noch Reize, gegen welche eine solche Aktion
nutzlos bleibt, die trotzdem ihren konstant drängenden Charakter
behalten; diese Reize sind das Kennzeichen einer Innenwelt, der
Beweis für Triebbedürfnisse. Die wahrnehmende Substanz des
Lebewesens wird so an der Wirksamkeit ihrer Muskeltätigkeit
einen Anhaltspunkt gewonnen haben, um ein „außen“ von einem
„innen“ zu scheiden.Wir finden also das Wesen des Triebes zunächst in seinen
Hauptcharakteren, der Herkunft von Reizquellen im Innern des
Organismus, dem Auftreten als konstante Kraft, und leiten davonS.
446
eines seiner weiteren Merkmale, seine Unbezwingbarkeit durch
Fluchtaktionen ab. Während dieser Erörterungen mußte uns aber
etwas auffallen, was uns ein weiteres Eingeständnis abnötigt. Wir
bringen nicht nur gewisse Konventionen als Grundbegriffe an
unser Erfahrungsmaterial heran, sondern bedienen uns auch
mancher komplizierter Voraussetzungen, um uns bei der Be-
arbeitung der psychologischen Erscheinungswelt leiten zu lassen.
Die wichtigste dieser Voraussetzungen haben wir bereits angeführt;
es erübrigt uns nur noch, sie ausdrücklich hervorzuheben. Sie
ist biologischer Natur, arbeitet mit dem Begriff der Tendenz
(eventuell der Zweckmäßigkeit) und lautet: Das Nervensystem ist
ein Apparat, dem die Funktion erteilt ist, die anlangenden Reize
wieder zu beseitigen, auf möglichst niedriges Niveau herabzu-
setzen, oder der, wenn es nur möglich wäre, sich überhaupt
reizlos erhalten wollte. Nehmen wir an der Unbestimmtheit dieser
Idee vorläufig keinen Anstoß und geben wir dem Nervensystem
die Aufgabe – allgemein gesprochen: der Reizbewältigung.
Wir sehen dann, wie sehr die Einführung der Triebe das ein-
fache physiologische Reflexschema kompliziert. Die äußeren Reize
stellen nur die eine Aufgabe, sich ihnen zu entziehen, dies ge-
schieht dann durch Muskelbewegungen, von denen endlich eine
das Ziel erreicht und dann als die zweckmäßige zur erblichen
Disposition wird. Die im Innern des Organismus entstehenden
Triebreize sind durch diesen Mechanismus nicht zu erledigen.
Sie stellen also weit höhere Anforderungen an das Nervensystem,
veranlassen es zu verwickelten, ineinander greifenden Tätigkeiten,
welche die Außenwelt so weit verändern, daß sie der inneren
Reizquelle die Befriedigung bietet, und nötigen es vor allem,
auf seine ideale Absicht der Reizfernhaltung zu verzichten, da
sie eine unvermeidliche kontinuierliche Reizzufuhr unterhalten.
Wir dürfen also wohl schließen, daß sie, die Triebe, und nicht
die äußeren Reize, die eigentlichen Motoren der Fortschritte sind,
welche das so unendlich leistungsfähige Nervensystem auf seineS.
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gegenwärtige Entwicklungshöhe gebracht haben. Natürlich steht
nichts der Annahme im Wege, daß die Triebe selbst, wenigstens
zum Teil, Niederschläge äußerer Reizwirkungen sind, welche im
Laufe der Phylogenese auf die lebende Substanz verändernd ein-
wirkten.Wenn wir dann finden, daß die Tätigkeit auch der höchst-
entwickelten Seelenapparate dem Lustprinzip unterliegt, d. h.
durch Empfindungen der Lust‑Unlustreihe automatisch reguliert
wird, so können wir die weitere Voraussetzung schwerlich ab-
weisen, daß diese Empfindungen die Art, wie die Reizbewälti-
gung vor sich geht, wiedergeben. Sicherlich in dem Sinne, daß
die Unlustempfindung mit Steigerung, die Lustempfindung mit
Herabsetzung des Reizes zu tun hat. Die weitgehende Unbe-
stimmtheit dieser Annahme wollen wir aber sorgfältig festhalten,
bis es uns etwa gelingt, die Art der Beziehung zwischen Lust‑Unlust
und den Schwankungen der auf das Seelenleben wirken-
den Reizgrößen zu erraten. Es sind gewiß sehr mannigfache
und nicht sehr einfache solcher Beziehungen möglich.Wenden wir uns nun von der biologischen Seite her der Be-
trachtung des Seelenlebens zu, so erscheint uns der „Trieb“ als
ein Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem, als psy-
chischer Repräsentant der aus dem Körperinnern stammenden, in
die Seele gelangenden Reize, als ein Maß der Arbeitsanforderung,
die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem
Körperlichen auferlegt ist.Wir können nun einige Termini diskutieren, welche im Zu-
sammenhang mit dem Begriffe Trieb gebraucht werden, wie:
Drang, Ziel, Objekt, Quelle des Triebes.Unter dem Drange eines Triebes versteht man dessen moto-
risches Moment, die Summe von Kraft oder das Maß von Arbeits-
anforderung, das er repräsentiert. Der Charakter des Drängenden
ist eine allgemeine Eigenschaft der Triebe, ja das Wesen der-
selben. Jeder Trieb ist ein Stück Aktivität; wenn man lässigerweiseS.
