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DIE VERDRÄNGUNG
Von Sigm. Freud.
Es kann das Schicksal einer Triebregung werden, daß sie auf
Widerstände stößt, welche sie unwirksam machen wollen. Unter Be-
dingungen, deren nähere Untersuchung uns bevorsteht, gelangt sie dann
in den Zustand der Verdrängung. Handelte es sich um die Wirkung
eines äußeren Reizes, so wäre offenbar die Flucht das geeignete Mittel.
Im Falle des Triebes kann die Flucht nichts nützen, denn das Ich kann
sich nicht selbst entfliehen. Später einmal wird in der Urteilsverwerfung
(Verurteilung) ein gutes Mittel gegen die Triebregung gefunden
werden. Eine Vorstufe der Verurteilung, ein Mittelding zwischen Flucht
und Verurteilung ist die Verdrängung, deren Begriff in der Zeit vor den
psychoanalytischen Studien nicht aufgestellt werden konnte.Die Möglichkeit einer Verdrängung ist theoretisch nicht leicht ab-
zuleiten. Warum sollte eine Triebregung einem solchen Schicksal ver-
fallen? Offenbar muß hier die Bedingung erfüllt sein, daß die Erreichung
des Triebzieles Unlust an Stelle von Lust bereitet. Aber dieser Fall ist
nicht gut denkbar. Solche Triebe gibt es nicht, eine Triebbefriedigung
ist immer lustvoll. Es müßten besondere Verhältnisse anzunehmen sein,
irgendein Vorgang, durch den die Befriedigungslust in Unlust ver-
wandelt wird.Wir können zur besseren Abgrenzung der Verdrängung einige andere
Triebsituationen in Erörterung ziehen. Es kann vorkommen, daß sich
ein äußerer Reiz, z. B. dadurch, daß er ein Organ anätzt und zerstört,
verinnerlicht und so eine neue Quelle beständiger Erregung und Span-
nungsvermehrung ergibt. Er erwirbt damit eine weitgehende Ähnlichkeit
mit einem Trieb. Wir wissen, daß wir diesen Fall als Schmerz emp-
finden. Das Ziel dieses Pseudotriebes ist aber nur das Aufhören der
Organveränderung und der mit ihr verbundenen Unlust. Andere, direkte
Lust kann aus dem Aufhören des Schmerzes nicht gewonnen werden.
Der Schmerz ist auch imperativ; er unterliegt nur noch der Einwirkung
einer toxischen Aufhebung und der Beeinflussung durch psychische Ab-
lenkung.S.
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Der Fall des Schmerzes ist zu wenig durchsichtig, um etwas für
unsere Absicht zu leisten. Nehmen wir den Fall, daß ein Triebreiz wie
der Hunger unbefriedigt bleibt. Er wird dann imperativ, ist durch nichts
anderes als durch die Befriedigungsaktion zu beschwichtigen, unterhält
eine beständige Bedürfnisspannung. Etwas wie eine Verdrängung scheint
hier auf lange hinaus nicht in Betracht zu kommen.Der Fall der Verdrängung ist also gewiß nicht gegeben, wenn die
Spannung infolge von Unbefriedigung einer Triebregung unerträglich groß
wird. Was dem Organismus an Abwehrmitteln gegen diese Situation ge-
geben ist, muß in anderem Zusammenhang erörtert werden.Halten wir uns lieber an die klinische Erfahrung, wie sie uns in
der psychoanalytischen Praxis entgegentritt. Dann werden wir belehrt,
daß die Befriedigung des der Verdrängung unterliegenden Triebes wohl
möglich und daß sie auch jedesmal an sich lustvoll wäre, aber sie wäre
mit anderen Ansprüchen und Vorsätzen unvereinbar; sie würde also
Lust an der einen, Unlust an anderer Stelle erzeugen. Zur Bedingung
der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlustmotiv eine stärkere
Macht gewinnt als die Befriedigungslust. Wir werden ferner durch die
psychoanalytische Erfahrung an den Übertragungsneurosen zu dem Schluß
genötigt, daß die Verdrängung kein ursprünglich vorhandener Abwehr-
mechanismus ist, daß sie nicht eher entstehen kann, als bis sich eine scharfe
Sonderung von bewußter und unbewußter Seelentätigkeit hergestellt hat,
und daß ihr Wesen nur in der Abweisung und Fernhaltung
vom Bewußten besteht. Diese Auffassung der Verdrängung würde
durch die Annahme ergänzt werden, daß vor solcher Stufe der seelischen
Organisation die anderen Triebschicksale, wie die Verwandlung ins Gegenteil,
die Wendung gegen die eigene Person, die Aufgabe der Abwehr von
Triebregungen bewältigen.Wir meinen jetzt auch, Verdrängung und Unbewußtes seien in so
großem Ausmaße korrelativ, daß wir die Vertiefung in das Wesen der
Verdrängung aufschieben müssen, bis wir mehr von dem Aufbau des
psychischen Instanzenzuges und der Differenzierung von Unbewußt und
Bewußt erfahren haben. Vorher können wir nur noch einige klinisch
erkannte Charaktere der Verdrängung in rein deskriptiver Weise zu-
sammenstellen, auf die Gefahr hin, vieles anderwärts Gesagte ungeändert
zu wiederholen.Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzunehmen, eine
erste Phase der Verdrängung, die darin besteht, daß der psychischen (Vor-
stellungs‑)Repräsentanz des Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt
wird. Mit dieser ist eine Fixierunggegeben; die betreffende Reprä-
sentanz bleibt von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an sie
gebunden. Dies geschieht infolge der später zu besprechenden Eigen-
schaften unbewußter Vorgänge.S.
