Das Unbewusste 1915-005/1915.1
1915-005/1915.1 Das Unbewusste
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  • S.

    I.

    Das Unhewußte.

    Van Sigm. Freud.

    Wir haben aus der Psychoanalyse erfahren, das Wesen des Prozesses
    der Verdrängung bestehe nicht darin, eine den Trieb repräsentierende
    Vorstellung aufzuheben, zu vernichten, sondern sie vom Eewußtwerden ab-
    znhalten. Wir sagen denn, sie befinde sich im Zustande des „Unbewußten“,
    und haben gute Beweise dafiir vorzubringen, daß sie auch nnbewußt
    Wirkungen äußern kann, auch solche, die endlich das Bewußtsein er-
    reichen. Alles Verdrängte muß unbewußt bleiben, aber wir wollen
    gleich eingangs feststellen, daß das Verdrängte nicht alles Unbewußte
    deckt. Das Unbewußte hat den weiteren Umfang; des Verdrängte ist ein
    Teil des Unbewußten.

    Wie sollen wir zur Kenntnis des Unhewußten kommen? Wir
    kennen es natürlich nur als Bewußtes, nachdem es eine Umsetzung oder
    Übersetzung in Bewußtes erfahren hat. Die psychuanelytische Arbeit läßt
    uns alltäglich die Erfahrung machen, daß solche Übersetzung möglich
    ist. Es wird hiezu erfordert, daß der Analysierte gewisse Widerstände
    überwinde, die nämlichen, welche es seinerzeit durch Ahweisung vom
    Bewnflten zu einem Verdrängten gemacht haben,

    Die Berechtigung, ein unbewußtes Seelisches anzunehmen und mit
    dieser Annahme wissenschaftlich zu arbeiten, wird uns von vielen Seiten
    bestritten. Wir können dagegen enflihren, daß die Annahme des Un-
    bewußten notwendig und legitirn ist, und daßwir fiir die Existenz
    des Unhewußten mehrfache Beweise besitzen. Sie ist notwendig, weil
    die Daten des Bewußtseins in hohem Grade lückenhnft sind; sowohl bei
    Gesunden als bei Kranken kommen häufig psychische Akte vor, welche
    zu ihrer Erklärung andere Akte voraussetzen, fiir die aber das Bewußt—
    sein nicht zeugt. Solche Akte sind nicht nur die Fehl.handlungen und
    die Träume bei Gesunden, alles, was man psychische Symptome und
    Zwangsetscheinungen heißt, bei Kranken 4 unsere persönlichste tägliche

    Die mut-
    ten]gung au
    Dumme.

  • S.

    190 Sigm. Freud.

    Erfahrung mscht uns mit Einfiillen bekennt, deren Herkunft wir nicht
    kennen, und mit Denkresuitaten, deren Ausarbeitung uns verborgen ge-
    blieben ist. Alle diese bewußten Akte blieben zusammenhangeloe und
    unverständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, daß wir auch
    alles durchs Bewußtsein erfahren müssen, was an seelischen Akten in
    uns vergeht, und ordnen sich in einen nufzeigberen Zusammenhang ein,
    wenn wir die erschlossenen unbewußten Akte interpolieren.‘ Gewinn im
    Sinn und Zusammenhang ist aber ein vollberechtigtes Motiv, das uns
    über die unmittelbare Erfahrung hinaus führen darf. Zeigt es sich dann
    noch, daß wir auf die Annahme des Unbewußten ein erfolgreiches
    Handeln aufbauen können, durch welches wir den Ablauf der bewußten
    Vorgänge zweckdienlich beeinflussen, so haben wir in diesem Erfolg einen
    unsnfechtburen Beweis für die Existenz des Angenommenen gewonnen.
    Man muß sich denn auf den Standpunkt stellen, es sei nichts enderes
    als eine unhaltbere Anmeßung zu fordern, daß alles, was im See—
    lischen vergeht, auch dem Bewußtsein bekannt werden müsse.

    Man kann weiter gehen und zur Unterstützung eines unbewußten
    psychischen Zustandes anführen, daß das Bewußtsein in jedem Moment
    nur einen geringen Inhalt umfaßt, so daß der größte Teil dessen, was
    wir bewußte Kenntnis heißen, sich ohnediee über die längsten Zeiten im
    Zustande der Lutenz, also in einem Zustande von psychischer Unbewnßt-
    heit befinden muß. Der Widerspmch gegen das Unbewußte würde mit
    Rücksicht auf alle unsere lstenten Erinnerungen völlig unbegreiflich
    werden. Wir stoßen dann auf den Einwand, daß diese Istenten Erin»
    nerungen nicht mehr als psychisch zu bezeichnen seien, sondern den
    Besten von sometischen Vorgängen entsprechen, aus denen das Psychische
    wieder hervorgehen kann. Es liegt nahe zu erwidern, die latente Erin-
    nerung sei im Gegenteil ein unzweifelhafter Rückstand eines psychischen
    Vorganges. Wichtiger ist es aber, sich klerzumechen, daß der Einwand
    auf der nicht uusgespmchenen, aber von vornherein fixierten Gleich—
    stellung des Bewußten mit dem Seelischen ruht. Diese Gleichstellung
    ist entweder eine petitio principii, welche die Frage, ob alles Psychische
    auch bewußt sein müsse, nicht zuläßt, oder eine Suche der Konvention,
    der Nomenklatur. In letzterem Charakter ist sie natürlich wie jede Kon-
    vention unwiderlegbsr. Es bleibt nur die Frage offen, ob sie sich als so
    zweckmäßig erweist, daß man sich ihr anschließen muß. Man darf unt—
    worten, die konventionelle Gleichstellung des Psychischen mit dem Be-
    wußten ist durchaus nnzweckmäßig. Sie zerreißt die psychischen Kon-
    trnuitäten, stürzt uns in die unlösberen Schwierigkeiten des psycho-
    physisohen Persllelismus, unterliegt dem Vorwurf, daß sie ohne einsicht-
    liche Begründung die Rolle des Bewußtseins überschätzt‚ und nötigt uns;
    das Gebiet der psychologischen Forschung vorzeitig zu verlassen, ohne
    uns von anderen Gebieten her Entschädigung bringen zu können.

  • S.

