Die Verdrängung 1915-004/1931
1915-004/1931 Die Verdrängung
Zurück zum Werk
  • S.

    83

    DIE VERDRÄNGUNG

    (1915)

    Es kann das Schicksal einer Triebregung werden, daß sie 
    auf Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen wollen. 
    Unter Bedingungen, deren nähere Untersuchung uns bevor-
    steht, gelangt sie dann in den Zustand der Verdrängung
    Handelte es sich um die Wirkung eines äußeren Reizes, so 
    wäre offenbar die Flucht das geeignete Mittel. Im Falle des 
    Triebes kann die Flucht nichts nützen, denn das Ich kann 
    sich nicht selbst entfliehen. Später einmal wird in der 
    Urteilsverwerfung (Verurteilung) ein gutes Mittel 
    gegen die Triebregung gefunden werden. Eine Vorstufe der 
    Verurteilung, ein Mittelding zwischen Flucht und Ver-
    urteilung ist die Verdrängung, deren Begriff in der Zeit 
    vor den psychoanalytischen Studien nicht aufgestellt werden 
    konnte.

    Die Möglichkeit einer Verdrängung ist theoretisch nicht 
    leicht abzuleiten. Warum sollte eine Triebregung einem 
    solchen Schicksal verfallen? Offenbar muß hier die Bedin-
    gung erfüllt sein, daß die Erreichung des Triebzieles Unlust 
    an Stelle von Lust bereitet. Aber dieser Fall ist nicht gut denk-
    bar. Solche Triebe gibt es nicht, eine Triebbefriedigung ist 
    immer lustvoll. Es müßten besondere Verhältnisse anzu-
    nehmen sein, irgendein Vorgang, durch den die Befriedi-
    gungslust in Unlust verwandelt wird.

  • S.

    84

    Wir können zur besseren Abgrenzung der Verdrängung 
    einige andere Triebsituationen in Erörterung ziehen. Es kann 
    vorkommen, daß sich ein äußerer Reiz, z. B. dadurch, daß 
    er ein Organ anätzt und zerstört, verinnerlicht und so eine 
    neue Quelle beständiger Erregung und Spannungsvermehrung 
    ergibt. Er erwirbt damit eine weitgehende Ähnlichkeit mit 
    einem Trieb. Wir wissen, daß wir diesen Fall als Schmerz 
    empfinden. Das Ziel dieses Pseudotriebes ist aber nur das Auf-
    hören der Organveränderung und der mit ihr verbundenen 
    Unlust. Andere, direkte Lust kann aus dem Aufhören des 
    Schmerzes nicht gewonnen werden. Der Schmerz ist auch 
    imperativ; er unterliegt nur noch der Einwirkung einer toxi-
    schen Aufhebung und der Beeinflussung durch psychische 
    Ablenkung.

    Der Fall des Schmerzes ist zu wenig durchsichtig, um etwas 
    für unsere Absicht zu leisten. Nehmen wir den Fall, daß ein 
    Triebreiz wie der Hunger unbefriedigt bleibt. Er wird dann 
    imperativ, ist durch nichts anderes als durch die Befriedigungs-
    aktion zu beschwichtigen, unterhält eine beständige Bedürfnis-
    spannung. Etwas wie eine Verdrängung scheint hier auf lange 
    hinaus nicht in Betracht zu kommen.

    Der Fall der Verdrängung ist also gewiß nicht gegeben, 
    wenn die Spannung infolge von Unbefriedigung einer Trieb-
    regung unerträglich groß wird. Was dem Organismus an Ab-
    wehrmitteln gegen diese Situation gegeben ist, muß in 
    anderem Zusammenhang erörtert werden.

    Halten wir uns lieber an die klinische Erfahrung, wie sie 
    uns in der psychoanalytischen Praxis entgegentritt. Dann 
    werden wir belehrt, daß die Befriedigung des der Verdrän-
    gung unterliegenden Triebes wohl möglich und daß sie auch 
    jedesmal an sich lustvoll wäre, aber sie wäre mit anderen An-
    sprüchen und Vorsätzen unvereinbar; sie würde also Lust an 
    der einen, Unlust an anderer Stelle erzeugen. Zur Bedingung

  • S.

