Die Verdrängung 1915-004/1922
1915-004/1922 Die Verdrängung
Zurück zum Werk
  • S.

    279

    XVII.

    DIE VERDRÄNGUNG.*)

    Es kann das Schicksal einer Triebregung werden, daß 
    sie auf Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen 
    wollen. Unter Bedingungen, deren nähere Untersuchung uns 
    bevorsteht, gelangt sie dann in den Zustand der Verdrängung
    Handelte es sich um die Wirkung eines äußeren 
    Reizes, so wäre offenbar die Flucht das geeignete Mittel. 
    Im Falle des Triebes kann die Flucht nichts nützen, denn 
    das Ich kann sich nicht selbst entfliehen. Später einmal wird 
    in der Urteilsverwerfung (Verurteilung) ein gutes Mittel 
    gegen die Triebregung gefunden werden. Eine Vorstufe der 
    Verurteilung, ein Mittelding zwischen Flucht und Verurtei-
    lung ist die Verdrängung, deren Begriff in der Zeit vor den 
    psychoanalytischen Studien nicht aufgestellt werden konnte.

    Die Möglichkeit einer Verdrängung ist theoretisch nicht 
    leicht abzuleiten. Warum sollte eine Triebregung einem sol-
    chen Schicksal verfallen? Offenbar muß hier die Bedingung 
    erfüllt sein, daß die Erreichung des Triebzieles Unlust an 
    Stelle von Lust bereitet. Aber dieser Fall ist nicht gut denk-
    bar. Solche Triebe gibt es nicht, eine Triebbefriedigung ist 
    immer lustvoll. Es müßten besondere Verhältnisse anzu-
    nehmen sein, irgendein Vorgang, durch den die Befriedigungs-
    lust in Unlust verwandelt wird.

    Wir können zur besseren Abgrenzung der Verdrängung 
    einige andere Triebsituationen in Erörterung ziehen. Es kann

    *)Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, III, 1915.*)

  • S.

    280

    vorkommen, daß sich ein äußerer Reiz, z. B. dadurch, daß 
    er ein Organ anätzt und zerstört, verinnerlicht und so eine 
    neue Quelle beständiger Erregung und Spannungsvermehrung 
    ergibt. Er erwirbt damit eine weitgehende Ähnlichkeit mit 
    einem Trieb. Wir wissen, daß wir diesen Fall als Schmerz 
    empfinden. Das Ziel dieses Pseudotriebes ist aber nur das 
    Aufhören der Organveränderung und der mit ihr verbundenen 
    Unlust. Andere, direkte Lust kann aus dem Aufhören des 
    Schmerzes nicht gewonnen werden. Der Schmerz ist auch 
    imperativ; er unterliegt nur noch der Einwirkung einer toxi-
    schen Aufhebung und der Beeinflussung durch psychische 
    Ablenkung.

    Der Fall des Schmerzes ist zu wenig durchsichtig, um 
    etwas für unsere Absicht zu leisten. Nehmen wir den Fall, 
    daß ein Triebreiz wie der Hunger unbefriedigt bleibt. Er 
    wird dann imperativ, ist durch nichts anderes als durch die 
    Befriedigungsaktion zu beschwichtigen, unterhält eine be-
    ständige Bedürfnisspannung. Etwas wie eine Verdrängung 
    scheint hier auf lange hinaus nicht in Betracht zu kommen.

    Der Fall der Verdrängung ist also gewiß nicht gegeben, 
    wenn die Spannung infolge von Unbefriedigung einer Trieb-
    regung unerträglich groß wird. Was dem Organismus an 
    Abwehrmitteln gegen diese Situation gegeben ist, muß in 
    anderem Zusammenhang erörtert werden.

    Halten wir uns lieber an die klinische Erfahrung, wie 
    sie uns in der psychoanalytischen Praxis entgegentritt. Dann 
    werden wir belehrt, daß die Befriedigung des der Verdrän-
    gung unterliegenden Triebes wohl möglich und daß sie auch 
    jedesmal an sich lustvoll wäre, aber sie wäre mit anderen 
    Ansprüchen und Vorsätzen unvereinbar; sie würde also Lust 
    an der einen, Unlust an anderer Stelle erzeugen. Zur Bedingung

  • S.