    Das Unbewuflte. 191

    Immerhin ist es klar, daß die Frage, ob man die unabweisberen la.-
    tenten Zustände des Seelenlebens als unbewußte seelische oder als phy-
    sische auffnssen soll, auf einen Wortstreit hinauszulaut'en droht. Es ist
    darum ratsamer, das in den Vordergrund zu rücken, was uns von der
    Natur dieser fraglichen Zustände mit Sicherheit bekannt ist. Nun sind
    sie uns nach ihren physischen Charakteren vollkommen unzugänglich;
    keine physiologische Vorstellung, kein chemischer Prozeß kann uns eine
    Ahnung von ihrem Wesen vermitteln. Auf der anderen Seite steht fest,
    daß sie mit den bewußten seelischen Vorgängen die ausgiebigste Be-
    rührung haben; sie lassen sich mit. einer gewissen Arbeitsleistung in sie
    umsetzen, durch sie ersetzen, und sie können mit all den Kategorien be-
    schrieben werden, die wir auf die hewußten Seelenakte anwenden, als
    Vorstellungen, Strebungen, Entschließungen u. dgl, Ja von manchen
    dieser latentcn Zusü'unde miissen wir aussagen, sie unterscheiden sich
    ven den bewnßten eben nur durch den Wegfall des Bewußtseins.
    Wir werden also nicht zögern, sie als Objekte psychologischer Forschung
    und in innigstem Zusammenhang mit den bewußten seelischen Akten zu
    behandeln.

    Die hartnäckige Ablehnung des psychischen Charakters der latenten
    seelischen Akte erklärt sich daraus, daß die meisten der in Betracht
    kommenden Phänomene außerhalb der Psychoanalyse nicht Gegenstand
    des Studiums geworden sind. Wer die pathologischen Tatsachen nicht
    kennt, die Fehlhandlu.ugen der Normalen als Zufälligkeiten gelten läßt
    und sich bei der alten Weisheit bescheidet, Träume seien Schäume, der
    braucht dann nur noch einige Rätsel der Bewußtseinpsynhelogie zu ver-
    nechlässigen, um sich die Annahme unhewußter seelischer Tätigkeit zu
    ersparen. Übrigens haben die hypnotischen Experimente, besonders die
    pesthypnotische Suggestion, Existenz und Wirkungsweise des seelisch Un-
    bewußten bereits vor der Zeit der Psychoanalyse Sinnfitllig demonstriert.

    Die Annahme des Unbewußten ist aber auch eine völlig le gitime,
    insofern wir bei ihrer Aufstellung keinen Schritt von unserer gewohnten,
    für korrekt gehaltenen Denkweise abweichen. Das Bewußtsein vermittelt
    jedem einzelnen von uns nur die Kenntnis von eigenen Seelenzustia'nden;
    daß auch ein anderer Mensch ein Bewußtsein hat, ist ein Schluß, der
    par anslogiam auf Grund der wahrnehmharen Äußerungen und Handlun-
    gen dieses anderen gezogen wird, um uns dieses Benehmen des anderen
    verständlich zu machen. (Psychologisch richtiger ist wohl die Beschreibung,
    daß wir ohne besondere Überlegung jedem anderen außer uns unsere
    eigene Konstitution, und also auch unser Bewußtsein, beilegen, und daß
    diese Identifizierung die Voraussetzung unseres Verständnisses ist.) Dieser
    Schluß — oder diese Identifizierung ‚ wurde einst vom Ich auf andere
    Menschen, Tiere, Pflanzen, Unbelebtes und auf das ganze der Welt aus-
    gedehnt und erwies sich als brauchbar, solange die Ahnh'chkeit mit dem

  • S.

    192 Sign:. Freud.
    Einzel-Ich eine überwältigend große war, wurde aber in dem Maße un—
    verläßlicher, als sich das Andere vom Ich entfernte. Unsere heutige
    Kritik wird bereits beim Bewußtsein der Tiere unsicher, verweigert sich
    dem Bewußtsein der Pflanzen und weist die Annahme eines Bewußtseins
    des Unbelebten der Mystik zu. Aber auch, wo die ursprüngliche Identi-
    fizierungsneigung die kritische Prüfung bestanden hat, bei dem uns
    nächsten menschlichen Anderen, ruht die Annahme eines Bewußtsein
    auf einem Schluß und kann nicht die unmittelbare Sicherheit unseres
    eigenen Bewußtseins teilen.

    Die Psychoanalyse fordert nun nichts anderes, als daß dieses Schluß-
    verfahren auch gegen die eigene Person gewendet werde, wozu eine
    konstitutionelle Neigung allerdings nicht besteht. Geht man so vor, so
    muß man sagen, alle die Akte und Äußerungen, die ich an mir bemerko
    und mit meinem sonstigen psychischen Leben nicht zu verknüpfen weiß,
    müssen beurteilt werden, als ob sie einer anderen Person angehörten,
    und sollen durch ein ihr zugeschriebenes Seelenleben Aufklärung finden.
    Die Erfahrung zeigt auch, daß man dieselben Akte, denen man bei der
    eigenen Person die psychische Anerkennung verweigert, bei anderen
    sehr wohl zu deuten, d. h. in den seelischen Zusammenhang einzu-
    reihen versteht. Unsere Forschung wird hier offenbar durch ein be—
    sonderss Hindernis von der eigenen Person abgelenkt und an deren
    richtigen Erkenntnis behindert.

    Dies trotz inneren Widerstrebons gegen die eigene Person gewendete
    Schlußverfahren fiihrt nun nicht zur Aufdeckung eines Unhewußten,
    sondern korrekterweise zur Annehme eines anderen, zweiten Bewußt—
    seins, welches mit dem mir bekannten in meiner Person vereinigt ist.
    Allein hier findet die Kritik berechtigten Anlaß, einiges einzuwerfen. Erstens
    ist ein Bewußtsein, von dem der eigene Träger nichts weiß, noch etwas
    anderes als ein fremdes Bewußtsein, und es wird fraglich, ob ein solches
    Bewußtsein, dem der wichtigste Charakter abgeht, überhaupt noch
    Diskussion verdient. Wer sich gegen die Annahme eines unbewußißn
    Psychischen gesträuht hat, der wird nicht zufrieden sein können, dafür
    ein unbewußtes Bewußtsein einzutauschen. Zweitens weist die
    Analyse darauf hin, daß die einzelnen latenten Seelenvorgänge, die wir
    erschließen, sich eines hohen Grades von gegenseitiger Unabhängigkeit
    erfreuen, so als ob sie miteinander nicht in Verbindung stünden und
    nichts voneinander wii.ßten. Wir müssen also bereit sein, nicht nur ein
    zweites Bewußtsein in uns anzunehmen, sondern auch ein drittes, viertes,
    vielleicht eine unsbschließbare Reihe von Bewußtseinszuständen, die
    sämtlich uns und miteinander unbekannt sind. Drittens kommt als
    schwerstes Argument in Betracht, daß wir durch die analytische Unter-
    suchung erfuhren, ein Teil dieser latenten Vorgänge besitze Charaktere
    und Eigentümlichkeiten, welche uns fremd, selbst unglaublich erscheinen

  • S.