    85

    der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlustmotiv 
    eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust. Wir 
    werden ferner durch die psychoanalytische Erfahrung an den 
    Übertragungsneurosen zu dem Schluß genötigt, daß die Ver-
    drängung kein ursprünglich vorhandener Abwehrmechanis-
    mus ist, daß sie nicht eher entstehen kann, als bis sich eine 
    scharfe Sonderung von bewußter und unbewußter Seelen-
    tätigkeit hergestellt hat, und daß ihr Wesen nur in der 
    Abweisung und Fernhaltung vom Bewußten 
    besteht. Diese Auffassung der Verdrängung würde durch 
    die Annahme ergänzt werden, daß vor solcher Stufe der 
    seelischen Organisation die anderen Triebschicksale wie die 
    Verwandlung ins Gegenteil, die Wendung gegen die eigene 
    Person, die Aufgabe der Abwehr von Triebregungen be-
    wältigen.

    Wir meinen jetzt auch, Verdrängung und Unbewußtes 
    seien in so großem Ausmaße korrelativ, daß wir die Ver-
    tiefung in das Wesen der Verdrängung aufschieben müssen, 
    bis wir mehr von dem Aufbau des psychischen Instanzen-
    zuges und der Differenzierung von Unbewußt und Bewußt 
    erfahren haben. Vorher können wir nur noch einige klinisch 
    erkannte Charaktere der Verdrängung in rein deskriptiver 
    Weise zusammenstellen, auf die Gefahr hin, vieles anderwärts 
    Gesagte ungeändert zu wiederholen.

    Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzu-
    nehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin besteht, 
    daß der psychischen (Vorstellungs‑)Repräsentanz des Triebes 
    die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Mit dieser ist eine 
    Fixierunggegeben; die betreffende Repräsentanz bleibt 
    von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an sie 
    gebunden. Dies geschieht infolge der später zu besprechenden
     Eigenschaften unbewußter Vorgänge.

    Die zweite Stufe der Verdrängung, die eigentliche

  • S.

    86

    Verdrängung, betrifft psychische Abkömmlinge der ver-
    drängten Repräsentanz oder solche Gedankenzüge, die, 
    anderswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr ge-
    raten sind. Wegen dieser Beziehung erfahren diese Vorstel-
    lungen dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte. Die eigent-
    liche Verdrängung ist also ein Nachdrängen. Man tut übri-
    gens unrecht, wenn man nur die Abstoßung hervorhebt, die 
    vom Bewußten her auf das zu Verdrängende wirkt. Es kommt 
    ebensosehr die Anziehung in Betracht, welche das Urver-
    drängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung setzen 
    kann. Wahrscheinlich würde die Verdrängungstendenz ihre 
    Absicht nicht erreichen, wenn diese Kräfte nicht zusammen-
    wirkten, wenn es nicht ein vorher Verdrängtes gäbe, welches 
    das vom Bewußten Abgestoßene aufzunehmen bereit wäre. 

    Unter dem Einfluß des Studiums der Psychoneurosen, 
    welches uns die bedeutsamen Wirkungen der Verdrängung 
    vorführt, werden wir geneigt, deren psychologischen Inhalt 
    zu überschätzen, und vergessen zu leicht, daß die Verdrän-
    gung die Triebrepräsentanz nicht daran hindert, im Unbe-
    wußten fortzubestehen, sich weiter zu organisieren, Ab-
    kömmlinge zu bilden und Verbindungen anzuknüpfen. Die 
    Verdrängung stört wirklich nur die Beziehung zu einem 
    psychischen System, dem des Bewußten.

    Die Psychoanalyse kann uns noch anderes zeigen, was für 
    das Verständnis der Wirkungen der Verdrängung bei den 
    Psychoneurosen bedeutsam ist. Z. B., daß die Triebrepräsen-
    tanz sich ungestörter und reichhaltiger entwickelt, wenn sie 
    durch die Verdrängung dem bewußten Einfluß entzogen ist. 
    Sie wuchert dann sozusagen im Dunkeln und findet extreme 
    Ausdrucksformen, welche, wenn sie dem Neurotiker über-
    setzt und vorgehalten werden, ihm nicht nur fremd er-
    scheinen müssen, sondern ihn auch durch die Vorspiegelung 
    einer außerordentlichen und gefährlichen Triebstärke 

  • S.

