S.
294
XVIII.
DAS UNBEWUSSTE.*)
Wir haben aus der Psychoanalyse erfahren, das Wesen
des Prozesses der Verdrängung bestehe nicht darin, eine den
Trieb repräsentierende Vorstellung aufzuheben, zu vernichten,
sondern sie vom Bewußtwerden abzuhalten. Wir sagen dann,
sie befinde sich im Zustande des „Unbewußten“, und haben
gute Beweise dafür vorzubringen, daß sie auch unbewußt
Wirkungen äußern kann, auch solche, die endlich das Be-
wußtsein erreichen. Alles Verdrängte muß unbewußt bleiben,
aber wir wollen gleich eingangs feststellen, daß das Ver-
drängte nicht alles Unbewußte deckt. Das Unbewußte hat
den weiteren Umfang; das Verdrängte ist ein Teil des Un-
bewußten.Wie sollen wir zur Kenntnis des Unbewußten kommen?
Wir kennen es natürlich nur als Bewußtes, nachdem es eine
Umsetzung oder Übersetzung in Bewußtes erfahren hat. Die
psychoanalytische Arbeit läßt uns alltäglich die Erfahrung
machen, daß solche Übersetzung möglich ist. Es wird hiezu
erfordert, daß der Analysierte gewisse Widerstände über-
winde, die nämlichen, welche es seinerzeit durch Abweisung
vom Bewußten zu einem Verdrängten gemacht haben.Die Rechtfertigung des Unbewußten.
Die Berechtigung, ein unbewußtes Seelisches anzu-
nehmen und mit dieser Annahme wissenschaftlich zu arbeiten,*)Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, III, 1915.
S.
295
wird uns von vielen Seiten bestritten. Wir können
dagegen anführen, daß die Annahme des Unbewußten notwendig
und legitim ist, und daß wir für die Existenz
des Unbewußten mehrfache Beweise besitzen. Sie ist not-
wendig, weil die Daten des Bewußtseins in hohem Grade
lückenhaft sind; sowohl bei Gesunden als bei Kranken kom-
men häufig psychische Akte vor, welche zu ihrer Erklärung
andere Akte voraussetzen, für die aber das Bewußtsein nicht
zeugt. Solche Akte sind nicht nur die Fehlhandlungen und
die Träume bei Gesunden, alles, was man psychische Sym-
ptome und Zwangserscheinungen heißt, bei Kranken – unsere
persönlichste tägliche Erfahrung macht uns mit Einfällen
bekannt, deren Herkunft wir nicht kennen, und mit Denk-
resultaten, deren Ausarbeitung uns verborgen geblieben ist.
Alle diese bewußten Akte blieben zusammenhanglos und un-
verständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, daß
wir auch alles durchs Bewußtsein erfahren müssen, was an
seelischen Akten in uns vorgeht, und ordnen sich in einen
aufzeigbaren Zusammenhang ein, wenn wir die erschlossenen
unbewußten Akte interpolieren. Gewinn an Sinn und Zu-
sammenhang ist aber ein vollberechtigtes Motiv, das uns
über die unmittelbare Erfahrung hinaus führen darf. Zeigt
es sich dann noch, daß wir auf die Annahme des Unbewußten
ein erfolgreiches Handeln aufbauen können, durch welches
wir den Ablauf der bewußten Vorgänge zweckdienlich beein-
flussen, so haben wir in diesem Erfolg einen unanfechtbaren
Beweis für die Existenz des Angenommenen gewonnen. Man
muß sich dann auf den Standpunkt stellen, es sei nichts
anderes als eine unhaltbare Anmaßung, zu fordern, daß
alles, was im Seelischen vorgeht, auch dem Bewußtsein be-
kannt werden müsse.S.
296
Man kann weitergehen und zur Unterstützung eines
unbewußten psychischen Zustandes anführen, daß das Be-
wußtsein in jedem Moment nur einen geringen Inhalt um-
faßt, so daß der größte Teil dessen, was wir bewußte Kenntnis
heißen, sich ohnedies über die längsten Zeiten im Zustande
der Latenz, also in einem Zustande von psychischer Unbe-
wußtheit, befinden muß. Der Widerspruch gegen das Unbe-
wußte würde mit Rücksicht auf alle unsere latenten Erin-
nerungen völlig unbegreiflich werden. Wir stoßen dann auf
den Einwand, daß diese latenten Erinnerungen nicht mehr
als psychisch zu bezeichnen seien, sondern den Resten von
somatischen Vorgängen entsprechen, aus denen das Psychische
wieder hervorgehen kann. Es liegt nahe zu erwidern, die
latente Erinnerung sei im Gegenteil ein unzweifelhafter Rück-
stand eines psychischen Vorganges. Wichtiger ist es aber,
sich klarzumachen, daß der Einwand auf der nicht ausge-
sprochenen, aber von vornherein fixierten Gleichstellung des
Bewußten mit dem Seelischen ruht. Diese Gleichstellung ist
entweder eine petitio principii, welche die Frage, ob alles
Psychische auch bewußt sein müsse, nicht zuläßt, oder eine
Sache der Konvention, der Nomenklatur. In letzterem Cha-
rakter ist sie natürlich wie jede Konvention unwiderlegbar.
Es bleibt nur die Frage offen, ob sie sich als so zweckmäßig
erweist, daß man sich ihr anschließen muß. Man darf ant-
worten, die konventionelle Gleichstellung des Psychischen
mit dem Bewußten ist durchaus unzweckmäßig. Sie zerreißt
die psychischen Kontinuitäten, stürzt uns in die unlösbaren
Schwierigkeiten des psychophysischen Parallelismus, unter-
liegt dem Vorwurf, daß sie ohne einsichtliche Begründung
die Rolle des Bewußtseins überschätzt, und nötigt uns, das
Gebiet der psychologischen Forschung vorzeitig zu verlassen,S.
297
ohne uns von anderen Gebieten her Entschädigung
bringen zu können.Immerhin ist es klar, daß die Frage, ob man die un-
abweisbaren latenten Zustände des Seelenlebens als unbe-
wußte seelische oder als physische auffassen soll, auf einen
Wortstreit hinauszulaufen droht. Es ist darum ratsam, das
in den Vordergrund zu rücken, was uns von der Natur dieser
fraglichen Zustände mit Sicherheit bekannt ist. Nun sind
sie uns nach ihren physischen Charakteren vollkommen un-
zugänglich; keine physiologische Vorstellung, kein chemischer
Prozeß kann uns eine Ahnung von ihrem Wesen vermitteln.
Auf der anderen Seite steht fest, daß sie mit den bewußten
seelischen Vorgängen die ausgiebigste Berührung haben; sie
lassen sich mit einer gewissen Arbeitsleistung in sie um-
setzen, durch sie ersetzen, und sie können mit all den Kate-
gorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelen-
akte anwenden, als Vorstellungen, Strebungen, Entschließun-
gen u. dgl. Ja, von manchen dieser latenten Zustände müssen
wir aussagen, sie unterscheiden sich von den bewußten eben
nur durch den Wegfall des Bewußtseins. Wir werden also
nicht zögern, sie als Objekte psychologischer Forschung und
in innigstem Zusammenhang mit den bewußten seelischen
Akten zu behandeln.Die hartnäckige Ablehnung des psychischen Charakters
der latenten seelischen Akte erklärt sich daraus, daß die
meisten der in Betracht kommenden Phänomene außerhalb
der Psychoanalyse nicht Gegenstand des Studiums geworden
sind. Wer die pathologischen Tatsachen nicht kennt, die
Fehlhandlungen der Normalen als Zufälligkeiten gelten läßt
und sich bei der alten Weisheit bescheidet, Träume seien
Schäume, der braucht dann nur noch einige Rätsel derS.
298
Bewußtseinspsychologie zu vernachlässigen, um sich die An-
nahme unbewußter seelischer Tätigkeit zu ersparen. Übrigens
haben die hypnotischen Experimente, besonders die post-
hypnotische Suggestion, Existenz und Wirkungsweise des
seelisch Unbewußten bereits vor der Zeit der Psychoanalyse
sinnfällig demonstriert.Die Annahme des Unbewußten ist aber auch eine völlig
legitime, insofern wir bei ihrer Aufstellung keinen Schritt
von unserer gewohnten, für korrekt gehaltenen Denkweise ab-
weichen. Das Bewußtsein vermittelt jedem einzelnen von uns
nur die Kenntnis von eigenen Seelenzuständen; daß auch
ein anderer Mensch ein Bewußtsein hat, ist ein Schluß, der
per analogiam auf Grund der wahrnehmbaren Äußerungen
und Handlungen dieses anderen gezogen wird, um uns dieses
Benehmen des anderen verständlich zu machen. (Psycho-
logisch richtiger ist wohl die Beschreibung, daß wir ohne be-
sondere Überlegung jedem anderen außer uns unsere eigene
Konstitution, und also auch unser Bewußtsein, beilegen, und
daß diese Identifizierung die Voraussetzung unseres Verständ-
nisses ist.) Dieser Schluß – oder diese Identifizierung –
wurde einst vom Ich auf andere Menschen, Tiere, Pflanzen,
Unbelebtes und auf das Ganze der Welt ausgedehnt und er-
wies sich als brauchbar, solange die Ähnlichkeit mit dem
Einzel‑Ich eine überwältigend große war, wurde aber in dem
Maße unverläßlicher, als sich das Andere vom Ich entfernte.
