• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    26.XI.08

    Lieber Herr College

    Ungern sage ich Ihnen für Sonntag 
    ab, auch sehr gegen den Wunsch 
    der Corona u muß Ihnen darum 
    wenigstens die mehrfache Motivirung 
    mittheilen. Erstens haben wir einen 
    Patienten zu Bett, zweitens dürfen 
    wir gerade für diesen Sonntag 
    ausgiebigen Besuch der neuen 
    Verwandten erwarten u drittens 
    bin ich durch den Ausfall der 
    Morgendusche, die mich seit 22 Jahren 
    frisch erhält, so ermüdet, daß 
    ich am Sabbat völlige Ruhe ein-
    zuhalten genötigt bin. Mit Ihnen 
    möchte ich aber doch einige Stunden 
    über unsere Wissenschaft plaudern. 
    Darum schlage ich Ihnen einen 
    Aufschub für einen der nächsten 
    Son̄tage vor, wenn sich alles 
    gebessert haben wird, spätestens 
    (ich bin eben durch einen 10j.
     Zwangshandler aus Bpest gestört worden)

  • S.

    aber bis Weihnachten, zu welchen 
    Ferien wir Sie dann sicher er-
    warten würden. Ihre Mittwochabsage 
    nehme ich auch nicht als definitiv. 

    Grobheiten gegen Salgó brauchen 
    Sie nicht zu bedauern; ich meine 
    ihm geschieht nicht leid Unrecht. Der 
    Beifall den Sie in der Ges. d. Ärzte 
    gehabt haben, gilt gewiß eher Ihrem 
    persönlichen Auftreten als der 
    Sache, aber es thut doch gut.

    Ein Traumbuch in einer fremden 
    Sprache wäre ein Desiderat u höchst 
    interessant. Ich rede auch den Eng-
    ländern beständig zu. Bisher wollte 
    niemand anbeißen. Es muß doch 
    einmal sein.

    Ich arbeite jetzt, wenn man das Tempo 
    noch so heißen kann, denn ich 
    kom̄e außer am Sonntag 
    kaum dazu, ein paar Zeilen 
    zu schreiben, an einer Allgem. 
    Methodik der Psychoanalyse, 
    von der bis jetzt 24 Seiten stehen. 

  • S.

    Ich meine, das muß für diejenigen 
    welche bereits analysiren, ganz be-
    deutsam werden. Wer noch draußen 
    steht, wird kein Wort davon ver-
    stehen. 

    Brill hat eine schöne Analyse einer 
    Dem pr noch einf Zürich, im Journal 
    von Morton Prince veröffentlicht; er 
    Jones, Abraham u Jung natürlich sind 
    in regelmäßiger Correspondenz 
    mit mir. Bald hoffe ich von dem Halb-
    band zu hören, der ja im Jan. er-
    scheinen soll, aber kaum seine 
    Zeit einhalten wird. Sonst fließt 
    der Strom der Arbeit gleichmäßig 
    fort ohne daß ich Zeit hätte, seine 
    Niederschläge zu beobachten. Was 
    ich gelernt habe, erfahre ich gewöhnlich 
    erst im Herbst. Gleichgiltigkeit gegen 
    meine Pat. ist aber gewiß längst 
    darunter. Jung hat sehr richtig 
    bemerkt, daß man die Hysterie 
    mit einer Art von Demenz pr.

  • S.

    heilen muß.

    Technik und Mythologie theilen sich in 
    den wenigen freien Stunden in 
    das Rudiment von Interesse 
    das mir geblieben ist. Der inhalts-
    reiche Som̄er liegt wie Jahre lang 
    hinter mir u schier unglaublich scheint 
    es, daß nach diesem Arbeitsjahr 
    wieder ein Som̄er kommen soll.

    Mit herzlichem Gruß 
    Ihr Freud

    Anmerkung CD: 
    Ges. d. Ärzte: Gesellschaft der Ärzte

    Seite 3: Bei Brabant et al transkribiert mit auch“, in ihrem Kommentar dazu lesen wir: In der Handschrift „auch“. Hier transkribiert mit „einf“ – als unsichere Lesung markiert.

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Corona: Freuds Familie.

    neue Verwandte: Die Hollitschers.

     Allgemeine Methodik: Freud hielt an diesem Projekt bis 1910 fest, gab es in dieser Form dann aber auf und schrieb zwischen 1911 und 1914 sechs kleinere behandlungstechnische Schriften (1911e, 1912b, 1912e, 1913c, 1914g und 1915a[1914]) (vgl. die editorische Einleitung in Studienausgabe, Ergänzungsband, S. 145-148).

    Brills Veröffentlichung: Brills Arbeit erschien unter dem Titel >Psychological Factors in Dementia praecox< in dem von Morton Prince (1854-1929), Psychiater und Professor in Boston, herausgegebenen Journal of Abnormal Psychology (1908, 3: S. 219ff.). Freud sprach über Brills Arbeit am 9.12.1908 in der Mittwoch-Gesellschaft (Protokolle II, S. 71f.).