    87

    schrecken. Diese täuschende Triebstärke ist das Ergebnis einer 
    ungehemmten Entfaltung in der Phantasie und der Aufstau-
    ung infolge versagter Befriedigung. Daß dieser letztere Erfolg 
    an die Verdrängung geknüpft ist, weist darauf hin, worin 
    wir ihre eigentliche Bedeutung zu suchen haben.

    Indem wir aber noch zur Gegenansicht zurückkehren, 
    stellen wir fest, es sei nicht einmal richtig, daß die Verdrän-
    gung alle Abkömmlinge des Urverdrängten vom Bewußten 
    abhalte. Wenn sich diese weit genug von der verdrängten 
    Repräsentanz entfernt haben, sei es durch Annahme von Ent-
    stellungen oder durch die Anzahl der eingeschobenen Mittel-
    glieder, so steht ihnen der Zugang zum Bewußten ohne 
    weiteres frei. Es ist, als ob der Widerstand des Bewußten 
    gegen sie eine Funktion ihrer Entfernung vom ursprünglich 
    Verdrängten wäre. Während der Ausübung der psychoanaly-
    tischen Technik fordern wir den Patienten unausgesetzt dazu 
    auf, solche Abkömmlinge des Verdrängten zu produzieren, 
    die infolge ihrer Entfernung oder Entstellung die Zensur des 
    Bewußten passieren können. Nichts anderes sind ja die Ein-
    fälle, die wir unter Verzicht auf alle bewußten Zielvor-
    stellungen und alle Kritik von ihm verlangen und aus denen 
    wir eine bewußte Übersetzung der verdrängten Repräsentanz 
    wiederherstellen. Wir beobachten dabei, daß der Patient eine 
    solche Einfallsreihe fortspinnen kann, bis er in ihrem Ablauf 
    auf eine Gedankenbildung stößt, bei welcher die Beziehung 
    zum Verdrängten so intensiv durchwirkt, daß er seinen Ver-
    drängungsversuch wiederholen muß. Auch die neurotischen 
    Symptome müssen der obigen Bedingung genügt haben, denn 
    sie sind Abkömmlinge des Verdrängten, welches sich mittels 
    dieser Bildungen den ihm versagten Zugang zum Bewußtsein 
    endlich erkämpft hat.

    Wie weit die Entstellung und Entfernung vom Verdrängten 
    gehen muß, bis der Widerstand des Bewußten aufgehoben ist,

  • S.

    88

    läßt sich allgemein nicht angeben. Es findet dabei eine feine 
    Abwägung statt, deren Spiel uns verdeckt ist, deren Wirkungs-
    weise uns aber erraten läßt, es handle sich darum, vor einer 
    bestimmten Intensität der Besetzung des Unbewußten halt-
    zumachen, mit deren Überschreitung es zur Befriedigung 
    durchdringen würde. Die Verdrängung arbeitet also höchst 
    individuell; jeder einzelne Abkömmling des Verdrängten 
    kann sein besonderes Schicksal haben; ein wenig mehr oder 
    weniger von Entstellung macht, daß der ganze Erfolg um-
    schlägt. In demselben Zusammenhang ist auch zu begreifen, 
    daß die bevorzugten Objekte der Menschen, ihre Ideale, aus 
    denselben Wahrnehmungen und Erlebnissen stammen wie die 
    von ihnen am meisten verabscheuten, und sich ursprünglich 
    nur durch geringe Modifikationen voneinander unterscheiden. 
    Ja, es kann, wie wir’s bei der Entstehung des Fetisch gefun-
    den haben, die ursprüngliche Triebrepräsentanz in zwei Stücke 
    zerlegt worden sein, von denen das eine der Verdrängung ver-
    fiel, während der Rest, gerade wegen dieser innigen Ver-
    knüpftheit, das Schicksal der Idealisierung erfuhr.

