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DIE VERDRÄNGUNG
(1915)
Es kann das Schicksal einer Triebregung werden, daß sie
auf Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen wollen.
Unter Bedingungen, deren nähere Untersuchung uns bevor-
steht, gelangt sie dann in den Zustand der Verdrängung.
Handelte es sich um die Wirkung eines äußeren Reizes, so
wäre offenbar die Flucht das geeignete Mittel. Im Falle des
Triebes kann die Flucht nichts nützen, denn das Ich kann
sich nicht selbst entfliehen. Später einmal wird in der
Urteilsverwerfung (Verurteilung) ein gutes Mittel
gegen die Triebregung gefunden werden. Eine Vorstufe der
Verurteilung, ein Mittelding zwischen Flucht und Ver-
urteilung ist die Verdrängung, deren Begriff in der Zeit
vor den psychoanalytischen Studien nicht aufgestellt werden
konnte.Die Möglichkeit einer Verdrängung ist theoretisch nicht
leicht abzuleiten. Warum sollte eine Triebregung einem
solchen Schicksal verfallen? Offenbar muß hier die Bedin-
gung erfüllt sein, daß die Erreichung des Triebzieles Unlust
an Stelle von Lust bereitet. Aber dieser Fall ist nicht gut denk-
bar. Solche Triebe gibt es nicht, eine Triebbefriedigung ist
immer lustvoll. Es müßten besondere Verhältnisse anzu-
nehmen sein, irgendein Vorgang, durch den die Befriedi-
gungslust in Unlust verwandelt wird.S.
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Wir können zur besseren Abgrenzung der Verdrängung
einige andere Triebsituationen in Erörterung ziehen. Es kann
vorkommen, daß sich ein äußerer Reiz, z. B. dadurch, daß
er ein Organ anätzt und zerstört, verinnerlicht und so eine
neue Quelle beständiger Erregung und Spannungsvermehrung
ergibt. Er erwirbt damit eine weitgehende Ähnlichkeit mit
einem Trieb. Wir wissen, daß wir diesen Fall als Schmerz
empfinden. Das Ziel dieses Pseudotriebes ist aber nur das Auf-
hören der Organveränderung und der mit ihr verbundenen
Unlust. Andere, direkte Lust kann aus dem Aufhören des
Schmerzes nicht gewonnen werden. Der Schmerz ist auch
imperativ; er unterliegt nur noch der Einwirkung einer toxi-
schen Aufhebung und der Beeinflussung durch psychische
Ablenkung.Der Fall des Schmerzes ist zu wenig durchsichtig, um etwas
für unsere Absicht zu leisten. Nehmen wir den Fall, daß ein
Triebreiz wie der Hunger unbefriedigt bleibt. Er wird dann
imperativ, ist durch nichts anderes als durch die Befriedigungs-
aktion zu beschwichtigen, unterhält eine beständige Bedürfnis-
spannung. Etwas wie eine Verdrängung scheint hier auf lange
hinaus nicht in Betracht zu kommen.Der Fall der Verdrängung ist also gewiß nicht gegeben,
wenn die Spannung infolge von Unbefriedigung einer Trieb-
regung unerträglich groß wird. Was dem Organismus an Ab-
wehrmitteln gegen diese Situation gegeben ist, muß in
anderem Zusammenhang erörtert werden.Halten wir uns lieber an die klinische Erfahrung, wie sie
uns in der psychoanalytischen Praxis entgegentritt. Dann
werden wir belehrt, daß die Befriedigung des der Verdrän-
gung unterliegenden Triebes wohl möglich und daß sie auch
jedesmal an sich lustvoll wäre, aber sie wäre mit anderen An-
sprüchen und Vorsätzen unvereinbar; sie würde also Lust an
der einen, Unlust an anderer Stelle erzeugen. Zur BedingungS.
