• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    21 Dez 09

    Lieber Freund

    Neuerliche Kreuzung! Ich ant-
    worte Ihnen also, daß ich nicht 
    wegen Müdigkeit, sondern 
    wegen familiärer Unruhe 
    und Arbeit auf Ihren lieben 
    Besuch zu Weihnachten ver-
    zichte u Entschädigung vorbehalte. 
    Arbeit: Heute ist die Über-
    setzung von Worcester I einge-
    troffen, der die anderen 
    Stücke sehr bald folgen werden. 
    Sie drängen von dort zur eiligen 
    Erledigung u ich habe dafür 
    wie für die Revision der 
    Sexualtheorie keine andere 
    Zeit als die beiden freien 
    Tage, Samstag u Sonntag. 
    Familie: Weniger entscheidend 
    zum Glück. Gestern (dh heute früh) 

  • S.

    hat mein Bruder seinen ersten 
    Buben bekommen. Die Geburt 
    war schwer, wurde im Sanatorium 
    zu Ende gebracht, wäre ohne 
    Hilfe wegen Größe des Kindes 
    nicht gut ausgegangen. Es geht 
    jetzt alles gut, aber die Familie 
    ist aufgewühlt u die Situation 
    noch nicht sicher. Meine kleine 
    Anna soll mit ihrer verheirateten 
    Schwester als Garde Montag 
    früh auf den Sem̄ering.

    Jung schreibt mir, daß wir 
    den Termin für Nürnberg 
    festsetzen müßen. Ich bin sehr 
    für Ostern, um im Sept 
    frei zu sein u gestörte Pläne 
    auszuführen.

    In Erwartung Ihrer ange-
    kündigten wissensch. 
    Nachrichten

    Ihr herzlich ergebener 
    Freud

    Dank für S.A.

    CD: 
    S.A.  Separat‑Abdruck.

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)
     

    Harry, einziges Kind von Alexander und Sophie Sabine Freud (1878-1970). Er wurde Jurist. 1920 Heirat mit Leli Margaret Horn.

    Freuds jüngstes Kind Anna (1895-1982). Ursprünglich Volksschullehrerin, wurde sie - von ihrem Vater analysiert - als einziges der Freud-Kinder Psychoanalytikerin. Pionierin der Kinderanalyse. Ab 1922 Mitglied der Wiener Vereinigung, seit 1924 Mitglied des Komitees. Als ihr Vater an Krebs

    erkrankte, war sie ihm bis zu seinem Tod Pflegerin, Sekretärin und Beraterin. Mitherausgeberin der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik. 1934 übernahm sie von Helene Deutsch den Vorsitz im Lehrinstitut der Wiener Vereinigung. Leiterin der Hampstead Nurseries (1940-1945) und der Hampstead Clinic (ab 1952). 1945 gründete sie die Zeitschrift Psychoanalytic Study of the Child. In ihren Arbeiten vertrat sie - im Gegensatz zu Melanie Klein - die pädagogische Richtung innerhalb der Kinderanalyse und eine klare Differenzierung zwischen Analysen von Kindern und von Erwachsenen. Ihr Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen (Wien 1936) gilt als Klassiker der Psychoanalyse. Vgl. Elisabeth Young-Bruehl, Anna Freud, A Biography, New York 1988.

    Mathilde.

    Für die "II. Psychoanalytische Vereinigung" am 30. und 31. März 1910.