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    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19.

     

    14.5.12

    Verehrter Herr Kollege

    Gestatten Sie mir, die obige Anrede
    durch die Berufung auf Ihr rite erworb-
    enes Doktordiplom der Medizin zu
    rechtfertigen, und dann mich unter
    die vielen Glückwünschenden zu
    mengen, die Ihren 50sten Geburtstag
    feiern wollen.

    Es ist mehr als ein Akt der Revanche
    von meiner Seite.  Ich glaube mich zu
    erinnern, daß ich in der Antwort
    auf Ihre liebenswürdige Zuschrift
    bei analogem Anlasse vor 6 Jahren
    ausgeführt habe, wie sehr ich immer
    Ihrer Teilnahme und Ihres Verständ-
    nisses bei meinen Arbeiten sicher ge-
    wesen bin, obwol ich niemals in die
    Lage gekommen bin, ein Wort mit
    Ihnen zu wechseln.  Ebenso, habe ich mich
    immer zu denen gerechnet, die
    Ihre schönen und ernsten poetischen
    Schöpfungen in ganz besonderem Maße
    verstehen und genießen können.  Ja, ich
    habe mir eingebildet, daß ein Reflex
    der thörichten und frevelhaften Geringschätzung 

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    welche die Menschen heute für die
    Erotik bereit halten, auch auf Ihr Wirken gefallen
    sei, und daß Sie mir darum
    besonders wert sein dürften.

    Lachen Sie nicht darüber, daß ich so in
    die Lage komme, die feiernde Mit-
    welt an diesem Tage bei Ihnen
    zu verschwärzen – oder besser, lachen
    Sie nur darüber und denken Sie, daß
    keiner von uns von seinen "Komplexen"
    frei kommt, wie meine Freunde sagen.

    Zum Schluße aber – ich weiß nicht, ob
    Sie dieses Trostes bedürfen – lassen Sie
    sich sagen, daß der Dichter später
    altert als gewöhnliche Menschenkinder,
    und daß nach dem Dichter noch der
    Denker herauskommt.

    Mit herzlichen Glückwünschen
    Ihr ergebener
    Freud