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der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlustmotiv
eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust. Wir
werden ferner durch die psychoanalytische Erfahrung an den
Übertragungsneurosen zu dem Schluß genötigt, daß die Ver-
drängung kein ursprünglich vorhandener Abwehrmechanis-
mus ist, daß sie nicht eher entstehen kann, als bis sich eine
scharfe Sonderung von bewußter und unbewußter Seelen-
tätigkeit hergestellt hat, und daß ihr Wesen nur in der
Abweisung und Fernhaltung vom Bewußten
besteht. Diese Auffassung der Verdrängung würde durch
die Annahme ergänzt werden, daß vor solcher Stufe der
seelischen Organisation die anderen Triebschicksale wie die
Verwandlung ins Gegenteil, die Wendung gegen die eigene
Person, die Aufgabe der Abwehr von Triebregungen be-
wältigen.Wir meinen jetzt auch, Verdrängung und Unbewußtes
seien in so großem Ausmaße korrelativ, daß wir die Ver-
tiefung in das Wesen der Verdrängung aufschieben müssen,
bis wir mehr von dem Aufbau des psychischen Instanzen-
zuges und der Differenzierung von Unbewußt und Bewußt
erfahren haben. Vorher können wir nur noch einige klinisch
erkannte Charaktere der Verdrängung in rein deskriptiver
Weise zusammenstellen, auf die Gefahr hin, vieles anderwärts
Gesagte ungeändert zu wiederholen.Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzu-
nehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin besteht,
daß der psychischen (Vorstellungs‑)Repräsentanz des Triebes
die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Mit dieser ist eine
Fixierunggegeben; die betreffende Repräsentanz bleibt
von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an sie
gebunden. Dies geschieht infolge der später zu besprechenden
Eigenschaften unbewußter Vorgänge.Die zweite Stufe der Verdrängung, die eigentliche
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Verdrängung, betrifft psychische Abkömmlinge der ver-
drängten Repräsentanz oder solche Gedankenzüge, die,
anderswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr ge-
raten sind. Wegen dieser Beziehung erfahren diese Vorstel-
lungen dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte. Die eigent-
liche Verdrängung ist also ein Nachdrängen. Man tut übri-
gens unrecht, wenn man nur die Abstoßung hervorhebt, die
vom Bewußten her auf das zu Verdrängende wirkt. Es kommt
ebensosehr die Anziehung in Betracht, welche das Urver-
drängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung setzen
kann. Wahrscheinlich würde die Verdrängungstendenz ihre
Absicht nicht erreichen, wenn diese Kräfte nicht zusammen-
wirkten, wenn es nicht ein vorher Verdrängtes gäbe, welches
das vom Bewußten Abgestoßene aufzunehmen bereit wäre.Unter dem Einfluß des Studiums der Psychoneurosen,
welches uns die bedeutsamen Wirkungen der Verdrängung
vorführt, werden wir geneigt, deren psychologischen Inhalt
zu überschätzen, und vergessen zu leicht, daß die Verdrän-
gung die Triebrepräsentanz nicht daran hindert, im Unbe-
wußten fortzubestehen, sich weiter zu organisieren, Ab-
kömmlinge zu bilden und Verbindungen anzuknüpfen. Die
Verdrängung stört wirklich nur die Beziehung zu einem
psychischen System, dem des Bewußten.Die Psychoanalyse kann uns noch anderes zeigen, was für
das Verständnis der Wirkungen der Verdrängung bei den
Psychoneurosen bedeutsam ist. Z. B., daß die Triebrepräsen-
tanz sich ungestörter und reichhaltiger entwickelt, wenn sie
durch die Verdrängung dem bewußten Einfluß entzogen ist.
Sie wuchert dann sozusagen im Dunkeln und findet extreme
Ausdrucksformen, welche, wenn sie dem Neurotiker über-
setzt und vorgehalten werden, ihm nicht nur fremd er-
scheinen müssen, sondern ihn auch durch die Vorspiegelung
einer außerordentlichen und gefährlichen TriebstärkeS.
