S.
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Formulierungen über die zwei Prinzipien
des psychischen Geschehens1.Wir haben seit langem gemerkt, daß jede Neurose
die Folge, also wahrscheinlich die Tendenz, habe den Kranken aus
dem realen Leben herauszudrängen, ihn der Wirklichkeit zu
entfremden. Eine derartige Tatsache konnte auch der Beobach-
tung P. Janets nicht entgehen; er sprach von einem Verluste
„de la fonction du réel“ als von einem besonderen Charakter
der Neurotiker, ohne aber den Zusammenhang dieser Störung
mit den Grundbedingungen der Neurose aufzudecken2.Die Einführung des Verdrängungsprozesses in die Genese
der Neurose hat uns gestattet, in diesen Zusammenhang Ein-
sicht zu nehmen. Der Neurotiker wendet sich von der Wirklich-
keit ab, weil er sie – ihr Ganzes oder Stücke derselben –
unerträglich findet. Den extremsten Typus dieser Abwendung
von der Realität zeigen uns gewisse Fälle von halluzinatorischer
Psychose, in denen jenes Ereignis verleugnet werden soll, wel-
ches den Wahnsinn hervorgerufen hat (Griesinger). Eigentlich
tut aber jeder Neurotiker mit einem Stückchen der Realität
das gleiche3. Es erwächst uns nun die Aufgabe, die Beziehung1 Jahrbuch f. psychoanalyt. u. psychopath. Forschungen, Bd. III, 1911.
2 P. Janet, Les Névroses. 1909. Bibliothèque de Philosophie
scientifique.3 Eine merkwürdig klare Ahnung dieser Verursachung hat kürzlich
Otto Rank in einer Stelle Schopenhauers aufgezeigt. (Die Welt
als Wille und Vorstellung, 2. Band. Siehe Zentralblatt für Psychoanalyse,
Heft 1/2, 1910.)S.
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des Neurotikers und des Menschen überhaupt zur Realität auf
ihre Entwicklung zu untersuchen und so die psychologische Be-
deutung der realen Außenwelt in das Gefüge unserer Lehren
aufzunehmen.Wir haben uns in der auf Psychoanalyse begründeten
Psychologie gewöhnt, die unbewußten seelischen Vorgänge zum
Ausgang zu nehmen, deren Eigentümlichkeiten uns durch die
Analyse bekannt worden sind. Wir halten diese für die älteren,
primären, für Überreste aus einer Entwicklungsphase, in welcher
sie die einzige Art von seelischen Vorgängen waren. Die oberste
Tendenz, welcher diese primären Vorgänge gehorchen, ist leicht
zu erkennen; sie wird als das Lust‑Unlust‑Prinzip (oder kürzer
als das Lustprinzip) bezeichnet. Diese Vorgänge streben da-
nach, Lust zu gewinnen; von solchen Akten, welche Unlust
erregen können, zieht sich die psychische Tätigkeit zurück
(Verdrängung). Unser nächtliches Träumen, unsere Wachtendenz,
uns von peinlichen Eindrücken loszureißen, sind Reste von der
Herrschaft dieses Prinzips und Beweise für dessen Mächtigkeit.Ich greife auf Gedankengänge zurück, die ich an anderer
Stelle (im allgemeinen Abschnitt der Traumdeutung) entwickelt
habe, wenn ich supponiere, daß der psychische Ruhezustand
anfänglich durch die gebieterischen Forderungen der inneren
Bedürfnisse gestört wurde. In diesem Falle wurde das Gedachte
(Gewünschte) einfach halluzinatorisch gesetzt, wie es heute noch
allnächtlich mit unseren Traumgedanken geschieht1). Erst das
Ausbleiben der erwarteten Befriedigung, die Enttäuschung, hatte
zur Folge, daß dieser Versuch der Befriedigung auf halluzina-
torischem Wege aufgegeben wurde. Anstatt seiner mußte sich
der psychische Apparat entschließen, die realen Verhältnisse
der Außenwelt vorzustellen und die reale Veränderung anzu-
streben. Damit war ein neues Prinzip der seelischen Tätigkeit
eingeführt; es wurde nicht mehr vorgestellt, was angenehm, son-
dern was real war, auch wenn es unangenehm sein sollte2).1) Der Schlafzustand kann das Ebenbild des Seelenlebens vor der
Anerkennung der Realität wiederbringen, weil er die absichtliche Verleug-
nung derselben (Schlafwunsch) zur Voraussetzung nimmt.2) Ich will versuchen, die obige schematische Darstellung durch
einige Ausführungen zu ergänzen: Es wird mit Recht eingewendet werden,
daß eine solche Organisation, die dem Lustprinzip frönt und die Realität
der Außenwelt vernachlässigt, sich nicht die kürzeste Zeit am Leben er-
halten könnte, so daß sie überhaupt nicht hätte entstehen können. Die Ver-
wendung einer derartigen Fiktion rechtfertigt sich aber durch die Bemer-
kung, daß der Säugling, wenn man nur die Mutterpflege hinzunimmt, ein
solches psychisches System nahezu realisiert. Er halluziniert wahrscheinlich
die Erfüllung seiner inneren Bedürfnisse, verrät seine Unlust bei steigen-
dem Reiz und ausbleibender Befriedigung durch die motorische Abfuhr des
Schreiens und Zappelns und erlebt darauf die halluzinierte Befriedigung.
