• S.

    1

    PROF: DR. FREUD
    WIEN, IX., BERGGASSE 19

    24.5.26

    Verehrtester!

    Ich weiß nicht, ob Sie schon
    zurück sind. Wenn nicht,
    werden diese Zeilen
    des Dankes für Ihren
    Gruß von der See Ihre
    Heimkehr erwarten.

    Das Ereignis gieng besser
    vorüber, als ich erwartet.
    Viel Herzlichkeit kein
    Miston, dank vor allem
    der aufrichtigen Enthaltung
    der offiziellen Kreise.
    (Zu denen ja die sozialistische
    Wiener Kommune nicht
    zält). Die Juden haben
    sich von allen Seiten und
    aller Orten mit Begeister-
    ung meiner Person be-
    mächtigt, als ob ich ein
    gottesfürchtiger großer
    Rabbi wäre. Ich habe
    nichts dagegen, nachdem
    ich meine Stellung zum

  • S.

    2

    Glauben unzweideutig
    klargelegt habe. Das Juden-
    tum bedeutet mir noch
    sehr viel affektiv.

    Mit dem 70sten Geburts-
    tag ist doch ein Gefül
    großer Befreiung ver-
    bunden gewesen. Endlich
    hat man das Recht zu
    jenem Ausruf des Stein-
    klopferhanns: Es kann
    der nix g’schehen! Sonder-
    bar, denn die Zal ist doch
    nur eine Konvention.

    Am 15 Juni gehen wir
    auf den Semmering.
    Es soll doch nicht ein
    Vorrecht des Kranken
    bleiben, Sie öfter zu
    sehen.

    In herzl Ergebenheit
    Ihr Freud

    P.S. Über Ihre
    Traumnovelle habe ich mir
    einige Gedanken gemacht.