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Die zweite Stufe der Verdrängung, die eigentliche Verdrängung,
betrifft psychische Abkömmlinge der verdrängten Repräsentanz,
oder solche Gedankenzüge, die, anderswoher stammend, in assoziative
Beziehung zu ihr geraten sind. Wegen dieser Beziehung erfahren diese
Vorstellungen dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte. Die eigentliche
Verdrängung ist also ein Nachdrängen. Man tut übrigens unrecht, wenn
man nur die Abstoßung hervorhebt, die vom Bewußten her auf das zu
Verdrängende wirkt. Es kommt ebensosehr die Anziehung in Betracht,
welche das Urverdrängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung
setzen kann. Wahrscheinlich würde die Verdrängungstendenz ihre Ab-
sicht nicht erreichen, wenn diese Kräfte nicht zusammenwirkten, wenn
es nicht ein vorher Verdrängtes gäbe, welches das vom Bewußten Ab-
gestoßene aufzunehmen bereit wäre.Unter dem Einfluß des Studiums der Psychoneurosen, welches uns
die bedeutsamen Wirkungen der Verdrängung vorführt, werden wir geneigt,
deren psychologischen Inhalt zu überschätzen, und vergessen zu leicht,
daß die Verdrängung die Triebrepräsentanz nicht daran hindert, im Un-
bewußten fortzubestehen, sich weiter zu organisieren, Abkömmlinge zu
bilden und Verbindungen anzuknüpfen. Die Verdrängung stört wirklich
nur die Beziehung zu einem psychischen System, dem des Bewußten.Die Psychoanalyse kann uns noch anderes zeigen, was für das
Verständnis der Wirkungen der Verdrängung bei den Psychoneurosen
bedeutsam ist. Z. B. daß die Triebrepräsentanz sich ungestörter und
reichhaltiger entwickelt, wenn sie durch die Verdrängung dem bewußten
Einfluß entzogen ist. Sie wuchert dann sozusagen im Dunkeln und findet
extreme Ausdrucksformen, welche, wenn sie dem Neurotiker übersetzt
und vorgehalten werden, ihm nicht nur fremd erscheinen müssen, sondern
ihn auch durch die Vorspiegelung einer außerordentlichen und gefähr-
lichen Triebstärke schrecken. Diese täuschende Triebstärke ist das Er-
gebnis einer ungehemmten Entfaltung in der Phantasie und der Auf-
stauung infolge versagter Befriedigung. Daß dieser letztere Erfolg an die
Verdrängung geknüpft ist, weist darauf hin, worin wir ihre eigentliche
Bedeutung zu suchen haben.Indem wir aber noch zur Gegenansicht zurückkehren, stellen wir
fest, es sei nicht einmal richtig, daß die Verdrängung alle Abkömmlinge
des Urverdrängten vom Bewußten abhalte. Wenn sich diese weit genug
von der verdrängten Repräsentanz entfernt haben, sei es durch An-
nahme von Entstellungen oder durch die Anzahl der eingeschobenen
Mittelglieder, so steht ihnen der Zugang zum Bewußten ohne weiteres
frei. Es ist, als ob der Widerstand des Bewußten gegen sie eine Funktion
ihrer Entfernung vom ursprünglich Verdrängten wäre. Während der Aus-
übung der psychoanalytischen Technik fordern wir den Patienten unaus-
gesetzt dazu auf, solche Abkömmlinge des Verdrängten zu produzieren,S.