    Dasselbe, was ein Mehr oder Weniger an Entstellung leistet, 
    kann auch sozusagen am anderen Ende des Apparates durch 
    eine Modifikation in den Bedingungen der Lust‑Unlustpro-
    duktion erzielt werden. Es sind besondere Techniken aus-
    gebildet worden, deren Absicht dahin geht, solche Verände-
    rungen des psychischen Kräftespieles herbeizuführen, daß 
    dasselbe, was sonst Unlust erzeugt, auch einmal lustbringend 
    wird, und so oft solch ein technisches Mittel in Aktion tritt, 
    wird die Verdrängung für eine sonst abgewiesene Triebreprä-
    sentanz aufgehoben. Diese Techniken sind bisher nur für den 
    Witz genauer verfolgt worden. In der Regel ist die Auf-
    hebung der Verdrängung nur eine vorübergehende; sie wird 
    alsbald wiederhergestellt.

    Erfahrungen dieser Art reichen aber hin, uns auf weitere

  • S.

    89

    Charaktere der Verdrängung aufmerksam zu machen. Sie 
    ist nicht nur, wie eben ausgeführt, individuell, sondern 
    auch im hohen Grade mobil. Man darf sich den Verdrän-
    gungsvorgang nicht wie ein einmaliges Geschehen mit Dauer-
    erfolg vorstellen, etwa wie wenn man etwas Lebendes er-
    schlagen hat, was von da an tot ist; sondern die Verdrängung 
    erfordert einen anhaltenden Kraftaufwand, mit dessen Unter-
    lassung ihr Erfolg in Frage gestellt wäre, so daß ein neuer-
    licher Verdrängungsakt notwendig würde. Wir dürfen uns 
    vorstellen, daß das Verdrängte einen kontinuierlichen Druck 
    in der Richtung zum Bewußten hin ausübt, dem durch un-
    ausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden 
    muß. Die Erhaltung einer Verdrängung setzt also eine be-
    ständige Kraftausgabe voraus, und ihre Aufhebung bedeutet 
    ökonomisch eine Ersparung. Die Mobilität der Verdrängung 
    findet übrigens auch einen Ausdruck in den psychischen 
    Charakteren des Schlafzustandes, welcher allein die Traum-
    bildung ermöglicht. Mit dem Erwachen werden die einge-
    zogenen Verdrängungsbesetzungen wieder ausgeschickt.

    Wir dürfen endlich nicht vergessen, daß wir von einer 
    Triebregung erst sehr wenig ausgesagt haben, wenn wir fest-
    stellen, sie sei eine verdrängte. Sie kann sich unbeschadet der 
    Verdrängung in sehr verschiedenen Zuständen befinden, in-
    aktiv sein, d. h. sehr wenig mit psychischer Energie besetzt, 
    oder in wechselndem Grade besetzt und damit zur Aktivität 
    befähigt. Ihre Aktivierung wird zwar nicht die Folge haben, 
    daß sie die Verdrängung direkt aufhebt, wohl aber alle die 
    Vorgänge anregen, welche mit dem Durchdringen zum Be-
    wußtsein auf Umwegen einen Abschluß finden. Bei unver-
    drängten Abkömmlingen des Unbewußten entscheidet oft 
    das Ausmaß der Aktivierung oder Besetzung über das Schick-
    sal der einzelnen Vorstellung. Es ist ein alltägliches Vor-
    kommnis, daß ein solcher Abkömmling unverdrängt bleibt, 

  • S.

    90

    solange er eine geringe Energie repräsentiert, obwohl sein 
    Inhalt geeignet wäre, einen Konflikt mit dem bewußt Herr-
    schenden zu ergeben. Das quantitative Moment zeigt sich 
    aber als entscheidend für den Konflikt; sobald die im Grunde 
    anstößige Vorstellung sich über ein gewisses Maß verstärkt, 
    wird der Konflikt aktuell und gerade die Aktivierung zieht 
    die Verdrängung nach sich. Zunahme der Energiebesetzung 
    wirkt also in Sachen der Verdrängung gleichsinnig wie An-
    näherung an das Unbewußte, Abnahme derselben wie Ent-
    fernung davon oder Entstellung. Wir verstehen, daß die 
    verdrängenden Tendenzen in der Abschwächung des Un-
    liebsamen einen Ersatz für dessen Verdrängung finden können.