Unsere heutige Kritik wird bereits beim Bewußtsein der
Tiere unsicher, verweigert sich dem Bewußtsein der Pflanzen
und weist die Annahme eines Bewußtseins des Unbelebten
der Mystik zu. Aber auch, wo die ursprüngliche Identifizie-
rungsneigung die kritische Prüfung bestanden hat, bei dem
uns nächsten menschlichen Anderen, ruht die Annahme einesS.
299
Bewußtseins auf einem Schluß und kann nicht die unmittel-
bare Sicherheit unseres eigenen Bewußtseins teilen.Die Psychoanalyse fordert nun nichts anderes, als daß
dieses Schlußverfahren auch gegen die eigene Person ge-
wendet werde, wozu eine konstitutionelle Neigung allerdings
nicht besteht. Geht man so vor, so muß man sagen, alle
die Akte und Äußerungen, die ich an mir bemerke und mit
meinem sonstigen psychischen Leben nicht zu verknüpfen
weiß, müssen beurteilt werden, als ob sie einer anderen
Person angehörten, und sollen durch ein ihr zugeschriebenes
Seelenleben Aufklärung finden. Die Erfahrung zeigt auch,
daß man dieselben Akte, denen man bei der eigenen Person
die psychische Anerkennung verweigert, bei anderen sehr
wohl zu deuten, d. h. in den seelischen Zusammenhang ein-
zureihen versteht. Unsere Forschung wird hier offenbar durch
ein besonderes Hindernis von der eigenen Person abgelenkt
und an deren richtiger Erkenntnis behindert.Dies trotz inneren Widerstrebens gegen die eigene Person
gewendete Schlußverfahren führt nun nicht zur Aufdeckung
eines Unbewußten, sondern korrekterweise zur Annahme eines
anderen, zweiten Bewußtseins, welches mit dem mir bekannten
in meiner Person vereinigt ist. Allein hier findet die Kritik
berechtigten Anlaß, einiges einzuwerfen. Erstens ist ein Be-
wußtsein, von dem der eigene Träger nichts weiß, noch
etwas anderes als ein fremdes Bewußtsein, und es wird frag-
lich, ob ein solches Bewußtsein, dem der wichtigste Charakter
abgeht, überhaupt noch Diskussion verdient. Wer sich gegen
die Annahme eines unbewußten Psychischen gesträubt hat,
der wird nicht zufrieden sein können, dafür ein unbewußtes
Bewußtseineinzutauschen. Zweitens weist die Analyse
darauf hin, daß die einzelnen latenten Seelenvorgänge, dieS.
300
wir erschließen, sich eines hohen Grades von gegenseitiger
Unabhängigkeit erfreuen, so als ob sie miteinander nicht in
Verbindung stünden und nichts voneinander wüßten. Wir
müssen also bereit sein, nicht nur ein zweites Bewußtsein
in uns anzunehmen, sondern auch ein drittes, viertes, viel-
leicht eine unabschließbare Reihe von Bewußtseinszuständen,
die sämtlich uns und miteinander unbekannt sind. Drittens
kommt als schwerstes Argument in Betracht, daß wir durch
die analytische Untersuchung erfahren, ein Teil dieser latenten
Vorgänge besitze Charaktere und Eigentümlichkeiten, welche
uns fremd, selbst unglaublich erscheinen und den uns be-
kannten Eigenschaften des Bewußtseins direkt zuwiderlaufen.
Somit werden wir Grund haben, den gegen die eigene Person
gewendeten Schluß dahin abzuändern, er beweise uns nicht
ein zweites Bewußtsein in uns, sondern die Existenz von
psychischen Akten, welche des Bewußtseins entbehren. Wir
werden auch die Bezeichnung eines „Unterbewußtseins“ als in-
korrekt und irreführend ablehnen dürfen. Die bekannten Fälle
von „Double conscience“ (Bewußtseinsspaltung) beweisen
nichts gegen unsere Auffassung. Sie lassen sich am zutref-
fendsten beschreiben als Fälle von Spaltung der seelischen
Tätigkeiten in zwei Gruppen, wobei sich dann das nämliche
Bewußtsein alternierend dem einen oder dem anderen Lager
zuwendet.Es bleibt uns in der Psychoanalyse gar nichts anderes
übrig, als die seelischen Vorgänge für an sich unbewußt zu
erklären und ihre Wahrnehmung durch das Bewußtsein mit
der Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinnesorgane zu
vergleichen. Wir hoffen sogar aus diesem Vergleich einen
Gewinn für unsere Erkenntnis zu ziehen. Die psychoanaly-
tische Annahme der unbewußten Seelentätigkeit erscheintS.
301
uns einerseits als eine weitere Fortbildung des primitiven
Animismus, der uns überall Ebenbilder unseres Bewußtseins
vorspiegelte, und anderseits als die Fortsetzung der Korrek-
tur, die Kant an unserer Auffassung der äußeren Wahr-
nehmung vorgenommen hat. Wie Kant uns gewarnt hat,
die subjektive Bedingtheit unserer Wahrnehmung nicht zu
übersehen und unsere Wahrnehmung nicht für identisch mit
dem unerkennbaren Wahrgenommenen zu halten, so mahnt
die Psychoanalyse, die Bewußtseinswahrnehmung nicht an
die Stelle des unbewußten psychischen Vorganges zu setzen,
welcher ihr Objekt ist. Wie das Physische, so braucht auch
das Psychische nicht in Wirklichkeit so zu sein, wie es uns
erscheint. Wir werden uns aber mit Befriedigung auf die
Erfahrung vorbereiten, daß die Korrektur der inneren Wahr-
nehmung nicht ebenso große Schwierigkeit bietet wie die
der äußeren, daß das innere Objekt minder unerkennbar ist
als die Außenwelt.Die Vieldeutigkeit des Unbewußten.
Ehe wir weitergehen, wollen wir die wichtige, aber auch
beschwerliche Tatsache feststellen, daß die Unbewußtheit nur
ein Merkmal des Psychischen ist, welches für dessen Cha-
rakteristik keineswegs ausreicht. Es gibt psychische Akte
von sehr verschiedener Dignität, die doch in dem Charakter,
unbewußt zu sein, übereinstimmen. Das Unbewußte umfaßt
einerseits Akte, die bloß latent, zeitweilig unbewußt sind,
sich aber sonst von den bewußten in nichts unterscheiden,
und anderseits Vorgänge wie die verdrängten, die, wenn sie
bewußt würden, sich von den übrigen bewußten aufs grellste
abheben müßten. Es würde allen Mißverständnissen ein Ende
machen, wenn wir von nun an bei der Beschreibung der ver-
schiedenartigen psychischen Akte ganz davon absehen wür-
den, ob sie bewußt oder unbewußt sind, und sie bloß nachS.
302
ihrer Beziehung zu den Trieben und Zielen, nach ihrer Zusamm-
ensetzung und Angehörigkeit zu den einander überge-
ordneten psychischen Systemen klassifizieren und in Zu-
sammenhang bringen würden. Dies ist aber aus verschiedenen
Gründen undurchführbar, und somit können wir der Zwei-
deutigkeit nicht entgehen, daß wir die Worte bewußt und
unbewußt bald im deskriptiven Sinne gebrauchen, bald im
systematischen, wo sie dann Zugehörigkeit zu bestimmten
Systemen und Begabung mit gewissen Eigenschaften bedeuten.
Man könnte noch den Versuch machen, die Verwirrung da-
durch zu vermeiden, daß man die erkannten psychischen
Systeme mit willkürlich gewählten Namen bezeichnet, in
denen die Bewußtheit nicht gestreift wird. Allein man müßte
vorher Rechenschaft ablegen, worauf man die Unterschei-
dung der Systeme gründet, und könnte dabei die Bewußtheit
nicht umgehen, da sie den Ausgangspunkt aller unserer Un-
tersuchungen bildet. Wir können vielleicht einige Abhilfe
von dem Vorschlag erwarten, wenigstens in der Schrift Be-
wußtsein durch die Darstellung Bw. und Unbewußtes durch
die entsprechende Abkürzung Ubw. zu ersetzen, wenn wir
die beiden Worte im systematischen Sinne gebrauchen.Der topische Gesichtspunkt.