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die infolge ihrer Entfernung oder Entstellung die Zensur des Bewußten
passieren können. Nichts anderes sind ja die Einfälle, die wir unter Ver-
zicht auf alle bewußten Zielvorstellungen und alle Kritik von ihm ver-
langen und aus denen wir eine bewußte Übersetzung der verdrängten
Repräsentanz wiederherstellen. Wir beobachten dabei, daß der Patient
eine solche Einfallsreihe fortspinnen kann, bis er in ihrem Ablauf auf
eine Gedankenbildung stößt, bei welcher die Beziehung zum Verdrängten
so intensiv durchwirkt, daß er seinen Verdrängungsversuch wiederholen
muß. Auch die neurotischen Symptome müssen der obigen Bedingung
genügt haben, denn sie sind Abkömmlinge des Verdrängten, welches
sich mittels dieser Bildungen den ihm versagten Zugang zum Bewußt-
sein endlich erkämpft hat.Wie weit die Entstellung und Entfernung vom Verdrängten gehen
muß, bis der Widerstand des Bewußten aufgehoben ist, läßt sich allgemein
nicht angeben. Es findet dabei eine feine Abwägung statt, deren Spiel
uns verdeckt ist, deren Wirkungsweise uns aber erraten läßt, es handle
sich darum, vor einer bestimmten Intensität der Besetzung des Un-
bewußten haltzumachen, mit deren Überschreitung es zur Befriedigung
durchdringen würde. Die Verdrängung arbeitet also höchst individuell;
jeder einzelne Abkömmling des Verdrängten kann sein be-
sonderes Schicksal haben; ein wenig mehr oder weniger von Entstellung
macht, daß der ganze Erfolg umschlägt. In demselben Zusammenhang
ist auch zu begreifen, daß die bevorzugten Objekte der Menschen, ihre
Ideale, aus denselben Wahrnehmungen und Erlebnissen stammen wie die
von ihnen am meisten verabscheuten, und sich ursprünglich nur durch
geringe Modifikationen voneinander unterscheiden. Ja, es kann, wie wir’s
bei der Entstehung des Fetisch gefunden haben, die ursprüngliche Trieb-
repräsentanz in zwei Stücke zerlegt worden sein, von denen das eine
der Verdrängung verfiel, während der Rest, gerade wegen dieser innigen
Verknüpftheit, das Schicksal der Idealisierung erfuhr.Dasselbe, was ein Mehr oder Weniger an Entstellung leistet, kann
auch sozusagen am anderen Ende des Apparates durch eine Modifikation
in den Bedingungen der Lust‑Unlustproduktion erzielt werden. Es sind
besondere Techniken ausgebildet worden, deren Absicht dahin geht, solche
Veränderungen des psychischen Kräftespieles herbeizuführen, daß dasselbe,
was sonst Unlust erzeugt, auch einmal lustbringend wird, und so oft
solch ein technisches Mittel in Aktion tritt, wird die Verdrängung für
eine sonst abgewiesene Triebrepräsentanz aufgehoben. Diese Techniken
sind bisher nur für den Witz genauer verfolgt worden. In der Regel
ist die Aufhebung der Verdrängung nur eine vorübergehende; sie wird
alsbald wiederhergestellt.Erfahrungen dieser Art reichen aber hin, uns auf weitere Charak-
tere der Verdrängung aufmerksam zu machen. Sie ist nicht nur, wie ebenS.
