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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.7.6.10.
Lieber Freund
Unsere Briefe haben sich gekreuzt.
Über den L. machen Sie sich keine Sorgen. Ich
schreibe längst nur für den kleinen Kreis,
der sich täglich erweitert, u wenn die Anderen
über L. nicht schimpften, würde ich an meinem
Urteil über ihn irre. Auch was diese Anderen
jetzt sagen ist gleichgiltig. Wir werden alle
von der ΨΑ mehr Dank u Nachruhm haben,
als uns gegenwärtig, wo wir in der Arbeit
sind, wohlthäte.Den Genossen scheint der L. zu gefallen. Pfister
ist visionär durch ihn geworden, sieht die
Kontour des Geiers in dem weißen Gewand-
zug um den Leib der Maria (nachprüfen:
Wo ist die Katz?) u bleibt bei der Über-
einstim̄ung von γυψ (Geier) und Gyps
(giypsus) stehen. Letzteres ist leider Über-
fluß, ersteres scheint mir möglich. Pfister
ist durch seinen homologen Mutterkomplex
scharfsichtig.Von Brill haben Sie also direkte Nachricht.
Ich erwarte Sie in Wien zur Zeit seiner
Anwesenheit; wir können dann auch
die Reise besprechen. Meine Stimmung
ist trotz der Hitze gut, ich hoffe bis dahin
meinen Dickdarm reisefähig gemacht -
S.
zu haben.
Sie scheinen mir jetzt auf dem Wege einer
großen Entdeckung, wenn Sie nachweisen
können, daß die Hypochondrie ein Gährungs-
produkt der Analerotik ist; die also zur
Hypo in ähnlichem Verhältnis steht wie
der Sadismus zur Zwangsneurose. Wenn
Sie selbst durch die Bewunderg in Ihrer
Energie gelähmt sein sollten, will ich
dafür sorgen, daß Sie sich wieder als
Theil einer Kraft fühlen.Ich grüße Sie herzlichst
Ihr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
VII Erzsebét-kőrut 54
Budapest 1073
Ungarn
http://data.onb.ac.at/rec/AC16238491 Autogr. 1053/6(1–14) HAN MAG