    281

    der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlust-
    motiv eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust. 
    Wir werden ferner durch die psychoanalytische Erfahrung 
    an den Übertragungsneurosen zu dem Schluß genötigt, daß 
    die Verdrängung kein ursprünglich vorhandener Abwehr-
    mechanismus ist, daß sie nicht eher entstehen kann, als bis 
    sich eine scharfe Sonderung von bewußter und unbewußter 
    Seelentätigkeit hergestellt hat, und daß ihr Wesen nur 
    in der Abweisung und Fernhaltung vom Bewußten 
    besteht. Diese Auffassung der Verdrängung würde durch 
    die Annahme ergänzt werden, daß vor solcher Stufe der see-
    lischen Organisation die anderen Triebschicksale, wie die 
    Verwandlung ins Gegenteil, die Wendung gegen die eigene 
    Person, die Aufgabe der Abwehr von Triebregungen bewältigen.

    Wir meinen jetzt auch, Verdrängung und Unbewußtes 
    seien in so großem Ausmaße korrelativ, daß wir die Ver-
    tiefung in das Wesen der Verdrängung aufschieben müssen, 
    bis wir mehr von dem Aufbau des psychischen Instanzen-
    zuges und der Differenzierung von Unbewußt und Bewußt 
    erfahren haben. Vorher können wir nur noch einige klinisch 
    erkannte Charaktere der Verdrängung in rein deskriptiver 
    Weise zusammenstellen auf die Gefahr hin, vieles anderwärts 
    Gesagte ungeändert zu wiederholen.

    Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzu-
    nehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin be-
    steht, daß der psychischen (Vorstellungs‑)Repräsentanz des 
    Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Mit dieser 
    ist eine Fixierunggegeben; die betreffende Repräsentanz 
    bleibt von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an 
    sie gebunden. Dies geschieht infolge der später zu bespre-
    chenden Eigenschaften unbewußter Vorgänge.

  • S.

    282

    Die zweite Stufe der Verdrängung, die eigentliche 
    Verdrängung, betrifft psychische Abkömmlinge der ver-
    drängten Repräsentanz oder solche Gedankenzüge, die, an-
    derswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr ge-
    raten sind. Wegen dieser Beziehung erfahren diese Vorstel-
    lungen dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte. Die eigent-
    liche Verdrängung ist also ein Nachdrängen. Man tut übri-
    gens unrecht, wenn man nur die Abstoßung hervorhebt, die 
    vom Bewußten her auf das zu Verdrängende wirkt. Es kommt 
    ebensosehr die Anziehung in Betracht, welche das Urver-
    drängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung setzen 
    kann. Wahrscheinlich würde die Verdrängungstendenz ihre 
    Absicht nicht erreichen, wenn diese Kräfte nicht zusammen-
    wirkten, wenn es nicht ein vorher Verdrängtes gäbe, welches 
    das vom Bewußten Abgestoßene aufzunehmen bereit wäre.

    Unter dem Einfluß des Studiums der Psychoneurosen, 
    welches uns die bedeutsamen Wirkungen der Verdrängung 
    vorführt, werden wir geneigt, deren psychologischen Inhalt 
    zu überschätzen, und vergessen zu leicht, daß die Verdrän-
    gung die Triebrepräsentanz nicht daran hindert, im Unbe-
    wußten fortzubestehen, sich weiter zu organisieren, Abkömm-
    linge zu bilden und Verbindungen anzuknüpfen. Die Ver-
    drängung stört wirklich nur die Beziehung zu einem psy-
    chischen System, dem des Bewußten.

    Die Psychoanalyse kann uns noch anderes zeigen, was 
    für das Verständnis der Wirkungen der Verdrängung bei den 
    Psychoneurosen bedeutsam ist. Z. B., daß die Triebrepräsen-
    tanz sich ungestörter und reichhaltiger entwickelt, wenn sie 
    durch die Verdrängung dem bewußten Einfluß entzogen ist. 
    Sie wuchert dann sozusagen im Dunkeln und findet extreme 
    Ausdrucksformen, welche, wenn sie dem Neurotiker übersetzt

  • S.