    Du Unbewnlte. 193

    und den uns bekannten Eigenschaan des Bewußtseins direkt zuwider-
    laufen. Somit werden wir Grund haben, den gegen die eigene Person
    gewendeten Schluß dahin abzuändern, er beweise uns nicht ein zweites
    Bewußtsein in uns, sondern die Existenz von psychischen Akten, welche
    des Bewußtseins entbehren. Wir werden auch die Bezeichnung eines
    „Unterbewufltseins“ als inkorrekt und irreiiihrend ablehnen dürfen. Die
    bekannten Fälle von „Double conscience“ (Bewußtseinsspaltung) be—
    weisen nichts gegen unsere Auffassung, Sie lassen sich am zutreflendsten
    beschreiben als Fälle von Spaltung der seelischen Tätigkeiten in zwei
    Gruppen7 wobei sich dann das nämliche Bewußtsein slternierend dem
    einen oder dem anderen Lager zuwendet.

    Es bleibt uns in der Psychoanalyse gar nichts anderes übrig, als
    die seelischen Vorgänge für an sich unbewußt zu erklären und ihre
    Wahrnehmung durch das Bewußßein mit der Wahrnehmung der Außen-
    welt durch die Sinnesorgane zu vergleichen. Wir hoffen sogar aus diesem
    Vergleich einen Gewinn' für unsere Erkenntnis zu ziehen. Die psycho-
    analytische Annahme der unhewußten Seelentätigkeit erscheint uns einer—
    seits als eine weitere Fortbildung des primitiven Animismus‚ der uns
    überall Ebenbilder unseres Bewußtseins vorspiegelte, und anderseits als
    die Fortsetzung der Korrektur, die Kant an unserer Auffassung der
    äußeren Wahrnehmung vorgenommen hat. Wie Kant uns gewarnt hat,
    die subjektive Bedingtheit unserer Wahrnehmung nicht zu übersehen
    und unsere Wahrnehmung nicht für identisch mit dem unerkennharen
    Wahrgenommcnen zu halten, so mahnt die Psychoanalyse, die Bewußtseins—
    Wahrnehmung nicht an die Stelle des unhewußten psychischen Vor—
    ganges zu setzen, Welcher ihr Objekt ist. Wie das Physische, so
    braucht auch das Psychische nicht in Wirklichkeit so zu sein, wie es
    uns erscheint. Wir werden uns aber mit Befriedigung auf die Erfahrung
    vorbereiten7 daß die Korrektur der inneren Wahrnehmung nicht ebenso
    große Schwierigkeit bietet wie die der äußeren, daß das innere Objekt
    minder unerkennbar ist als die Außenwelt.

    Ehe wir weitergehen, Wollen wir die wichtige, aber auch beschwer- ”“iß‘ääz‘ß
    liche Tatsache feststellen, daß die Unbewußtheit nur ein Merkmal des “um.“
    Psychischen ist, Welches für dessen Charakteristik keineswegs ausreicht.

    Es gibt psychische Akte von sehr verschiedener Dignität, die doch in
    dem Charakter, unbewußt zu sein, übereinstimmen. Das Unbewuflte um-
    faßt einerseits Akte, die bloß Iatent, zeitweilig unbewußt sind, sich aber
    sonst von den bewußten in nichts unterscheiden, und anderseits Vor-
    gänge wie die verdrängten, die‚ wenn sie bewußt würden, sich von den
    iibrigen hewußten aufs grellste abheben müßten. Es wurde allen Miß-
    verständnissen ein Ende machen, wenn wir von nun an bei der Be-
    schreibung der verschiedenartigan psychischen Akie ganz davon absehen
    würden, ob sie bewußt oder unbewußt sind, und sie bloß nach ihrer

    Zslhchr. :. um]. Psychoanalyse. mm. 15

  • S.

    Der topllebs
    Gesichtspunkt.

    194 Sigm. Freud.

    Beziehung zu den Trieben und Zielen, nach ihrer Zusammensetzung und
    Angehörigkeit zu den einander übergeordneten psychischen Systemen klassi.
    fizieren und in Zusammenhang bringen würden. Dies ist aber aus ver-
    schiedenen Gründen undurchfilhrbar, und somit können wir der Zwei-
    deutigkeit nicht entgehen, daß wir die Worte bewußt und unbewußt bald
    im deskriptiven Sinne gebrauchen, bald im systematischen, wo sie dann
    Zugehörigkeit zu bestimmten Systemen und Begabung mit gewissen
    Eigenschaften bedeuten. Man könnte noch den Versuch machen, die Ver-
    wirrung dadurch zu vermeiden, daß man die erkannten psychischen
    Systeme mit willkürlich gewählten Namen bezeichnet, in denen die Be-
    wußtheit nicht gestreift wird. Allein man müßte vorher Rechenschaft ab-
    legen, Worauf man die Unterscheidung der Systeme gründet, und könnte
    dabei die Bewußtheit nicht umgehen, da sie den Ausgangspunkt aller
    unserer Untersuchungen bildet. Wir können vielleicht einige Abhilfe von
    dem Vorschlag erwarten, wenigstens in der Schrift Bewußtsein durch die
    Darstellung Bw und Unhewußtee durch die entsprechende Abkürzung
    [H)w zu ersetzen, wenn wir die beiden Werte im systematischen Sinne
    gebrauchen,