In positiver Darstellung sagen wir nun als Ergebnis der
Psychoanalyse aus, daß ein psychischer Akt im allgemeinen
zwei Zustandsphasen durchläuft, zwischen welche eine Art
Prüfung (Zensur) eingeschaltet ist. In der ersten Phase
ist er unbewußt und gehört dem System Ubw. an; wird er
bei der Prüfung von der Zensur abgewiesen, so ist ihm der
Übergang in die zweite Phase versagt; er heißt dann „ver-
drängt“ und muß unbewußt bleiben. Besteht er aber diese
Prüfung, so tritt er in die zweite Phase ein und wird dem
zweiten System zugehörig, welches wir das System Bw.S.
303
nennen wollen. Sein Verhältnis zum Bewußtsein ist aber
durch diese Zugehörigkeit noch nicht eindeutig bestimmt.
Er ist noch nicht bewußt, wohl aber bewußtseinsfähig
(nach dem Ausdruck von J. Breuer), d. h. er kann nun
ohne besonderen Widerstand beim Zutreffen gewisser Bedin-
gungen Objekt des Bewußtseins werden. Mit Rücksicht auf
diese Bewußtseinsfähigkeit heißen wir das System Bw. auch
das „Vorbewußte“. Sollte es sich herausstellen, daß auch
das Bewußtwerden des Vorbewußten durch eine gewisse Zen-
sur mitbestimmt wird, so werden wir die Systeme Vbw. und
Bw. strenger voneinander sondern. Vorläufig genüge es fest-
zuhalten, daß das System Vbw. die Eigenschaften des Systems
Bw. teilt, und daß die strenge Zensur am Übergang vom Ubw.
zum Vbw. (oder Bw.) ihres Amtes waltet.Mit der Aufnahme dieser (zwei oder drei) psychischen
Systeme hat sich die Psychoanalyse einen Schritt weiter von
der deskriptiven Bewußtseinspsychologie entfernt, sich eine
neue Fragestellung und einen neuen Inhalt beigelegt. Sie
unterschied sich von der Psychologie bisher hauptsächlich
durch die dynamischeAuffassung der seelischen Vor-
gänge; nun kommt hinzu, daß sie auch die psychische Topik
berücksichtigen und von einem beliebigen seelischen Akt
angeben will, innerhalb welchen Systems oder zwischen wel-
chen Systemen er sich abspielt. Wegen dieses Bestrebens
hat sie auch den Namen einer Tiefenpsychologie er-
halten. Wir werden hören, daß sie auch noch um einen an-
deren Gesichtspunkt bereichert werden kann.Wollen wir mit einer Topik der seelischen Akte Ernst
machen, so müssen wir unser Interesse einer an dieser Stelle
auftauchenden Zweifelfrage zuwenden. Wenn ein psychischer
Akt (beschränken wir uns hier auf einen solchen von derS.
304
Natur einer Vorstellung) die Umsetzung aus dem System
Ubw. in das System Bw. (oder Vbw.) erfährt, sollen wir
annehmen, daß mit dieser Umsetzung eine neuerliche Fixie-
rung, gleichsam eine zweite Niederschrift der betreffenden
Vorstellung verbunden ist, die also auch in einer neuen
psychischen Lokalität enthalten sein kann, und neben wel-
cher die ursprüngliche unbewußte Niederschrift fortbesteht?
Oder sollen wir eher glauben, daß die Umsetzung in einer
Zustandsänderung besteht, welche sich an dem nämlichen
Material und an derselben Lokalität vollzieht? Diese Frage
kann abstrus erscheinen, muß aber aufgeworfen werden, wenn
wir uns von der psychischen Topik, der psychischen Tiefen-
dimension, eine bestimmtere Idee bilden wollen. Sie ist
schwierig, weil sie über das rein Psychologische hinausgeht
und die Beziehungen des seelischen Apparates zur Anatomie
streift. Wir wissen, daß solche Beziehungen im Gröbsten
existieren. Es ist ein unerschütterliches Resultat der For-
schung, daß die seelische Tätigkeit an die Funktion des Ge-
hirns gebunden ist wie an kein anderes Organ. Ein Stück
weiter – es ist nicht bekannt, wie weit – führt die Ent-
deckung von der Ungleichwertigkeit der Gehirnteile und
deren Sonderbeziehung zu bestimmten Körperteilen und gei-
stigen Tätigkeiten. Aber alle Versuche, von da aus eine
Lokalisation der seelischen Vorgänge zu erraten, alle Be-
mühungen, die Vorstellungen in Nervenzellen aufgespeichert
zu denken und die Erregungen auf Nervenfasern wandern zu
lassen, sind gründlich gescheitert. Dasselbe Schicksal würde
einer Lehre bevorstehen, die etwa den anatomischen Ort des
Systems Bw., der bewußten Seelentätigkeit, in der Hirnrinde
erkennen und die unbewußten Vorgänge in die subkortikalen
Hirnpartien versetzen wollte. Es klafft hier eine Lücke, derenS.
305
Ausfüllung derzeit nicht möglich ist, auch nicht zu den Auf-
gaben der Psychologie gehört. Unsere psychische Topik hat
vorläufig nichts mit der Anatomie zu tun; sie bezieht sich
auf Regionen des seelischen Apparats, wo immer sie im
Körper gelegen sein mögen, und nicht auf anatomische Ört-
lichkeiten.Unsere Arbeit ist also in dieser Hinsicht frei und darf
nach ihren eigenen Bedürfnissen vorgehen. Es wird auch
förderlich sein, wenn wir uns daran mahnen, daß unsere An-
nahmen zunächst nur den Wert von Veranschaulichungen be-
anspruchen. Die erstere der beiden in Betracht gezogenen
Möglichkeiten, nämlich daß die bw Phase der Vorstellung
eine neue, an anderem Orte befindliche Niederschrift der-
selben bedeute, ist unzweifelhaft die gröbere, aber auch die
bequemere. Die zweite Annahme, die einer bloß funktionellen
Zustandsänderung, ist die von vornherein wahrschein-
lichere, aber sie ist minder plastisch, weniger leicht zu hand-
haben. Mit der ersten, der topischen Annahme ist die einer
topischen Trennung der Systeme Ubw. und Bw. und die
Möglichkeit verknüpft, daß eine Vorstellung gleichzeitig an
zwei Stellen des psychischen Apparats vorhanden sei, ja daß
sie, wenn durch die Zensur ungehemmt, regelmäßig von dem
einen Ort an den anderen vorrücke, eventuell ohne ihre erste
Niederlassung oder Niederschrift zu verlieren. Das mag be-
fremdlich aussehen, kann sich aber an Eindrücke aus der
psychoanalytischen Praxis anlehnen.Wenn man einem Patienten eine seinerzeit von ihm ver-
drängte Vorstellung, die man erraten hat, mitteilt, so ändert
dies zunächst an seinem psychischen Zustand nichts. Es
hebt vor allem nicht die Verdrängung auf, macht deren Fol-
gen nicht rückgängig, wie man vielleicht erwarten konnte,S.
306
weil die früher unbewußte Vorstellung nun bewußt geworden
ist. Man wird im Gegenteil zunächst nur eine neuerliche Ab-
lehnung der verdrängten Vorstellung erzielen. Der Patient
hat aber jetzt tatsächlich dieselbe Vorstellung in zweifacher
Form an verschiedenen Stellen seines seelischen Apparats,
erstens hat er die bewußte Erinnerung an die Gehörspur der
Vorstellung durch die Mitteilung, zweitens trägt er daneben,
wie wir mit Sicherheit wissen, die unbewußte Erinnerung
an das Erlebte in der früheren Form in sich. In Wirklichkeit
tritt nun eine Aufhebung der Verdrängung nicht eher ein,
als bis die bewußte Vorstellung sich nach Überwindung der
Widerstände mit der unbewußten Erinnerungsspur in Ver-
bindung gesetzt hat. Erst durch das Bewußtmachen dieser
letzteren selbst wird der Erfolg erreicht. Damit schiene ja
für oberflächliche Erwägung erwiesen, daß bewußte und un-
bewußte Vorstellungen verschiedene und topisch gesonderte
Niederschriften des nämlichen Inhalts sind. Aber die nächste
Überlegung zeigt, daß die Identität der Mitteilung mit der
verdrängten Erinnerung des Patienten nur eine scheinbare ist.