    283

    und vorgehalten werden, ihm nicht nur fremd er-
    scheinen müssen, sondern ihn auch durch die Vorspiegelung 
    einer außerordentlichen und gefährlichen Triebstärke schrek-
    ken. Diese täuschende Triebstärke ist das Ergebnis einer 
    ungehemmten Entfaltung in der Phantasie und der Auf-
    stauung infolge versagter Befriedigung. Daß dieser letztere 
    Erfolg an die Verdrängung geknüpft ist, weist darauf hin, 
    worin wir ihre eigentliche Bedeutung zu suchen haben.

    Indem wir aber noch zur Gegenansicht zurückkehren, 
    stellen wir fest, es sei nicht einmal richtig, daß die Ver-
    drängung alle Abkömmlinge des Urverdrängten vom Be-
    wußten abhalte. Wenn sich diese weit genug von der ver-
    drängten Repräsentanz entfernt haben, sei es durch Annahme 
    von Entstellungen oder durch die Anzahl der eingeschobenen 
    Mittelglieder, so steht ihnen der Zugang zum Bewußten ohne 
    weiteres frei. Es ist, als ob der Widerstand des Bewußten 
    gegen sie eine Funktion ihrer Entfernung vom ursprünglich 
    Verdrängten wäre. Während der Ausübung der psychoana-
    lytischen Technik fordern wir den Patienten unausgesetzt 
    dazu auf, solche Abkömmlinge des Verdrängten zu produ-
    zieren, die infolge ihrer Entfernung oder Entstellung die 
    Zensur des Bewußten passieren können. Nichts anderes sind 
    ja die Einfälle, die wir unter Verzicht auf alle bewußten 
    Zielvorstellungen und alle Kritik von ihm verlangen, und 
    aus denen wir eine bewußte Übersetzung der verdrängten 
    Repräsentanz wiederherstellen. Wir beobachten dabei, daß 
    der Patient eine solche Einfallsreihe fortspinnen kann, bis 
    er in ihrem Ablauf auf eine Gedankenbildung stößt, bei wel-
    cher die Beziehung zum Verdrängten so intensiv durchwirkt, 
    daß er seinen Verdrängungsversuch wiederholen muß. Auch 
    die neurotischen Symptome müssen der obigen Bedingung

  • S.

    284

    genügt haben, denn sie sind Abkömmlinge des Verdrängten, 
    welches sich mittels dieser Bildungen den ihm versagten 
    Zugang zum Bewußtsein endlich erkämpft hat.

    Wie weit die Entstellung und Entfernung vom Ver-
    drängten gehen muß, bis der Widerstand des Bewußten auf-
    gehoben ist, läßt sich allgemein nicht angeben. Es findet 
    dabei eine feine Abwägung statt, deren Spiel uns verdeckt 
    ist, deren Wirkungsweise uns aber erraten läßt, es handle 
    sich darum, vor einer bestimmten Intensität der Besetzung 
    des Unbewußten haltzumachen, mit deren Überschreitung 
    es zur Befriedigung durchdringen würde. Die Verdrängung 
    arbeitet also höchst individuell; jeder einzelne Abkömm-
    ling des Verdrängten kann sein besonderes Schicksal haben; 
    ein wenig mehr oder weniger von Entstellung macht, daß 
    der ganze Erfolg umschlägt. In demselben Zusammenhang 
    ist auch zu begreifen, daß die bevorzugten Objekte der Men-
    schen, ihre Ideale, aus denselben Wahrnehmungen und Er-
    lebnissen stammen wie die von ihnen am meisten verab-
    scheuten, und sich ursprünglich nur durch geringe Modifi-
    kationen voneinander unterscheiden. Ja, es kann, wie wir’s 
    bei der Entstehung des Fetisch gefunden haben, die ur-
    sprüngliche Triebrepräsentanz in zwei Stücke zerlegt worden 
    sein, von denen das eine der Verdrängung verfiel, während 
    der Rest, gerade wegen dieser innigen Verknüpftheit, das 
    Schicksal der Idealisierung erfuhr.