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ausgeführt, individuell, sondern auch im hohen Grade mobil. Man
darf sich den Verdrängungsvorgang nicht wie ein einmaliges Geschehen
mit Dauererfolg vorstellen, etwa wie wenn man etwas Lebendes er-
schlagen hat, was von da an tot ist; sondern die Verdrängung erfordert
einen anhaltenden Kraftaufwand, mit dessen Unterlassung ihr Erfolg in
Frage gestellt wäre, so daß ein neuerlicher Verdrängungsakt notwendig
würde. Wir dürfen uns vorstellen, daß das Verdrängte einen kontinuier-
lichen Druck in der Richtung zum Bewußten hin ausübt, dem durch
unausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden muß. Die
Erhaltung einer Verdrängung setzt also eine beständige Kraftausgabe
voraus, und ihre Aufhebung bedeutet ökonomisch eine Ersparung. Die
Mobilität der Verdrängung findet übrigens auch einen Ausdruck in den
psychischen Charakteren des Schlafzustandes, welcher allein die Traum-
bildung ermöglicht. Mit dem Erwachen werden die eingezogenen Ver-
drängungsbesetzungen wieder ausgeschickt.Wir dürfen endlich nicht vergessen, daß wir von einer Triebregung
erst sehr wenig ausgesagt haben, wenn wir feststellen, sie sei eine ver-
drängte. Sie kann sich unbeschadet der Verdrängung in sehr verschiedenen
Zuständen befinden, inaktiv sein, d. h. sehr wenig mit psychischer Energie
besetzt oder in wechselndem Grade besetzt und damit zur Aktivität be-
fähigt. Ihre Aktivierung wird zwar nicht die Folge haben, daß sie die
Verdrängung direkt aufhebt, wohl aber alle die Vorgänge anregen, welche
mit dem Durchdringen zum Bewußtsein auf Umwegen einen Abschluß finden.
Bei unverdrängten Abkömmlingen des Unbewußten entscheidet oft das
Ausmaß der Aktivierung oder Besetzung über das Schicksal der ein-
zelnen Vorstellung. Es ist ein alltägliches Vorkommnis, daß ein solcher
Abkömmling unverdrängt bleibt, solange er eine geringe Energie re-
präsentiert, obwohl sein Inhalt geeignet wäre, einen Konflikt mit dem
bewußt Herrschenden zu ergeben. Das quantitative Moment zeigt sich
aber als entscheidend für den Konflikt; sobald die im Grunde anstößige
Vorstellung sich über ein gewisses Maß verstärkt, wird der Konflikt
aktuell und gerade die Aktivierung zieht die Verdrängung nach sich.
Zunahme der Energiebesetzung wirkt also in Sachen der Verdrängung
gleichsinnig wie Annäherung an das Unbewußte, Abnahme derselben wie
Entfernung davon oder Entstellung. Wir verstehen, daß die verdrängenden
Tendenzen in der Abschwächung des Unliebsamen einen Ersatz für dessen
Verdrängung finden können.In den bisherigen Erörterungen behandelten wir die Verdrängung
einer Triebrepräsentanz und verstanden unter einer solchen eine Vor-
stellung oder Vorstellungsgruppe, welche vom Trieb her mit einem be-
stimmten Betrag von psychischer Energie (Libido, Interesse) besetzt ist.
Die klinische Beobachtung nötigt uns nun zu zerlegen, was wir bisher
einheitlich aufgefaßt hatten, denn sie zeigt uns, daß etwas anderes, wasS.
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den Trieb repräsentiert, neben der Vorstellung in Betracht kommt, und
daß dieses andere ein Verdrängungsschicksal erfährt, welches von dem
der Vorstellung ganz verschieden sein kann. Für dieses andere Element
der psychischen Repräsentanz hat sich der Name Affektbetrag ein-
gebürgert; es entspricht dem Triebe, insofern er sich von der Vorstellung
abgelöst hat und einen seiner Quantität gemäßen Ausdruck in Vorgängen
findet, welche als Affekte der Empfindung bemerkbar werden. Wir
werden von nun an, wenn wir einen Fall von Verdrängung beschreiben,
gesondert verfolgen müssen, was durch die Verdrängung aus der Vor-
stellung und was aus der an ihr haftenden Triebenergie geworden ist.Gern würden wir über beiderlei Schicksale etwas allgemeines aus-
sagen wollen. Dies wird uns auch nach einiger Orientierung möglich.