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von passiven Trieben spricht, kann man nichts anderes
meinen als Triebe mit passivem Ziele.Das Ziel eines Triebes ist allemal die Befriedigung, die nur
durch Aufhebung des Reizzustandes an der Triebquelle erreicht
werden kann. Aber wenn auch dies Endziel für jeden Trieb un-
veränderlich bleibt, so können doch verschiedene Wege zum
gleichen Endziel führen, so daß sich mannigfache nähere oder
intermediäre Ziele für einen Trieb ergeben können, die mit-
einander kombiniert oder gegeneinander vertauscht werden. Die
Erfahrung gestattet uns auch, von „zielgehemmten“ Trieben
zu sprechen bei Vorgängen, die ein Stück weit in der Richtung
der Triebbefriedigung zugelassen werden, dann aber eine Hemmung
oder Ablenkung erfahren. Es ist anzunehmen, daß auch mit
solchen Vorgängen eine partielle Befriedigung verbunden ist.Das Objekt des Triebes ist dasjenige, an welchem oder durch
welches der Trieb sein Ziel erreichen kann. Es ist das variabelste
am Triebe, nicht ursprünglich mit ihm verknüpft, sondern ihm
nur infolge seiner Eignung zur Ermöglichung der Befriedigung
zugeordnet. Es ist nicht notwendig ein fremder Gegenstand,
sondern ebensowohl ein Teil des eigenen Körpers. Es kann im
Laufe der Lebensschicksale des Triebes beliebig oft gewechselt
werden; dieser Verschiebung des Triebes fallen die bedeutsamsten
Rollen zu. Es kann der Fall vorkommen, daß dasselbe Objekt
gleichzeitig mehreren Trieben zur Befriedigung dient, nach Alfred
Adler der Fall der Triebverschränkung. Eine besonders innige
Bindung des Triebes an das Objekt wird als Fixierung desselben
hervorgehoben. Sie vollzieht sich oft in sehr frühen Perioden der
Triebentwicklung und macht der Beweglichkeit des Triebes ein
Ende, indem sie der Lösung intensiv widerstrebt.Unter der Quelle des Triebes versteht man jenen somatischen
Vorgang in einem Organ oder Körperteil, dessen Reiz im Seelen-
leben durch den Trieb repräsentiert ist. Es ist unbekannt, ob
dieser Vorgang regelmäßig chemischer Natur ist oder auch derS.
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Entbindung anderer, z. B. mechanischer Kräfte entsprechen kann.
Das Studium der Triebquellen gehört der Psychologie nicht mehr
an; obwohl die Herkunft aus der somatischen Quelle das schlecht-
weg Entscheidende für den Trieb ist, wird er uns im Seelen-
leben doch nicht anders als durch seine Ziele bekannt. Die ge-
nauere Erkenntnis der Triebquellen ist für die Zwecke der psycho-
logischen Forschung nicht durchwegs erforderlich. Manchmal ist der
Rückschluß aus den Zielen des Triebes auf dessen Quellen gesichert.Soll man annehmen, daß die verschiedenen aus dem Körper-
lichen stammenden, auf das Seelische wirkenden Triebe auch
durch verschiedene Qualitäten ausgezeichnet sind und darum in
qualitativ verschiedener Art sich im Seelenleben benehmen? Es
scheint nicht gerechtfertigt; man reicht vielmehr mit der ein-
facheren Annahme aus, daß die Triebe alle qualitativ gleichartig
sind und ihre Wirkung nur den Erregungsgrößen, die sie führen,
verdanken, vielleicht noch gewissen Funktionen dieser Quantität.
Was die psychischen Leistungen der einzelnen Triebe von ein-
ander unterscheidet, läßt sich auf die Verschiedenheit der Trieb-
quellen zurückführen. Es kann allerdings erst in einem späteren
Zusammenhange klargelegt werden, was das Problem der Trieb-
qualität bedeutet.Welche Triebe darf man aufstellen und wie viele? Dabei ist
offenbar der Willkür ein weiter Spielraum gelassen. Man kann
nichts dagegen einwenden, wenn jemand den Begriff eines Spiel-
triebes, Destruktionstriebes, Geselligkeitstriebes in Anwendung
bringt, wo der Gegenstand es fordert und die Beschränkung der
psychologischen Analyse es zuläßt. Man sollte aber die Frage
nicht außer acht lassen, ob diese einerseits so sehr spezialisierten
Triebmotive nicht eine weitere Zerlegung in der Richtung nach
den Triebquellen gestatten, so daß nur die weiter nicht zerleg-
baren Urtriebe eine Bedeutung beanspruchen können.Ich habe vorgeschlagen, von solchen Urtrieben zwei Gruppen
zu unterscheiden, die der Ich‑ oder SelbsterhaltungstriebeS.
450
und die der Sexualtriebe. Dieser Aufstellung kommt aber nicht
die Bedeutung einer notwendigen Voraussetzung zu, wie z. B.
der Annahme über die biologische Tendenz des seelischen Appa-
rates (s. o.); sie ist eine bloße Hilfskonstruktion, die nicht länger
festgehalten werden soll, als sie sich nützlich erweist, und deren
Ersetzung durch eine andere an den Ergebnissen unserer be-
schreibenden und ordnenden Arbeit wenig ändern wird. Der
Anlaß zu dieser Aufstellung hat sich aus der Entwicklungs-
geschichte der Psychoanalyse ergeben, welche die Psychoneurosen,
und zwar die als „Übertragungsneurosen“ zu bezeichnende Gruppe
derselben (Hysterie und Zwangsneurose) zum ersten Objekt nahm
und an ihnen zur Einsicht gelangte, daß ein Konflikt zwischen
den Ansprüchen der Sexualität und denen des Ichs an der Wurzel
jeder solchen Affektion zu finden sei. Es ist immerhin möglich,
daß ein eindringendes Studium der anderen neurotischen Affek-
tionen (vor allem der narzißtischen Psychoneurosen: der Schizo-
phrenien) zu einer Abänderung dieser Formel und somit zu einer
anderen Gruppierung der Urtriebe nötigen wird. Aber gegen-
wärtig kennen wir diese neue Formel nicht und haben auch
noch kein Argument gefunden, welches der Gegenüberstellung
von Ich‑ und Sexualtrieben ungünstig wäre.Es ist mir überhaupt zweifelhaft, ob es möglich sein wird, auf
Grund der Bearbeitung des psychologischen Materials entschei-
dende Winke zur Scheidung und Klassifizierung der Triebe zu
gewinnen. Es erscheint vielmehr notwendig, zum Zwecke dieser
Bearbeitung bestimmte Annahmen über das Triebleben an das
Material heranzubringen, und es wäre wünschenswert, daß man
diese Annahmen einem anderen Gebiete entnehmen könnte, um
sie auf die Psychologie zu übertragen. Was die Biologie hiefür
leistet, läuft der Sonderung von Ich‑ und Sexualtrieben gewiß
nicht zuwider. Die Biologie lehrt, daß die Sexualität nicht gleich-
zustellen ist den anderen Funktionen des Individuums, da ihre
Tendenzen über das Individuum hinausgehen und die ProduktionS.