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schrecken. Diese täuschende Triebstärke ist das Ergebnis einer
ungehemmten Entfaltung in der Phantasie und der Aufstau-
ung infolge versagter Befriedigung. Daß dieser letztere Erfolg
an die Verdrängung geknüpft ist, weist darauf hin, worin
wir ihre eigentliche Bedeutung zu suchen haben.Indem wir aber noch zur Gegenansicht zurückkehren,
stellen wir fest, es sei nicht einmal richtig, daß die Verdrän-
gung alle Abkömmlinge des Urverdrängten vom Bewußten
abhalte. Wenn sich diese weit genug von der verdrängten
Repräsentanz entfernt haben, sei es durch Annahme von Ent-
stellungen oder durch die Anzahl der eingeschobenen Mittel-
glieder, so steht ihnen der Zugang zum Bewußten ohne
weiteres frei. Es ist, als ob der Widerstand des Bewußten
gegen sie eine Funktion ihrer Entfernung vom ursprünglich
Verdrängten wäre. Während der Ausübung der psychoanaly-
tischen Technik fordern wir den Patienten unausgesetzt dazu
auf, solche Abkömmlinge des Verdrängten zu produzieren,
die infolge ihrer Entfernung oder Entstellung die Zensur des
Bewußten passieren können. Nichts anderes sind ja die Ein-
fälle, die wir unter Verzicht auf alle bewußten Zielvor-
stellungen und alle Kritik von ihm verlangen und aus denen
wir eine bewußte Übersetzung der verdrängten Repräsentanz
wiederherstellen. Wir beobachten dabei, daß der Patient eine
solche Einfallsreihe fortspinnen kann, bis er in ihrem Ablauf
auf eine Gedankenbildung stößt, bei welcher die Beziehung
zum Verdrängten so intensiv durchwirkt, daß er seinen Ver-
drängungsversuch wiederholen muß. Auch die neurotischen
Symptome müssen der obigen Bedingung genügt haben, denn
sie sind Abkömmlinge des Verdrängten, welches sich mittels
dieser Bildungen den ihm versagten Zugang zum Bewußtsein
endlich erkämpft hat.Wie weit die Entstellung und Entfernung vom Verdrängten
gehen muß, bis der Widerstand des Bewußten aufgehoben ist,S.
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läßt sich allgemein nicht angeben. Es findet dabei eine feine
Abwägung statt, deren Spiel uns verdeckt ist, deren Wirkungs-
weise uns aber erraten läßt, es handle sich darum, vor einer
bestimmten Intensität der Besetzung des Unbewußten halt-
zumachen, mit deren Überschreitung es zur Befriedigung
durchdringen würde. Die Verdrängung arbeitet also höchst
individuell; jeder einzelne Abkömmling des Verdrängten
kann sein besonderes Schicksal haben; ein wenig mehr oder
weniger von Entstellung macht, daß der ganze Erfolg um-
schlägt. In demselben Zusammenhang ist auch zu begreifen,
daß die bevorzugten Objekte der Menschen, ihre Ideale, aus
denselben Wahrnehmungen und Erlebnissen stammen wie die
von ihnen am meisten verabscheuten, und sich ursprünglich
nur durch geringe Modifikationen voneinander unterscheiden.
