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PROF. DR. FREUD
WIEN, IX. BERGGASSE 19.
Rudolfshof
Kbd 4. 8. 15Lieber Herr Doktor
Sehr liebenswürdig, einen Ansichtskartengruß
mit dem Auszug aus einer so gehaltvollen
Arbeit über Keller zu beantworten. Ich kon-
statire mit Genugtuung, wie Sie das oede
von Sadger, Stekel u.A. angefüllte Schema
zu verfeinern u zu bereichern verstehen,
ein Beweis mehr, daß die Unterweisung
nichts nützt, und daß alles das Individuum
macht, welches sich des Mittels bemächtigt.Während der Lektüre Ihrer Mitteil-
ungen mußte ich mir wieder mit Bedauern
sagen, wie schade, daß das Verständnis
der Externen im̄er bei der Symbolik
Halt macht, auf deren Verwertung
wir doch nie verzichten können. Wir
wollen doch eine endliche Verständigg,
aber woher soll sie kommen?Ich würdige auch Ihre Schwierigkeiten
in der Darstellung des Verhältnißes
zum Mann und in der Suche nach Aus-
füllung der Lücken, welche die Selbst-
biographie lässt. Vieles ebnet sich aber
von selbst, wenn man sich länger mit
dem Ding beschäftigt. (Wir wollen auch -
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hoffen, daß
wSie vor der Zentennarfeier fertig
werden, und daß wir dann nicht ratlos sind,
wo wir die Arbeit unterbringen. Es
steht ja noch dahin, wieviel der Krieg
uns von unserem Apparat übrig läßt.Komisch, daß mein Verhältnis zu
Keller seit der Affaire mit den Schweizern
so gründlich verdorben ist! Ein Hinweis
auf die Wege, die man bei gelungener
Unterdrückung von Gefülsreaktionen
doch gehen muss.Meine Arbeit ist von den Anwendungen
jetzt ganz zu den Grundlagen zurück-
gekehrt. Mein aus 12 Abhandlgen besteh-
endes Buch ist zum ersten Mal fertig;
zur realen Vollendung drängt aber
nichts.Wir wollen unseren Aufenthalt hier um
eine Woche verlängern, so daß wir
um den 18 Aug in Ischl sind. Kbd hat
meinen amerikanischen Darm heuer
nicht ganz bezwungen. Ich bin überzeugt,
meine Antipathie gegen Amerika
wird nicht früher aufhören als
dieses Andenken.Sie haben sehr Recht, sich möglichst zu schonen
weil es ja im Dienst eine relative
Schonung nicht giebt. Grüßen Sie die
liebe Sängerin mit Kind vielmals von uns beiden.Die Inklusitität, die sich in der Zuziehung zum Familienabend
der Hausgenossen zeigt, wissen Sie offenbar zu schätzen.Herzlich Ihr Freud