451
neuer Individuen, also die Erhaltung der Art, zum Inhalt haben.
Sie zeigt uns ferner, daß zwei Auffassungen des Verhältnisses
zwischen Ich und Sexualität wie gleichberechtigt nebeneinander
stehen, die eine, nach welcher das Individuum die Hauptsache
ist und die Sexualität als eine seiner Betätigungen, die Sexual-
befriedigung als eines seiner Bedürfnisse wertet, und eine andere,
derzufolge das Individuum ein zeitweiliger und vergänglicher
Anhang an das quasi unsterbliche Keimplasma ist, welches ihm
von der Generation anvertraut wurde. Die Annahme, daß sich
die Sexualfunktion durch einen besonderen Chemismus von den
anderen Körpervorgängen scheidet, bildet, soviel ich weiß, auch
eine Voraussetzung der Ehrlichschen biologischen Forschung.Da das Studium des Trieblebens vom Bewußtsein her kaum
übersteigbare Schwierigkeiten bietet, bleibt die psychoanalytische
Erforschung der Seelenstörungen die Hauptquelle unserer Kenntnis.
Ihrem Entwicklungsgang entsprechend hat uns aber die Psycho-
analyse bisher nur über die Sexualtriebe einigermaßen befriedi-
gende Auskünfte bringen können, weil sie gerade nur diese Trieb-
gruppe an den Psychoneurosen wie isoliert beobachten konnte.
Mit der Ausdehnung der Psychoanalyse auf die anderen neuroti-
schen Affektionen wird gewiß auch unsere Kenntnis der Ichtriebe
begründet werden, obwohl es vermessen erscheint, auf diesem
weiteren Forschungsgebiete ähnlich günstige Bedingungen für die
Beobachtung zu erwarten.Zu einer allgemeinen Charakteristik der Sexualtriebe kann man
folgendes aussagen: Sie sind zahlreich, entstammen vielfältigen
organischen Quellen, betätigen sich zunächst unabhängig von-
einander und werden erst spät zu einer mehr oder minder voll-
kommenen Synthese zusammengefaßt. Das Ziel, das jeder von
ihnen anstrebt, ist die Erreichung der Organlust; erst nach voll-
zogener Synthese treten sie in den Dienst der Fortpflanzungsfunktion,
womit sie dann als Sexualtriebe allgemein kenntlich
werden. Bei ihrem ersten Auftreten lehnen sie sich zuerst anS.
452
die Erhaltungstriebe an, von denen sie sich erst allmählich ab-
lösen, folgen auch bei der Objektfindung den Wegen, die ihnen
die Ichtriebe weisen. Ein Anteil von ihnen bleibt den Ichtrieben
zeitlebens gesellt und stattet diese mit libidinösen Komponenten
aus, welche während der normalen Funktion leicht übersehen
und erst durch die Erkrankung klargelegt werden. Sie sind da-
durch ausgezeichnet, daß sie in großem Ausmaße vikariierend
füreinander eintreten und leicht ihre Objekte wechseln können.
Infolge der letztgenannten Eigenschaften sind sie zu Leistungen
befähigt, die weitab von ihren ursprünglichen Zielhandlungen
liegen. (Sublimierung.)Die Untersuchung, welche Schicksale Triebe im Laufe der
Entwicklung und des Lebens erfahren können, werden wir auf
die uns besser bekannten Sexualtriebe einschränken müssen. Die
Beobachtung lehrt uns als solche Triebschicksale folgende kennen:Die Verkehrung ins Gegenteil.
Die Wendung gegen die eigene Person.
Die Verdrängung.
Die Sublimierung.
Da ich die Sublimierung hier nicht zu behandeln gedenke,
die Verdrängung aber ein besonderes Kapitel beansprucht, er-
übrigt uns nur Beschreibung und Diskussion der beiden ersten
Punkte. Mit Rücksicht auf Motive, welche einer direkten Fort-
setzung der Triebe entgegenwirken, kann man die Triebschick-
sale auch als Arten der Abwehr gegen die Triebe darstellen.Die Verkehrung ins Gegenteil löst sich bei näherem Zu-
sehen in zwei verschiedene Vorgänge auf, in die Wendung eines
Triebes von der Aktivität zur Passivität und in die inhaltliche
Verkehrung. Beide Vorgänge sind, weil wesensver-
schieden, auch gesondert zu behandeln.Beispiele für den ersteren Vorgang ergeben die Gegensatz-
paare Sadismus‑Masochismus und Schaulust‑Exhibition. Die
Verkehrung betrifft nur die Ziele des Triebes; für das aktiveS.