Das Gehörthaben und das Erlebthaben sind zwei nach ihrer
psychologischen Natur ganz verschiedene Dinge, auch wenn
sie den nämlichen Inhalt haben.Wir sind also zunächst nicht im stande, zwischen den
beiden erörterten Möglichkeiten zu entscheiden. Vielleicht
treffen wir späterhin auf Momente, welche für eine von bei-
den den Ausschlag geben können. Vielleicht steht uns die
Entdeckung bevor, daß unsere Fragestellung unzureichend
war und daß die Unterscheidung der unbewußten Vorstel-
lung von der bewußten noch ganz anders zu bestimmen ist.Gibt es unbewußte Gefühle?
Wir haben die vorstehende Diskussion auf Vorstellungen
eingeschränkt und können nun eine neue Frage aufwerfen,S.
307
deren Beantwortung zur Klärung unserer theoretischen An-
sichten beitragen muß. Wir sagten, es gäbe bewußte und
unbewußte Vorstellungen; gibt es aber auch unbewußte Trieb-
regungen, Gefühle, Empfindungen, oder ist es diesmal sinn-
los, solche Zusammensetzungen zu bilden?Ich meine wirklich, der Gegensatz von bewußt und un-
bewußt hat auf den Trieb keine Anwendung. Ein Trieb kann
nie Objekt des Bewußtseins werden, nur die Vorstellung, die
ihn repräsentiert. Er kann aber auch im Unbewußten nicht
anders als durch die Vorstellung repräsentiert sein. Würde
der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht
als ein Affektzustand zum Vorschein kommen, so könnten
wir nichts von ihm wissen. Wenn wir aber doch von einer
unbewußten Triebregung oder einer verdrängten Triebregung
reden, so ist dies eine harmlose Nachlässigkeit des Aus-
druckes. Wir können nichts anderes meinen als eine Trieb-
regung, deren Vorstellungsrepräsentanz unbewußt ist,
denn etwas anderes kommt nicht in Betracht.Man sollte meinen, die Antwort auf die Frage nach den
unbewußten Empfindungen, Gefühlen, Affekten sei ebenso
leicht zu geben. Zum Wesen eines Gefühls gehört es doch,
daß es verspürt, also dem Bewußtsein bekannt wird. Die
Möglichkeit einer Unbewußtheit würde also für Gefühle,
Empfindungen, Affekte völlig entfallen. Wir sind aber in
der psychoanalytischen Praxis gewöhnt, von unbewußter
Liebe, Haß, Wut usw. zu sprechen und finden selbst die be-
fremdliche Vereinigung „unbewußtes Schuldbewußtsein“ oder
eine paradoxe „unbewußte Angst“ unvermeidlich. Geht dieser
Sprachgebrauch an Bedeutung über den im Falle des „unbe-
wußten Triebes“ hinaus?Der Sachverhalt ist hier wirklich ein anderer. Es kann
S.
308
zunächst vorkommen, daß eine Affekt- oder Gefühlsregung
wahrgenommen, aber verkannt wird. Sie ist durch die Ver-
drängung ihrer eigentlichen Repräsentanz zur Verknüpfung
mit einer anderen Vorstellung genötigt worden und wird nun
vom Bewußtsein für die Äußerung dieser letzteren gehalten.
Wenn wir den richtigen Zusammenhang wiederherstellen,
heißen wir die ursprüngliche Affektregung eine „unbewußte“,
obwohl ihr Affekt niemals unbewußt war, nur ihre Vorstel-
lung der Verdrängung erlegen ist. Der Gebrauch der Aus-
drücke „unbewußter Affekt und Gefühl“ weist überhaupt auf
die Schicksale des quantitativen Faktors der Triebregung
infolge der Verdrängung zurück (siehe die Abhandlung über
Verdrängung). Wir wissen, daß dies Schicksal ein dreifaches
sein kann; der Affekt bleibt entweder – ganz oder teilweise
– als solcher bestehen, oder er erfährt eine Verwandlung
in einen qualitativ anderen Affektbetrag, vor allem in Angst,
oder er wird unterdrückt, d. h. seine Entwicklung überhaupt
verhindert. (Diese Möglichkeiten sind an der Traumarbeit
vielleicht noch leichter zu studieren als bei den Neurosen.)
Wir wissen auch, daß die Unterdrückung der Affektentwick-
lung das eigentliche Ziel der Verdrängung ist, und daß deren
Arbeit unabgeschlossen bleibt, wenn das Ziel nicht erreicht
wird. In allen Fällen, wo der Verdrängung die Hemmung
der Affektentwicklung gelingt, heißen wir die Affekte, die
wir im Redressement der Verdrängungsarbeit wieder ein-
setzen, „unbewußte“. Dem Sprachgebrauch ist also die Kon-
sequenz nicht abzustreiten; es besteht aber im Vergleiche
mit der unbewußten Vorstellung der bedeutsame Unterschied,
daß die unbewußte Vorstellung nach der Verdrängung als
reale Bildung im System Ubw. bestehen bleibt, während dem
unbewußten Affekt ebendort nur eine Ansatzmöglichkeit, dieS.
309
nicht zur Entfaltung kommen durfte, entspricht. Streng ge-
nommen und obwohl der Sprachgebrauch tadellos bleibt, gibt
es also keine unbewußten Affekte, wie es unbewußte Vor-
stellungen gibt. Es kann aber sehr wohl im System Ubw.
Affektbildungen geben, die wie andere bewußt werden. Der
ganze Unterschied rührt daher, daß Vorstellungen Besetzun-
gen – im Grunde von Erinnerungsspuren – sind, während
die Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen entsprechen, deren
letzte Äußerungen als Empfindungen wahrgenommen werden.
Im gegenwärtigen Zustand unserer Kenntnis von den Affekten
und Gefühlen können wir diesen Unterschied nicht klarer
ausdrücken.Die Feststellung, daß es der Verdrängung gelingen kann,
die Umsetzung der Triebregung in Affektäußerung zu hem-
men, ist für uns von besonderem Interesse. Sie zeigt uns,
daß das System Bw. normalerweise die Affektivität wie den
Zugang zur Motilität beherrscht, und hebt den Wert der
Verdrängung, indem sie als deren Folgen nicht nur die Ab-
haltung vom Bewußtsein, sondern auch von der Affektentwick-
lung und von der Motivierung der Muskeltätigkeit aufzeigt.
Wir können auch in umgekehrter Darstellung sagen: So-
lange das System Bw. Affektivität und Motilität beherrscht,
heißen wir den psychischen Zustand des Individuums nor-
mal. Indes ist ein Unterschied in der Beziehung des herr-
schenden Systems zu den beiden einander nahe stehenden
Abfuhraktionen unverkennbar.*) Während die Herrschaft des
Bw. über die willkürliche Motilität fest gegründet ist, dem*)Die Affektivität äußert sich wesentlich in motorischer (sekre-
torischer, gefäßregulierender) Abfuhr zur (inneren) Veränderung des eige-
nen Körpers ohne Beziehung zur Außenwelt, die Motilität in Aktionen,
die zur Veränderung der Außenwelt bestimmt sind.S.
310
Ansturm der Neurose regelmäßig widersteht und erst in der
Psychose zusammenbricht, ist die Beherrschung der Affekt-
entwicklung durch Bw. minder gefestigt. Noch innerhalb des
normalen Lebens läßt sich ein beständiges Ringen der beiden
Systeme Bw. und Ubw. um den Primat in der Affektivität
erkennen, grenzen sich gewisse Einflußsphären voneinander
ab und stellen sich Vermengungen der wirksamen Kräfte her.Die Bedeutung des Systems Bw. (Vbw.) für die Zugänge
zur Affektentbindung und Aktion macht uns auch die Rolle
verständlich, welche in der Krankheitsgestaltung der Ersatz-
vorstellung zufällt. Es ist möglich, daß die Affektentwick-
lung direkt vom System Ubw. ausgeht, in diesem Falle hat
sie immer den Charakter der Angst, gegen welche alle „ver-
drängten“ Affekte eingetauscht werden. Häufig aber muß die
Triebregung warten, bis sie eine Ersatzvorstellung im System
Bw. gefunden hat. Dann ist die Affektentwicklung von diesem
bewußten Ersatz her ermöglicht und der qualitative Charakter
des Affekts durch dessen Natur bestimmt. Wir haben be-
hauptet, daß bei der Verdrängung eine Trennung des Affekts
von seiner Vorstellung stattfindet, worauf beide ihren ge-
sonderten Schicksalen entgegengehen. Das ist deskriptiv un-
bestreitbar; der wirkliche Vorgang aber ist in der Regel,
daß ein Affekt so lange nicht zu stande kommt, bis nicht
der Durchbruch zu einer neuen Vertretung im System Bw.
gelungen ist.Topik und Dynamik der Verdrängung.