    In den bisherigen Erörterungen behandelten wir die Ver-
    drängung einer Triebrepräsentanz und verstanden unter einer 
    solchen eine Vorstellung oder Vorstellungsgruppe, welche 
    vom Trieb her mit einem bestimmten Betrag von psychischer 
    Energie (Libido, Interesse) besetzt ist. Die klinische Beobach-
    tung nötigt uns nun zu zerlegen, was wir bisher einheitlich auf-
    gefaßt hatten, denn sie zeigt uns, daß etwas anderes, was den 
    Trieb repräsentiert, neben der Vorstellung in Betracht kommt, 
    und daß dieses andere ein Verdrängungsschicksal erfährt, 
    welches von dem der Vorstellung ganz verschieden sein kann. 
    Für dieses andere Element der psychischen Repräsentanz hat 
    sich der Name Affektbetrag eingebürgert; es entspricht 
    dem Triebe, insofern er sich von der Vorstellung abgelöst 
    hat und einen seiner Quantität gemäßen Ausdruck in Vor-
    gängen findet, welche als Affekte der Empfindung bemerkbar 
    werden. Wir werden von nun an, wenn wir einen Fall von 
    Verdrängung beschreiben, gesondert verfolgen müssen, was 
    durch die Verdrängung aus der Vorstellung und was aus der 
    an ihr haftenden Triebenergie geworden ist.

    Gern würden wir über beiderlei Schicksale etwas allgemeines

  • S.

    91

    aussagen wollen. Dies wird uns auch nach einiger 
    Orientierung möglich. Das allgemeine Schicksal der den 
    Trieb repräsentierenden Vorstellung kann nicht leicht etwas 
    anderes sein, als daß sie aus dem Bewußten verschwindet, 
    wenn sie früher bewußt war, oder vom Bewußtsein abgehalten 
    wird, wenn sie im Begriffe war, bewußt zu werden. Der 
    Unterschied ist nicht mehr bedeutsam; er kommt etwa darauf 
    hinaus, ob ich einen unliebsamen Gast aus meinem Salon hin-
    ausbefördere oder aus meinem Vorzimmer oder ihn, nach-
    dem ich ihn erkannt habe, überhaupt nicht über die Schwelle 
    der Wohnungstür treten lasse1. Das Schicksal des quantitativen 
    Faktors der Triebrepräsentanz kann ein dreifaches sein, wie 
    uns eine flüchtige Übersicht über die in der Psychoanalyse 
    gemachten Erfahrungen lehrt: Der Trieb wird entweder ganz 
    unterdrückt, so daß man nichts von ihm auffindet, oder er 
    kommt als irgendwie qualitativ gefärbter Affekt zum Vor-
    schein, oder er wird in Angst verwandelt. Die beiden letzteren 
    Möglichkeiten stellen uns die Aufgabe, die Umsetzung 
    der psychischen Energien der Triebe in Affekte und 
    ganz besonders in Angst als neues Triebschicksal ins Auge 
    zu fassen.

    Wir erinnern uns, daß Motiv und Absicht der Verdrän-
    gung nichts anderes als die Vermeidung von Unlust war. Dar-
    aus folgt, daß das Schicksal des Affektbetrags der Repräsen-
    tanz bei weitem wichtiger ist als das der Vorstellung, und 
    daß dies über die Beurteilung des Verdrängungsvorganges 
    entscheidet. Gelingt es einer Verdrängung nicht, die Ent-
    stehung von Unlustempfindungen oder Angst zu verhüten,

    1)Dieses für den Verdrängungsvorgang brauchbare Gleichnis 
    kann auch über einen früher erwähnten Charakter der Ver-
    drängung ausgedehnt werden. Ich brauche nur hinzuzufügen, daß 
    ich die dem Gast verbotene Tür durch einen ständigen Wächter 
    bewachen lassen muß, weil der Abgewiesene sie sonst aufsprengen 
    würde. (S. o.)

  • S.