453
Ziel: quälen, beschauen, wird das passive: gequält werden, be-
schaut werden eingesetzt. Die inhaltliche Verkehrung findet sich
in dem einen Falle der Verwandlung des Liebens in ein Hassen.Die Wendung gegen die eigene Person wird uns durch
die Erwägung nahegelegt, daß der Masochismus ja ein gegen
das eigene Ich gewendeter Sadismus ist, die Exhibition das Be-
schauen des eigenen Körpers mit einschließt. Die analytische
Beobachtung läßt auch keinen Zweifel daran bestehen, daß der
Masochist das Wüten gegen seine Person, der Exhibitionist das
Entblößen derselben mitgenießt. Das Wesentliche an dem Vor-
gang ist also der Wechsel des Objektes bei ungeändertem Ziel.Es kann uns indes nicht entgehen, daß Wendung gegen die
eigene Person und Wendung von der Aktivität zur Passivität in
diesen Beispielen zusammentreffen oder zusammenfallen. Zur
Klarstellung der Beziehungen wird eine gründlichere Unter-
suchung unerläßlich.Beim Gegensatzpaar Sadismus‑Masochismus kann man den
Vorgang folgendermaßen darstellen:a) Der Sadismus besteht in Gewalttätigkeit, Machtbetätigung
gegen eine andere Person als Objekt.b) Dieses Objekt wird aufgegeben und durch die eigene Person
ersetzt. Mit der Wendung gegen die eigene Person ist auch die
Verwandlung des aktiven Triebzieles in ein passives vollzogen.c) Es wird neuerdings eine fremde Person als Objekt gesucht,
welche infolge der eingetretenen Zielverwandlung die Rolle des
Subjekts übernehmen muß.Fall c ist der des gemeinhin so genannten Masochismus. Die Be-
friedigung erfolgt auch bei ihm auf dem Wege des ursprünglichen
Sadismus, indem sich das passive Ich phantastisch in seine frühere
Stelle versetzt, die jetzt dem fremden Subjekt überlassen ist. Ob
es auch eine direktere masochistische Befriedigung gibt, ist durch-
aus zweifelhaft. Ein ursprünglicher Masochismus, der nicht auf die
beschriebene Art aus dem Sadismus entstanden wäre, scheint nichtS.
454
vorzukommen.1 Daß die Annahme der Stufe b nicht überflüssig ist,
geht wohl aus dem Verhalten des sadistischen Triebes bei der
Zwangsneurose hervor. Hier findet sich die Wendung gegen die
eigene Person ohne die Passivität gegen eine neue. Die Verwandlung
geht nur bis zur Stufe b. Aus der Quälsucht wird Selbstquälerei,
Selbstbestrafung, nicht Masochismus. Das aktive Verbum wandelt
sich nicht in das Passivum, sondern in ein reflexives Medium.Die Auffassung des Sadismus wird auch durch den Umstand be-
einträchtigt, daß dieser Trieb neben seinem allgemeinen Ziel (viel-
leicht besser: innerhalb desselben) eine ganz spezielle Zielhandlung
anzustreben scheint. Neben der Demütigung, Überwältigung, die
Zufügung von Schmerzen. Nun scheint die Psychoanalyse zu zeigen,
daß das Schmerzzufügen unter den ursprünglichen Zielhandlungen
des Triebes keine Rolle spielt. Das sadistische Kind zieht die Zu-
fügung von Schmerzen nicht in Betracht und beabsichtigt sie nicht.
Wenn sich aber einmal die Umwandlung in Masochismus vollzogen
hat, eignen sich die Schmerzen sehr wohl, ein passives masochisti-
sches Ziel abzugeben, denn wir haben allen Grund anzunehmen,
daß auch die Schmerz‑ wie andere Unlustempfindungen auf die
Sexualerregung übergreifen und einen lustvollen Zustand erzeugen,
um dessentwillen man sich auch die Unlust des Schmerzes gefallen
lassen kann. Ist das Empfinden von Schmerzen einmal ein masochis-
tisches Ziel geworden, so kann sich rückgreifend auch das sadistische
Ziel, Schmerzen zuzufügen, ergeben, die man, während man sie
anderen erzeugt, selbst masochistisch in der Identifizierung mit dem
leidenden Objekt genießt. Natürlich genießt man in beiden Fällen
nicht den Schmerz selbst, sondern die ihn begleitende Sexual-
erregung, und dies dann als Sadist besonders bequem. Das Schmerz-
genießen wäre also ein ursprünglich masochistisches Ziel, das aber
nur beim ursprünglich Sadistischen zum Triebziele werden kann.1)[Zusatz 1924:] In späteren Arbeiten (siehe: Das ökonomische Problem des
Masochismus, 1924; S. 374 dieses Bandes) habe ich im Zusammenhang mit Problemen
des Trieblebens mich zu einer gegenteiligen Auffassung bekannt.S.
455
Der Vollständigkeit zuliebe füge ich an, daß das Mitleid
nicht als ein Ergebnis der Triebverwandlung beim Sadismus be-
schrieben werden kann, sondern die Auffassung einer Reaktionsbildung
gegen den Trieb (über den Unterschied s. später) er-
fordert.Etwas andere und einfachere Ergebnisse liefert die Unter-
suchung eines anderen Gegensatzpaares, der Triebe, die das
Schauen und Sich zeigen zum Ziele haben. (Voyeur und Ex-
hibitionist in der Sprache der Perversionen). Auch hier kann
man die nämlichen Stufen aufstellen wie im vorigen Falle:
a) Das Schauen als Aktivität gegen ein fremdes Objekt gerichtet;
b) das Aufgeben des Objektes, die Wendung des Schautriebes
gegen einen Teil des eigenen Körpers, damit die Verkehrung in
Passivität und die Aufstellung des neuen Zieles: beschaut zu
werden; c) die Einsetzung eines neuen Subjektes, dem man sich
zeigt, um von ihm beschaut zu werden. Es ist auch kaum zweifel-
haft, daß das aktive Ziel früher auftritt als das passive, das
Schauen dem Beschautwerden vorangeht. Aber eine bedeutsame
Abweichung vom Falle des Sadismus liegt darin, daß beim Schau-
trieb eine noch frühere Stufe als die mit a bezeichnete zu er-
kennen ist. Der Schautrieb ist nämlich zu Anfang seiner Be-
tätigung autoerotisch, er hat wohl ein Objekt, aber er findet es
am eigenen Körper. Erst späterhin wird er dazu geleitet (auf
dem Wege der Vergleichung), dies Objekt mit einem analogen
des fremden Körpers zu vertauschen (Stufe a). Diese Vorstufe ist
nun dadurch interessant, daß aus ihr die beiden Situationen des
resultierenden Gegensatzpaares hervorgehen, je nachdem der
Wechsel an der einen oder anderen Stelle vorgenommen wird.