    In positiver Darstellung sagen wir nun als Ergebnis der Psyche-
    anelyse aus, daß ein psychischer Akt im allgemeinen zwei Zustande-
    plmsen durchläuft, zwischen welche eine Art Prüfung (Zensur) ein-
    geschaltet ist. In der ersten Phase ist er unbewußt und gehört dem
    System Ubw an; wird er bei der Prüfung von der Zensur abgewiesen,
    so ist ihm der Übergang in die zweite Phase versagt; er heißt dann
    „ver-drängt“ und muß unbewußt bleiben. Besteht er aber diese Prüfung,
    so tritt er in die zweite Phase ein und vfird dem zweiten System zu-
    gehörig, welches wir das System BW nennen wollen. Sein Verhältnis
    zum Bewußtsein ist aber durch diese Zugehörigkeit noch nicht eindeutig
    bestimmt. Er ist noch nicht bewußt, wohl aber bewußtseinsfähig
    (nach dem Ausdruck von J. Breuer), &. h. er kann nun ohne beson-
    deren Widerstand beim Zutrefl'eu gewisser Bedingungen Objekt des
    Bewußtseins werden. Mit Rücksicht auf diese Bewußtseinsfähigkeit
    heißen wir das System Bw auch das „Vorbewußto“. Sollte es sich
    herausstellen, daß auch das Bewußtwerden des Vorbewullten durch eine
    gewisse Zensur mitbestimmt wird, so werden wir die Systeme wa und Bw
    strenger voneinander sondern. Vorläufig genüge es festzuhalten, daß das
    System wa die Eigenschaften des Systems Bw teilt, und daß die strenge
    Zensur am Übergang vom Ubw zum wa (oder Bw) ihres Amtes waltet.

    Mit der Aufnahme dieser (2 oder 3) psychischen Systeme hat sich
    die Psychoanalyse einen Schritt Weiter von der deskriptiven Bewußtseine-
    psychologie entfernt, sich eine neue Fragestellung und einen neuen Inhalt
    beigelegt, Sie unterschied sich von der Psychologie bisher hauptsächlich
    durch die dynamische Auffassung der seelischen Vorgänge; nun kommt

  • S.

    Das Unhewuflte. 195

    hinzu, daß sie auch die psychische Topik berücksichtigen und von
    einem beliebigen seelischen Akt angeben will, innerhalb Welches Systems
    oder zwischen Welchen Systemen er sich abspielt. Wegen dieses Bea
    strebens hat sie auch den Namen einer Tiefenpsycholcgie er-
    halten. Wir werden hören, daß sie auch noch um einen anderen Ge-
    sichtspunkt bereichert werden kann.

    Wollen wir mit einer Topik der seelischen Akte Ernst machen, so
    müssen wir unser Interesse einer an dieser Stelle auftauchenden Zweifel-
    frage zuwenden. Wenn ein psychischer Akt (beschränken wir uns hier
    auf einen solchen von der Natur einer Vorstellung) die Umsetzung aus
    dem System Ubw in das System Bw (oder wa) erfährt, sollen wir an-
    nehmen, daß mit dieser Umsetzung eine neuerliche Fixierung, gleichsam
    eine zweite Niederschrift der betreffenden Vorstellung verbunden ist, die
    also auch an einer neuen psychischen Lokalität enthalten sein kann, und
    neben welcher die ursprüngliche unbewullte Niederschrift forthesteht?
    Oder sollen wir eher glauben, daß die Umsetzung in einer Zustands-
    änderuug besteht, welche sich an dem männlichen Material und an der-
    selben Lokflität vollzieht? Die Frage kann abstrus erscheinen, muß
    aber aufgeworten werden, wenn wir uns von der psychischen Topik, der
    psychischen Tiefenrlirnension, eine hestirnmtere Idee bilden wollen. Sie
    ist schwierig, weil sie über das rein Psychologische hinausgeht und die
    Beziehungen des seelischen Apparate zur Anatomie streift. Wir wissen,
    daß solche Beziehungen im Gröbsten existieren. Es ist ein unerschi'itter-
    liches Resultat der Forschung, daß die seelische Tätigkeit an die Funktion
    des Gehirns gebunden ist wie an kein anderes Organ. Ein Stück Weiter
    — es ist nicht bekannt, wie weit ——- führt die Entdeckung von der Un-
    gleichwertigkeit der Gehimteile und deren Sonderbeziehung zu bestimmten
    Kürperteilen und geistigen Tätigkeiten. Aber alle Versuche, von da aus
    eine Lokalisation der seelischen Vorgänge zu erraten, alle Bemühungen,
    die Vorstellungen in Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Er—
    regungen auf Nervenfasern wandern zu lassen, sind gründlich gescheitert.
    Dasselbe Schicksal Würde einer Lehre bevorstehen, die etwa den ana—
    tomischen Ort des Systems Bw, der bewußten Seelentätigkeit, in der
    Hirnrinde erkennen und die unbewulllten Vorgänge in die subkortikalen
    Hirnpartien versetzen wollte Es klai‘ft hier eine Lücke, deren Ausfüllung
    derzeit nicht möglich ist, auch nicht zu den Aufgaben der Psychologie
    gehört Unsere psychische Topik hat v o r l s u fi g nichts mit der Anatomie
    zu tun; sie bezieht sich auf Regionen des seelischen Apparats, wo immer
    sie im Körper gelegen sein mögen, und nicht auf anatomische Ört-
    lichkeiten.

    Unsere Arbeit ist also in dieser Hinsicht frei und darf nach ihren
    eigenen Bedürfnissen vorgehen, Es wird auch förderlich sein, wenn wir
    uns daran mahnen, daß unsere Annahmen zunächst nur den Wert von

    15*

  • S.

    196 Sign. Freud.
    Verenscheulichungen beanspruchen, Die erstere der beiden in Betracht
    gezogenen Möglichkeiten, nämlich daß die bw Phase der Vorstellung
    eine neue, an anderem Orte befindliche Niederschrift derselben bedeute,
    ist unzweifelhsft die gröbere, aber auch die bequemere. Die zweite An-
    nahme, die einer bloß funktionellen Zustandsänderung, ist die von
    vornherein wahrscheinlicher-e, aber sie ist minder plastisch, weniger
    leicht zu handhaben. Mit der ersten, der topischen Annahme ist die einer
    topischen Trennung der Systeme Ubw und Bw und die Möglichkeit ver-
    knüpft, daß eine Vorstellung gleichzeng an zwei Stellen des psychischen
    Apparate vorhanden sei, ja. daß sie, wenn durch die Zensur ungehemmt,
    regelmäßig von dem einen Ort an den anderen verrücke, eventuell, ohne
    ihre erste Niederlassung oder Niederschrift zu verlieren. Das mag he-
    frerndlich aussehen, kann sich aber an Eindrücke aus der psychoanalyfi-
    schen Praxis anlehnen.