Ja, es kann, wie wir’s bei der Entstehung des Fetisch gefun-
den haben, die ursprüngliche Triebrepräsentanz in zwei Stücke
zerlegt worden sein, von denen das eine der Verdrängung ver-
fiel, während der Rest, gerade wegen dieser innigen Ver-
knüpftheit, das Schicksal der Idealisierung erfuhr.Dasselbe, was ein Mehr oder Weniger an Entstellung leistet,
kann auch sozusagen am anderen Ende des Apparates durch
eine Modifikation in den Bedingungen der Lust‑Unlustpro-
duktion erzielt werden. Es sind besondere Techniken aus-
gebildet worden, deren Absicht dahin geht, solche Verände-
rungen des psychischen Kräftespieles herbeizuführen, daß
dasselbe, was sonst Unlust erzeugt, auch einmal lustbringend
wird, und so oft solch ein technisches Mittel in Aktion tritt,
wird die Verdrängung für eine sonst abgewiesene Triebreprä-
sentanz aufgehoben. Diese Techniken sind bisher nur für den
Witz genauer verfolgt worden. In der Regel ist die Auf-
hebung der Verdrängung nur eine vorübergehende; sie wird
alsbald wiederhergestellt.Erfahrungen dieser Art reichen aber hin, uns auf weitere
S.
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Charaktere der Verdrängung aufmerksam zu machen. Sie
ist nicht nur, wie eben ausgeführt, individuell, sondern
auch im hohen Grade mobil. Man darf sich den Verdrän-
gungsvorgang nicht wie ein einmaliges Geschehen mit Dauer-
erfolg vorstellen, etwa wie wenn man etwas Lebendes er-
schlagen hat, was von da an tot ist; sondern die Verdrängung
erfordert einen anhaltenden Kraftaufwand, mit dessen Unter-
lassung ihr Erfolg in Frage gestellt wäre, so daß ein neuer-
licher Verdrängungsakt notwendig würde. Wir dürfen uns
vorstellen, daß das Verdrängte einen kontinuierlichen Druck
in der Richtung zum Bewußten hin ausübt, dem durch un-
ausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden
muß. Die Erhaltung einer Verdrängung setzt also eine be-
ständige Kraftausgabe voraus, und ihre Aufhebung bedeutet
ökonomisch eine Ersparung. Die Mobilität der Verdrängung
findet übrigens auch einen Ausdruck in den psychischen
Charakteren des Schlafzustandes, welcher allein die Traum-
bildung ermöglicht. Mit dem Erwachen werden die einge-
zogenen Verdrängungsbesetzungen wieder ausgeschickt.Wir dürfen endlich nicht vergessen, daß wir von einer
Triebregung erst sehr wenig ausgesagt haben, wenn wir fest-
stellen, sie sei eine verdrängte. Sie kann sich unbeschadet der
Verdrängung in sehr verschiedenen Zuständen befinden, in-
aktiv sein, d. h. sehr wenig mit psychischer Energie besetzt,
oder in wechselndem Grade besetzt und damit zur Aktivität
befähigt. Ihre Aktivierung wird zwar nicht die Folge haben,
daß sie die Verdrängung direkt aufhebt, wohl aber alle die
Vorgänge anregen, welche mit dem Durchdringen zum Be-
wußtsein auf Umwegen einen Abschluß finden. Bei unver-
drängten Abkömmlingen des Unbewußten entscheidet oft
das Ausmaß der Aktivierung oder Besetzung über das Schick-
sal der einzelnen Vorstellung. Es ist ein alltägliches Vor-
kommnis, daß ein solcher Abkömmling unverdrängt bleibt,S.
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solange er eine geringe Energie repräsentiert, obwohl sein
Inhalt geeignet wäre, einen Konflikt mit dem bewußt Herr-
schenden zu ergeben. Das quantitative Moment zeigt sich
aber als entscheidend für den Konflikt; sobald die im Grunde
anstößige Vorstellung sich über ein gewisses Maß verstärkt,
wird der Konflikt aktuell und gerade die Aktivierung zieht
die Verdrängung nach sich. Zunahme der Energiebesetzung
wirkt also in Sachen der Verdrängung gleichsinnig wie An-
näherung an das Unbewußte, Abnahme derselben wie Ent-
fernung davon oder Entstellung. Wir verstehen, daß die
verdrängenden Tendenzen in der Abschwächung des Un-
liebsamen einen Ersatz für dessen Verdrängung finden können.In den bisherigen Erörterungen behandelten wir die Ver-
drängung einer Triebrepräsentanz und verstanden unter einer
solchen eine Vorstellung oder Vorstellungsgruppe, welche
vom Trieb her mit einem bestimmten Betrag von psychischer
Energie (Libido, Interesse) besetzt ist. Die klinische Beobach-
tung nötigt uns nun zu zerlegen, was wir bisher einheitlich auf-
gefaßt hatten, denn sie zeigt uns, daß etwas anderes, was den
Trieb repräsentiert, neben der Vorstellung in Betracht kommt,
und daß dieses andere ein Verdrängungsschicksal erfährt,
welches von dem der Vorstellung ganz verschieden sein kann.