Wir haben das Resultat erhalten, daß die Verdrängung
im wesentlichen ein Vorgang ist, der sich an Vorstellungen
an der Grenze der Systeme Ubw. und Vbw. (Bw.) vollzieht,
und können nun einen neuerlichen Versuch machen, diesen
Vorgang eingehender zu beschreiben. Es muß sich dabei um
eine Entziehung von Besetzung handeln, aber es fragtS.
311
sich, in welchem System findet die Entziehung statt, und
welchem System gehört die entzogene Besetzung an.Die verdrängte Vorstellung bleibt im Ubw. aktionsfähig;
sie muß also ihre Besetzung behalten haben. Das Entzogene
muß etwas anderes sein. Nehmen wir den Fall der eigent-
lichen Verdrängung vor (des Nachdrängens), wie sie sich an
der vorbewußten oder selbst bereits bewußten Vorstellung ab-
spielt, dann kann die Verdrängung nur darin bestehen, daß
der Vorstellung die (vor)bewußte Besetzung entzogen wird,
die dem System Vbw. angehört. Die Vorstellung bleibt dann
unbesetzt oder sie erhält Besetzung vom Ubw. her, oder sie
behält die ubw. Besetzung, die sie schon früher hatte. Also
Entziehung der vorbewußten, Erhaltung der unbewußten Be-
setzung oder Ersatz der vorbewußten Besetzung durch eine
unbewußte. Wir bemerken übrigens, daß wir dieser Betrach-
tung wie unabsichtlich die Annahme zu Grunde gelegt haben,
der Übergang aus dem System Ubw. in ein nächstes geschehe
nicht durch eine neue Niederschrift, sondern durch eine
Zustandsänderung, einen Wandel in der Besetzung. Die funk-
tionale Annahme hat hier die topische mit leichter Mühe
aus dem Felde geschlagen.Dieser Vorgang der Libidoentziehung reicht aber nicht
aus, um einen anderen Charakter der Verdrängung begreif-
lich zu machen. Es ist nicht einzusehen, warum die besetzt
gebliebene oder vom Ubw. her mit Besetzung versehene Vor-
stellung nicht den Versuch erneuern sollte, kraft ihrer Be-
setzung in das System Vbw. einzudringen. Dann müßte sich
die Libidoentziehung an ihr wiederholen, und dasselbe Spiel
würde sich unabgeschlossen fortsetzen, das Ergebnis aber
nicht das der Verdrängung sein. Ebenso würde der bespro-
chene Mechanismus der Entziehung vorbewußter BesetzungS.
312
versagen, wenn es sich um die Darstellung der Urverdrängung
handelt; in diesem Falle liegt ja eine unbewußte Vorstellung
vor, die noch keine Besetzung vom Vbw. erhalten hat, der
eine solche also auch nicht entzogen werden kann.Wir bedürfen also hier eines anderen Vorganges, welcher
im ersten Falle die Verdrängung unterhält, im zweiten ihre
Herstellung und Fortdauer besorgt, und können diesen nur
in der Annahme einer Gegenbesetzung finden, durch
welche sich das System Vbw. gegen das Andrängen der un-
bewußten Vorstellung schützt. Wie sich eine solche Gegen-
besetzung, die im System Vbw. vor sich geht, äußert, werden
wir an klinischen Beispielen sehen. Sie ist es, welche den
Daueraufwand einer Urverdrängung repräsentiert, aber auch
deren Dauerhaftigkeit verbürgt. Die Gegenbesetzung ist der
alleinige Mechanismus der Urverdrängung; bei der eigent-
lichen Verdrängung (dem Nachdrängen) kommt die Ent-
ziehung der vbw. Besetzung hinzu. Es ist sehr wohl möglich,
daß gerade die der Vorstellung entzogene Besetzung zur
Gegenbesetzung verwendet wird.Wir merken, wie wir allmählich dazu gekommen sind,
in der Darstellung psychischer Phänomene einen dritten Ge-
sichtspunkt zur Geltung zu bringen, außer dem dynamischen
und dem topischen den ökonomischen, der die Schicksale
der Erregungsgrößen zu verfolgen und eine wenigstens rela-
tive Schätzung derselben zu gewinnen strebt. Wir werden
es nicht unbillig finden, die Betrachtungsweise, welche die
Vollendung der psychoanalytischen Forschung ist, durch
einen besonderen Namen auszuzeichnen. Ich schlage vor, daß
es eine metapsychologische Darstellung genannt werden
soll, wenn es uns gelingt, einen psychischen Vorgang nach
seinen dynamischen, topischen und ökonomischenS.
313
Beziehungen zu beschreiben. Es ist vorherzusagen, daß es
uns bei dem gegenwärtigen Stand unserer Einsichten nur an
vereinzelten Stellen gelingen wird.Machen wir einen zaghaften Versuch, eine metapsycho
logische Beschreibung des Verdrängungsvorganges bei den
drei bekannten Übertragungsneurosen zu geben. Wir dürfen
dabei „Besetzung“ durch „Libido“ ersetzen, weil es sich ja,
wie wir wissen, um die Schicksale von Sexualtrieben handelt.Eine erste Phase des Vorganges bei der Angsthysterie
wird häufig übersehen, vielleicht auch wirklich übergangen,
ist aber bei sorgfältiger Beobachtung gut kenntlich. Sie be-
steht darin, daß Angst auftritt, ohne daß wahrgenommen
würde, wovor. Es ist anzunehmen, daß im Ubw. eine Liebes-
regung vorhanden war, die nach der Umsetzung ins System
Vbw. verlangte; aber die von diesem System her ihr zuge-
wendete Besetzung zog sich nach Art eines Fluchtversuches
von ihr zurück, und die unbewußte Libidobesetzung der zu-
rückgewiesenen Vorstellung wurde als Angst abgeführt. Bei
einer etwaigen Wiederholung des Vorganges wurde ein erster
Schritt zur Bewältigung der unliebsamen Angstentwicklung
unternommen. Die fliehende Besetzung wendete sich einer
Ersatzvorstellung zu, die einerseits assoziativ mit der Abe-
wiesenen Vorstellung zusammenhing, anderseits durch die
Entfernung von ihr der Verdrängung entzogen war
(Verschiebungsersatz) und eine Rationalisierung der noch
unhemmbaren Angstentwicklung gestattete. Die Ersatzvor-
stellung spielt nun für das System Bw. (Vbw.) die Rolle einer
Gegenbesetzung, indem sie es gegen das Auftauchen der ver-
drängten Vorstellung im Bw. versichert, anderseits ist sie
die Ausgangsstelle der nun erst recht unhemmbaren Angst-
affektentbindung oder benimmt sich als solche. Die klinischeS.
314
Beobachtung zeigt, daß z. B. das an der Tierphobie leidende
Kind nun unter zweierlei Bedingungen Angst verspürt, er-
stens wenn die verdrängte Liebesregung eine Verstärkung
erfährt, und zweitens wenn das Angsttier wahrgenommen
wird. Die Ersatzvorstellung benimmt sich in dem einen
Falle wie die Stelle einer Überleitung aus dem System Ubw.
in das System Bw., im anderen wie eine selbständige Quelle
der Angstentbindung. Die Ausdehnung der Herrschaft des
Systems Bw. pflegt sich darin zu äußern, daß die erste
Erregungsweise der Ersatzvorstellung gegen die zweite immer
mehr zurücktritt. Vielleicht benimmt sich am Ende das Kind
so, als hätte es gar keine Neigung zu dem Vater, wäre ganz
von ihm frei geworden, und als hätte es wirklich Angst vor
dem Tier. Nur daß diese Tierangst, aus der unbewußten Trieb-
quelle gespeist, sich widerspenstig und übergroß gegen alle
Beeinflussungen aus dem System Bw. erweist und dadurch
ihre Herkunft aus dem System Ubw. verrät.Die Gegenbesetzung aus dem System Bw. hat also in
der zweiten Phase der Angsthysterie zur Ersatzbildung ge-
führt. Derselbe Mechanismus findet bald eine neuerliche An-
wendung. Der Verdrängungsvorgang ist, wie wir wissen, noch
nicht abgeschlossen und findet ein weiteres Ziel in der Auf-
gabe, die vom Ersatz ausgehende Angstentwicklung zu hem-
men. Dies geschieht in der Weise, daß die gesamte assoziierte
Umgebung der Ersatzvorstellung mit besonderer Intensität
besetzt wird, so daß sie eine hohe Empfindlichkeit gegen
Erregung bezeigen kann. Eine Erregung irgendeiner Stelle
dieses Vorbaues muß zufolge der Verknüpfung mit der Er-
satzvorstellung den Anstoß zu einer geringen Angstentwick-
lung geben, welche nun als Signal benützt wird, um durch
neuerliche Flucht der Besetzung den weiteren Fortgang derS.