Er erlernt es später als Kind, diese Abfuhräußerungen absichtlich als
Ausdrucksmittel zu gebrauchen. Da die Säuglingspflege das Vorbild der
späteren Kinderfürsorge ist, kann die Herrschaft des Lustprinzips eigentlich
erst mit der vollen psychischen Ablösung von den Eltern ein Ende nehmen.
– Ein schönes Beispiel eines von den Reizen der Außenwelt abgeschlos-
senen psychischen Systems, welches selbst seine Ernährungsbedürfnisse
autistisch (nach einem Worte Bleulers) befriedigen kann, gibt das mit
seinem Nahrungsvorrat in die Eischale eingeschlossene Vogelei, für das sich
die Mutterpflege auf die Wärmezufuhr einschränkt. – Ich werde es nicht
als Korrektur, sondern nur als Erweiterung des in Rede stehenden Schemas
ansehen, wenn man für das nach dem Lustprinzip lebende System Einrich-
tungen fordert, mittels deren es sich den Reizen der Realität entziehen
kann. Diese Einrichtungen sind nur das Korrelat der „Verdrängung“, welche
innere Unlustreize so behandelt, als ob sie äußere wären, sie also zur
Außenwelt schlägt.S.
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Diese Einsetzung des Realitätsprinzips erwies sich als ein
folgenschwerer Schritt.1. Zunächst machten die neuen Anforderungen eine Reihe
von Adaptierungen des psychischen Apparates nötig, die wir
infolge von ungenügender oder unsicherer Einsicht nur ganz
beiläufig aufführen können.Die erhöhte Bedeutung der äußeren Realität hob auch
die Bedeutung der jener Außenwelt zugewendeten Sinnesorgane
und des an sie geknüpften Bewußtseins, welches außer den
bisher allein interessanten Lust‑ und Unlustqualitäten die
Sinnesqualitäten auffassen lernte. Es wurde eine besondere
Funktion eingerichtet, welche die Außenwelt periodisch abzu-
suchen hatte, damit die Daten derselben im vorhinein bekannt
wären, wenn sich ein unaufschiebbares inneres Bedürfnis ein-
stellte, die Aufmerksamkeit. Diese Tätigkeit geht den Sinnes-
eindrücken entgegen, anstatt ihr Auftreten abzuwarten. Wahr-
scheinlich wurde gleichzeitig damit ein System von MerkenS.
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eingesetzt, welches die Ergebnisse dieser periodischen Bewußt-
seinstätigkeit zu deponieren hatte, ein Teil von dem, was wir
Gedächtnis heißen.An Stelle der Verdrängung, welche einen Teil der auf-
tauchenden Vorstellungen als unlusterzeugend von der Besetzung
ausschloß, trat die unparteiische Urteilsfällung, welche ent-
scheiden sollte, ob eine bestimmte Vorstellung wahr oder falsch,
das heißt im Einklang mit der Realität sei oder nicht, und durch
Vergleichung mit den Erinnerungsspuren der Realität darüber
entschied.Die motorische Abfuhr, die während der Herrschaft des
Lustprinzips zur Entlastung des seelischen Apparates von Reiz-
zuwächsen gedient hatte und dieser Aufgabe durch ins Innere
des Körpers gesandte Innervationen (Mimik, Affektäußerungen)
nachgekommen war, erhielt jetzt eine neue Funktion, indem sie
zur zweckmäßigen Veränderung der Realität verwendet wurde.
