• S.

    17.XI.24.

    Dear Brill,

    Endlich ein Brief von Ihnen! Ich konnte es mir nicht erklären,
    dass Sie mir keine Nachricht geben und mich ganz im Unklaren lassen.
    über Ranks Auftreten in Newyork, angewiesen auf Gerüchte und indirekte
    Mitteilungen, die Rank selbst immer wieder abgeleugnet hat. Jetzt sehe
    ich endlich klar und möchte, dass auch Sie alle Auskünfte von mir
    erhalten.

    Vor allem sollen Sie nicht annehmen, dass die Geschichte mit Rank
    mir sehr nahe geht. Sie lässt mich kalt, anders gesagt, ich bin ihr
    völlig überlegen, einerseits weil ich so gar kein Schuldgefühl dabei
    habe, anderseits weil ich mir sage, dass er fünfzehn Jahre lang vor-
    treffliche Arbeit geleistet hat, sodass der Enttäuschung ein ziemlich
    starkes Positivum entgegensteht. Die Sache ist gewiss sehr kompliziert,
    Persönliches und Wissenschaftliches aber so miteinander verschlungen,
    dass eine gesonderte Behandlung beider unmöglich wird.

    Ich glaube, Sie haben ihn ganz richtig durchschaut. Es ist der
    Dollar, der ihn verlockt. Aber es kommen noch andere Motive dazu.
    Wahrscheinlich die Erschütterung durch meine schwere Erkrankung und die
    daraus folgende Angst, wenn ich verschwinde, seine Existenz zu ver-
    lieren. Ferner die Verlockung, in der Analyse Entdeckungen zu machen,
    welcher alle unanalysierten Anfänger unterliegen. Es war ja bei Jung
    ebenso. Und drittens die zersetzende Wirkung der Analyse selbst, welche
    doch sicherlich alle Sublimierungen abträgt, wenn dieser Gefahr nicht
    entgegengearbeitet wird. In diesem Moment traf ihn die Einladung von
    Ames und die Situation wurde reif. Seine Briefe aus Amerika waren zuerst
    selten und wortkarg, später direkt unfreundlich und verräterisch.
    Mit den Details will ich Sie verschonen. Er schrieb schon von Amerika 

  • S.

    aus, dass er eine Erleichterung seiner Funktionen wünsche. Wir haben
    zwei Gründe gehabt, diese Erleichterung ausgiebiger werden zu lassen,
    als er es wahrscheinlich gewollt hat. Erstens dass viele unter uns
    das Zutrauen zu ihm verloren haben und zweitens, dass die Unterbrechun-
    gen seines Aufenthaltes in Wien mit den Anforderungen des stetigen
    Betriebs in Verlag und Zeitschrift unvereinbar sind. Somit haben wir
    in einer Zusammenkunft, zu der Eitingon und Ferenczi gekommen waren,
    beschlossen, ihn seiner Funktionen ganz zu entheben. Allerdings ohne
    Eklat und gedeckt durch den Vorwand seiner Abwesenheiten. An seiner
    Stelle ist A. J. Storfer Leiter des Verlags geworden. Die Redaktion der
    Zeitschrift hat ein Kollegium, bestehend aus Eitingon, Ferenczi und
    Dr. Radó in Berlin übernommen. An der Imago bleibt er nominell betei-
    ligt, aber in Wirklichkeit wird Dr. Sachs diese Redaktion führen. Das
    bedeutet das Ende der Rolle, die er hier bei uns gespielt hat.

    Sein Benehmen hier war höchst merkwürdig, durch äusserste Geheim-
    tuerei gekennzeichnet, und machte auf alle Anwesenden den Eindruck
    absoluter Unaufrichtigkeit und voller Unverlässlichkeit. Er stellte
    entschieden in Abrede, dass er sich von der Psychoanalyse zu entfernen
    gedenke, gab auch eine ebensolche Erklärung in einer Vorstandssitzung
    und im Verein ab. Er leugnete, in Newyork irgendetwas gegen die Analyse
    oder gegen mich geäussert zu haben. Ueber seine nächsten Absichten
    war nichts herauszubringen. Mit Mühe erfuhren wir von ihm, dass er noch
    in diesem Jahr nach Newyork zurückzukehren gedenkt, angeblich wieder
    nur auf einige Monate und heute schrieb er überraschend, dass er noch
    in dieser Woche abreisen wird. Das Ergebnis ist, dass keiner von uns
    ihm mehr etwas glauben kann. Auch Ferenczi, über dessen Verhalten Sie
    sich so wundern, ist persönlich wie wissenschaftlich ganz von ihm
    abgerückt.

  • S.

    2.