    Dasselbe, was ein Mehr oder Weniger an Entstellung 
    leistet, kann auch sozusagen am anderen Ende des Apparates 
    durch eine Modifikation in den Bedingungen der Lust‑Unlust-
    produktion erzielt werden. Es sind besondere Techniken aus-
    gebildet worden, deren Absicht dahin geht, solche Verände-
    rungen des psychischen Kräftespieles herbeizuführen, daß

  • S.

    285

    dasselbe, was sonst Unlust erzeugt, auch einmal lustbringend 
    wird, und sooft solch ein technisches Mittel in Aktion tritt, 
    wird die Verdrängung für eine sonst abgewiesene Triebreprä-
    sentanz aufgehoben. Diese Techniken sind bisher nur für den 
    Witz genauer verfolgt worden. In der Regel ist die Auf-
    hebung der Verdrängung nur eine vorübergehende; sie wird 
    alsbald wiederhergestellt.

    Erfahrungen dieser Art reichen aber hin, uns auf weitere 
    Charaktere der Verdrängung aufmerksam zu machen. Sie ist 
    nicht nur, wie eben ausgeführt, individuell, sondern auch 
    im hohen Grade mobil. Man darf sich den Verdrängungs-
    vorgang nicht wie ein einmaliges Geschehen mit Dauererfolg 
    vorstellen, etwa wie wenn man etwas Lebendes erschlagen 
    hat, was von da an tot ist; sondern die Verdrängung er-
    fordert einen anhaltenden Kraftaufwand, mit dessen Unter-
    lassung ihr Erfolg in Frage gestellt wäre, so daß ein neuer-
    licher Verdrängungsakt notwendig würde. Wir dürfen uns 
    vorstellen, daß das Verdrängte einen kontinuierlichen Druck 
    in der Richtung zum Bewußten hin ausübt, dem durch un-
    ausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden 
    muß. Die Erhaltung einer Verdrängung setzt also eine be-
    ständige Kraftausgabe voraus, und ihre Aufhebung bedeutet 
    ökonomisch eine Ersparung. Die Mobilität der Verdrängung 
    findet übrigens auch einen Ausdruck in den psychischen 
    Charakteren des Schlafzustandes, welcher allein die Traum-
    bildung ermöglicht. Mit dem Erwachen werden die einge-
    zogenen Verdrängungsbesetzungen wieder ausgeschickt.

    Wir dürfen endlich nicht vergessen, daß wir von einer 
    Triebregung erst sehr wenig ausgesagt haben, wenn wir fest-
    stellen, sie sei eine verdrängte. Sie kann sich unbeschadet 
    der Verdrängung in sehr verschiedenen Zuständen befinden,

  • S.

    286

    inaktiv sein, d. h. sehr wenig mit psychischer Energie be-
    setzt, oder in wechselndem Grade besetzt und damit zur 
    Aktivität befähigt. Ihre Aktivierung wird zwar nicht die 
    Folge haben, daß sie die Verdrängung direkt aufhebt, wohl 
    aber alle die Vorgänge anregen, welche mit dem Durchdringen 
    zum Bewußtsein auf Umwegen einen Abschluß finden. Bei 
    unverdrängten Abkömmlingen des Unbewußten entscheidet 
    oft das Ausmaß der Aktivierung oder Besetzung über das 
    Schicksal der einzelnen Vorstellung. Es ist ein alltägliches 
    Vorkommnis, daß ein solcher Abkömmling unverdrängt bleibt, 
    solange er eine geringe Energie repräsentiert, obwohl sein 
    Inhalt geeignet wäre, einen Konflikt mit dem bewußt Herr-
    schenden zu ergeben. Das quantitative Moment zeigt sich 
    aber als entscheidend für den Konflikt; sobald die im Grunde 
    anstößige Vorstellung sich über ein gewisses Maß verstärkt, 
    wird der Konflikt aktuell und gerade die Aktivierung zieht 
    die Verdrängung nach sich. Zunahme der Energiebesetzung 
    wirkt also in Sachen der Verdrängung gleichsinnig wie An-
    näherung an das Unbewußte, Abnahme derselben wie Ent-
    fernung davon oder Entstellung. Wir verstehen, daß die 
    verdrängenden Tendenzen in der Abschwächung des Unlieb-
    samen einen Ersatz für dessen Verdrängung finden können.

