• S.

    Prof. Dr. Freud                                                          
    Wien, IX. Berggasse 19.

    Rudolfshof

    31.7.15.

    Lieber Freund

    Dank für Ihre letzte schöne Zusendung.Ich habe mich an 
    Ihre Idee von der abgekürzten Wiederholung 
    jedes ψ Aktes sehr wol erin̄ert u glaube nicht, 
    daß ich sie gering eingeschätzt. Im Gegenteil, 
    sie hat mir gleich gefallen, ich hielt mich nur 
    ferne von ihr, weil es die Ihrige war. Auch schien 
    sie damals unvollziehbar. In ihrer heutigen 
    Fassung u Anwendung stehe ich nicht an, 
    sie als legitime Vollendung u notwendige 
    Folgerung aus meinen Ansichten über das Ψ 
    anzuerkennen. Ich halte darauf, daß man 
    Theorien nicht machen soll, – sie müßen einem 
    als ungerufene Gäste ins Haus fallen, während 
    man mit Detailuntersuchungen beschäftigt 
    ist; und jetzt wäre es mit dieser Theorie so 
    weit. Aber Sie sollen sie bei Gelegen-
    heit selbst ausarbeiten, ich nehme sie 
    nicht auf, obwol ich sie annehme.

    Ihr Einspruch gegen die Projektion bei 
    der Angsthy beruht wol auf ungenügender 
    Ken̄tnis meiner Angstanalysen 
    die darauf hinauslaufen, daß Triebbe-
    setzg durch Realangst ersetzt wird, 
    das Ich sich also so fürchtet, als käme 
    die Gefahr nicht von in̄en, sondern 
    von außen. Das ist doch richtige Projektion

  • S.

    Auch in anderen Bemerkungen ist viel Treff-
    liches u Anregendes, um dessen willen ich 
    Ihr Manuskript noch etwas bei mir behalten 
    möchte. Auf Ihre Kritik der phylog Reihe finden 
    Sie ja die Antwort in dem eingesandten 
    „Entwurf“.

    Sie sind jetzt wirklich der einzige, der noch 
    neben mir arbeitet. Die Anderen sind 
    alle militärisch gelähmt, ich höre kaum 
    etwas von Wien. In 2 Wochen ein Brief 
    von Rank, keine Korrektur, keine 
    Anfrage. Selbst habe ich mich jetzt dem Bw 
    zugewendet, was gründliche Umarbeitg 
    fordert; zunächst noch nichts erreicht. Viel-
    leicht werden Lublin, Iwangorod
    Warschau mithelfen.

    Nach gestern eingelangter Nachricht geht 
    Ernst heute nach Galizien an den Dnjestr 
    Martin schreibt, daß ihm ein 14tägiger 
    Urlaub angeboten worden ist. Er ist 
    seit 20/1 draußen.

    Ich grüße Sie herzlich u wünsche Ihnen lange 
    Andauer der produktiven Phase. 
    Ihr  
    Freud

    Den Namen Paraphrenie gedenke ich 
    festzuhalten.

    Anmerkung Ernst Falzeder
    Am Vortag hatten österreich-ungarische Truppen Lublin erobert und nördlich von Iwangorod, das am 4. August erobert wurde, die Weichsel überschritten. Warschau wurde am 5. August besetzt.