Das Schema für den Schautrieb könnte lauten:α) Selbst ein Sexualglied beschauen = Sexualglied von eigener Person
beschaut werden| | β) Selbst fremdes Objekt beschauen
(aktive Schaulust)γ) Eigenes Objekt von fremder
Person beschaut werden.
(Zeigelust, Exhibition).S.
456
Eine solche Vorstufe fehlt dem Sadismus, der sich von vorn-
herein auf ein fremdes Objekt richtet, obwohl es nicht gerade
widersinnig wäre, sie aus den Bemühungen des Kindes, das
seiner eigenen Glieder Herr werden will, zu konstruieren.1Für beide hier betrachteten Triebbeispiele gilt die Bemerkung,
daß die Triebverwandlung durch Verkehrung der Aktivität in
Passivität und Wendung gegen die eigene Person eigentlich nie-
mals am ganzen Betrag der Triebregung vorgenommen wird.
Die ältere, aktive Triebrichtung bleibt in gewissem Ausmaße
neben der jüngeren passiven bestehen, auch wenn der Prozeß
der Triebumwandlung sehr ausgiebig ausgefallen ist. Die einzig
richtige Aussage über den Schautrieb müßte lauten, daß alle
Entwicklungsstufen des Triebes, die autoerotische Vorstufe wie
die aktive und passive Endgestaltung nebeneinander bestehen
bleiben, und diese Behauptung wird evident, wenn man anstatt
der Triebhandlungen den Mechanismus der Befriedigung zur
Grundlage seines Urteiles nimmt. Vielleicht ist übrigens noch
eine andere Auffassungs‑ und Darlegungsweise gerechtfertigt.
Man kann sich jedes Triebleben in einzelne zeitlich geschiedene
und innerhalb der (beliebigen) Zeiteinheit gleichartige Schübe
zerlegen, die sich etwa zueinander verhalten wie sukzessive Lava-
eruptionen. Dann kann man sich etwa vorstellen, die erste und
ursprünglichste Trieberuption setze sich ungeändert fort und er-
fahre überhaupt keine Entwicklung. Ein nächster Schub unter-
liege von Anfang an einer Veränderung, etwa der Wendung zur
Passivität, und addiere sich nun mit diesem neuen Charakter
zum früheren hinzu usw. Überblickt man dann die Triebregung
von ihrem Anfang an bis zu einem gewissen Haltepunkt, so muß
die beschriebene Sukzession der Schübe das Bild einer bestimmten
Entwicklung des Triebes ergeben.Die Tatsache, daß zu jener späteren Zeit der Entwicklung
neben einer Triebregung ihr (passiver) Gegensatz zu beobachten1)Siehe Anmerkung auf Seite 454.
S.
457
ist, verdient die Hervorhebung durch den trefflichen, von Bleuler
eingeführten Namen: Ambivalenz.Die Triebentwicklung wäre unserem Verständnis durch den
Hinweis auf die Entwicklungsgeschichte des Triebes und die
Permanenz der Zwischenstufen nahe gerückt. Das Ausmaß der
nachweisbaren Ambivalenz wechselt erfahrungsgemäß in hohem
Grade bei Individuen, Menschengruppen oder Rassen. Eine aus-
giebige Triebambivalenz bei einem heute Lebenden kann als
archaisches Erbteil aufgefaßt werden, da wir Grund zur An-
nahme haben, der Anteil der unverwandelten aktiven Regungen
am Triebleben sei in Urzeiten größer gewesen als durchschnitt-
lich heute.Wir haben uns daran gewöhnt, die frühe Entwicklungsphase
des Ichs, während welcher dessen Sexualtriebe sich autoerotisch
befriedigen, Narzißmus zu heißen, ohne zunächst die Beziehung
zwischen Autoerotismus und Narzißmus in Diskussion zu ziehen.
Dann müssen wir von der Vorstufe des Schautriebes, auf der
die Schaulust den eigenen Körper zum Objekt hat, sagen, sie
gehöre dem Narzißmus an, sei eine narzißtische Bildung. Aus
ihr entwickelt sich der aktive Schautrieb, indem er den Narziß-
mus verläßt, der passive Schautrieb halte aber das narzißtische
Objekt fest. Ebenso bedeute die Umwandlung des Sadismus in
Masochismus eine Rückkehr zum narzißtischen Objekt, während
in beiden Fällen das narzißtische Subjekt durch Identifizierung
mit einem anderen fremden Ich vertauscht wird. Mit Rück-
sichtnahme auf die konstruierte narzißtische Vorstufe des Sadis-
mus nähern wir uns so der allgemeineren Einsicht, daß die
Triebschicksale der Wendung gegen das eigene Ich und der
Verkehrung von Aktivität in Passivität von der narzißtischen
Organisation des Ichs abhängig sind und den Stempel dieser
Phase an sich tragen. Sie entsprechen vielleicht den Abwehr-
versuchen, die auf höheren Stufen der Ichentwicklung mit an-
deren Mitteln durchgeführt werden.S.