    92

    so dürfen wir sagen, sie sei mißglückt, wenngleich sie ihr Ziel 
    an dem Vorstellungsanteil erreicht haben mag. Natürlich 
    wird die mißglückte Verdrängung mehr Anspruch auf unser 
    Interesse erheben als die etwa geglückte, die sich zumeist 
    unserem Studium entziehen wird.

    Wir wollen nun Einblick in den Mechanismus des Ver-
    drängungsvorganges gewinnen und vor allem wissen, ob es 
    nur einen einzigen Mechanismus der Verdrängung gibt oder 
    mehrere, und ob vielleicht jede der Psychoneurosen durch 
    einen ihr eigentümlichen Mechanismus der Verdrängung aus-
    gezeichnet ist. Zu Beginn dieser Untersuchung stoßen wir aber 
    auf Komplikationen. Der Mechanismus einer Verdrängung 
    wird uns nur zugänglich, wenn wir aus den Erfolgen der Ver-
    drängung auf ihn zurückschließen. Beschränken wir die Beob-
    achtung auf die Erfolge an dem Vorstellungsanteil der Reprä-
    sentanz, so erfahren wir, daß die Verdrängung in der Regel 
    eine Ersatzbildung schafft. Welches ist nun der Me-
    chanismus einer solchen Ersatzbildung, oder gibt es hier auch 
    mehrere Mechanismen zu unterscheiden? Wir wissen auch, 
    daß die Verdrängung Symptome hinterläßt. Dürfen wir 
    nun Ersatzbildung und Symptombildung zusammenfallen lassen, 
    und wenn dies im ganzen angeht, deckt sich der Mechanismus 
    der Symptombildung mit dem der Verdrängung? Die vor-
    läufige Wahrscheinlichkeit scheint dafür zu sprechen, daß 
    beide weit auseinandergehen, daß es nicht die Verdrängung 
    selbst ist, welche Ersatzbildungen und Symptome schafft, son-
    dern daß diese letzteren als Anzeichen einer Wiederkehr 
    des Verdrängten ganz anderen Vorgängen ihr Ent-
    stehen verdanken. Es scheint sich auch zu empfehlen, daß 
    man die Mechanismen der Ersatz‑ und Symptombildung vor 
    denen der Verdrängung in Untersuchung ziehe.

    Es ist klar, daß die Spekulation hier weiter nichts zu suchen 
    hat, sondern durch die sorgfältige Analyse der bei den einzelnen

  • S.

    93

    Neurosen zu beobachtenden Erfolge der Verdrängung 
    abgelöst werden muß. Ich muß aber den Vorschlag machen, 
    auch diese Arbeit aufzuschieben, bis wir uns verläßliche Vor-
    stellungen über das Verhältnis des Bewußten zum Unbewußten 
    gebildet haben. Nur um die vorliegende Erörterung nicht 
    ganz unfruchtbar ausgehen zu lassen, will ich vorwegnehmen, 
    daß 1. der Mechanismus der Verdrängung tatsächlich nicht 
    mit dem oder den Mechanismen der Ersatzbildung zusammen-
    fällt, 2. daß es sehr verschiedene Mechanismen der Ersatz-
    bildung gibt, und 3. daß den Mechanismen der Verdrängung 
    wenigstens eines gemeinsam ist, die Entziehung der 
    Energiebesetzung (oder Libido, wenn wir von 
    Sexualtrieben handeln).

    Ich will auch unter Einschränkung auf die drei bekann-
    testen Psychoneurosen an einigen Beispielen zeigen, wie die 
    hier eingeführten Begriffe auf das Studium der Verdrängung 
    Anwendung finden. Von der Angsthysterie werde ich 
    das gut analysierte Beispiel einer Tierphobie wählen. Die der 
    Verdrängung unterliegende Triebregung ist eine libidinöse 
    Einstellung zum Vater, gepaart mit der Angst vor demselben. 
    Nach der Verdrängung ist diese Regung aus dem Bewußtsein 
    geschwunden, der Vater kommt als Objekt der Libido nicht 
    darin vor. Als Ersatz findet sich an analoger Stelle ein Tier, 
    das sich mehr oder weniger gut zum Angstobjekt eignet. Die 
    Ersatzbildung des Vorstellungsanteiles hat sich auf dem Wege 
    der Verschiebung längs eines in bestimmter Weise 
    determinierten Zusammenhanges hergestellt. Der quantitative 
    Anteil ist nicht verschwunden, sondern hat sich in Angst um-
    gesetzt. Das Ergebnis ist eine Angst vor dem Wolf an Stelle 
    eines Liebesanspruches an den Vater. Natürlich reichen die 
    hier verwendeten Kategorien nicht aus, um den Erklärungs-
    ansprüchen auch nur des einfachsten Falles von Psychoneurose 

  • S.