315
Angstentwicklung zu hemmen. Je weiter weg vom gefürch-
teten Ersatz die empfindlichen und wachsamen Gegenbeset-
zungen angebracht sind, desto präziser kann der Mechanis-
mus funktionieren, der die Ersatzvorstellung isolieren und
neue Erregungen von ihr abhalten soll. Diese Vorsichten
schützen natürlich nur gegen Erregungen, die von außen, durch
die Wahrnehmung an die Ersatzvorstellung herantreten, aber
niemals gegen die Triebregung, die von der Verbindung
mit der verdrängten Vorstellung her die Ersatzvorstellung
trifft. Sie beginnen also erst zu wirken, wenn der Ersatz
die Vertretung des Verdrängten gut übernommen hat, und
können niemals ganz verläßlich wirken. Bei jedem Ansteigen
der Trieberregung muß der schützende Wall um die Ersatz-
vorstellung um ein Stück weiter hinaus verlegt werden. Die
ganze Konstruktion, die in analoger Weise bei den anderen
Neurosen hergestellt wird, trägt den Namen einer Phobie.
Der Ausdruck der Flucht vor bewußter Besetzung der Ersatz-
vorstellung sind die Vermeidungen, Verzichte und Verbote,
an denen man die Angsthysterie erkennt. Überschaut man
den ganzen Vorgang, so kann man sagen, die dritte Phase
hat die Arbeit der zweiten in größerem Ausmaß wiederholt.
Das System Bw. schützt sich jetzt gegen die Aktivierung
der Ersatzvorstellung durch die Gegenbesetzung der Umge-
bung, wie es sich vorhin durch die Besetzung der Ersatz-
vorstellung gegen das Auftauchen der verdrängten Vorstel-
lung gesichert hatte. Die Ersatzbildung durch Verschiebung
hat sich in solcher Weise fortgesetzt. Man muß auch hinzu-
fügen, daß das System Bw. früher nur eine kleine Stelle
besaß, die eine Einbruchspforte der verdrängten Triebregung
war, die Ersatzvorstellung nämlich, daß aber am Ende der
ganze phobische Vorbau einer solchen Enklave des unbewußtenS.
315
Einflusses entspricht. Man kann ferner den inter-
essanten Gesichtspunkt hervorheben, daß durch den ganzen
ins Werk gesetzten Abwehrmechanismus eine Projektion der
Triebgefahr nach außen erreicht worden ist. Das Ich be-
nimmt sich so, als ob ihm die Gefahr der Angstentwicklung
nicht von einer Triebregung, sondern von einer Wahrnehmung
her drohte, und darf darum gegen diese äußere Gefahr mit
den Fluchtversuchen der phobischen Vermeidungen reagieren.
Eines gelingt bei diesem Vorgang der Verdrängung: die Ent-
bindung von Angst läßt sich einigermaßen eindämmen, aber
nur unter schweren Opfern an persönlicher Freiheit. Flucht-
versuche vor Triebansprüchen sind aber im allgemeinen nutz-
los, und das Ergebnis der phobischen Flucht bleibt doch
unbefriedigend.Von den Verhältnissen, die wir bei der Angsthysterie
erkannt haben, gilt ein großer Anteil auch für die beiden
anderen Neurosen, so daß wir die Erörterung auf die Unter-
schiede und die Rolle der Gegenbesetzung beschränken
können. Bei der Konversionshysterie wird die Triebbesetzung
der verdrängten Vorstellung in die Innervation des Symptoms
umgesetzt. Inwieweit und unter welchen Umständen die un-
bewußte Vorstellung durch diese Abfuhr zur Innervation drai-
niert ist, so daß sie ihr Andrängen gegen das System Bw.
aufgeben kann, diese und ähnliche Fragen bleiben besser
einer speziellen Untersuchung der Hysterie vorbehalten. Die
Rolle der Gegenbesetzung, die vom System Bw. (Vbw.) ausgeht,
ist bei der Konversionshysterie deutlich und kommt in der
Symptombildung zum Vorschein. Die Gegenbesetzung ist es,
welche die Auswahl trifft, auf welches Stück der Triebreprä-
sentanz die ganze Besetzung derselben konzentriert werden
darf. Dies zum Symptom erlesene Stück erfüllt die Bedingung,S.
317
daß es dem Wunschziel der Triebregung ebensosehr
Ausdruck gibt wie dem Abwehr‑ oder Strafbestreben des
Systems Bw.; es wird also überbesetzt und von beiden Seiten
her gehalten wie die Ersatzvorstellung der Angsthysterie.
Wir können aus diesem Verhältnis ohne weiteres den Schluß
ziehen, daß der Verdrängungsaufwand des Systems Bw. nicht
so groß zu sein braucht wie die Besetzungsenergie des
Symptoms, denn die Stärke der Verdrängung wird durch die
aufgewendete Gegenbesetzung gemessen, und das Symptom
stützt sich nicht nur auf die Gegenbesetzung, sondern auch
auf die in ihm verdichtete Triebbesetzung aus dem Sy-
stem Ubw.Für die Zwangsneurose hätten wir den in der vorigen
Abhandlung enthaltenen Bemerkungen hinzuzufügen, daß
hier die Gegenbesetzung des Systems Bw. am sinnfälligsten
in den Vordergrund tritt. Sie ist es, die als Reaktionsbildung
organisiert die erste Verdrängung besorgt, und an welcher
später der Durchbruch der verdrängten Vorstellung erfolgt.
Man darf der Vermutung Raum geben, daß es an dem Vor-
wiegen der Gegenbesetzung und Ausfallen einer Abfuhr liegt,
wenn das Werk der Verdrängung bei Angsthysterie und
Zwangsneurose weit weniger geglückt erscheint als bei der
Konversionshysterie.Die besonderen Eigenschaften des Systems Ubw.
Eine neue Bedeutung erhält die Unterscheidung der bei-
den psychischen Systeme, wenn wir darauf aufmerksam wer-
den, daß die Vorgänge des einen Systems, des Ubw., Eigen-
schaften zeigen, die sich in dem nächst höheren nicht wie-
derfinden.Der Kern des Ubw besteht aus Triebrepräsentanzen, die
ihre Besetzung abführen wollen, also aus Wunschregungen.
Diese Triebregungen sind einander koordiniert, bestehen unbeeinflußtS.
318
nebeneinander, widersprechen einander nicht. Wenn
zwei Wunschregungen gleichzeitig aktiviert werden, deren
Ziele uns unvereinbar erscheinen müssen, so ziehen sich die
beiden Regungen nicht etwa voneinander ab oder heben ein-
ander auf, sondern sie treten zur Bildung eines mittleren
Zieles, eines Kompromisses, zusammen.Es gibt in diesem System keine Negation, keinen Zweifel,
keine Grade von Sicherheit. All dies wird erst durch die
Arbeit der Zensur zwischen Ubw. und Vbw. eingetragen. Die
Negation ist ein Ersatz der Verdrängung von höherer Stufe.
Im Ubw. gibt es nur mehr oder weniger stark besetzte Inhalte.Es herrscht eine weit größere Beweglichkeit der Be-
setzungsintensitäten. Durch den Prozeß der Verschiebung
kann eine Vorstellung den ganzen Betrag ihrer Besetzung
an eine andere abgeben, durch den der Verdichtung die
ganze Besetzung mehrerer anderer an sich nehmen. Ich habe
vorgeschlagen, diese beiden Prozesse als Anzeichen des so-
genannten psychischen Primärvorganges anzusehen. Im
System Vbw herrscht der Sekundärvorgang;*) wo ein
solcher Primärvorgang sich an Elementen des Systems Vbw.
abspielen darf, erscheint er „komisch“ und erregt Lachen.Die Vorgänge des Systems Ubw sind zeitlos, d. h., sie
sind nicht zeitlich geordnet, werden durch die verlaufende
Zeit nicht abgeändert, haben überhaupt keine Beziehung zur
Zeit. Auch die Zeitbeziehung ist an die Arbeit des Bw.-
Systems geknüpft.Ebensowenig kennen die Ubw.‑Vorgänge eine Rücksicht
auf die Realität. Sie sind dem Lustprinzip unterworfen;*)Siehe die Ausführungen im VII. Abschnitt der Traumdeutung,
welche sich auf die von J. Breuer in den „Studien über Hysterie“
entwickelten Ideen stützt.S.
