• S.

    2 Mai 09

    Dear Dr Brill

    Ihr Brief war eine Erfrischung in schweren
    Tagen u ließ mich an die Amerikareise mit
    besonderer Freude denken. Ich war selbst
    leidend, wenn auch nicht wie Sie an Influenza,
    meine Tochter – mußte sich einer Operation
    unterziehen, die sie aber hoffentlich von den
    Folgen jener verunglückten Blinddarmoperation
    endgiltig befreit hat, u die Berufsarbeit
    war schwerer und reichlicher als je zuvor. Aus
    dieser Situation, die nur einmal durch den
    Besuch des Züricher Pfarrers Dr Pfister erhellt
    wurde, eines rührenden hochintelligenten Enthusi-
    asten erhellt wurde, hat Ihr Brief meine
    Gedanken in die inhaltsreiche Zukunft
    gerufen: See, Amerika, Widersehen usw.
    Ich bin sehr froh, daß Sie gerade von Ferenczi
    so gut denken. Seine Begleitung ist mir
    unschätzbar. Sorgen Sie nicht, wir werden uns
    in Amerika ganz auf Sie stützen u Sie mit
    dem uneingeschränkten Egoismus von Fremd-
    lingen ausbeuten.

    Die Stelle in den Studien p 252 habe ich nachgesehen.
    Sie hat ihren Sinn, aber der Gedanke is
    not worth following. Sie thun am besten, sie
    auszulassen, wozu Sie ja auch das Recht
    haben, wo Ihnen etwas unzweckmäßig er-
    scheint. Die Schwierigkeiten, die Ihnen die
    Übersetzg bereitet, bedauere ich sehr.
     

  • S.

    Denken Sie an die Jahreszal. Es war ja doch unreifes
    Gestammel.

    Dr Karpas habe ich widerholt bei mir gesehen, er ist
    regelmäßiger Besucher der Mittwochabende.
    Ich will ihn zum Reden nötigen, was aber nicht
    gelingt. Leider kann ich, aufs Äußerste in Anspruch
    genom̄en von 10 schweren Fällen, wenig für
    ihn thun. Im Verkehr mit den Anderen findet
    er vielleicht etwas. Wenn ich zum Worte kom̄e,
    kritisire ich im̄er besonders scharf, damit er
    von der Strenge unserer Arbeitsweise eine
    gute Vorstellung bekom̄t und sich selbst im
    Zaume halten lernt. Stekels Einfluß ist gewiss
    kein günstiger. Er studirt sonst bei Obersteiner
    u Frankl-Hochwart, u die Athmosphäre Wiens
    wird seine Anhängerschaft gewiß auf die Probe
    stellen.

    Wissenschaftlich bin ich so gut wie lahm gelegt. Ich
    soll jetzt die 3te Auflage des Alltagslebens
    u die 2te der Sexualtheorie vorbereiten. Mit
    letzterer kann ich mich doch erst im Herbst ab-
    geben, erstere soll noch im Som̄er fertig werden.
    Nach der Aussage des Verlegers ist die Nachfrage
    nach allen Büchern eine ganz außerordentliche;
    in der Tiefe scheint sich ein Aufschwung zu unseren
    Gunsten vorzubereiten. Oft fürchte ich, wenn
    der Triumph kom̄t, werde ich mit meinen
    Kräften u meiner Gesundheit zu Ende sein.
    Aber ich überwinde solche Stim̄ungen. „To die
    in harness“, ist mein Vorsatz.

  • S.

    Am schwersten fallen mir Ihre Fragen nach den Vorträgen
    in Worcester auf die Seele. Ich hatte ursprünglich
    die Absicht, mein English hier zu pflegen, um
    dort den Hörern in ihrer eigenen Sprache zu-
    reden zu können. Aber es erwies sich als
    unmöglich; ich habe kaum die Zeit, spät abends
    meine dringenden Briefe zu erledigen. Ich
    werde also deutsch vortragen, was an u für sich
    eine nachhaltige Wirkung ausschließt. Was
    ich erzälen werde, wird wahrscheinlich erst
    auf dem Schiff im Gespräch mit Ferenczi
    festgestellt werden. Ich bin jetzt auch gar nicht
    im Stande, etwas zu componiren. Nach 6
    wöchentlichen Ferien werde ich allerdings ein
    ganz Anderer sein.

    Als mich Jung zu Ende März besuchte, las ich ihm die
    Briefe von Jones u Ihre vor. Er war gleichfalls
    betroffen, entschied sich aber dafür, sie neur-
    otisch zu nehmen u keine feindselige Absicht
    gelten zu lassen. Jones hat mir dann auf
    meine Vorhaltungen ausweichend geantwortet,
    in Betreff der Diplomatie meinte er, müße
    jeder den Weg gehen, der ihm der richtige
    schiene. Seither habe ich von ihm eine vielsagende
    Äußerung über den kleinen Hans, entschieden
    einlenkend, auf die ich noch nicht geantwortet.

  • S.

    Ich hoffe noch viel von Ihnen zu hören, ehe wir
    in New York landen u bin mit herzlichen
    Grüßen für Sie u Ihre liebe Frau
    Ihr freundschaftlich ergebener
    Freud