Das allgemeine Schicksal der den Trieb repräsentierenden Vorstellung
kann nicht leicht etwas anderes sein, als daß sie aus dem Bewußten
verschwindet, wenn sie früher bewußt war, oder vom Bewußtsein ab-
gehalten wird, wenn sie im Begriffe war, bewußt zu werden. Der Unter-
schied ist nicht mehr bedeutsam; er kommt etwa darauf hinaus, ob ich
einen unliebsamen Gast aus meinem Salon hinausbefördere oder aus
meinem Vorzimmer oder ihn, nachdem ich ihn erkannt habe, überhaupt
nicht über die Schwelle der Wohnungstür treten lasse.1) Das Schicksal
des quantitativen Faktors der Triebrepräsentanz kann ein dreifaches sein,
wie uns eine flüchtige Übersicht über die in der Psychoanalyse gemachten
Erfahrungen lehrt: Der Trieb wird entweder ganz unterdrückt, so daß
man nichts von ihm auffindet, oder er kommt als irgendwie qualitativ
gefärbter Affekt zum Vorschein, oder er wird in Angst verwandelt. Die
beiden letzteren Möglichkeiten stellen uns die Aufgabe, die Umsetzung
der psychischen Energien der Triebe in Affekte und ganz besonders
in Angst als neues Triebschicksal ins Auge zu fassen.Wir erinnern uns, daß Motiv und Absicht der Verdrängung nichts
anderes als die Vermeidung von Unlust war. Daraus folgt, daß das
Schicksal des Affektbetrags der Repräsentanz bei weitem wichtiger ist
als das der Vorstellung und daß dies über die Beurteilung des Verdrängungs-
vorganges entscheidet. Gelingt es einer Verdrängung nicht, die Ent-
stehung von Unlustempfindungen oder Angst zu verhüten, so dürfen wir
sagen, sie sei mißglückt, wenngleich sie ihr Ziel an dem Vorstellungs-
anteil erreicht haben mag. Natürlich wird die mißglückte Verdrängung
mehr Anspruch auf unser Interesse erheben als die etwa geglückte, die
sich zumeist unserem Studium entziehen wird.1)Dieses für den Verdrängungsvorgang brauchbare Gleichnis kann auch über
einen früher erwähnten Charakter der Verdrängung ausgedehnt werden. Ich brauche
nur hinzuzufügen, daß ich die dem Gast verbotene Tür durch einen ständigen
Wächter bewachen lassen muß, weil der Abgewiesene sie sonst aufsprengen würde. (S. o.)S.
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Wir wollen nun Einblick in den Mechanismus des Verdrängungs-
vorganges gewinnen und vor allem wissen, ob es nur einen einzigen
Mechanismus der Verdrängung gibt oder mehrere, und ob vielleicht jede
der Psychoneurosen durch einen ihr eigentümlichen Mechanismus der
Verdrängung ausgezeichnet ist. Zu Beginn dieser Untersuchung stoßen
wir aber auf Komplikationen. Der Mechanismus einer Verdrängung wird
uns nur zugänglich, wenn wir aus den Erfolgen der Verdrängung auf
ihn zurückschließen. Beschränken wir die Beobachtung auf die Erfolge
an dem Vorstellungsanteil der Repräsentanz, so erfahren wir, daß die
Verdrängung in der Regel eine Ersatzbildung schafft. Welches ist
nun der Mechanismus einer solchen Ersatzbildung, oder gibt es hier auch
mehrere Mechanismen zu unterscheiden? Wir wissen auch, daß die Ver-
drängung Symptome hinterläßt. Dürfen wir nun Ersatzbildung und
Symptombildung zusammenfallen lassen, und wenn dies im Ganzen an-
geht, deckt sich der Mechanismus der Symptombildung mit dem der
Verdrängung? Die vorläufige Wahrscheinlichkeit scheint dafür zu sprechen,
daß beide weit auseinandergehen, daß es nicht die Verdrängung selbst
ist, welche Ersatzbildungen und Symptome schafft, sondern daß diese
letzteren als Anzeichen einer Wiederkehr des Verdrängten ganz
anderen Vorgängen ihr Entstehen verdanken. Es scheint sich auch zu
empfehlen, daß man die Mechanismen der Ersatz‑ und Symptombildung
vor denen der Verdrängung in Untersuchung ziehe.Es ist klar, daß die Spekulation hier weiter nichts zu suchen hat,
sondern durch die sorgfältige Analyse der bei den einzelnen Neurosen
zu beobachtenden Erfolge der Verdrängung abgelöst werden muß. Ich
muß aber den Vorschlag machen, auch diese Arbeit aufzuschieben, bis
wir uns verläßliche Vorstellungen über das Verhältnis des Bewußten zum
Unbewußten gebildet haben. Nur um die vorliegende Erörterung nicht
ganz unfruchtbar ausgehen zu lassen, will ich vorwegnehmen, daß 1. der
Mechanismus der Verdrängung tatsächlich nicht mit dem oder den Mecha-
nismen der Ersatzbildung zusammenfällt, 2. daß es sehr verschiedene
Mechanismen der Ersatzbildung gibt, und 3. daß den Mechanismen der
Verdrängung wenigstens eines gemeinsam ist, die Entziehung der
Energiebesetzung (oder Libido, wenn wir von Sexualtrieben handeln).Ich will auch unter Einschränkung auf die drei bekanntesten Psycho-
neurosen an einigen Beispielen zeigen, wie die hier eingeführten Begriffe
auf das Studium der Verdrängung Anwendung finden. Von der Angsthysterie
werde ich das gut analysierte Beispiel einer Tierphobie wählen.