319
ihr Schicksal hängt nur davon ab, wie stark sie sind, und
ob sie die Anforderungen der Lust‑Unlustregulierung erfüllen.Fassen wir zusammen: Widerspruchslosigkeit,
Primärvorgang (Beweglichkeit der Besetzungen), Zeitlosigkeit
und Ersetzung der äußeren Realität
durch die psychische sind die Charaktere, die wir an
zum System Ubw. gehörigen Vorgängen zu finden erwarten
dürfen.*)Die unbewußten Vorgänge werden für uns nur unter den
Bedingungen des Träumens und der Neurosen erkennbar, also
dann, wenn Vorgänge des höheren Vbw.-Systems durch eine
Erniedrigung (Regression) auf eine frühere Stufe zurück-
versetzt werden. An und für sich sind sie unerkennbar, auch
existenzunfähig, weil das System Ubw. sehr frühzeitig von
dem Vbw. überlagert wird, welches den Zugang zum Bewußt-
sein und zur Motilität an sich gerissen hat. Die Abfuhr
des Systems Ubw. geht in die Körperinnervation zur Affekt-
entwicklung, aber auch dieser Entladungsweg wird ihm, wie
wir gehört haben, vom Vbw. streitig gemacht. Für sich
allein könnte das Ubw.‑System unter normalen Verhältnissen
keine zweckmäßige Muskelaktion zu stande bringen, mit Aus-
nahme jener, die als Reflexe bereits organisiert sind.Die volle Bedeutung der beschriebenen Charaktere des
Systems Ubw. könnte uns erst einleuchten, wenn wir sie den
Eigenschaften des Systems Vbw. gegenüberstellen und an
ihnen messen würden. Allein dies würde uns so weitab führen,
daß ich vorschlage, wiederum einen Aufschub gutzuheißen
und die Vergleichung der beiden Systeme erst im Anschluß
an die Würdigung des höheren Systems vorzunehmen. Nur*)Die Erwähnung eines anderen bedeutsamen Vorrechtes des Ubw.
sparen wir für einen anderen Zusammenhang auf.S.
320
das Allerdringendste soll schon jetzt seine Erwähnung
finden.Die Vorgänge des Systems Vbw. zeigen – und zwar
gleichgültig, ob sie bereits bewußt oder nur bewußtseinsfähig
sind – eine Hemmung der Abfuhrneigung von den besetzten
Vorstellungen. Wenn der Vorgang von einer Vorstellung auf
eine andere übergeht, so hält die erstere einen Teil ihrer Be-
setzung fest und nur ein kleiner Anteil erfährt die Verschie-
bung. Verschiebungen und Verdichtungen wie beim Primär-
vorgang sind ausgeschlossen oder sehr eingeschränkt. Dieses
Verhältnis hat J. Breuerveranlaßt, zwei verschiedene Zu-
stände der Besetzungsenergie im Seelenleben anzunehmen,
einen tonisch gebundenen und einen frei beweglichen, der
Abfuhr zustrebenden. Ich glaube, daß diese Unterscheidung
bis jetzt unsere tiefste Einsicht in das Wesen der nervösen
Energie darstellt, und sehe nicht, wie man um sie herum-
kommen soll. Es wäre ein dringendes Bedürfnis der meta-
psychologischen Darstellung – vielleicht aber noch ein
allzu gewagtes Unternehmen – an dieser Stelle die Dis-
kussion fortzuführen.Dem System Vbw. fallen ferner zu die Herstellung einer
Verkehrsfähigkeit unter den Vorstellungsinhalten, so daß
sie einander beeinflussen können, die zeitliche Anordnung
derselben, die Einführung der einen Zensur oder mehrerer
Zensuren, die Realitätsprüfung und das Realitätsprinzip. Auch
das bewußte Gedächtnis scheint ganz am Vbw. zu hängen, es
ist scharf von den Erinnerungsspuren zu scheiden, in denen
sich die Erlebnisse des Ubw. fixieren, und entspricht wahr-
scheinlich einer besonderen Niederschrift, wie wir sie für
das Verhältnis der bewußten zur unbewußten Vorstellung
annehmen wollten, aber bereits verworfen haben. In diesemS.
321
Zusammenhang werden wir auch die Mittel finden, unserem
Schwanken in der Benennung des höheren Systems, das wir jetzt
richtungslos bald Vbw. bald Bw. heißen, ein Ende zu machen.Es wird auch die Warnung am Platze sein, nicht vor-
eilig zu verallgemeinern, was wir hier über die Verteilung
der seelischen Leistungen an die beiden Systeme zu Tage
gefördert haben. Wir beschreiben die Verhältnisse, wie sie
sich beim reifen Menschen zeigen, bei dem das System Ubw.
streng genommen nur als Vorstufe der höheren Organisation
funktioniert. Welchen Inhalt und welche Beziehungen dies
System während der individuellen Entwicklung hat, und
welche Bedeutung ihm beim Tiere zukommt, das soll nicht
aus unserer Beschreibung abgeleitet, sondern selbständig er-
forscht werden. Wir müssen auch beim Menschen darauf
gefaßt sein, etwa krankhafte Bedingungen zu finden, unter
denen die beiden Systeme Inhalt wie Charaktere ändern oder
selbst miteinander tauschen.Der Verkehr der beiden Systeme. Die Abkömmlinge des Ubw.
Es wäre doch unrecht, sich vorzustellen, daß das Ubw.
in Ruhe verbleibt, während die ganze psychische Arbeit vom
Vbw. geleistet wird, daß das Ubw. etwas Abgetanes, ein
rudimentäres Organ, ein Residuum der Entwicklung sei. Oder
anzunehmen, daß sich der Verkehr der beiden Systeme auf
den Akt der Verdrängung beschränkt, indem das Vbw. alles,
was ihm störend erscheint, in den Abgrund des Ubw. wirft.
Das Ubw. ist vielmehr lebend, entwicklungsfähig und unter-
hält eine Anzahl von anderen Beziehungen zum Vbw., dar-
unter auch die der Kooperation. Man muß zusammenfassend
sagen, das Ubw. setzt sich in die sogenannten Abkömmlinge
fort, es ist den Einwirkungen des Lebens zugänglich, be-
einflußt beständig das Vbw. und ist seinerseits sogar Beein-
flussungen von seiten des Vbw. unterworfen.S.
322
Das Studium der Abkömmlinge des Ubw. wird unseren
Erwartungen einer schematisch reinlichen Scheidung zwischen
den beiden psychischen Systemen eine gründliche Enttäu-
schung bereiten. Das wird gewiß Unzufriedenheit mit un-
seren Ergebnissen erwecken und wahrscheinlich dazu benützt
werden, den Wert unserer Art der Trennung der psychischen
Vorgänge in Zweifel zu ziehen. Allein wir werden geltend
machen, daß wir keine andere Aufgabe haben, als die Er-
gebnisse der Beobachtung in Theorie umzusetzen, und die
Verpflichtung von uns weisen, auf den ersten Anlauf eine
glatte und durch Einfachheit sich empfehlende Theorie zu
erreichen. Wir vertreten deren Komplikationen, solange sie
sich der Beobachtung adäquat erweisen, und geben die Er-
wartung nicht auf, gerade durch sie zur endlichen Er-
kenntnis eines Sachverhaltes geleitet zu werden, der, an
sich einfach, den Komplikationen der Realität gerecht wer-
den kann.Unter den Abkömmlingen der ubw. Triebregungen vom
beschriebenen Charakter gibt es welche, die entgegengesetzte
Bestimmungen in sich vereinigen. Sie sind einerseits hoch-
organisiert, widerspruchsfrei, haben allen Erwerb des Systems
Bw. verwertet und würden sich für unser Urteil von den
Bildungen dieses Systems kaum unterscheiden. Anderseits
sind sie unbewußt und unfähig, bewußt zu werden. Sie ge-
hören also qualitativ zum System Vbw., faktisch aber zum
Ubw. Ihre Herkunft bleibt das für ihr Schicksal Entschei-
dende. Man muß sie mit den Mischlingen menschlicher Rassen
vergleichen, die im großen und ganzen bereits den Weißen
gleichen, ihre farbige Abkunft aber durch den einen oder
anderen auffälligen Zug verraten und darum von der Gesell-
schaft ausgeschlossen bleiben und keines der Vorrechte derS.
323
Weißen genießen. Solcher Art sind die Phantasiebildungen
der Normalen wie der Neurotiker, die wir als Vorstufen der
Traum‑ wie der Symptombildung erkannt haben, und die
trotz ihrer hohen Organisation verdrängt bleiben und als
solche nicht bewußt werden können. Sie kommen nahe ans
Bewußtsein heran, bleiben ungestört, solange sie keine in-
tensive Besetzung haben, werden aber zurückgeworfen, so-
bald sie eine gewisse Höhe der Besetzung überschreiten.