Für dieses andere Element der psychischen Repräsentanz hat
sich der Name Affektbetrag eingebürgert; es entspricht
dem Triebe, insofern er sich von der Vorstellung abgelöst
hat und einen seiner Quantität gemäßen Ausdruck in Vor-
gängen findet, welche als Affekte der Empfindung bemerkbar
werden. Wir werden von nun an, wenn wir einen Fall von
Verdrängung beschreiben, gesondert verfolgen müssen, was
durch die Verdrängung aus der Vorstellung und was aus der
an ihr haftenden Triebenergie geworden ist.Gern würden wir über beiderlei Schicksale etwas allgemeines
S.
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aussagen wollen. Dies wird uns auch nach einiger
Orientierung möglich. Das allgemeine Schicksal der den
Trieb repräsentierenden Vorstellung kann nicht leicht etwas
anderes sein, als daß sie aus dem Bewußten verschwindet,
wenn sie früher bewußt war, oder vom Bewußtsein abgehalten
wird, wenn sie im Begriffe war, bewußt zu werden. Der
Unterschied ist nicht mehr bedeutsam; er kommt etwa darauf
hinaus, ob ich einen unliebsamen Gast aus meinem Salon hin-
ausbefördere oder aus meinem Vorzimmer oder ihn, nach-
dem ich ihn erkannt habe, überhaupt nicht über die Schwelle
der Wohnungstür treten lasse1. Das Schicksal des quantitativen
Faktors der Triebrepräsentanz kann ein dreifaches sein, wie
uns eine flüchtige Übersicht über die in der Psychoanalyse
gemachten Erfahrungen lehrt: Der Trieb wird entweder ganz
unterdrückt, so daß man nichts von ihm auffindet, oder er
kommt als irgendwie qualitativ gefärbter Affekt zum Vor-
schein, oder er wird in Angst verwandelt. Die beiden letzteren
Möglichkeiten stellen uns die Aufgabe, die Umsetzung
der psychischen Energien der Triebe in Affekte und
ganz besonders in Angst als neues Triebschicksal ins Auge
zu fassen.Wir erinnern uns, daß Motiv und Absicht der Verdrän-
gung nichts anderes als die Vermeidung von Unlust war. Dar-
aus folgt, daß das Schicksal des Affektbetrags der Repräsen-
tanz bei weitem wichtiger ist als das der Vorstellung, und
daß dies über die Beurteilung des Verdrängungsvorganges
entscheidet. Gelingt es einer Verdrängung nicht, die Ent-
stehung von Unlustempfindungen oder Angst zu verhüten,1)Dieses für den Verdrängungsvorgang brauchbare Gleichnis
kann auch über einen früher erwähnten Charakter der Ver-
drängung ausgedehnt werden. Ich brauche nur hinzuzufügen, daß
ich die dem Gast verbotene Tür durch einen ständigen Wächter
bewachen lassen muß, weil der Abgewiesene sie sonst aufsprengen
würde. (S. o.)S.
