• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    25.4.09

    Lieber Herr College

    Meine Tochter ist Donnerstag von den 
    Residuen des Abszesses aus dem 
    J. 1905 operirt worden; es geht ihr 
    seither gut, u wir haben endlich 
    Hoffnung, daß sie endgiltig her-
    gestellt sein wird.

    Für Ihre Erkundigungen vielen 
    Dank. Mit Cunard sehe ich, ist 
    es nicht viel. Die Auskünfte 
    über den ND Lloyd können 
    nicht richtig sein. Am 21 Aug 
    gerade recht für uns, geht der 
    George Washington, der 8 Tage 
    braucht, so daß wir etwa eine 
    Woche für Amerika vor Worcester 
    frei haben. Ich bin fest entschloßen 
    mich so zu entscheiden; denn 
    Mittelmeer können wir in
    jedem anderen Jahr machen, 
    Amerika wird nicht sobald 
    wieder kom̄en. Meine Antworten 
    aus Amerika sind noch nicht 

  • S.

    eingelangt, aber in jedem Falle 
    möchte ich, wenn es Ihnen recht 
    ist, Ende dieser Woche 2 Kabinen 
    bestellen. Ich meine, es ist sicherer 
    von Wien aus u möchte 600 ‑ 700 
    Mk spendiren. Es kom̄t darauf 
    an, daß die Kabinen hoch und 
    außen sind. Je tiefer desto 
    billiger; die Außenkabinen 
    sind übrigens meist für zwei 
    was wir doch nicht wünschen. Es 
    kom̄t übrigens wenig darauf 
    an, da jede Bethätigung in 
    einer Kabine außer dem Schlafen 
    ausgeschloßen sein soll, wen̄ 
    man nicht gerade Kaiserzim̄er 
    hat. Ich bitte also nochmals um 
    Ihren Bescheid.

    Auf Ihre sehr interessante 
    Wissenschaft antworte ich nicht 
    weil wir Gelegenheit haben
     werden, uns über alles aus-
    zusprechen. Kom̄en Sie nicht noch 
    dazwischen zum Mittwoch 
    Verein?

  • S.

    Ich erwarte gerade zwei interessante 
    Gäste, Moll aus Berlin um 
    ½ 12h und Pfister aus Zürich 
    zum Mittag. Moll wird sehr 
    schlecht empfangen werden; 
    Pfister anders.

    Die Praxis ist auf der Höhe, um-
    gekehrt proportional natürlich 
    Kräfte‑ u Gesundheitszustand. 
    Es ist schwer auszuhalten. In 
    der Literatur ist ziemliche 
    Stille. Von Bleuler ein Aufsatz, 
    der die inf. Sexual voll 
    acceptirt. Ranks Geburt des 
    Helden ist bereits erschienen, 
    wird Sie sehr interessiren.

    Herzliche Grüße
     Ihr Freud           

    ND Lloyd: Nord Deutschen Lloyd 

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Tochter: Mathilde.

    Moll: Albert Moll (1862-1939), deutscher Neurologe und vor allem Sexualwissenschaftler, Herausgeber der Zeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie, in der Freuds Arbeit >Allgemeines über den hysterischen Anfall< (1909a[1908]) erschienen war, und von Abhandlungen aus dem Gebiete der Psychotherapie und medizinischen Psychologie. Molls Buch Das Sexualleben des Kindes (Berlin 1909) war in der Sitzung der Mittwoch-Gesellschaft vom 11.11.1908 besprochen worden (Protokolle II, S. 39-47).

    Pfister: Oskar Pfister (1873-1956), protestantischer Pfarrer in Zürich, seit Jänner 1909 im Briefwechsel mit Freud (Freud/Pfister, Briefe 1909-1939, hg. von Ernst L. Freud und Heinrich Meng, Frankfurt/M. 1963). Er war zeitlebens als Psychoanalytiker tätig und ein Pionier auf dem Gebiet der Anwendung der Psychoanalyse auf Seelsorge und Pädagogik. Pfister wurde und blieb ein enger Freund der Familie Freud.

    Aufsatz Bleuler: ›Sexuelle Abnormitäten der Kinder< (Jahresbericht der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, 1908, 9: S. 623). Von Freud unter anderem in seinen Amerika-Vorlesungen (1910a[1909], S. 45) zur Unterstützung seiner Ansichten zitiert.

    Rank: Der Mythus von der Geburt des Helden, Versuch einer psychoanalytischen Mythendeutung, Leipzig und Wien 1909.

  • S.

    26.4.09

    Moll war also bei mir. Ich 
    habe ihn beschimpft u fast hinaus-
    geworfen. Er ist ein ekelhaftes 
    bissiges, hämisch‑rabulistisches 
    Individuum. Dann kam Pfister
    der ein reizender Kerl ist, 
    u sich allen ins Herz geschmeichelt 
    hat, ein warmherziger Schwärmer 
    halb Heiland, halb Rattenfänger. 
    Wir sind eben als gute Freunde 
    geschieden. 

    Fr.