    Wenn man einem Patienten eine seinerzeit von ihm verdrängte
    Vorstellung, die man ernten hat, mitteilt, so ändert dies zunächst an
    seinem psychischen Zustand nichts. Es hebt vor allem nicht die Ver-
    drängung auf, macht deren Folgen nicht rückgängig, wie man vielleicht
    erwarten konnte, weil die früher unbewußte Vorstellung nun bewußt ge-
    worden ist. Man wird im Gegenteil zunächst nur eine neuerliche Ab-
    lehnung der verdrängten Vorstellung erzielen. Der Patient hat aber jetzt
    tatsächlich dieselbe Vorstellung in zweifacher Form an verschiedenen
    Stellen seines seelischen Apparate, erstens hat er die bewußtc Erinnerung an
    die Gehörspur der Vorstellung durch die Mitteilung, zweitens trägt er
    daneben, wie wir mit Sicherheit wissen, die unbewußte Erinnerung an
    das Erlebte in der früheren Form in sich. In Wirklichkeit tritt nun eine
    Aufhebung der Verdrängung nicht eher ein, als bis die bewußte Vor-
    stellung sich nach Überwindung der Widerstände mit der unbewußten
    Erinnerungsspur in Verbindung gesetzt hat. Erst durch das Bewußt-
    macheu dieser letzteren selbst wird der Erfolg erreicht. Damit schiene
    ja für oberflächliche Erwägung erwiesen, (laß bewußte und unbewußte
    Vorstellungen verschiedene und topisch gesonderte Niederschriften des
    nämlichen Inhalte sind, Aber die nächste Überlegung zeigt, daß die
    Identität der Mitteilung mit der verdrängten Erinnerung des Patienten
    nur eine scheinbare ist. Des Gehörthaben und das Erlebthaben sind zwei
    nach ihrer psychologischen Natur ganz verschiedene Dinge, auch wenn
    sie den nämlichen Inhalt haben.

    Wir sind also zunächst nicht im stands, zwischen den beiden er-
    ürterten Möglichkeiten zu entscheiden. Vielleicht treffen wir späterhin
    auf Momente, welche für eine von beiden den Ausschlag geben können.
    Vielleicht steht uns die Entdeckung bevor, daß unsere Fragestellung un-
    zureichend wer, und daß die Unterscheidung der unbewu.ßten Vorstellung
    von der hewußten noch ganz anders zu bestimmen ist.

  • S.

    Das Unbewuflte. 197

    Wir haben die vorstehende Diskussion auf Vorstellungen ein-
    geschränkt und können nun eine neue Frage aufwerfen, deren Beant—
    wortung zur Klärung unserer theoretischen Ansichten beitragen muß.
    Wir sagten, es gäbe bewußte und unbewußte Vorstellungen; gibt es aber
    auch unhewußte Triebregungen, Gefühle, Empfindungen, oder ist es dies-
    mal sinnlos, solche Zusammensetzungen zu bilden?

    Ich meine wirklich, der Gegensatz von bewußt und nnbewu.ßt hat
    auf den Trieb keine Anwendung, Ein Trieb kann nie Objekt des Be—
    wußtseins werden, nur die Vorstellung, die ihn repräsentiert. Er kann
    aber auch im Unbewußten nicht anders als durch die Vorstellung re-
    präsentiert sein. Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heiten
    oder nicht als ein Afl'ektzustand zum Vorschein kommen, so könnten
    wir nichts von ihm wissen. Wenn wir aber doch von einer unbewul.lten
    Triebregung oder einer verdrängten Triebregung reden, so ist dies eine
    harmlose Nachläesigkeit des Ausdruckes. Wir können nichts anderes
    meinen als eine Triebregnng, deren Vorstellungsrepräsentanz unhewußt
    ist, denn etwas anderes kommt nicht in Betracht.

    Man sollte meinen, die Antwort auf die Frage nach den unhewußten
    Empfindungen, Gefühlen, Affekten sei ebenso leicht izu gehen. Zum
    Wesen eines Gefühle gehört es doch, daß es verspürt, also dem Bewußt-
    sein bekannt wird. Die Möglichkeit einer Unbewußtheit wiirde also für
    Gefühle, Empfindungen, Afi'ekte völlig entfallen. Wir sind aber in der
    psychoanalytischen Praxis gewöhnt, von nnbewullter Liebe, Haß, Wut usw.
    zu sprechen und finden selbst die befrerndliche Vereinigung „unbewußtes
    Schuldbewußtsein“ oder eine paraduxe „unhewußte Angst“ nnverrneid—
    lich. Geht dieser Sprachgebrauch an Bedeutung über den im Falle des
    „unbewußten Triebes“ hinaus?

    Der Sachverhalt ist hier wirklich ein anderer. Es kann zunächst
    vorkommen, daß eine Afiekt- oder Gefühlsregung wahrgenommen, aber
    ver-kennt wird. Sie ist durch die Verdrängung ihrer eigentlichen Re—
    präsentanz zur Verknüpfung mit einer anderen Vorstellung genötigt
    werden und wird nun vom Bewußtsein fiir die Äußerung dieser letzteren
    gehalten. Wenn wir den richtigen Zusammenhang wieder herstellen,
    heißen wir die ursprüngliche Aflektregung eine „nnbewußte“, obwohl ihr
    Alfekt niemals unbewußt war, nur ihre Vorstellung der Verdrängung er-
    legen ist. Der Gebrauch der Ausdrücke „unbewußter Afl'ekt und Gefiihl"
    weist überhaupt auf die Schicksale des quantitativen Faktors der Trieb-
    regung infolge der Verdrängung zurück (siehe die Abhandlung über Ver-
    drängung). Wir wissen, daß dies Schicksal ein dreifaches sein kann; der
    Afiekt bleibt entweder — ganz oder teilweise — als solcher bestehen,
    oder er erfahrt eine Verwandlung in einen qualitativ anderen Aflekh
    betrag, vor allem in Angst, oder er wird unterdrückt, d. h. seine Ent-
    wicklung überhaupt verhindert, (Diese Möglichkeiten sind an der Traum-

    em es unbe-
    wunsGelühlsr

  • S.