    In den bisherigen Erörterungen behandelten wir die 
    Verdrängung einer Triebrepräsentanz und verstanden unter 
    einer solchen eine Vorstellung oder Vorstellungsgruppe, 
    welche vom Trieb her mit einem bestimmten Betrag von 
    psychischer Energie (Libido, Interesse) besetzt ist. Die kli-
    nische Beobachtung nötigt uns nun zu zerlegen, was wir 
    bisher einheitlich aufgefaßt hatten, denn sie zeigt uns, daß 
    etwas anderes, was den Trieb repräsentiert, neben der Vor-
    stellung in Betracht kommt und daß dieses andere ein Verdrängungsschicksal

  • S.

    287

    erfährt, welches von dem der Vorstellung 
    ganz verschieden sein kann. Für dieses andere Element der 
    psychischen Repräsentanz hat sich der Name Affektbetrag 
    eingebürgert; es entspricht dem Triebe, insofern er sich von 
    der Vorstellung abgelöst hat und einen seiner Quantität ge-
    mäßen Ausdruck in Vorgängen findet, welche als Affekte der 
    Empfindung bemerkbar werden. Wir werden von nun an, wenn 
    wir einen Fall von Verdrängung beschreiben, gesondert ver-
    folgen müssen, was durch die Verdrängung aus der Vorstellung 
    und was aus der an ihr haftenden Triebenergie geworden ist.

    Gern würden wir über beiderlei Schicksale etwas allge-
    meines aussagen wollen. Dies wird uns auch nach einiger 
    Orientierung möglich. Das allgemeine Schicksal der den Trieb 
    repräsentierenden Vorstellung kann nicht leicht etwas an-
    deres sein, als daß sie aus dem Bewußten verschwindet, wenn 
    sie früher bewußt war, oder vom Bewußtsein abgehalten wird, 
    wenn sie im Begriffe war, bewußt zu werden. Der Unter-
    schied ist nicht mehr bedeutsam; er kommt etwa darauf 
    hinaus, ob ich einen unliebsamen Gast aus meinem Salon 
    hinausbefördere oder aus meinem Vorzimmer oder ihn, nach-
    dem ich ihn erkannt habe, überhaupt nicht über die Schwelle 
    der Wohnungstür treten lasse.*) Das Schicksal des quanti-
    tativen Faktors der Triebrepräsentanz kann ein dreifaches 
    sein, wie uns eine flüchtige Übersicht über die in der Psycho-
    analyse gemachten Erfahrungen lehrt: Der Trieb wird ent-
    weder ganz unterdrückt, so daß man nichts von ihm auf-
    findet, oder er kommt als irgendwie qualitativ gefärbter Affekt

    *)Dieses für den Verdrängungsvorgang brauchbare Gleichnis kann 
    auch über einen früher erwähnten Charakter der Verdrängung ausgedehnt 
    werden. Ich brauche nur hinzuzufügen, daß ich die dem Gast verbotene 
    Tür durch einen ständigen Wächter bewachen lassen muß, weil der Ab-
    gewiesene sie sonst aufsprengen würde. (S. o.)

  • S.

    288

    zum Vorschein, oder er wird in Angst verwandelt. Die bei-
    den letzteren Möglichkeiten stellen uns die Aufgabe, die 
    Umsetzung der psychischen Energien der Triebe in 
    Affekte und ganz besonders in Angst als neues Trieb-
    schicksal ins Auge zu fassen.

    Wir erinnern uns, daß Motiv und Absicht der Verdrän-
    gung nichts anderes als die Vermeidung von Unlust war. 
    Daraus folgt, daß das Schicksal des Affektbetrags der Re-
    präsentanz bei weitem wichtiger ist als das der Vorstellung. 
    und daß dies über die Beurteilung des Verdrängungsvorganges 
    entscheidet. Gelingt es einer Verdrängung nicht, die Ent-
    stehung von Unlustempfindungen oder Angst zu verhüten, so 
    dürfen wir sagen, sie sei mißglückt, wenngleich sie ihr Ziel 
    an dem Vorstellungsanteil erreicht haben mag. Natürlich 
    wird die mißglückte Verdrängung mehr Anspruch auf unser 
    Interesse erheben als die etwa geglückte, die sich zumeist 
    unserem Studium entziehen wird.