    94

    zu genügen. Es kommen immer noch andere Ge-
    sichtspunkte in Betracht.

    Eine solche Verdrängung wie im Falle der Tierphobie darf 
    als eine gründlich mißglückte bezeichnet werden. Das Werk 
    der Verdrängung besteht nur in der Beseitigung und Er-
    setzung der Vorstellung, die Unlustersparnis ist überhaupt 
    nicht gelungen. Deshalb ruht die Arbeit der Neurose auch 
    nicht, sondern setzt sich in einem zweiten Tempo fort, um 
    ihr nächstes, wichtigeres Ziel zu erreichen. Es kommt zur 
    Bildung eines Fluchtversuches, der eigentlichen Phobie
    einer Anzahl von Vermeidungen, welche die Angstentbin-
    dung ausschließen sollen. Durch welchen Mechanismus die 
    Phobie ans Ziel gelangt, können wir in einer spezielleren 
    Untersuchung verstehen lernen.

    Zu einer ganz anderen Würdigung des Verdrängungsvor-
    ganges nötigt uns das Bild der echten Konversionshysterie
    Hier ist das Hervorstechende, daß es gelingen 
    kann, den Affektbetrag zum völligen Verschwinden zu brin-
    gen. Der Kranke zeigt dann gegen seine Symptome das Ver-
    halten, welches Charcotla belle indifférence des hystéri-
    ques“ genannt hat. Andere Male gelingt diese Unterdrückung 
    nicht so vollständig, ein Anteil peinlicher Sensationen knüpft 
    sich an die Symptome selbst, oder ein Stück Angstentbindung 
    hat sich nicht vermeiden lassen, das seinerseits den Mechanismus 
    der Phobiebildung ins Werk setzt. Der Vorstellungsinhalt der 
    Triebrepräsentanz ist dem Bewußtsein gründlich entzogen; als 
    Ersatzbildung – und gleichzeitig als Symptom – findet sich 
    eine überstarke – in den vorbildlichen Fällen somatische – 
    Innervation, bald sensorischer, bald motorischer Natur, ent-
    weder als Erregung oder als Hemmung. Die überinnervierte 
    Stelle erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Stück der 
    verdrängten Triebrepräsentanz selbst, welches wie durch 
    Verdichtung die gesamte Besetzung auf sich gezogen hat. 

  • S.

    95

    Natürlich decken auch diese Bemerkungen den Mechanismus 
    einer Konversionshysterie nicht restlos auf; vor allem ist 
    noch das Moment der Regression hinzuzufügen, das in 
    anderem Zusammenhang gewürdigt werden soll.

    Die Verdrängung der Hysterie kann als völlig mißglückt 
    beurteilt werden, insofern sie nur durch ausgiebige Ersatz-
    bildungen ermöglicht worden ist; mit Bezug auf die Erledigung 
    des Affektbetrages, die eigentliche Aufgabe der Verdrängung, 
    bedeutet sie aber in der Regel einen vollen Erfolg. Der Ver-
    drängungsvorgang der Konversionshysterie ist dann auch mit 
    der Symptombildung abgeschlossen und braucht sich nicht 
    wie bei Angsthysterie zweizeitig – oder eigentlich unbe-
    grenzt – fortzusetzen.

