• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19

    29. Sept 10

    Dearest Dr Putnam

    Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn mein Brief 
    heute einen mir nicht gewohnten Enthusiasmus 
    nicht verläugnen kann.  Ich war selten stolzer 
    oder zufriedener mit mir als nach der Lektüre 
    Ihres Aufsatzes On the Etiology and Treatment 
    of the Psychoneuroses. vom 21 Juli, den ich erst 
    heute nach meiner Rückkehr von Italien gelesen 
    habe.  Nach Ihrem Zeugnis habe ich also nicht 
    umsonst gelebt u gearbeitet, u Männer wie 
    Sie werden dafür sorgen, dass die Gedanken, 
    die ich schmerzhaft genug erkannt habe, nicht 
    für die Menschheit verloren gehen.  Was will 
    ein Einzelner mehr?

    Von Ihrer Seite aber welch eine Meisterschaft 
    der Darstellung der schwierigsten Zusam̄enhänge, 
    welche Klarheit u Wahrheitsliebe, u wie 
    erziehlich muß eine solche Darlegung auf eine 
    Hörerschaft wirken, die noch freien Raum 
    zur Aufnahme von Neuem in sich hat. 
    Ich habe in Ihren Sätzen alles, woran ich glaube, 
    wiedergefunden, aber klarer, in breitem 
    Zusam̄enhang, mitten in die kulturelle 
    Stellung gerückt, in die es gehört, wie ver-
    klärt durch die großen sozialen Gesichts-
    punkte des Menschenfreundes.

    Ich bitte Sie jetzt um die Erlaubnis,diesen Aufsatz 
    für unser Zentralblatt zu übersetzen. Ich 

  • S.

    kann mir keine würdigere u kräftigere Apologie 
    gegen die Angriffe vorstellen, gegen die wir 
    uns hier zu wehren haben.  Nur gestatten Sie, 
    daß ich an jener Stelle, wo Sie mir persönlich 
    ein so hohes Lob spenden, eine Auslassung 
    mache; es würde sich für mich als den Übersetzer 
    nicht anderes schicken, besonders da ich selbst 
    Herausgeber des Zentralblattes bin.

    Von Ihrem Brief vom 1 Sept will ich nicht viel 
    sagen. Er macht Ihnen die grösste Ehre; ich 
    kann nur bedauern, dass meine Gedanken 
    nicht in diese Höhen reichen.

    Die Nachlässigkeit des Buchhändlers in der 
    Zusendung des Leonardo habe ich mich bemüht 
    zu korrigiren.

    Ihr herzlich ergebener
    Freud