    Wir wollen nun Einblick in den Mechanismus des Ver-
    drängungsvorganges gewinnen und vor allem wissen, ob es 
    nur einen einzigen Mechanismus der Verdrängung gibt oder 
    mehrere, und ob vielleicht jede der Psychoneurosen durch 
    einen ihr eigentümlichen Mechanismus der Verdrängung aus-
    gezeichnet ist. Zu Beginn dieser Untersuchung stoßen wir 
    aber auf Komplikationen. Der Mechanismus einer Verdrän-
    gung wird uns nur zugänglich, wenn wir aus den Erfolgen 
    der Verdrängung auf ihn zurückschließen. Beschränken wir 
    die Beobachtung auf die Erfolge an dem Vorstellungsanteil 
    der Repräsentanz, so erfahren wir, daß die Verdrängung in 
    der Regel eine Ersatzbildung schafft. Welches ist nun 
    der Mechanismus einer solchen Ersatzbildung, oder gibt es 
    hier auch mehrere Mechanismen zu unterscheiden? Wir wissen

  • S.

    289

    auch, daß die Verdrängung Symptome hinterläßt. Dürfen 
    wir nun Ersatzbildung und Symptombildung zusammenfallen 
    lassen, und wenn dies im ganzen angeht, deckt sich der 
    Mechanismus der Symptombildung mit dem der Verdrängung? 
    Die vorläufige Wahrscheinlichkeit scheint dafür zu sprechen, 
    daß beide weit auseinandergehen, daß es nicht die Verdrän-
    gung selbst ist, welche Ersatzbildungen und Symptome schafft, 
    sondern daß diese letzteren als Anzeichen einer Wiederkehr 
    des Verdrängten ganz anderen Vorgängen ihr Entstehen 
    verdanken. Es scheint sich auch zu empfehlen, daß man die 
    Mechanismen der Ersatzund Symptombildung vor denen 
    der Verdrängung in Untersuchung ziehe.

    Es ist klar, daß die Spekulation hier weiter nichts zu 
    suchen hat, sondern durch die sorgfältige Analyse der bei 
    den einzelnen Neurosen zu beobachtenden Erfolge der Ver-
    drängung abgelöst werden muß. Ich muß aber den Vorschlag 
    machen, auch diese Arbeit aufzuschieben, bis wir uns ver-
    läßliche Vorstellungen über das Verhältnis des Bewußten 
    zum Unbewußten gebildet haben. Nur um die vorliegende 
    Erörterung nicht ganz unfruchtbar ausgehen zu lassen, will 
    ich vorwegnehmen, daß 1. der Mechanismus der Verdrängung 
    tatsächlich nicht mit dem oder den Mechanismen der Ersatz-
    bildung zusammenfällt, 2. daß es sehr verschiedene Mecha-
    nismen der Ersatzbildung gibt, und 3. daß den Mechanismen 
    der Verdrängung wenigstens eines gemeinsam ist, die Entziehung 
    der Energiebesetzung (oder Libido, wenn 
    wir von Sexualtrieben handeln).

    Ich will auch unter Einschränkung auf die drei be-
    kanntesten Psychoneurosen an einigen Beispielen zeigen, wie 
    die hier eingeführten Begriffe auf das Studium der Verdrän-
    gung Anwendung finden. Von der Angsthysterie werde

  • S.

    290

    ich das gut analysierte Beispiel einer Tierphobie wählen. 
    Die der Verdrängung unterliegende Triebregung ist eine libidi-
    nöse Einstellung zum Vater, gepaart mit der Angst vor dem-
    selben. Nach der Verdrängung ist diese Regung aus dem Be-
    wußtsein geschwunden, der Vater kommt als Objekt der 
    Libido nicht darin vor. Als Ersatz findet sich an analoger 
    Stelle ein Tier, das sich mehr oder weniger gut zum Angst-
    objekt eignet. Die Ersatzbildung des Vorstellungsanteiles hat 
    sich auf dem Wege der Verschiebung längs eines in be-
    stimmter Weise determinierten Zusammenhanges hergestellt. 
    Der quantitative Anteil ist nicht verschwunden, sondern hat 
    sich in Angst umgesetzt. Das Ergebnis ist eine Angst vor 
    dem Wolf an Stelle eines Liebesanspruches an den Vater. 
    Natürlich reichen die hier verwendeten Kategorien nicht aus, 
    um den Erklärungsansprüchen auch nur des einfachsten Falles 
    von Psychoneurose zu genügen. Es kommen immer noch 
    andere Gesichtspunkte in Betracht.