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so dürfen wir sagen, sie sei mißglückt, wenngleich sie ihr Ziel
an dem Vorstellungsanteil erreicht haben mag. Natürlich
wird die mißglückte Verdrängung mehr Anspruch auf unser
Interesse erheben als die etwa geglückte, die sich zumeist
unserem Studium entziehen wird.Wir wollen nun Einblick in den Mechanismus des Ver-
drängungsvorganges gewinnen und vor allem wissen, ob es
nur einen einzigen Mechanismus der Verdrängung gibt oder
mehrere, und ob vielleicht jede der Psychoneurosen durch
einen ihr eigentümlichen Mechanismus der Verdrängung aus-
gezeichnet ist. Zu Beginn dieser Untersuchung stoßen wir aber
auf Komplikationen. Der Mechanismus einer Verdrängung
wird uns nur zugänglich, wenn wir aus den Erfolgen der Ver-
drängung auf ihn zurückschließen. Beschränken wir die Beob-
achtung auf die Erfolge an dem Vorstellungsanteil der Reprä-
sentanz, so erfahren wir, daß die Verdrängung in der Regel
eine Ersatzbildung schafft. Welches ist nun der Me-
chanismus einer solchen Ersatzbildung, oder gibt es hier auch
mehrere Mechanismen zu unterscheiden? Wir wissen auch,
daß die Verdrängung Symptome hinterläßt. Dürfen wir
nun Ersatzbildung und Symptombildung zusammenfallen lassen,
und wenn dies im ganzen angeht, deckt sich der Mechanismus
der Symptombildung mit dem der Verdrängung? Die vor-
läufige Wahrscheinlichkeit scheint dafür zu sprechen, daß
beide weit auseinandergehen, daß es nicht die Verdrängung
selbst ist, welche Ersatzbildungen und Symptome schafft, son-
dern daß diese letzteren als Anzeichen einer Wiederkehr
des Verdrängten ganz anderen Vorgängen ihr Ent-
stehen verdanken. Es scheint sich auch zu empfehlen, daß
man die Mechanismen der Ersatz‑ und Symptombildung vor
denen der Verdrängung in Untersuchung ziehe.Es ist klar, daß die Spekulation hier weiter nichts zu suchen
hat, sondern durch die sorgfältige Analyse der bei den einzelnenS.
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Neurosen zu beobachtenden Erfolge der Verdrängung
abgelöst werden muß. Ich muß aber den Vorschlag machen,
auch diese Arbeit aufzuschieben, bis wir uns verläßliche Vor-
stellungen über das Verhältnis des Bewußten zum Unbewußten
gebildet haben. Nur um die vorliegende Erörterung nicht
ganz unfruchtbar ausgehen zu lassen, will ich vorwegnehmen,
daß 1. der Mechanismus der Verdrängung tatsächlich nicht
mit dem oder den Mechanismen der Ersatzbildung zusammen-
fällt, 2. daß es sehr verschiedene Mechanismen der Ersatz-
bildung gibt, und 3. daß den Mechanismen der Verdrängung
wenigstens eines gemeinsam ist, die Entziehung der
Energiebesetzung (oder Libido, wenn wir von
Sexualtrieben handeln).Ich will auch unter Einschränkung auf die drei bekann-
testen Psychoneurosen an einigen Beispielen zeigen, wie die
hier eingeführten Begriffe auf das Studium der Verdrängung
Anwendung finden. Von der Angsthysterie werde ich
das gut analysierte Beispiel einer Tierphobie wählen. Die der
Verdrängung unterliegende Triebregung ist eine libidinöse
Einstellung zum Vater, gepaart mit der Angst vor demselben.