Die der Verdrängung unterliegende Triebregung ist eine libidinöse Ein-
stellung zum Vater, gepaart mit der Angst vor demselben. Nach der
Verdrängung ist diese Regung aus dem Bewußtsein geschwunden, der
Vater kommt als Objekt der Libido nicht darin vor. Als Ersatz findetS.
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sich an analoger Stelle ein Tier, das sich mehr oder weniger gut zum
Angstobjekt eignet. Die Ersatzbildung des Vorstellungsanteiles hat sich
auf dem Wege der Verschiebung längs eines in bestimmter Weise
determinierten Zusammenhanges hergestellt. Der quantitative Anteil ist
nicht verschwunden, sondern hat sich in Angst umgesetzt. Das Ergebnis
ist eine Angst vor dem Wolf an Stelle eines Liebesanspruches an den
Vater. Natürlich reichen die hier verwendeten Kategorien nicht aus, um
den Erklärungsansprüchen auch nur des einfachsten Falles von Psycho-
neurose zu genügen. Es kommen immer noch andere Gesichtspunkte in
Betracht.Eine solche Verdrängung wie im Falle der Tierphobie darf als eine
gründlich mißglückte bezeichnet werden. Das Werk der Verdrängung
besteht nur in der Beseitigung und Ersetzung der Vorstellung, die Un-
lustersparnis ist überhaupt nicht gelungen. Deshalb ruht die Arbeit der
Neurose auch nicht, sondern setzt sich in einem zweiten Tempo fort,
um ihr nächstes, wichtigeres Ziel zu erreichen. Es kommt zur Bildung
eines Fluchtversuches, der eigentlichen Phobie, einer Anzahl von Ver-
meidungen, welche die Angstentbindung ausschließen sollen. Durch
welchen Mechanismus die Phobie ans Ziel gelangt, können wir in einer
spezielleren Untersuchung verstehen lernen.Zu einer ganz anderen Würdigung des Verdrängungsvorganges nötigt
uns das Bild der echten Konversionshysterie. Hier ist das Hervor-
stechende, daß es gelingen kann, den Affektbetrag zum völligen Ver-
schwinden zu bringen. Der Kranke zeigt dann gegen seine Symptome
das Verhalten, welches Charcot „la belle indifference des hystériques“
genannt hat. Andere Male gelingt diese Unterdrückung nicht so voll-
ständig, ein Anteil peinlicher Sensationen knüpft sich an die Symptome
selbst, oder ein Stück Angstentbindung hat sich nicht vermeiden lassen,
das seinerseits den Mechanismus der Phobiebildung ins Werk setzt. Der
Vorstellungsinhalt der Triebrepräsentanz ist dem Bewußtsein gründlich
entzogen; als Ersatzbildung – und gleichzeitig als Symptom – findet
sich eine überstarke – in den vorbildlichen Fällen somatische – Inner-
vation, bald sensorischer, bald motorischer Natur, entweder als Erregung
oder als Hemmung. Die überinnervierte Stelle erweist sich bei näherer
Betrachtung als ein Stück der verdrängten Triebrepräsentanz selbst,
welches wie durch Verdichtung die gesamte Besetzung auf sich ge-
zogen hat. Natürlich decken auch diese Bemerkungen den Mechanismus
einer Konversionshysterie nicht restlos auf; vor allem ist noch das Mo-
ment der Regression hinzuzufügen, das in anderem Zusammenhang
gewürdigt werden soll.Die Verdrängung der Hysterie kann als völlig mißglückt beurteilt
werden, insofern sie nur durch ausgiebige Ersatzbildungen ermöglicht
worden ist; mit Bezug auf die Erledigung des Affektbetrages, die eigentlicheS.