    193 Sign. Freud.

    arbeit vielleicht noch leichter zu studieren als bei den Neurosen.) Wir
    wissen auch, daß die Unterdrückung der Affektentwicklung das eigent-
    liche Ziol der Verdrängung ist, und daß deren Arbeit unabgescblossen
    bleibt, wenn dies Ziel nicht erreicht wird. In allen Fällen, wo der Ver-
    drä.ngung die Hemmung der Aflektentwicklung gelingt, heißen wir die
    Aifekte‚ die wir im Redressoment der Verdrängungsarbeit wieder ein-
    setzen, „unbewuflte“. Dem Sprachgebrauch ist also die Konsequenz nicht
    ubzustreiten; es besteht aber im Vergleich mit der nnbewußten Vor-
    stellung der bedeutsame Unterschied, daß die unbewußte Vorstellung
    nach der Verdrängung als reale Bildung im System Ubw bestehen bleibt,
    Während dem nnbewnßten Affekt ebendort nur eine Ansatzmöglichksit,
    die nicht zur Entfaltung kommen durfte, entspricht. Streng genommen
    und obwohl der Sprachgebrauch tadellos bleibt, gibt es also keine
    nnbewußten Affelrte, wie es unbewußte Vorstellungen gibt. Es kann aber
    sehr wohl im System Ubw Affektbildnngen geben, die wie andere bewußt
    werden, Der ganze Unterschied rührt daher, daß Vorstellungen Be-
    setzungen —— im Grunde von Erinnerungsspuren — sind, während die
    Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen entsprechen, deren letzte Äuße—
    rungen nls Empfindungen wahrgenommen werden. Im gegenwärtigen
    Zustand unserer Kenntnis von den Afl'ekten und Gefühlen können wir
    diesen Unterschied nicht klarer ausdrücken.

    Die Feststellung, (laß es der Verdrängung gelingen kann, die Umsetzung
    der Triebregung in Alfektäußerung zu hemmenY ist für uns von besonderem
    Interesse. Sie zeigt uns, daß das System BW normalerweise die Afl‘ektivitiit
    wie den Zugang zur Motilität beherrscht, und hebt den Wert der Ver-
    drängung, indem sie als deren Folgen nicht nur die Abhaltung vom Be.
    wußtsein, sondern auch von der Afi'ektentwicklung und von der Motiv'ierung
    tler Muskeltätigkeit aufzeigt. Wir können auch in umgekehrter Dar-
    stellung sagen: Solange das System Bw Afl'ektivität und Motilität bs—
    herrscht, heißen wir den psychischen Zustand des Individuums normal.
    Indes ist ein Unterschied in der Beziehung des herrschenden Systems zu
    den beiden einander nahe stehenden Ahfuhraktionen unverkennbarß)
    Während die Herrschaft des Bw über die willkürliche Motilität fest ge-
    gründet ist, dem Ansturm der Neurose regelmäßig widersteht und erst
    in der Psychose Zusammenbrieht, ist die Beherrschung der Afl'sktentwick-
    lung durch Bw minder gefestigt. Noch innerhalb des normalen Lebens
    läßt sich ein beständiges Ringen der beiden Systeme Bw und Ubw um
    das Primnt in der Afl'ekt-ivitiit erkennen, grenzen sich gewisse Einfluß-
    sphären voneinander ab und stellen sich Vermengnngen der wirksamen
    Kräfte her.

    ' ;) Die AHekfivitlt mm sich wesentliohin motnrisnhsr(sekretoriseher, gefiflregu-
    herendsr) Abfuhr zur (inneren) Veränderung des eigenen Körpers ohne Beziehung zur
    Außenwelt, die Mobilität in Aktionen, die zur Veränderung der Außenwelt bestimmt sind,

  • S.

    Das Unbewullte. 199

    Die Bedeutung des Systems BW für die Zugänge zur Atlektent-
    bindung und Aktion macht uns auch die Rolle verständlich, welche in
    der Krankheitsgestaltung der Ersatzvorstellung zufällt. Es ist möglich,
    daß die Aflektentwicklung direkt vom System Ubw ausgeht, in diesem
    Falle hat sie immer den Charakter der Angst, gegen welche alle „ver-
    drängten“ Afl'ekte ein getauscht werden. Häufig aber muß die Triebregung
    warten, bis sie eine Ersutzvorstellung im System Bw gefunden hat. Dann
    ist die Afi'ektentwicklung von diesem bewußten Ersatz her ermöglicht
    und der qualitative Charakter des Alfekts durch dessen Natur bestimmt.
    Wir haben behauptet, daß bei der Verdrängung eine Trennung des
    Afi’ekts von seiner“ Vorstellung stattfindet, worauf beide ihren gesonderten
    Sehicksnlen entgegengehen. Das ist deskriptiv unbestreitbsr; der wirk-
    liche Vorgang aher ist in der Regel, daß ein Alfekt so lange nicht zu
    stande kommt, bis nicht der Durchbruch zu einer: neuen Vertretung im
    System BW gelungen ist.

    Wir haben das Resultat erhalten, daß die Verdrängung im wesent-
    lichen ein Vorgang ist, der sich an Vorstellungen an der Grenze der
    Systeme Ubw und wa (Bw) vollzieht, und können nun einen neuer-
    lichen Versuch maohen, diesen Vorgang eingehender zu beschreiben. Es
    muß sich dabei um eine Entziehung von Besetzung handeln, aber
    es fragt sich, in welchem System findet die Entziehung statt, und welchem
    System gehört die entzogene Besetzung an.

    Die vei'drängte Vorstellung bleibt im Ubw aktionsfähig; sie muß also
    ihre Besetzung behalten haben. Das Entzogene muß etwas anderes sein.
    Nehmen wir den Fall der eigentlichen Verdrängung vor (des Nach-
    drängens), wie sie sich an der Vorbewußten oder selbst bereits bewußteu
    Vorstellung abspielt, dann kann die Verdrängung nur darin bestehen,
    daß der Vorstellung die (Vor)bewußte Besetzung entzogen wird, die dem
    System wa angehört, Die Vorstellung bleibt dann unbesetzt oder sie
    erhält Besetzung vom Ubw her, oder sie behält die ubw Besetzung,
    die sie schon früher hatte. Also Entziehung der vorbewußten, Erhaltung
    der unbewußten Besetzung oder Ersatz der vorbcwußten Besetzung durch
    eine unbewußte. Wir bemerken übrigens, daß wir dieser Betrachtung
    wie unabsichtlich die Annahme zu Grunde gelegt haben, der Übergang
    aus dem System Ubw in ein nächstes geschehe nicht durch eine neue
    Niederschrift, sondern durch eine Zustendsänderung, einen Wandel in
    der Besetzung, Die funktionale Annahme hat hier die topische mit leichter
    Mühe aus dem Felde geschlagen.

    Dieser Vorgang der übidoentziehung reicht aber nicht aus, um
    einen anderen Charakter der Verdrängung begreiflich zu machen. Es ist
    nicht einzusehen, Warum die besetzt gebliebene oder vom Ubw her mit
    Besetzung versehene Vorstellung nicht den Versuch erneuern sollte, kraft
    ihrer Besetzung in des System wa einzudringen. Dann müßte sich die

    Tank und
    Dynlml.k dar
    Verdrlllg‘ullg.