Sie wandelte sich zum Handeln.Die notwendig gewordene Aufhaltung der motorischen
Abfuhr (des Handelns) wurde durch den Denkprozeß besorgt,
welcher sich aus dem Vorstellen herausbildete. Das Denken
wurde mit Eigenschaften ausgestattet, welche dem seelischen
Apparat das Ertragen der erhöhten Reizspannung während des
Aufschubes der Abfuhr ermöglichten. Es ist im wesentlichen ein
Probehandeln mit Verschiebung kleinerer Besetzungsquantitäten,
unter geringer Verausgabung (Abfuhr) derselben. Dazu war eine
Überführung der frei verschiebbaren Besetzungen in gebundene
erforderlich, und eine solche wurde mittels einer Niveauerhö-
hung des ganzen Besetzungsvorganges erreicht. Das Denken
war wahrscheinlich ursprünglich unbewußt, insoweit es sich
über das bloße Vorstellen erhob und sich den Relationen der
Objekteindrücke zuwendete, und erhielt weitere für das Bewußt-
sein wahrnehmbare Qualitäten erst durch die Bindung an die
Wortreste.2. Eine allgemeine Tendenz unseres seelischen Apparates,
die man auf das ökonomische Prinzip der Aufwandersparnis
zurückführen kann, scheint sich in der Zähigkeit des Festhal-
tens an den zur Verfügung stehenden Lustquellen und in der
Schwierigkeit des Verzichtes auf dieselben zu äußern. Mit derS.
275
Einsetzung des Realitätsprinzips wurde eine Art Denktätigkeit
abgespalten, die von der Realitätsprüfung frei gehalten und
allein dem Lustprinzip unterworfen blieb.1) Es ist dies das
Phantasieren, welches bereits mit dem Spielen der Kinder
beginnt und später als Tagträumen fortgesetzt die Anlehnung
an reale Objekte aufgibt.3. Die Ablösung des Lustprinzips durch das Realitäts-
prinzip mit den aus ihr hervorgehenden psychischen Folgen, die
hier in einer schematisierenden Darstellung in einen einzigen
Satz gebannt ist, vollzieht sich in Wirklichkeit nicht auf einmal
und nicht gleichzeitig auf der ganzen Linie. Während aber diese
Entwicklung an den Ichtrieben vor sich geht, lösen sich die
Sexualtriebe in sehr bedeutsamer Weise von ihnen ab. Die
Sexualtriebe benehmen sich zunächst autoerotisch, sie finden
ihre Befriedigung am eigenen Leib und gelangen daher nicht
in die Situation der Versagung, welche die Einsetzung des
Realitätsprinzips erzwungen hat. Wenn dann später bei ihnen
der Prozeß der Objektfindung beginnt, erfährt er alsbald eine
lange Unterbrechung durch die Latenzzeit, welche die Sexual-
entwicklung bis zur Pubertät verzögert. Diese beiden Momente –
Autoerotismus und Latenzperiode – haben zur Folge, daß der
Sexualtrieb in seiner psychischen Ausbildung aufgehalten wird
und weit länger unter der Herrschaft des Lustprinzips verbleibt,
welcher er sich bei vielen Personen überhaupt niemals zu ent-
ziehen vermag.Infolge dieser Verhältnisse stellt sich eine nähere Beziehung
her zwischen dem Sexualtrieb und der Phantasie einerseits, den
Ichtrieben und den Bewußtseinstätigkeiten anderseits. Diese Be-
ziehung tritt uns bei Gesunden wie Neurotikern als eine sehr
innige entgegen, wenngleich sie durch diese Erwägungen aus
der genetischen Psychologie als eine sekundäre erkannt wird.
Der fortwirkende Autoerotismus macht es möglich, daß die
leichtere momentane und phantastische Befriedigung am Sexua-
lobjekte so lange an Stelle der realen, aber Mühe und Aufschub1) Ähnlich wie eine Nation, deren Reichtum auf der Ausbeutung ihrer
Bodenschätze beruht, doch ein bestimmtes Gebiet reserviert, das im Ur-
zustande belassen und von den Veränderungen der Kultur verschont werden
soll (Yellowstonepark).S.