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Aufgabe der Verdrängung, bedeutet sie aber in der Regel einen
vollen Erfolg. Der Verdrängungsvorgang der Konversionshysterie ist dann
auch mit der Symptombildung abgeschlossen und braucht sich nicht wie
bei Angsthysterie zweizeitig – oder eigentlich unbegrenzt – fortzusetzen.Ein ganz anderes Ansehen zeigt die Verdrängung wieder bei der
dritten Affektion, die wir zu dieser Vergleichung heranziehen, bei der
Zwangsneurose. Hier gerät man zuerst in Zweifel, was man als die der
Verdrängung unterliegende Repräsentanz anzusehen hat, eine libidinöse
oder eine feindselige Strebung. Die Unsicherheit rührt daher, daß die
Zwangsneurose auf der Voraussetzung einer Regression ruht, durch welche
eine sadistische Strebung an die Stelle der zärtlichen getreten ist. Dieser
feindselige Impuls gegen eine geliebte Person ist es, welcher der Ver-
drängung unterliegt. Der Effekt ist in einer ersten Phase der Verdrängungs-
arbeit ein ganz anderer als später. Zunächst hat diese vollen Erfolg, der
Vorstellungsinhalt wird abgewiesen und der Affekt zum Verschwinden
gebracht. Als Ersatzbildung findet sich eine Ichveränderung, die Steige-
rung der Gewissenhaftigkeit, die man nicht gut ein Symptom heißen kann.
Ersatz‑ und Symptombildung fallen hier auseinander. Hier erfährt
man auch etwas über den Mechanismus der Verdrängung. Diese hat wie
überall eine Libidoentziehung zustande gebracht, aber sich zu diesem
Zwecke der Reaktionsbildung durch Verstärkung eines Gegensatzes
bedient. Die Ersatzbildung hat also hier denselben Mechanismus wie die
Verdrängung und fällt im Grunde mit ihr zusammen, sie trennt sich
aber zeitlich, wie begrifflich, von der Symptombildung. Es ist sehr wahr-
scheinlich, daß das Ambivalenzverhältnis, in welches der zu verdrängende
sadistische Impuls eingetragen ist, den ganzen Vorgang ermöglicht.Die anfänglich gute Verdrängung hält aber nicht stand, im weiteren
Verlaufe drängt sich das Mißglücken der Verdrängung immer mehr vor.
Die Ambivalenz, welche die Verdrängung durch Reaktionsbildung ge-
stattet hat, ist auch die Stelle, an welcher dem Verdrängten die Wieder-
kehr gelingt. Der verschwundene Affekt kommt in der Verwandlung zur
sozialen Angst, Gewissensangst, Vorwurf ohne Ersparnis wieder, die ab-
gewiesene Vorstellung ersetzt sich durch Verschiebungsersatz, oft
durch Verschiebung auf Kleinstes, Indifferentes. Eine Tendenz zur in-
takten Herstellung der verdrängten Vorstellung ist meist unverkennbar.
Das Mißglücken in der Verdrängung des quantitativen, affektiven Faktors
bringt denselben Mechanismus der Flucht durch Vermeidungen und Ver-
bote ins Spiel, den wir bei der Bildung der hysterischen Phobie kennen
gelernt haben. Die Abweisung der Vorstellung vom Bewußten wird aber
hartnäckig festgehalten, weil mit ihr die Abhaltung von der Aktion, die
motorische Fesselung des Impulses, gegeben ist. So läuft die Verdrängungs-
arbeit der Zwangsneurose in ein erfolgloses und unabschließbares
Ringen aus.S.
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Aus der kleinen, hier vorgebrachten Vergleichsreihe kann man sich
die Überzeugung holen, daß es noch umfassender Untersuchungen bedarf,
ehe man hoffen kann, die mit der Verdrängung und neurotischen Symptom-
bildung zusammenhängenden Vorgänge zu durchschauen. Die außerordent-
liche Verschlungenheit aller in Betracht kommenden Momente läßt uns
nur einen Weg zur Darstellung frei. Wir müssen bald den einen, bald
den anderen Gesichtspunkt herausgreifen und ihn durch das Material
hindurchverfolgen, solange seine Anwendung etwas zu leisten scheint.
Jede einzelne dieser Bearbeitungen wird an sich unvollständig sein und
dort Unklarheiten nicht vermeiden können, wo sie an das noch nicht
Bearbeitete anrührt; wir dürfen aber hoffen, daß sich aus der endlichen
Zusammensetzung ein gutes Verständnis ergeben wird.
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