    Eine solche Verdrängung wie im Falle der Tierphobie 
    darf als eine gründlich mißglückte bezeichnet werden. Das 
    Werk der Verdrängung besteht nur in der Beseitigung und 
    Ersetzung der Vorstellung, die Unlustersparnis ist überhaupt 
    nicht gelungen. Deshalb ruht die Arbeit der Neurose auch 
    nicht, sondern setzt sich in einem zweiten Tempo fort, um 
    ihr nächstes, wichtigeres Ziel zu erreichen. Es kommt zur 
    Bildung eines Fluchtversuches, der eigentlichen Phobie
    einer Anzahl von Vermeidungen, welche die Angstentbindung 
    ausschließen sollen. Durch welchen Mechanismus die Phobie 
    ans Ziel gelangt, können wir in einer spezielleren Untersuchung 
    verstehen lernen.

    Zu einer ganz anderen Würdigung des Verdrängungs-
    vorganges nötigt uns das Bild der echten Konversionshysterie.

  • S.

    291

    Hier ist das Hervorstechende, daß es gelingen 
    kann, den Affektbetrag zum völligen Verschwinden zu brin-
    gen. Der Kranke zeigt dann gegen seine Symptome das Ver-
    halten, welches Charcot „la belle indifférence des hysté-
    riquesgenannt hat. Andere Male gelingt diese Unter-
    drückung nicht so vollständig, ein Anteil peinlicher Sensa-
    tionen knüpft sich an die Symptome selbst, oder ein Stück 
    Angstentbindung hat sich nicht vermeiden lassen, das seiner-
    seits den Mechanismus der Phobiebildung ins Werk setzt. 
    Der Vorstellungsinhalt der Triebrepräsentanz ist dem Be-
    wußtsein gründlich entzogen; als Ersatzbildung – und gleich-
    zeitig als Symptom – findet sich eine überstarke – in den 
    vorbildlichen Fällen somatische – Innervation, bald senso-
    rischer, bald motorischer Natur, entweder als Erregung oder 
    als Hemmung. Die überinnervierte Stelle erweist sich bei 
    näherer Betrachtung als ein Stück der verdrängten Trieb-
    repräsentanz selbst, welches wie durch Verdichtung die 
    gesamte Besetzung auf sich gezogen hat. Natürlich decken 
    auch diese Bemerkungen den Mechanismus einer Konver-
    sionshysterie nicht restlos auf; vor allem ist noch das 
    Moment der Regression hinzuzufügen, das in anderem 
    Zusammenhang gewürdigt werden soll.

    Die Verdrängung der Hysterie kann als völlig mißglückt 
    beurteilt werden, insofern sie nur durch ausgiebige Ersatz-
    bildungen ermöglicht worden ist; mit Bezug auf die Erle-
    digung des Affektbetrages, die eigentliche Aufgabe der Ver-
    drängung, bedeutet sie aber in der Regel einen vollen Er-
    folg. Der Verdrängungsvorgang der Konversionshysterie ist 
    dann auch mit der Symptombildung abgeschlossen und 
    braucht sich nicht wie bei Angsthysterie zweizeitig – oder 
    eigentlich unbegrenzt – fortzusetzen.

  • S.