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erfordernden, festgehalten wird. Die Verdrängung bleibt im
Reiche des Phantasierens allmächtig; sie bringt es zustande,
Vorstellungen in statu nascendi, ehe sie dem Bewußtsein auf-
fallen können, zu hemmen, wenn deren Besetzung zur Unlust-
entbindung Anlaß geben kann. Dies ist die schwache Stelle
unserer psychischen Organisation, die dazu benutzt werden
kann, um bereits rationell gewordene Denkvorgänge wieder unter
die Herrschaft des Lustprinzips zu bringen. Ein wesentliches
Stück der psychischen Disposition zur Neurose ist demnach
durch die verspätete Erziehung des Sexualtriebs zur Beachtung
der Realität und des weiteren durch die Bedingungen, welche
diese Verspätung ermöglichen, gegeben.4. Wie das Lust‑Ich nichts anderes kann als wünschen,
nach Lustgewinn arbeiten und der Unlust ausweichen, so braucht
das Real‑Ich nichts anderes zu tun als nach Nutzen zu streben
und sich gegen Schaden zu sichern.1) In Wirklichkeit bedeutet die
Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip keine
Absetzung des Lustprinzips, sondern nur eine Sicherung des-
selben. Eine momentane, in ihren Folgen unsichere Lust wird
aufgegeben, aber nur darum, um auf dem neuen Wege eine
später kommende, gesicherte zu gewinnen. Doch ist der endo-
psychische Eindruck dieser Ersetzung ein so mächtiger gewesen,
daß er sich in einem besonderen religiösen Mythus spiegelt.
Die Lehre von der Belohnung im Jenseits für den – freiwil-
ligen oder aufgezwungenen – Verzicht auf irdische Lüste ist
nichts anderes als die mythische Projektion dieser psychischen
Umwälzung. Die Religionen haben in konsequenter Verfolgung
dieses Vorbildes den absoluten Lustverzicht im Leben gegen
Versprechen einer Entschädigung in einem künftigen Dasein
durchsetzen können; eine Überwindung des Lustprinzips haben
sie auf diesem Wege nicht erreicht. Am ehesten gelingt diese
Überwindung der Wissenschaft, die aber auch intellektuelle
Lust während der Arbeit bietet und endlichen praktischen Ge-
winn verspricht.1) Den Vorzug des Real‑Ichs vor dem Lust‑Ich drückt Bernard
Shaw treffend in den Worten aus: To be able to choose the line of grea-
test advantage instead of yielding in the direction of the least resistance.
(Man and Superman. A comedy and a philosophy.)S.
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5. Die Erziehung kann ohne weitere Bedenken als An-
regung zur Überwindung des Lustprinzips, zur Ersetzung des-
selben durch das Realitätsprinzip beschrieben werden; sie will
also jenem das Ich betreffenden Entwicklungsprozeß eine Nach-
hilfe bieten, bedient sich zu diesem Zwecke der Liebesprämien
von seiten der Erzieher, und schlägt darum fehl, wenn das ver-
wöhnte Kind glaubt, daß es diese Liebe ohnedies besitzt und
ihrer unter keinen Umständen verlustig werden kann.6. Die Kunst bringt auf einem eigentümlichen Weg eine
Versöhnung der beiden Prinzipien zustande. Der Künstler ist
ursprünglich ein Mensch, welcher sich von der Realität ab-
wendet, weil er sich mit dem von ihr zunächst geforderten Ver-
zicht auf Triebbefriedigung nicht befreunden kann, und seine
erotischen und ehrgeizigen Wünsche im Phantasieleben gewähren
läßt. Er findet aber den Rückweg aus dieser Phantasiewelt zur
Realität, indem er dank besonderer Begabungen seine Phanta-
sien zu einer neuen Art von Wirklichkeiten gestaltet, die von
den Menschen als wertvolle Abbilder der Realität zur Geltung
zugelassen werden. Er wird so auf eine gewisse Weise wirklich
der Held, König, Schöpfer, Liebling, der er werden wollte, ohne
den gewaltigen Umweg über die wirkliche Veränderung der
Außenwelt einzuschlagen. Er kann dies aber nur darum errei-
chen, weil die anderen Menschen die nämliche Unzufriedenheit
mit dem real erforderlichen Verzicht verspüren wie er selbst,
weil diese bei der Ersetzung des Lustprinzips durch das Rea-
litätsprinzip resultierende Unzufriedenheit selbst ein Stück
der Realität ist.1)7. Während das Ich die Umwandlung vom Lust‑Ich zum
Real‑Ich durchmacht, erfahren die Sexualtriebe jene Verände-
rungen, die sie vom anfänglichen Autoerotismus durch verschie-
dene Zwischenphasen zur Objektliebe im Dienste der Fort-
pflanzungsfunktion führen. Wenn es richtig ist, daß jede Stufe
dieser beiden Entwicklungsgänge zum Sitz einer Disposition für
spätere neurotische Erkrankung werden kann, liegt es nahe, die
Entscheidung über die Form der späteren Erkrankung (die
Neurosenwahl) davon abhängig zu machen, in welcher Phase1) Vgl. Ähnliches bei O. Rank, Der Künstler, Wien 1907.
