• S.

    27. 1. 10

    Lieber Dr Brill

    Ich freue mich sehr mit Ihren guten Nachrichten, per-
    sönlichen wie fachlichen. Wir wollen auch, wenn
    wider schwerere Zeiten kommen, nicht den Mut
    verlieren. Für den Augenblick scheint wirklich
    alles vortrefflich zu stehen. Ihre JMonatsein-
    nahme ist gewiß nur ein kleiner Theil von
    dem, was werden soll. Aus Angriffen wie
    der von Ihnen erwähnte, der mir hier zugetragen
    wurde, machen Sie sich doch nichts, es wird nicht
    der letzte sein. Ich meine, der große Wider-
    stand wird erst losbrechen, u dann wollen
    wir sehen, wer wirklich zu uns hält u dann
    bei uns aushält.

    Auf Putnam setze ich auch große Hoffnungen.
    Ihr Vortrag aus dem Medical Review ist vor-
    trefflich, klar u inhaltsreich, gerade was
    wir für die Einführung bei der Menge
    brauchen. Das schönste Zeichen ist vielleicht
    Jones' Benehmen, der mir so ernsthaft
    geschrieben hat, daß ich ganz an seine
    Herstellung glaube. Ihr Einvernehmen
    mit ihm ist doch die Basis für Amerika,
    da Sie beide allein persönlich Fühlung
    mit uns haben.

    Die zweite Auflage der Sex.theorie, nur um
    einige Anmerkungen vermehrt, dürften Sie
    in 4 Wochen erhalten. In allem anderen

  • S.

    bin ich durch die schwere Arbeit gehindert. Der
    nächste Ruhepunkt wird der Kongreß in Nürnberg
    am 30/31 März sein. Dürfen wir Sie oder Jones
    dazu erwarten? Es ließ sich nicht gut auf den
    Herbst aufschieben.

    Daß Sie die Beziehungen zu meiner Familie
    aufrecht halten, macht Ihrem guten jüdischen
    Herzen alle Ehre. Judith ist gewiß ein ver-
    nünftiges u begabtes Mädchen, aber ich fürchte
    in der Isolirung würde sie doch wie andere
    Amerikanerinnen versauern oder ver-
    knöchern.

    Binswanger u Frau waren eine Woche hindurch
    in Wien u Sonntags unsere Gäste. Nächsten
    Sonntag kommt Ferenczi, auf den ich mich sehr
    freue, erstens seinetwegen u zweitens wegen
    der amerikanischen Erinnerungen. Von den
    Vorgängen in Zürich weiß ich durch Pfister
    u Jung. Ersterer hat mich in einem Artikel
    der Evang. Freiheit gegen Foerster ver-
    teidigt. Loewenfeld hat eben in der Deutsch
    mediz. Woch. einen Aufsatz über Psycho-
    therapie publizirt, der wenigstens zum Theil
    die Abwehr gegen Lieben in Angriff nimmt.

    Ich grüße Sie u Ihre liebe Frau herzlich
    Ihr
    Freud

    [Editorsicher Hinweis von Michale Schröter:
    Er liest „Ziehen“ statt „Lieben“; man könnte das im etnsprechenden Artikel von Löwenfeld verifzieren.]