458
Wir besinnen uns hier, daß wir bisher nur die zwei Trieb-
gegensatzpaare: Sadismus‑Masochismus und Schaulust‑Zeige-
lust in Erörterung gezogen haben. Es sind dies die bestbekannten
ambivalent auftretenden Sexualtriebe. Die anderen Komponenten
der späteren Sexualfunktion sind der Analyse noch nicht genug
zugänglich geworden, um sie in ähnlicher Weise diskutieren zu
können. Wir können von ihnen allgemein aussagen, daß sie sich
autoerotisch betätigen, d. h., ihr Objekt verschwindet gegen
das Organ, das ihre Quelle ist, und fällt in der Regel mit diesem
zusammen. Das Objekt des Schautriebes, obwohl auch zuerst ein
Teil des eigenen Körpers, ist doch nicht das Auge selbst, und
beim Sadismus weist die Organquelle, wahrscheinlich die aktions-
fähige Muskulatur, direkt auf ein anderes Objekt, sei es auch
am eigenen Körper, hin. Bei den autoerotischen Trieben ist die
Rolle der Organquelle so ausschlaggebend, daß nach einer an-
sprechenden Vermutung von P. Federn und L. Jekels1 Form
und Funktion des Organs über die Aktivität und Passivität des
Triebzieles entscheiden.Die Verwandlung eines Triebes in sein (materielles) Gegen-
teil wird nur in einem Falle beobachtet, bei der Umsetzung
von Liebe in Haß. Da diese beiden besonders häufig
gleichzeitig auf dasselbe Objekt gerichtet vorkommen, ergibt
diese Koexistenz auch das bedeutsamste Beispiel einer Gefühls-
ambivalenz.Der Fall von Liebe und Haß erwirbt ein besonderes Interesse
durch den Umstand, daß er der Einreihung in unsere Dar-
stellung der Triebe widerstrebt. Man kann an der innigsten Be-
ziehung zwischen diesen beiden Gefühlsgegensätzen und dem
Sexualleben nicht zweifeln, muß sich aber natürlich dagegen
sträuben, das Lieben etwa als einen besonderen Partialtrieb der
Sexualität wie die anderen aufzufassen. Man möchte eher das
Lieben als den Ausdruck der ganzen Sexualstrebung ansehen,1)Intern. Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913.
S.
459
kommt aber auch damit nicht zurecht und weiß nicht, wie
man ein materielles Gegenteil dieser Strebung verstehen soll.Das Lieben ist nicht nur eines, sondern dreier Gegensätze
fähig. Außer dem Gegensatz: lieben‑hassen gibt es den anderen:
lieben–geliebt werden, und überdies setzen sich lieben und
hassen zusammengenommen dem Zustande der Indifferenz oder
Gleichgültigkeit entgegen. Von diesen drei Gegensätzen entspricht
der zweite, der von lieben‑geliebt werden, durchaus der Wen-
dung von der Aktivität zur Passivität und läßt auch die näm-
liche Zurückführung auf eine Grundsituation wie beim Schau-
trieb zu. Diese heißt: sich selbst lieben, was für uns die
Charakteristik des Narzißmus ist. Je nachdem nun das Objekt
oder das Subjekt gegen ein fremdes vertauscht wird, ergibt
sich die aktive Zielstrebung des Liebens oder die passive des
Geliebtwerdens, von denen die letztere dem Narzißmus nahe
verbleibt.Vielleicht kommt man dem Verständnis der mehrfachen Gegen-
teile des Liebens näher, wenn man sich besinnt, daß das seelische
Leben überhaupt von drei Polaritäten beherrscht wird, den
Gegensätzen von:Subjekt (Ich)‑Objekt (Außenwelt).
Lust‑Unlust.
Aktiv‑Passiv.
Der Gegensatz von Ich‑Nicht‑Ich (Außen), (Subjekt–Objekt),
wird dem Einzelwesen, wie wir bereits erwähnt haben, frühzeitig
aufgedrängt durch die Erfahrung, daß es Außenreize durch seine
Muskelaktion zum Schweigen bringen kann, gegen Triebreize
aber wehrlos ist. Er bleibt vor allem in der intellektuellen Be-
tätigung souverän und schafft die Grundsituation für die Forschung,
die durch kein Bemühen abgeändert werden kann. Die Polarität
von Lust‑Unlust haftet an einer Empfindungsreihe, deren un-
übertroffene Bedeutung für die Entscheidung unserer Aktionen
(Wille) bereits betont worden ist. Der Gegensatz von Aktiv‑PassivS.
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ist nicht mit dem von Ich‑Subjekt‑Außen‑Objekt zu ver-
wechseln. Das Ich verhält sich passiv gegen die Außenwelt, in-
soweit es Reize von ihr empfängt, aktiv, wenn es auf dieselben
reagiert. Zu ganz besonderer Aktivität gegen die Außenwelt
wird es durch seine Triebe gezwungen, so daß man unter Her-
vorhebung des Wesentlichen sagen könnte: Das Ich‑Subjekt sei
passiv gegen die äußeren Reize, aktiv durch seine eigenen Triebe.
Der Gegensatz Aktiv‑Passiv verschmilzt späterhin mit dem von
Männlich‑Weiblich, der, ehe dies geschehen ist, keine psycho-
logische Bedeutung hat. Die Verlötung der Aktivität mit der
Männlichkeit, der Passivität mit der Weiblichkeit tritt uns näm-
lich als biologische Tatsache entgegen; sie ist aber keineswegs so
regelmäßig durchgreifend und ausschließlich, wie wir anzunehmen
geneigt sind.Die drei seelischen Polaritäten gehen die bedeutsamsten Ver-
knüpfungen miteinander ein. Es gibt eine psychische Ursituation,
in welcher zwei derselben zusammentreffen. Das Ich findet sich
ursprünglich, zu allem Anfang des Seelenlebens, triebbesetzt und
zum Teil fähig, seine Triebe an sich selbst zu befriedigen. Wir
heißen diesen Zustand den des Narzißmus, die Befriedigungs-
möglichkeit die autoerotische.1 Die Außenwelt ist derzeit nicht
mit Interesse (allgemein gesprochen) besetzt und für die Befrie-
digung gleichgültig. Es fällt also um diese Zeit das Ich-Subjekt
mit dem Lustvollen, die Außenwelt mit dem Gleichgültigen
(eventuell als Reizquelle Unlustvollen) zusammen. Definieren wir
zunächst das Lieben als die Relation des Ichs zu seinen Lustquellen,1)Ein Anteil der Sexualtriebe ist, wie wir wissen, dieser autoerotischen Be-
friedigung fähig, eignet sich also zum Träger der nachstehend geschilderten Ent-
wicklung unter der Herrschaft des Lustprinzips. Die Sexualtriebe, welche von vorn-
herein ein Objekt fordern, und die autoerotisch niemals zu befriedigenden Bedürf-
nisse der Ichtriebe stören natürlich diesen Zustand und bereiten die Fortschritte vor.
