• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    27.X.08

    Lieber Herr College

    Wenn ich Ihnen so spät u so ungenüg-
    end antworte, so ist der Schluß auf 
    eine Störung von außen wol gerecht-
    fertigt, denn in̄en zwischen uns dürfte 
    sich nichts geändert haben. Thatsächlich 
    kann ich Ihnen mittheilen, daß sich 
    meine Tochter verlobt hat, mit 
    einem jungen Mann ihrer Wal, einem 
    jungen Kaufman̄, Robert Hollitscher 
    hier in Wien, den sie in Meran ken̄en 
    oder wenigstens besser kennen 
    gelernt hat. Die Stim̄ung ist eine 
    sehr freudige, aber es gibt natürlich 
    noch viel mehr als sonst, was 
    die freie Zeit aufzehrt.

    Ich behalte mir also vor, ausführ-
    licher auf Ihren Brief zu ant-
    worten, bemerke aber schon heute,   

  • S.

    daß ich Ihre Arbeit an den Tagesphan-
    tasien für eine sehr fruchtbringende 
    halte. Ich ken̄e die Schwierigkeiten, 
    vollständig übersehen kan̄ man die 
    Ph nur bei der eigenen Person u 
    da kan̄ man sie nicht mittheilen. 

    Vielleicht haben Sie noch zu ängstlich 
    gesucht, mich zu bestätigen. Wenn 
    Sie diese Absicht fallenlassen, werden 
    Sie reichhaltiges Material finden, 
    aus deßen Bearbeitg am Ende die 
    Bestätigg doch erwachsen wird.

    Über Ihre schönen Paranoiabemerk-
    ungen möchte ich bald mit Ihnen 
    plaudern, überhpt Sie bald 
    widersehen. Ich darf sagen, der in̄ere 
    wie der äußere Kreis Bergg 19 
    wird sich mit Ihrem Besuch sehr 
    freuen.

    Ihr herzlich ergebener 
    Freud

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Meran: Freuds rekonvaleszente (vgl. 2 F, Anm. 1) Tochter Mathilde hatte ein halbes Jahr in Meran zur Erholung verbracht. Die Hochzeit mit Robert Hollitscher (1876-1959) fand am 7.2.1909 statt (vgl. 39 F).