Nach der Verdrängung ist diese Regung aus dem Bewußtsein
geschwunden, der Vater kommt als Objekt der Libido nicht
darin vor. Als Ersatz findet sich an analoger Stelle ein Tier,
das sich mehr oder weniger gut zum Angstobjekt eignet. Die
Ersatzbildung des Vorstellungsanteiles hat sich auf dem Wege
der Verschiebung längs eines in bestimmter Weise
determinierten Zusammenhanges hergestellt. Der quantitative
Anteil ist nicht verschwunden, sondern hat sich in Angst um-
gesetzt. Das Ergebnis ist eine Angst vor dem Wolf an Stelle
eines Liebesanspruches an den Vater. Natürlich reichen die
hier verwendeten Kategorien nicht aus, um den Erklärungs-
ansprüchen auch nur des einfachsten Falles von PsychoneuroseS.
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zu genügen. Es kommen immer noch andere Ge-
sichtspunkte in Betracht.Eine solche Verdrängung wie im Falle der Tierphobie darf
als eine gründlich mißglückte bezeichnet werden. Das Werk
der Verdrängung besteht nur in der Beseitigung und Er-
setzung der Vorstellung, die Unlustersparnis ist überhaupt
nicht gelungen. Deshalb ruht die Arbeit der Neurose auch
nicht, sondern setzt sich in einem zweiten Tempo fort, um
ihr nächstes, wichtigeres Ziel zu erreichen. Es kommt zur
Bildung eines Fluchtversuches, der eigentlichen Phobie,
einer Anzahl von Vermeidungen, welche die Angstentbin-
dung ausschließen sollen. Durch welchen Mechanismus die
Phobie ans Ziel gelangt, können wir in einer spezielleren
Untersuchung verstehen lernen.Zu einer ganz anderen Würdigung des Verdrängungsvor-
ganges nötigt uns das Bild der echten Konversionshysterie.
Hier ist das Hervorstechende, daß es gelingen
kann, den Affektbetrag zum völligen Verschwinden zu brin-
gen. Der Kranke zeigt dann gegen seine Symptome das Ver-
halten, welches Charcot „la belle indifférence des hystéri-
ques“ genannt hat. Andere Male gelingt diese Unterdrückung
nicht so vollständig, ein Anteil peinlicher Sensationen knüpft
sich an die Symptome selbst, oder ein Stück Angstentbindung
hat sich nicht vermeiden lassen, das seinerseits den Mechanismus
der Phobiebildung ins Werk setzt. Der Vorstellungsinhalt der
Triebrepräsentanz ist dem Bewußtsein gründlich entzogen; als
Ersatzbildung – und gleichzeitig als Symptom – findet sich
eine überstarke – in den vorbildlichen Fällen somatische –
Innervation, bald sensorischer, bald motorischer Natur, ent-
weder als Erregung oder als Hemmung. Die überinnervierte
Stelle erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Stück der
verdrängten Triebrepräsentanz selbst, welches wie durch
Verdichtung die gesamte Besetzung auf sich gezogen hat.S.
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Natürlich decken auch diese Bemerkungen den Mechanismus
einer Konversionshysterie nicht restlos auf; vor allem ist
noch das Moment der Regression hinzuzufügen, das in
anderem Zusammenhang gewürdigt werden soll.Die Verdrängung der Hysterie kann als völlig mißglückt
beurteilt werden, insofern sie nur durch ausgiebige Ersatz-
bildungen ermöglicht worden ist; mit Bezug auf die Erledigung
des Affektbetrages, die eigentliche Aufgabe der Verdrängung,
bedeutet sie aber in der Regel einen vollen Erfolg. Der Ver-
drängungsvorgang der Konversionshysterie ist dann auch mit
der Symptombildung abgeschlossen und braucht sich nicht
wie bei Angsthysterie zweizeitig – oder eigentlich unbe-
grenzt – fortzusetzen.Ein ganz anderes Ansehen zeigt die Verdrängung wieder bei
der dritten Affektion, die wir zu dieser Vergleichung heran-
ziehen, bei der Zwangsneurose. Hier gerät man zuerst
in Zweifel, was man als die der Verdrängung unterliegende
Repräsentanz anzusehen hat, eine libidinöse oder eine feind-
selige Strebung. Die Unsicherheit rührt daher, daß die Zwangs-
neurose auf der Voraussetzung einer Regression ruht, durch
welche eine sadistische Strebung an die Stelle der zärtlichen
getreten ist. Dieser feindselige Impuls gegen eine geliebte Person
ist es, welcher der Verdrängung unterliegt. Der Effekt ist in
einer ersten Phase der Verdrängungsarbeit ein ganz anderer als
später. Zunächst hat diese vollen Erfolg, der Vorstellungsinhalt
wird abgewiesen und der Affekt zum Verschwinden gebracht
Als Ersatzbildung findet sich eine Ichveränderung, die Steige-
rung der Gewissenhaftigkeit, die man nicht gut ein Symptom
heißen kann. Ersatz‑ und Symptombildung fallen hier ausein-
ander. Hier erfährt man auch etwas über den Mechanismus der
Verdrängung. Diese hat wie überall eine Libidoentziehung zu-
stande gebracht, aber sich zu diesem Zwecke der Reaktionsbildung
durch Verstärkung eines Gegensatzes bedient.S.