    292

    Ein ganz anderes Ansehen zeigt die Verdrängung wieder bei 
    der dritten Affektion, die wir zu dieser Vergleichung her-
    anziehen, bei der Zwangsneurose. Hier gerät man zuerst 
    in Zweifel, was man als die der Verdrängung unterliegende 
    Repräsentanz anzusehen hat, eine libidinöse oder eine feind-
    selige Strebung. Die Unsicherheit rührt daher, daß die 
    Zwangsneurose auf der Voraussetzung einer Regression ruht, 
    durch welche eine sadistische Strebung an die Stelle der 
    zärtlichen getreten ist. Dieser feindselige Impuls gegen eine 
    geliebte Person ist es, welcher der Verdrängung unterliegt. 
    Der Effekt ist in einer ersten Phase der Verdrängungsarbeit 
    ein ganz anderer als später. Zunächst hat diese vollen Er-
    folg, der Vorstellungsinhalt wird abgewiesen und der Affekt 
    zum Verschwinden gebracht. Als Ersatzbildung findet sich 
    eine Ichveränderung, die Steigerung der Gewissenhaftigkeit, 
    die man nicht gut ein Symptom heißen kann. Ersatz‑ und 
    Symptombildung fallen hier auseinander. Hier erfährt man 
    auch etwas über den Mechanismus der Verdrängung. Diese 
    hat wie überall eine Libidoentziehung zu stande gebracht, 
    aber sich zu diesem Zwecke der Reaktionsbildung durch 
    Verstärkung eines Gegensatzes bedient. Die Ersatzbildung 
    hat also hier denselben Mechanismus wie die Verdrängung 
    und fällt im Grunde mit ihr zusammen, sie trennt sich aber 
    zeitlich, wie begrifflich, von der Symptombildung. Es ist 
    sehr wahrscheinlich, daß das Ambivalenzverhältnis, in we-
    lches der zu verdrängende sadistische Impuls eingetragen ist, 
    den ganzen Vorgang ermöglicht.

    Die anfänglich gute Verdrängung hält aber nicht Stand, 
    im weiteren Verlaufe drängt sich das Mißglücken der Ver-
    drängung immer mehr vor. Die Ambivalenz, welche die Ver-
    drängung durch Reaktionsbildung gestattet hat, ist auch die

  • S.

    293

    Stelle, an welcher dem Verdrängten die Wiederkehr gelingt. 
    Der verschwundene Affekt kommt in der Verwandlung zur 
    sozialen Angst, Gewissensangst, Vorwurf ohne Ersparnis wie-
    der; die abgewiesene Vorstellung ersetzt sich durch 
    Verschiebungsersatz, oft durch Verschiebung auf Kleinstes, 
    Indifferentes, Eine Tendenz zur intakten Herstellung der ver-
    drängten Vorstellung ist meist unverkennbar. Das Miß-
    glücken in der Verdrängung des quantitativen, affektiven 
    Faktors bringt denselben Mechanismus der Flucht durch 
    Vermeidungen und Verbote ins Spiel, den wir bei der Bil-
    dung der hysterischen Phobie kennengelernt haben. Die 
    Abweisung der Vorstellung vom Bewußten wird aber hart-
    näckig festgehalten, weil mit ihr die Abhaltung von der 
    Aktion, die motorische Fesselung des Impulses, gegeben ist. 
    So läuft die Verdrängungsarbeit der Zwangsneurose in ein 
    erfolgloses und unabschließbares Ringen aus.

    Aus der kleinen, hier vorgebrachten Vergleichsreihe kann 
    man sich die Überzeugung holen, daß es noch umfassender 
    Untersuchungen bedarf, ehe man hoffen kann, die mit der 
    Verdrängung und neurotischen Symptombildung zusammen-
    hängenden Vorgänge zu durchschauen. Die außerordentliche 
    Verschlungenheit aller in Betracht kommenden Momente 
    läßt uns nur einen Weg zur Darstellung frei. Wir müssen 
    bald den einen, bald den anderen Gesichtspunkt heraus-
    greifen und ihn durch das Material hindurchverfolgen, so-
    lange seine Anwendung etwas zu leisten scheint. Jede ein-
    zelne dieser Bearbeitungen wird an sich unvollständig sein 
    und dort Unklarheiten nicht vermeiden können, wo sie an 
    das noch nicht Bearbeitete anrührt; wir dürfen aber hoffen, 
    daß sich aus der endlichen Zusammensetzung ein gutes Ver-
    ständnis ergeben wird.