  • S.

    200 Sigm. Freud.
    Libidoentziehung an ihr wiederholen, und dasselbe Spiel würde sich un-
    abgeschlossen fortsetzen, das Ergebnis aber nicht das der Verdrängung
    sein. Ebenso würde der besprochene Mechanismus der Eutziehung vor-
    bewußter Besetzung Versagen, wenn es sich um die Darstellung der
    Urverdrlmgung handelt; in diesem Falle liegt ja eine unhewußte Vor-
    stellung vor, die noch keine Besetzung vom wa erhalten hat, tler eine
    solche also auch nicht entzogen werden kann.

    Wir bedürfen also hier eines anderen Vorganges, welcher im ersten
    Falle die Verdrängung unterhält, im zweiten ihre Herstellung und Fort-
    dauer besorgt, und können diesen nur in der Annahme einer Gegen-
    besetzung finden, durch welche sich das System wa gegen das An-
    drängen der unbewußten Vorstellung schützt. Wie sich eine solche Gegen-
    besetzung, die im System wa vor sich geht, äußert, werden wir an
    klinischen Beispielen sehen. Sie ist es, Welche den Daueraufwand einer
    Urverdrängung repräsentiert, aber auch deren Dauerhaftigkeit verbürgt.
    Die Gegenbesetzung ist der alleinige Mechanismus der Urverdränguug;
    bei der eigentlichen Verdrängung (dem Nachdrängen) kommt die Ent-
    ziehung der vbw Besetzung hinzu. Es ist sehr wohl möglich, daß gerade
    die der Vorstellung entzogene Besetzung zur Gegenbesetzung ver-
    wendet wird.

    Wir merken, wie wir allmählich dazu gekommen sind, in der Dar-
    stellung psychischer Phänomene einen dritten Gesichtspunkt zur Geltung
    zu bringen, außer dem dynamischen und dem topischen den ökonomi-
    schen, der die Schicksale der Erregungsgrößen zu verfolgen und eine
    wenigstens relative Schätzung derselben zu gewinnen strebt. Wir werden
    es nicht unbillig finden, diese Betrachtungsweise, welche die Vollendung
    der psychoanalytischen Forschung ist, durch einen besonderen Namen
    ausmaichnen, Ich schlage vor, daß es eine metapsychologische
    Darstellung genannt werden soll, wenn es uns gelingt, einen psychischen
    Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomi-
    schen Beziehungen zu beschreiben. Es ist vorherzusagen, daß es uns
    bei dem gegenwärtigen Stand unserer Einsichten nur an vereinzelten
    Stellen gelingen wird.

    Machen wir einen zaghaften Versuch, eine metapsychologischs Be-
    schreibung des Verdrängungsvorganges bei den drei bekannten Über—
    tragungsneurosen zu geben. Wir dürfen dabei „Besetzung“ durch „Li-
    bido“ ersetzen, weil es sich ja, wie wir wissen, um die Schicksale von
    Sexualtriebsn handelt.

    Eine erste Phase des Vorgenges bei der Angsthysterie wird häufig
    übersehen, vielleicht auch wirklich llbergangen, ist aber bei sorgfältiger
    Beobachtung gut kenntlich. Sie besteht darin, daß Angst auftritt, ohne
    ds.ß wahrgenommen würde, wovor. Es ist anzunehmen, daß im Ubw eine
    Liebesregung vorhanden war, die nach der Umsetzung ins System wa

  • S.

    Das Unbewnßte, 201

    verlangte; aber die yon diesem System her ihr zugewendete Besetzung
    zog sich nach Art eines Fluchtversuches von ihr zurück, und die un-
    bewußte Libidobeeetzung der zuruekgewiesenen Vorstellung wurde als
    Angst abgeführt Bei einer etwaigen Wiederholung des Verganges wurde
    ein erster Schritt zur Bewältigung der unhebsa‚men Angstentwioklung
    unternommen Die fliehende Besetzung wendete sich einer Ersatzvorstel-
    lung zu, die einerseits assoziativ mit der abgewiesenen Vorstellung zu-
    sammenhing, anderseits durch die Entfernung von ihr der Verdrängung
    entzogen war (Verschiebungsersatz) und eine Rationalisierung der
    noch unhemmba.ren Angstentw-iuklung gestattete. Die Ersatzvorstellung
    spielt nun für das System Bw die Rolle einer Gegenbesetzung, indem
    sie es gegen das Aufteuchen der verdrängten Vorstellung im Bw ver-
    sichert, anderseits ist sie die Ausgangsstelle der nun erst recht unhemm-
    baren Angstaffektentbindung oder benimmt sich als solche. Die klinische
    Beobachtung zeigt, daß z. B. das an der Tierphobie leidende Kind nun
    unter zweierlei Bedingungen Angst versplirt‚ erstens wenn die verdrängte
    Liebesregung eine Verstärkung erfährt, und zweitens wenn des Angst-
    tier wahrgenommen wird. Die Ersatzvorstellung benimmt sich in dem
    einen Falle wie die Stelle einer Überleitung aus dem System Ubw in
    des System Bw, im anderen wie eine selbständige Quelle der Angstent«
    bindung. Die Ausdehnung der Herrschaft des Systems Bw pflegt sich
    darin zu äußern, daß die erste Erregungsweise der Ersatzvorstellung
    gegen die zweite immer mehr zurücktritt. Vielleicht henimint sich am
    Ende das Kind so, als hätte es gar keine Neigung zu dem Vater, wäre
    ganzi von ihm freigeworden, und als hätte es wirklich Angst vor dem
    Tier. Nur daß diese Tierangst aus der unbewußten Triebqnelle gespeist,
    sich widerspensüg und übergroß gegen alle Beeinflussunan aus dem
    System Bw erweist und dadurch ihre Herkunft aus dem System Ubw
    verrät.