Ja, der narzißtische Urzustand könnte nicht jene Entwicklung nehmen, wenn nicht
jedes Einzelwesen eine Periode von Hilflosigkeit und Pflege durchmachte,
während dessen seine drängenden Bedürfnisse durch Dazutun von Außen befriedigt
und somit von der Entwicklung abgehalten würden.S.
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so erläutert die Situation, in der es nur sich selbst liebt
und gegen die Welt gleichgültig ist, die erste der Gegensatzbe-
ziehungen, in denen wir das „Lieben“ gefunden haben.Das Ich bedarf der Außenwelt nicht, insofern es autoerotisch
ist, es bekommt aber Objekte aus ihr infolge der Erlebnisse der
Icherhaltungstriebe und kann doch nicht umhin, innere Trieb-
reize als unlustvoll für eine Zeit zu verspüren. Unter der Herr-
schaft des Lustprinzips vollzieht sich nun in ihm eine weitere
Entwicklung. Es nimmt die dargebotenen Objekte, insofern sie
Lustquellen sind, in sein Ich auf, introjiziert sich dieselben (nach
dem Ausdrucke Ferenczis) und stößt anderseits von sich aus,
was ihm im eigenen Innern Unlustanlaß wird. (Siehe später den
Mechanismus der Projektion.)Es wandelt sich so aus dem anfänglichen Real‑Ich, welches
Innen und Außen nach einem guten objektiven Kennzeichen
unterschieden hat, in ein purifiziertes Lust‑Ich, welches den
Lustcharakter über jeden anderen setzt. Die Außenwelt zerfällt
ihm in einen Lustanteil, den es sich einverleibt hat, und einen
Rest, der ihm fremd ist. Aus dem eigenen Ich hat es einen Bestandteil
ausgesondert, den es in die Außenwelt wirft und als feindlich
empfindet. Nach dieser Umordnung ist die Deckung der beiden PolaritätenIch‑Subjekt – mit Lust
Außenwelt – mit Unlust (von früher her Indifferenz)
wieder hergestellt.Mit dem Eintreten des Objekts in die Stufe des primären
Narzißmus erreicht auch der zweite Gegensinn des Liebens, das
Hassen, seine Ausbildung.Das Objekt wird dem Ich, wie wir gehört haben, zuerst von
den Selbsterhaltungstrieben aus der Außenwelt gebracht, und es
ist nicht abzuweisen, daß auch der ursprüngliche Sinn des Hassens
die Relation gegen die fremde und reizzuführende Außenwelt
bedeutet. Die Indifferenz ordnet sich dem Haß, der Abneigung,S.
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als Spezialfall ein, nachdem sie zuerst als dessen Vorläufer auf-
getreten ist. Das Äußere, das Objekt, das Gehaßte wären zu
allem Anfang identisch. Erweist sich späterhin das Objekt als
Lustquelle, so wird es geliebt, aber auch dem Ich einverleibt,
so daß für das purifizierte Lust-Ich das Objekt doch wiederum
mit dem Fremden und Gehaßten zusammenfällt.Wir merken aber jetzt auch, wie das Gegensatzpaar Liebe‑
Indifferenz die Polarität Ich‑Außenwelt spiegelt, so reproduziert
der zweite Gegensatz Liebe‑Haß die mit der ersteren verknüpfte
Polarität von Lust‑Unlust. Nach der Ablösung der rein narziß-
tischen Stufe durch die Objektstufe bedeuten Lust und Unlust
Relationen des Ichs zum Objekt. Wenn das Objekt die Quelle
von Lustempfindungen wird, so stellt sich eine motorische Ten-
denz heraus, welche dasselbe dem Ich annähern, ins Ich einver-
leiben will; wir sprechen dann auch von der „Anziehung“, die
das lustspendende Objekt ausübt, und sagen, daß wir das Objekt
„lieben“. Umgekehrt, wenn das Objekt Quelle von Unlustem-
pfindungen ist, bestrebt sich eine Tendenz, die Distanz zwischen
ihm und dem Ich zu vergrößern, den ursprünglichen Fluchtver-
such vor der reizausschickenden Außenwelt an ihm zu wieder-
holen. Wir empfinden die „Abstoßung“ des Objekts und hassen
es; dieser Haß kann sich dann zur Aggressionsneigung gegen
das Objekt, zur Absicht, es zu vernichten, steigern.Man könnte zur Not von einem Trieb aussagen, daß er das
Objekt „liebt“, nach dem er zu seiner Befriedigung strebt. Daß
ein Trieb ein Objekt „haßt“, klingt uns aber befremdend, so
daß wir aufmerksam werden, die Beziehungen Liebe und Haß
seien nicht für die Relationen der Triebe zu ihren Objekten
verwendbar, sondern für die Relation des Gesamt‑Ichs zu den
Objekten reserviert. Die Beobachtung des gewiß sinnvollen Sprach-
gebrauches zeigt uns aber eine weitere Einschränkung in der
Bedeutung von Liebe und Haß. Von den Objekten, welche der
Icherhaltung dienen, sagt man nicht aus, daß man sie liebt,S.
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sondern betont, daß man ihrer bedarf, und gibt etwa einem
Zusatz von andersartiger Relation Ausdruck, indem man Worte
gebraucht, die ein sehr abgeschwächtes Lieben andeuten, wie:
gerne haben, gerne sehen, angenehm finden.Das Wort „lieben“ rückt also immer mehr in die Sphäre der
reinen Lustbeziehung des Ichs zum Objekt und fixiert sich
schließlich an die Sexualobjekte im engeren Sinne und an solche
Objekte, welche die Bedürfnisse sublimierter Sexualtriebe befriedigen.