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Die Ersatzbildung hat also hier denselben Mechanis-
mus wie die Verdrängung und fällt im Grunde mit ihr
zusammen, sie trennt sich aber zeitlich, wie begrifflich von
der Symptombildung. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das
Ambivalenzverhältnis, in welches der zu verdrängende sadi-
stische Impuls eingetragen ist, den ganzen Vorgang ermög-
licht.Die anfänglich gute Verdrängung hält aber nicht Stand,
im weiteren Verlaufe drängt sich das Mißglücken der Verdrän-
gung immer mehr vor. Die Ambivalenz, welche die Verdrän-
gung durch Reaktionsbildung gestattet hat, ist auch die Stelle,
an welcher dem Verdrängten die Wiederkehr gelingt. Der ver-
schwundene Affekt kommt in der Verwandlung zur sozialen
Angst, Gewissensangst, Vorwurf ohne Ersparnis wieder; die ab-
gewiesene Vorstellung ersetzt sich durch Verschiebungsersatz,
oft durch Verschiebung auf Kleinstes, Indifferentes.
Eine Tendenz zur intakten Herstellung der verdrängten Vor-
stellung ist meist unverkennbar. Das Mißglücken in der
Verdrängung des quantitativen, affektiven Faktors bringt
denselben Mechanismus der Flucht durch Vermeidungen und
Verbote ins Spiel, den wir bei der Bildung der hysterischen
Phobie kennengelernt haben. Die Abweisung der Vorstellung
vom Bewußten wird aber hartnäckig festgehalten, weil mit
ihr die Abhaltung von der Aktion, die motorische Fesselung
des Impulses, gegeben ist. So läuft die Verdrängungsarbeit
der Zwangsneurose in ein erfolgloses und unabschließbares
Ringen aus.Aus der kleinen, hier vorgebrachten Vergleichsreihe kann
man sich die Überzeugung holen, daß es noch umfassender
Untersuchungen bedarf, ehe man hoffen kann, die mit der Ver-
drängung und neurotischen Symptombildung zusammenhän-
genden Vorgänge zu durchschauen. Die außerordentliche Ver-
schlungenheit aller in Betracht kommenden Momente läßt unsS.
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nur einen Weg zur Darstellung frei. Wir müssen bald den
einen, bald den anderen Gesichtspunkt herausgreifen und ihn
durch das Material hindurchverfolgen, solange seine Anwen-
dung etwas zu leisten scheint. Jede einzelne dieser Bearbei-
tungen wird an sich unvollständig sein und dort Unklarheiten
nicht vermiden können, wo sie an das noch nicht Bearbeitete
anrührt; wir dürfen aber hoffen, daß sich aus der endlichen
Zusammensetzung ein gutes Verständnis ergeben wird.
Freud_1931_Theoretische_Schriften_k
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