• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

     Amm 9.8.09

    Lieber Herr Doktor

    Ihre Entscheidung hat zwar die Frauen der 
    Familie etwas gekränkt, aber sie ver-
    schließen sich nicht der Einsicht, daß einige 
    Tage vollkommener, dh: wirklicher Freiheit 
    Ihnen wol zu gönnen seien. Aus dem-
    selben Motiv denke auch ich nicht daran, 
    Sie in Ihren Reiseabsichten durch ein 
    vorzeitiges Zusam̄entreffen zu beschränken 
    u theile Ihnen nun die meinigen mit. Ich 
    bleibe über den 18tn hier, reise 19 früh nach 
    München, 4.25 von dort mit direktem 
    Zug nach Bremen u will am 20 früh 5.35 
    in Bremen eintreffen. Ich brauche also 
    nur noch zu wissen wann Sie ankom̄en 
    (eventuell telegraphisch), um Sie dort zu 
    erwarten.

    Ihr Unwolsein ist doch gewiß Folge der Anstrengug 
    des ganzen Jahres, in welcher Symptomatik 
    es sich im̄er gezeigt hat. Wir wollen hoffen. 
    daß Ihnen gerade die Seereise besonders 
    wol tut.

    Zur Vorbereitg für Amerika erkläre ich 
    mich endgiltig untauglich. Ich habe nichts anderes 
    gelesen als ein archaeolog. Werk über 
    Cypern, u das ist insoferne mit New York 
    verknüpft, als die größte Sam̄lung cyprischer 
    Altertümer nach New York gelangt ist, 
    wo ich sie auch zu sehen hoffe. Sie sehen,

  • S.

    es ist geradezu eine Illustration zu den tiefsinnigen 
    Worten der Zauberflöte: Zur Liebe kann ich 
    dich nicht zwingen. Ich mache mir gar nichts 
    aus Amerika, freue mich aber sehr auf 
    unsere gemeinsame Reise. Auf der Rück-
    reise, wo uns Jung wahrscheinlich bald 
    nach der Landung verlassen wird, wollen 
    wir dann in Berlin u Hamburg gemein-
    sam absolviren, was sich gemeinsam machen 
    läßt u uns für die unvermeidlichen Pflichten 
    gegen Verwandte separiren.

    Ich bin schon recht erholt, geistig noch sehr träge. 
    Den Meinigen geht es hier ausgezeichnet. 
    Gerade in diesen Tagen sind wir hier 
    wieder einmal alle vereinigt. Die 
    älteste Tochter gehört freilich nicht mehr 
    ganz dazu.

    Ich schreibe Ihnen nun nicht mehr u erwarte 
    die Bestimmung Ihrer Ankunft in 
    Bremen. Jung hat eine complizirte 
    Tour u wird uns erst auf dem Schiff treffen.

    Auf Wiedersehen 
    Ihr Freud

    CD: 

    Siehe Freud, Sigmund 1900-001/1900:200
    Die Traumdeutung, VI. Kapitel, Die Traumarbeit, III. Der Käfertraum

    Zu „Freiheit geben“ fällt ihr die Stelle aus der Zauberflöte ein:

    „Zur Liebe kann ich Dich nicht zwingen,
    Doch geb’ ich Dir die Freiheit nicht.“
    (1. Akt,m Ende der Szene 15, Arie des Sarastro: 

    SARASTRO
    Steh auf, erheiter dich, o Liebe!
    Denn ohne erst in
    dich zu dringen,
    weiß ich von deinem
    Herzen mehr:
    du liebest einen
    anderen sehr.
    Zur Liebe will ich
    dich nicht zwingen,
    doch geb’ ich dir
    die Freiheit nicht.