    Die Gegenbesetzung aus dem System Bw hat also in der zweiten
    Phase der Angsthysterie zur Ersatzbildung geführt. Derselhe Mechanismus
    findet bald eine neuerliche Anwendung. Der Verdrängungsvorgeng ist,
    wie wir wissen, noch nicht abgeschlossen und findet ein weiteres Ziel
    in der Aufgabe, die vom Ersatz ausgehende Angstentwicklung zu hemmen,
    Dies geschieht in der Weise, daß die gesamte asseziierte Umgebung der
    Ersatzvorstellung mit besonderer Intensität besetzt wird, so daß sie eine
    hohe Empfindlichkeit gegen Erregung bezeigen kann. Eine Erregung
    irgend einer Stelle dieses Vorhaues muß zufolge der Verknüpfung mit
    der Ersatzvorstellung den Anstoß zu einer geringen Angstentwicklung
    geben, welche nun als Signal henützt wird, um durch neuerliche Flucht
    der Besetzung den weiteren Fortgang der Angstentwicklung zu hemmen.
    Je weiter Weg vom gefürchteten Ersatz die empfindlichen und waehsemen
    Gegenbesetzungen angebracht sind, desto präziser kann der Mechanismus

  • S.

    202 Sigm. Freud.

    funktionieren, der die Ersatzvorstellung isolieren und neue Erregungen
    von ihr abhalten sollt Diese Vorsichtsn schützen natürlich nur gegen
    Erregung, die von außen, durch die Wahrnehmung an die Ersatzvorstel-
    lung herantreten, aber niemals gegen die Triebcrregung, die von der
    Verbindung mit der verdrängten Vorstellung her die Ersatzvorstellung
    trifl‘t. Sie beginnen also erst zu wirken, wenn der Ersatz die Vertretung
    des Verdrängten gut übernommen hat, und können niemals ganz ver-
    läßlich wirken. Bei jedem Ansteigen der Trieherregung muß der schützende
    Wall um die Ersatzvorstellung um ein Stück weiter hinaus verlegt
    werden. Die ganze Konstruktion, die in analoger Weise bei den anderen
    Neurosen hergestellt wird7 trägt den Namen einer Phobie. Der Aus-
    druck der Flucht vor hewußter Besetzung der Ersatzvorstellung sind die
    Vermeidungen, Verzichte und Verbote, an denen man die Angsthysterie
    erkennt. Überschaut man den ganzen Vorgang, so kann man sagen, die
    dritte Phase hat die Arbeit der zweiten in größerem Ausmaß wiederholt.
    Das System BW schützt sich jetzt gegen die Aktivierung der Ersatzvor-
    stellung durch die Gegenbesetzung der Umgebung, wie es sich vorhin
    durch die Besetzung der Ersatzvorstellung gegen das Auftauchen der
    verdrängtsn Vorstellung gesichert hatte. Die Ersatzhildung durch Ver-
    schiebung hat sich in solcher Weise fortgesetzt. Man muß auch hinzu-
    fügen, daß das System Bw früher nur eine kleine Stelle besaß, die eine
    Einbruchspforte der verdrängtcn Triehrngung war, die Ersatzvorstellung
    nämlich, daß aber am Ende der ganze phobische Vorbau einer solchen
    Enklnve des unbewuliten Einflusses entspricht. Man kann ferner den
    interessanten Gesichtspunkt hervorheben, daß durch den ganzen ins Werk
    gesetzten Ahwehrmechanismus eine Projektion (ler Triebget‘nhr nach
    außen erreicht worden ist. Das Ich benimmt sich so, als ob ihm die
    Gefahr der Angstentwicklung nicht von einer Triebregung, sondern von
    einer Wahrnehmung her drohte, und darf darum gegen diese äußere
    Gefahr mit den Fluchtversuohen der phobisuhen Vermeidungen reagieren.
    Eines gelingt bei diesem Vorgang der Verdrängung: die Entbindung von
    Angst läßt sich einigermaßen eindänunen, aber nur unter schweren Opfern
    an persönlicher Freiheit. Fluchtversuche vor Triebansprüchen sind aber
    im allgemeinen nutzlos, und das Ergebnis der phobischen Flucht bleibt
    doch unbefriedigend.

    Von den Verhältnissen, die wir bei der Angsthysterie erkannt haben,
    gilt ein großer Anteil auch für die beiden anderen Neurosen, so daß
    wir die Erörterung auf die Unterschiede und die Rolle der Gegenbesetzung
    beschränken können. Bei der Konversionshysterie wird die Triebhesetzung
    der verdrängten Vorstellung in die Innervation des Symptome umgesetzt.
    Inwieweit und unter welchen Umständen die unbewußte Vorstellung
    durch diese Abfuhr zur Innervation drainiert ist, so daß sie ihr An-
    drängen gegen das System Bw aufgeben kann, diese und ähnliche Fragen

  • S.

    Des Unbewnßta. 203

    bleiben besser einer speziellen Untersuchung der Hysterie vorbehalten.
    Die Rolle der Gegenbesetznng, die vom System BW ausgeht, ist bei der
    Konversionshysterie deutlich und kommt in der Symptombildung zum
    Vorschein. Die Gegenbesetzung ist es, welche die Auswahl hilft, auf
    Welches Stück der Triebrepräsentenz die ganze Besetzung derselben kon-
    zentriert werden darf. Dies zum Symptom erlesene Stück erfüllt die Be-
    dingung, dell es dem Wunschziel der Triebregung ebensosehr Ausdruck
    gibt wie dem Abwehr- oder Strafbestreben des Systems Bw; es wird
    also überbesetzl: und von beiden Seiten her gehalten wie die Ersatz-
    Vorstellung der Angsthysterie. Wir können aus diesem Verhältnis ohne
    Weiteres den Schluß ziehen‚ daß der Verdrängungssufwend des Sy—
    stems Bw nicht so groß zu sein braucht wie die Besetzungsenergie des
    Symptome, denn die Stärke der Verdrängung wird durch die aufgewentlete
    Geg9nbesetzung gemessen, und das Symptom stützt sich nicht nur auf die
    Gegenbesetzung, sondern auch auf die in ihm verdichtete Triehlleeetzung
    aus dem System Ubw.

    Fiir (lie Zwangsneurose hätten wir den in der vorigen Abhandlung
    enthaltenen Bemerkungen nur hinzuzufügen, daß hier die Gegenbesetzung
    des Systems Bw am sinnfälligsten in den Vordergrund tritt Sie ist es,
    die als Reektionsbildung organisiert die erste Verdrängung besorgt, und
    an Welcher später der Durchbruch der verdrängten Vorstellung erfolgt..
    Man darf der Vermutung Raum geben, daß es an dem Vorwiegen der
    Gegenbesetzung und Auefallen einer Abfuhr liegt, wenn das Werk der
    Verdrängung bei Angethysterie und Zwangsnenrose weit weniger ge-
    glückt erscheint als bei der Konversionshystsrie.

    (Wird fortgesetzt.)