Die Scheidung der Ichtriebe von den Sexualtrieben, welche wir
unserer Psychologie aufgedrängt haben, erweist sich so als konform
mit dem Geiste unserer Sprache. Wenn wir nicht gewohnt sind
zu sagen, der einzelne Sexualtrieb liebe sein Objekt, aber die
adäquateste Verwendung des Wortes „lieben“ in der Beziehung
des Ichs zu seinem Sexualobjekt finden, so lehrt uns diese Be-
obachtung, daß dessen Verwendbarkeit in dieser Relation erst mit
der Synthese aller Partialtriebe der Sexualität unter dem Primat
der Genitalien und im Dienste der Fortpflanzungsfunktion beginnt.Es ist bemerkenswert, daß im Gebrauche des Wortes „hassen“
keine so innige Beziehung zur Sexuallust und Sexualfunktion zum
Vorschein kommt, sondern die Unlustrelation die einzig ent-
scheidende scheint. Das Ich haßt, verabscheut, verfolgt mit Zer-
störungsabsichten alle Objekte, die ihm zur Quelle von Unlust-
empfindungen werden, gleichgültig ob sie ihm eine Versagung
sexueller Befriedigung oder der Befriedigung von Erhaltungs-
bedürfnissen bedeuten. Ja, man kann behaupten, daß die richtigen
Vorbilder für die Haßrelation nicht aus dem Sexualleben, sondern
aus dem Ringen des Ichs um seine Erhaltung und Behauptung
stammen.Liebe und Haß, die sich uns als volle materielle Gegensätze
vorstellen, stehen also doch in keiner einfachen Beziehung zueinander.
Sie sind nicht aus der Spaltung eines Urgemeinsamen hervor-
gegangen, sondern haben verschiedene Ursprünge und haben ein
jedes seine eigene Entwicklung durchgemacht, bevor sie sich unterS.
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dem Einfluß der Lust‑Unlustrelation zu Gegensätzen formiert
haben. Es erwächst uns hier die Aufgabe, zusammenzustellen, was
wir von der Genese von Liebe und Haß wissen.Die Liebe stammt von der Fähigkeit des Ichs, einen Anteil
seiner Triebregungen autoerotisch, durch die Gewinnung von
Organlust zu befriedigen. Sie ist ursprünglich narzißtisch, übergeht
dann auf die Objekte, die dem erweiterten Ich einverleibt worden
sind, und drückt das motorische Streben des Ichs nach diesen
Objekten als Lustquellen aus. Sie verknüpft sich innig mit der
Betätigung der späteren Sexualtriebe und fällt, wenn deren Synthese
vollzogen ist, mit dem Ganzen der Sexualstrebung zusammen.
Vorstufen des Liebens ergeben sich als vorläufige Sexualziele,
während die Sexualtriebe ihre komplizierte Entwicklung durch-
laufen. Als erste derselben erkennen wir das sich Einverleiben
oder Fressen, eine Art der Liebe, welche mit der Aufhebung
der Sonderexistenz des Objekts vereinbar ist, also als ambivalent
bezeichnet werden kann. Auf der höheren Stufe der prägenitalen
sadistisch-analen Organisation tritt das Streben nach dem Objekt
in der Form des Bemächtigungsdranges auf, dem die Schädigung
oder Vernichtung des Objekts gleichgültig ist. Diese Form und
Vorstufe der Liebe ist in ihrem Verhalten gegen das Objekt vom
Haß kaum zu unterscheiden. Erst mit der Herstellung der Genital-
organisation ist die Liebe zum Gegensatz vom Haß geworden.Der Haß ist als Relation zum Objekt älter als die Liebe, er
entspringt der uranfänglichen Ablehnung der reizspendenden
Außenwelt von seiten des narzißtischen Ichs. Als Äußerung der
durch Objekte hervorgerufenen Unlustreaktion bleibt er immer
in inniger Beziehung zu den Trieben der Icherhaltung, so daß
Ichtriebe und Sexualtriebe leicht in einen Gegensatz geraten
können, der den von Hassen und Lieben wiederholt. Wenn die
Ichtriebe die Sexualfunktion beherrschen wie auf der Stufe der
sadistisch-analen Organisation, so leihen sie auch dem Triebziel
die Charaktere des Hasses.S.
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Die Entstehungs- und Beziehungsgeschichte der Liebe macht
es uns verständlich, daß sie so häufig „ambivalent“, d. h. in Be-
gleitung von Haßregungen gegen das nämliche Objekt auftritt.
Der der Liebe beigemengte Haß rührt zum Teil von den nicht
völlig überwundenen Vorstufen des Liebens her, zum anderen
Teil begründet er sich durch Ablehnungsreaktionen der Ichtriebe,
die sich bei den häufigen Konflikten zwischen Ich‑ und Liebes-
interessen auf reale und aktuelle Motive berufen können. In
beiden Fällen geht also der beigemengte Haß auf die Quelle der
Icherhaltungstriebe zurück. Wenn die Liebesbeziehung zu einem
bestimmten Objekt abgebrochen wird, so tritt nicht selten Haß
an deren Stelle, woraus wir den Eindruck einer Verwandlung
der Liebe in Haß empfangen. Über diese Deskription hinaus führt
dann die Auffassung, daß dabei der real motivierte Haß durch
die Regression des Liebens auf die sadistische Vorstufe verstärkt
wird, so daß das Hassen einen erotischen Charakter erhält und
die Kontinuität einer Liebesbeziehung gewährleistet wird.Die dritte Gegensätzlichkeit des Liebens, die Verwandlung des
Liebens in ein Geliebtwerden entspricht der Einwirkung der
Polarität von Aktivität und Passivität und unterliegt derselben
Beurteilung wie die Fälle des Schautriebes und des Sadismus.
Wir dürfen zusammenfassend hervorheben, die Triebschicksale
bestehen im wesentlichen darin, daß die Triebregungen den
Einflüssen der drei großen das Seelenleben beherrschenden
Polaritäten unterzogen werden. Von diesen drei
Polaritäten könnte man die der Aktivität–Passivität als die biologische,
die von Ich–Außenwelt als die reale, endlich die von Lust–
Unlust als die ökonomische bezeichnen.Das Triebschicksal der Verdrängung wird den Gegenstand
einer anschließenden Untersuchung bilden.
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