S.
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der Ich‑ und der Libidoentwicklung die disponierende Ent-
wicklungshemmung eingetroffen ist. Die noch nicht studierten
zeitlichen Charaktere der beiden Entwicklungen, deren mögliche
Verschiebung gegeneinander, kommen so zu unvermuteter Be-
deutung.8. Der befremdendste Charakter der unbewußten (ver-
drängten) Vorgänge, an den sich jeder Untersucher nur mit
großer Selbstüberwindung gewöhnt, ergibt sich daraus, daß bei
ihnen die Realitätsprüfung nichts gilt, die Denkrealität gleich-
gesetzt wird der äußeren Wirklichkeit, der Wunsch der Erfüllung,
dem Ereignis, wie es sich aus der Herrschaft des alten Lust-
prinzips ohneweiters ableitet. Darum wird es auch so schwer,
unbewußte Phantasien von unbewußt gewordenen Erinnerungen
zu unterscheiden. Man lasse sich aber nie dazu verleiten, die
Realitätswertung in die verdrängten psychischen Bildungen ein-
zutragen und etwa Phantasien darum für die Symptombildung
gering zu schätzen, weil sie eben keine Wirklichkeiten sind, oder
ein neurotisches Schuldgefühl anderswoher abzuleiten, weil sich
kein wirklich ausgeführtes Verbrechen nachweisen läßt. Man hat
die Verpflichtung, sich jener Währung zu bedienen, die in dem
Lande, das man durchforscht, eben die herrschende ist, in un-
serem Falle der neurotischen Währung. Man versuche z. B.
einen Traum wie den folgenden zu lösen. Ein Mann, der einst
seinen Vater während seiner langen und qualvollen Todeskrank-
heit gepflegt, berichtet, daß er in den nächsten Monaten nach
dessen Ableben wiederholt geträumt habe: der Vater sei
wieder am Leben und er spreche mit ihm wie sonst.
Dabei habe er es aber äußerst schmerzlich empfun-
den, daß der Vater doch schon gestorben war und es
nur nicht wußte. Kein anderer Weg führt zum Verständnis
des widersinnig klingenden Traumes, als die Anfügung „nach
seinem Wunsch“ oder „infolge seines Wunsches“ nach den
Worten „daß der Vater doch schon gestorben war“ und der Zusatz,
„daß er es wünschte“ zu den letzten Worten. Der Traum-
gedanke lautet dann: Es sei eine schmerzliche Erinnerung für
ihn, daß er dem Vater den Tod (als Erlösung) wünschen mußte,
als er noch lebte, und wie schrecklich, wenn der Vater dies ge-
ahnt hätte. Es handelt sich dann um den bekannten Fall derS.
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Selbstvorwürfe nach dem Verlust einer geliebten Person, und
der Vorwurf greift in diesem Beispiel auf die infantile Bedeu-
tung des Todeswunsches gegen den Vater zurück.Die Mängel dieses kleinen, mehr vorbereitenden als aus-
führenden Aufsatzes sind vielleicht nur zum geringen Anteil
entschuldigt, wenn ich sie für unvermeidlich ausgebe. In den
wenigen Sätzen über die psychischen Folgen der Adaptierung
an das Realitätsprinzip mußte ich Meinungen andeuten, die ich
lieber noch zurückgehalten hätte und deren Rechtfertigung
gewiß keine kleine Mühe kosten wird. Doch will ich hoffen,
daß es wohlwollenden Lesern nicht entgehen wird, wo auch in
dieser Arbeit die Herrschaft des Realitätsprinzips beginnt.
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