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Salzburg 11. 8. 16.
Lieber Freund u Mitstreiter
Ich ahnte nicht, dass ich Ihren
liebenswürdigen „Nekrolog“
vom 6.5.16. so bald werde
vergelten dürfen. Sie hatten
mich ja nicht so weit in Art
u Gewicht Ihrer privaten
Belastung eingeweiht. Da
ich nun weiß, habe ich eine
grosse Sicherheit in mir,
daß Sie die Überlegenheit,
das „Fractus si illabatus orbis,
impavidum ferient ruinae“,
in dem menschliche Größe
allein besteht, nicht einbüßen
werden. Über uns alle das -
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Schicksal, die Ἀνάγκη, aber selbst
ihr dürfen wir über die Achsel
gucken, wenn wir nicht weg-
werfen, was wir wissen
und verstehen.Ich hoffe, Sie werden nicht
gerade auf die härteste
Probe gestellt werden.
Medizinisch ist es ja wol nicht
so arg, und vor Adler wußte
man schon, daß es Organkomp-
ensationen giebt, vom psychischen
Überbau ganz abgesehen.
Aber ich mag nicht mit Mil-
derungen u Tröstungen
arbeiten. Es wäre mir lieber
gewesen, wären Sie gesund
u doppelseitig geblieben
u hätten sich der reizenden -
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jungen Frau u des übersprudeln-
den Töchterchens ohne Sorge
im Hintergrunde erfreut.
Es ist nicht. Sie haben Recht, ich
bin mit Glück und Erfolg
in meiner Nähe nicht verwöhnt.
Ich weiß es schon lange u bin
ein härterer Pessimist ge-
worden, wie Sie ein bitterer
Humorist. Ändern Sie sich
nicht viel, ahmen Sie nicht die
Scheintapferen nach, die so
keck sind, so lange es ihnen
gut geht, und im Unglück
umkehren und einkehren.
Wachsen Sie nur, sich selbst
proportional! -
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Ich schreibe an meinen Vor-
lesungen weiter. Dazwischen
sind beide Söhne auf Ur-
laub gekom̄en, beide noch
frisch und unversehrt. Anna
ist noch bei uns. Mein Schwieger-
sohn wird mit seiner traum.
Neurose nicht fertig. Meine
kleinen Enkel kann ich heuer
nicht sehen.Ich grüße Sie herzlich
und hoffe, Sie schreiben
mir wieder sicher eine
Zeile.Ihr treu ergebener
FreudEditorische Anmerkung:
Ἀνάγκη: Ananke