• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    25.3.08

    Sehr geehrter Herr College

    Schwere häusliche Störungen haben 
    mich gehindert Ihren interessanten 
    Brief früher zu beantworten. Jetzt 
    ist etwas Ruhe eingekehrt u gleich-
    zeitig erhielt ich die Anzeige Ihres 
    Vortrags, zu dem ich Ihnen all das 
    Glück wünsche, deßen Sie für diese 
    schwierige Unternehmung bedürfen.

    Lassen Sie durch das Ausbleiben des 
    Erfolges im Falle der Paranoia 
    Frau Marton nicht anfechten. Erfolg 
    ist da keiner zu holen, aber wir 
    brauchen diese Analysen, um endlich 
    zum Verständniß aller Neurosen 
    zu kom̄en. Ich glaube der Fall ist 
    typisch u Sie haben ihn tadellos auf-
    gefaßt. Ich habe es oft so gesehen: 
    Eine vom Mann unbefriedigte Frau 
    wendet sich wie natürlich dem Weib 
    zu u versucht, ihre längst gebändigte

  • S.

    gynäkophile Componente mit Libido 
    zu besetzen. Dagegen erhebt sich aber 
    ein Widerstand, sie kann nicht mehr 
    homosexuell werden u darum löst 
    sie die Libido vom Weibe ab. Bei 
    der Par. geht es sehr oft so zu, daß die 
    Sublimirungen durch diese Projektion 
    zu Grunde gehen, speziell die homo-
    sex. Componente steht im Vordergrunde. 

    Heute ist auch das Program̄ für 
    Salzbg eingetroffen; ich freue mich 
    sehr Sie u Dr Stein, den ich herzlich 
    grüßen lasse, dort wiederzusehen. 
    Wir haben uns doch in einem Tag 
    sehr gut befreundet.

    Ihr aufrichtig ergebener 
    Freud

    Anmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)

    Salzburg: Für das erste internationale Treffen von Psychoanalytikern, von Jung in seinem Einladungsschreiben bereits "I. Congreß für Freud'sche Psychologie" genannt (Freud/Jung, ca. 18.-20.1.1908, Briefwechsel, S. 122f.), das am 27. April 1908 in Salzburg abgehalten wurde. Nach C.G. Jung kam die Anregung dazu von Ernest Jones (siehe 9 Fer, Anm. 3) und von den "Budapestern", also Ferenczi und Stein (Freud/Jung, 30.11.1907, Briefwechsel, S. 112; Jung, Briefe I, Olten 1972, S. 23).