• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    10.5.08

    Sehr geehrter Herr College

    Wir werden um den 15 Juli nach 
    Berchtesgaden aufbrechen, wo 
    wir ein schönes, einsam gelegenes 
    Haus, den Dietfeldhof, gemietet 
    haben. Ich pflege bis gegen 1 Sept. 
    mit meiner Familie zu bleiben 
    dann eine kleine Reise zu unter-
    nehmen, die mich heuer wol nach 
    Holland u England führen wird. 
    Sie sind mir wann im̄er, willkommen. 
    Sei es daß Sie die Wochen Ihres 
    Urlaubs in B. verbringen, sei 
    es, daß Sie einen Theil der 
    Zeit sich mir auf der Reise 
    anschließen wollen. Daß Sie 
    mich in der Arbeit nicht stören 
    werden u daß ich keine Vorsichts-
    maßregeln gegen Sie werde 
    vorbereiten müßen, versteht

  • S.

    sich wol ohne Versicherung; doch 
    kann ich mich nur darauf freuen, 
    mancherlei mit Ihnen zu besprechen 
    u des verständnisvollen 
    Umganges nicht ganz zu entbehren. 

    Wohnung in Pension oder 
    Hotel können wir Ihnen 
    leicht versorgen, wenn wir 
    dort sind. Hie u da werden 
    Sie doch eine Malzeit bei uns 
    nehmen oder mit meinen Buben 
    auf einen Berg steigen. 

    In der Erwartung wieder 
    von Ihnen zu hören, 
    Ihr herzlich ergebener 
    Freud

     

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Buben: Jean Martin (1889-1967), Oliver (1891-1969) und Ernst (1892-1970). Martin studierte Jus (Promotion 1913) und war ab 1932 Geschäftsführer des Internationalen Psychoanalytischen Verlags. Er heiratete 1919 Ernestine Drucker (1896-1980) und hatte zwei Kinder, Anton Walter (geb. 1921) und Sofie (geb. 1924). Oliver wurde Ingenieur (1915) und heiratete 1923 Henny Fuchs (1892-1971). Das Ehepaar hatte eine Tochter, Eva Mathilde (1924-1944). Ernst studierte Architektur; er heiratete 1920 Lucie Brasch (1896-?) und hatte drei Kinder, Stephan Gabriel (geb. 1921), Lucian Michael (geb. 1922) und Clement Raphael (geb. 1924). Alle drei Söhne Freuds starben in der Emigration. Vor allem zwischen Martin und Ferenczi entwickelte sich eine herzliche Beziehung (Martin Freud, Sigmund Freud, Man and Father, New York 1958, S. 109).