    Was nun den Wert seiner theoretischen und technischen Neuerung
    betrifft, so konstatiere ich, dass Ihr Urteil über beide vollkommen
    mit dem unserer Berliner Freunde Abraham, Eitingon, Sachs und auch
    Jones übereinstimmt. Ich selbst hatte mein Urteil lange reserviert.
    Gewiss darum, weil ich ein persönliches Interesse daran hatte, ihm
    einen schönen Erfolg auch in der Analyse zu wünschen. Ich habe sechs
    Monate lang von Januar bis Ende Juni in meiner eigenen Praxis angewendet,
    was ich für seine Technik hielt, nämlich die Aufmerksamkeit auf
    Mutterfixierung und Geburtstrauma gelenkt und Termine gesetzt. Ich muss
    dazu bemerken, dass die Terminsetzung ja ursprünglich von mir stammt,
    und dass ich ihre allgemeine Anwendung von vorneherein für unzweck-
    mässig, ja unsinnig betrachtet habe. Die Erfahrung dieser sechs Monate
    hat mich nun sehr enttäuscht. Die Termine haben keinen Erfolg gehabt
    und die Analyse ist nicht anders verlaufen und hat nichts anderes ge-
    liefert als sonst. Ich kam da auf die Idee, die sich auf verschiedene
    Gerüchte stützen konnte, dass er doch eine besondere Technik anwenden
    müsse. Als wir ihn nach seiner Rückkehr fragten, machte er zuerst Aus-
    flüchte, erklärte, eine Technik könne man nicht mitteilen, die müsse man
    erleben und steigerte sich endlich zu der Behauptung, dass er überhaupt
    keine neue Technik habe, dass er alles so mache wie wir. Wir glauben das
    natürlich nicht und die Mitteilungen Ihres Briefes bestärken uns darin.

    Die Sache liegt nun so, dass keiner von uns in der Lage ist, ein
    Urteil über den wissenschaftlichen Wert oder technischen Nutzen seiner
    Neuerung abzugeben, denn seine Technik verleugnet er und seine wirklichen
    theoretischen Meinungen hat er in dem Buch sehr unvollkommen und un-
    durchsichtig dargestellt. Bei solcher Geheimniskrämerei und Unaufrich-
    tigkeit ist ein objektives Urteil unmöglich. Er benimmt sich in der Tat 

  • S.

    wie jemand, der eine Patentmedizin erfunden hat, deren Zusammensetzung
    er geheim hält. Allerdings erweckt alles, was wir von seinem persön-
    lichen Benehmen gesehen haben, keinen günstiges Vorurteil für den Wert
    seiner Theorie.

    Die ganze Angelegenheit hat ein recht gewöhnliches Ansehen und
    entspricht den Praktiken von jungen Geschäftsleuten, wenn sie sich
    selbständig machen wollen. Es fehlt aber auch das neurotische Element
    nicht und das zeigt sich darin, dass er, um leichter von mir los-
    zukommen, die Erfindung gemacht hat, er sei von mir in der ganzen Zeit
    seit der Veröffentlichung seines Buches schlecht behandelt worden,
    eine Behauptung, die natürlich bei niemandem Glauben findet. Ich selbst
    weiss auch nichts davon. Vor mehreren Monaten schon hat Trigant Burrow,
    durch die Rank’schen Mitteilungen beunruhigt, bei mir angefragt, was ich
    denn davon halte und ich habe mich sehr wohlwollend geäussert und auf
    die Notwendigkeit weiterer Erfahrungen vor einer definitiven Stellungs-
    nahme hingewiesen. Auch von dem persönlichen Konflikt mit ihm spreche
    ich so wenig als möglich. Sie sind der erste, der einen aufrichtigen
    Brief darüber von mir erhält.

    Natürlich freue ich mich sehr, dass Sie gegen die dummen Jungen
    in der Vereinigung so energisch aufgetreten sind. Hoffentlich behalten
    Sie Ihren Einfluss. Ich weiss, dass Sie ihn im gleichen Sinne verwenden
    werden. Seien Sie immerhin vorsichtiger in der Verwendung dieses Brie-
    fes als bei der letzten Gelegenheit mit Frink. Ich nehme an, dass Rank
    sich in ein sehr unsicheres Unternehmen eingelassen hat und möchte nicht,
    dass er bei einem Misserfolg sagen kann, ich hätte ihn nach Amerika
    verfolgt und sei schuld an dem Scheitern seiner Hoffnungen. Ich denke,
    es genügt, wenn Sie ihm im eigenen Namen Opposition machen. Wenn Sie
    nach mir gefragt werden, so können Sie sagen, dass ich absolut keine 

  • S.

    3.

    Möglichkeit sehe, die Sache zu beurteilen,
    solange Rank seine Technik verleugnet und
    seine theoretischen Folgerungen versteckt
    und dass wir alle so zur objektiven Prüfung
    bereit sind, so bald wir etwas erfahren
    haben.

    Ich freue mich zu hören, dass Sie ein
    neues Haus bezogen haben und dass es Ihrer
    Familie gut geht. Sie sollten mir öfter
    Nachricht geben und die Sicherheit haben,
    dass ich Ihre Briefe gerne lese. Ich selbst
    bin vielleicht nicht so weit hergestellt,
    wie meine guten Freunde wünschen, aber ich
    existiere und arbeite in einem gewissen Aus-
    mass. Vergessen wir nicht, dass das Alter
    selbst eine Krankheit ist.

    Es ist mir sehr recht, dass Sie sich mit
    Jones versöhnt haben. Die Press scheint end-
    lich ihre gefährliche Situation überwunden zu
    haben; in diesem Monat November werden die
    ersten zwei Bände der Sammlung meiner kleinen
    Schriften herausgegeben.

  • S.

    Ich grüsse Sie herzlich und bitte Sie
    nochmals, diesen Brief als durchaus diskret
    zu behandeln, sonst mit eigenen Augen zu
    sehen und nur das Nötige zu tun.
    Ihr getreuer
    Freud