    Ein ganz anderes Ansehen zeigt die Verdrängung wieder bei 
    der dritten Affektion, die wir zu dieser Vergleichung heran-
    ziehen, bei der Zwangsneurose. Hier gerät man zuerst 
    in Zweifel, was man als die der Verdrängung unterliegende 
    Repräsentanz anzusehen hat, eine libidinöse oder eine feind-
    selige Strebung. Die Unsicherheit rührt daher, daß die Zwangs-
    neurose auf der Voraussetzung einer Regression ruht, durch 
    welche eine sadistische Strebung an die Stelle der zärtlichen 
    getreten ist. Dieser feindselige Impuls gegen eine geliebte Person 
    ist es, welcher der Verdrängung unterliegt. Der Effekt ist in 
    einer ersten Phase der Verdrängungsarbeit ein ganz anderer als 
    später. Zunächst hat diese vollen Erfolg, der Vorstellungsinhalt 
    wird abgewiesen und der Affekt zum Verschwinden gebrach
    Als Ersatzbildung findet sich eine Ichveränderung, die Steige-
    rung der Gewissenhaftigkeit, die man nicht gut ein Symptom 
    heißen kann. Ersatz‑ und Symptombildung fallen hier ausein-
    ander. Hier erfährt man auch etwas über den Mechanismus der 
    Verdrängung. Diese hat wie überall eine Libidoentziehung zu-
    stande gebracht, aber sich zu diesem Zwecke der Reaktionsbildung 
    durch Verstärkung eines Gegensatzes bedient. 

  • S.

    96

    Die Ersatzbildung hat also hier denselben Mechanis-
    mus wie die Verdrängung und fällt im Grunde mit ihr 
    zusammen, sie trennt sich aber zeitlich, wie begrifflich von 
    der Symptombildung. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das 
    Ambivalenzverhältnis, in welches der zu verdrängende sadi-
    stische Impuls eingetragen ist, den ganzen Vorgang ermög-
    licht.

    Die anfänglich gute Verdrängung hält aber nicht Stand, 
    im weiteren Verlaufe drängt sich das Mißglücken der Verdrän-
    gung immer mehr vor. Die Ambivalenz, welche die Verdrän-
    gung durch Reaktionsbildung gestattet hat, ist auch die Stelle, 
    an welcher dem Verdrängten die Wiederkehr gelingt. Der ver-
    schwundene Affekt kommt in der Verwandlung zur sozialen 
    Angst, Gewissensangst, Vorwurf ohne Ersparnis wieder; die ab-
    gewiesene Vorstellung ersetzt sich durch Verschiebungsersatz
    oft durch Verschiebung auf Kleinstes, Indifferentes. 
    Eine Tendenz zur intakten Herstellung der verdrängten Vor-
    stellung ist meist unverkennbar. Das Mißglücken in der 
    Verdrängung des quantitativen, affektiven Faktors bringt 
    denselben Mechanismus der Flucht durch Vermeidungen und 
    Verbote ins Spiel, den wir bei der Bildung der hysterischen 
    Phobie kennengelernt haben. Die Abweisung der Vorstellung 
    vom Bewußten wird aber hartnäckig festgehalten, weil mit 
    ihr die Abhaltung von der Aktion, die motorische Fesselung 
    des Impulses, gegeben ist. So läuft die Verdrängungsarbeit 
    der Zwangsneurose in ein erfolgloses und unabschließbares 
    Ringen aus.

    Aus der kleinen, hier vorgebrachten Vergleichsreihe kann 
    man sich die Überzeugung holen, daß es noch umfassender 
    Untersuchungen bedarf, ehe man hoffen kann, die mit der Ver-
    drängung und neurotischen Symptombildung zusammenhän-
    genden Vorgänge zu durchschauen. Die außerordentliche Ver-
    schlungenheit aller in Betracht kommenden Momente läßt uns

  • S.

    97

    nur einen Weg zur Darstellung frei. Wir müssen bald den 
    einen, bald den anderen Gesichtspunkt herausgreifen und ihn
    durch das Material hindurchverfolgen, solange seine Anwen-
    dung etwas zu leisten scheint. Jede einzelne dieser Bearbei-
    tungen wird an sich unvollständig sein und dort Unklarheiten
    nicht vermiden können, wo sie an das noch nicht Bearbeitete
    anrührt; wir dürfen aber hoffen, daß sich aus der endlichen
    Zusammensetzung ein gutes Verständnis ergeben wird.