Ebensolche höher organisierte Abkömmlinge des Ubw. sind
die Ersatzbildungen, denen aber der Durchbruch zum Be-
wußtsein dank einer günstigen Relation gelingt, wie z. B.
durch das Zusammentreffen mit einer Gegenbesetzung
des Vbw.Wenn wir an anderer Stelle die Bedingungen des Be-
wußtwerdens eingehender untersuchen, wird uns ein Teil der
hier auftauchenden Schwierigkeiten lösbar werden. Hier mag
es uns vorteilhaft erscheinen, der bisherigen vom Ubw. her
aufsteigenden Betrachtung eine vom Bewußtsein ausgehende
gegenüberzustellen. Dem Bewußtsein tritt die ganze Summe
der psychischen Vorgänge als das Reich des Vorbewußten
entgegen. Ein sehr großer Anteil dieses Vorbewußten stammt
aus dem Unbewußten, hat den Charakter der Abkömmlinge
desselben und unterliegt einer Zensur, ehe er bewußt werden
kann. Ein anderer Anteil des Vbw. ist ohne Zensur bewußt-
seinsfähig. Wir gelangen hier zu einem Widerspruch gegen
eine frühere Annahme. In der Betrachtung der Verdrängung
wurden wir genötigt, die für das Bewußtwerden entscheidende
Zensur zwischen die Systeme Ubw. und Vbw. zu verlegen.
Jetzt wird uns eine Zensur zwischen Vbw. und Bw. nahe-
gelegt. Wir tun aber gut daran, in dieser Komplikation keine
Schwierigkeit zu erblicken, sondern anzunehmen, daß jedemS.
324
Übergang von einem System zum nächst höheren, also jedem
Fortschritt zu einer höheren Stufe psychischer Organisation
eine neue Zensur entspreche. Die Annahme einer fortlau-
fenden Erneuerung der Niederschriften ist damit allerdings
abgetan.Der Grund all dieser Schwierigkeiten ist darin zu suchen,
daß die Bewußtheit, der einzige uns unmittelbar gegebene
Charakter der psychischen Vorgänge, sich zur Systemunter-
scheidung in keiner Weise eignet. Abgesehen davon, daß
das Bewußte nicht immer bewußt, sondern zeitweilig auch
latent ist, hat uns die Beobachtung gezeigt, daß vieles, was
die Eigenschaften des Systems Vbw. teilt, nicht bewußt wird,
und haben wir noch zu erfahren, daß das Bewußtwerden durch
gewisse Richtungen seiner Aufmerksamkeit eingeschränkt ist.
Das Bewußtsein hat so weder zu den Systemen noch zur
Verdrängung ein einfaches Verhältnis. Die Wahrheit ist, daß
nicht nur das psychisch Verdrängte dem Bewußtsein fremd
bleibt, sondern auch ein Teil der unser Ich beherrschenden
Regungen, also der stärkste funktionelle Gegensatz des Ver-
drängten. In dem Maße, als wir uns zu einer metapsycho-
logischen Betrachtung des Seelenlebens durchringen wollen,
müssen wir lernen, uns von der Bedeutung des Symptoms
„Bewußtheit“ zu emanzipieren.Solange wir noch an diesem haften, sehen wir unsere
Allgemeinheiten regelmäßig durch Ausnahmen durchbrochen.
Wir sehen, daß Abkömmlinge des Vbw als Ersatzbildungen
und als Symptome bewußt werden, in der Regel nach großen
Entstellungen gegen das Unbewußte, aber oft mit Erhaltung
vieler zur Verdrängung auffordernden Charaktere. Wir fin-
den, daß viele vorbewußte Bildungen unbewußt bleiben, die,
sollten wir meinen, ihrer Natur nach sehr wohl bewußt werdenS.
325
dürften. Wahrscheinlich macht sich bei ihnen die
stärkere Anziehung des Ubw. geltend. Wir werden darauf
hingewiesen, die bedeutsamere Differenz nicht zwischen dem
Bewußten und dem Vorbewußten, sondern zwischen dem Vor-
bewußten und dem Unbewußten zu suchen. Das Ubw. wird
an der Grenze des Vbw. durch die Zensur zurückgewiesen,
Abkömmlinge desselben können diese Zensur umgehen, sich
hoch organisieren, im Vbw. bis zu einer gewissen Intensität
der Besetzung heranwachsen, werden aber dann, wenn sie
diese überschritten haben und sich dem Bewußtsein auf-
drängen wollen, als Abkömmlinge des Ubw. erkannt und an
der neuen Zensurgrenze zwischen Vbw. und Bw. neuerlich
verdrängt. Die erstere Zensur funktioniert so gegen das Ubw.
selbst, die letztere gegen die vbw. Abkömmlinge desselben.
Man könnte meinen, die Zensur habe sich im Laufe der indi-
viduellen Entwicklung um ein Stück vorgeschoben.In der psychoanalytischen Kur erbringen wir den un-
anfechtbaren Beweis für die Existenz der zweiten Zensur,
der zwischen den Systemen Vbw. und Bw. Wir fordern den
Kranken auf, reichlich Abkömmlinge des Ubw. zu bilden,
verpflichten ihn dazu, die Einwendungen der Zensur gegen
das Bewußtwerden dieser vorbewußten Bildungen zu über-
winden, und bahnen uns durch die Besiegung dieser Zensur
den Weg zur Aufhebung der Verdrängung, die das Werk der
früheren Zensur ist. Fügen wir noch die Bemerkung an, daß
die Existenz der Zensur zwischen Vbw. und Bw. uns mahnt,
das Bewußtwerden sei kein bloßer Wahrnehmungsakt, son-
dern wahrscheinlich auch eine Überbesetzung, ein weiterer
Fortschritt der psychischen Organisation.Wenden wir uns zum Verkehr des Ubw. mit den anderen
Systemen, weniger um Neues festzustellen, als um nicht dasS.
326
Sinnfälligste zu übergehen. An den Wurzeln der Triebtätigkeit
kommunizieren die Systeme aufs ausgiebigste miteinander.
Ein Anteil der hier erregten Vorgänge geht durch das Ubw.
wie durch eine Vorbereitungsstufe durch und erreicht die
höchste psychische Ausbildung im Bw., ein anderer wird als
Ubw. zurückgehalten. Das Ubw. wird aber auch von den
aus der äußeren Wahrnehmung stammenden Erlebnissen ge-
troffen. Alle Wege von der Wahrnehmung zum Ubw. bleiben
in der Norm frei; erst die vom Ubw. weiterführenden Wege
unterliegen der Sperrung durch die Verdrängung.Es ist sehr bemerkenswert, daß das Ubw. eines Menschen
mit Umgehung des Bw. auf das Ubw eines anderen reagieren
kann. Die Tatsache verdient eingehendere Untersuchung, be-
sonders nach der Richtung, ob sich vorbewußte Tätigkeit
dabei ausschließen läßt, ist aber als Beschreibung unbe-
streitbar.Der Inhalt des Systems Vbw. (oder Bw.) entstammt zu
einem Teil dem Triebleben (durch Vermittlung des Ubw.),
zum anderen Teil der Wahrnehmung. Es ist zweifelhaft,
inwieweit die Vorgänge dieses Systems eine direkte Ein-
wirkung auf das Ubw. äußern können; die Erforschung patho-
logischer Fälle zeigt oft eine kaum glaubliche Selbständigkeit
und Unbeeinflußbarkeit des Ubw. Ein völliges Auseinander-
gehen der Strebungen, ein absoluter Zerfall der beiden Systeme
ist überhaupt die Charakteristik des Krankseins. Allein die
psychoanalytische Kur ist auf die Beeinflussung des Ubw.
vom Bw. her gebaut und zeigt jedenfalls, daß solche, wie-
wohl mühsam, nicht unmöglich ist. Die zwischen beiden
Systemen vermittelnden Abkömmlinge des Ubw. bahnen uns,
wie schon erwähnt, den Weg zu dieser Leistung. Wir dürfen
aber wohl annehmen, daß die spontan erfolgende VeränderungS.
327
des Ubw. von Seiten des Bw. ein schwieriger und langsam
verlaufender Prozeß ist.Eine Kooperation zwischen einer vorbewußten und einer
unbewußten, selbst intensiv verdrängten Regung kann zu
stande kommen, wenn es die Situation ergibt, daß die unbe-
wußte Regung gleichsinnig mit einer der herrschenden Stre-
bungen wirken kann. Die Verdrängung wird für diesen Fall
aufgehoben, die verdrängte Aktivität als Verstärkung der
vom Ich beabsichtigten zugelassen. Das Unbewußte wird für
diese eine Konstellation ichgerecht, ohne daß sonst an seiner
Verdrängung etwas abgeändert würde. Der Erfolg des Ubw.
ist bei dieser Kooperation unverkennbar; die verstärkten
Strebungen benehmen sich doch anders als die normalen,
sie befähigen zu besonders vollkommener Leistung und sie
zeigen gegen Widersprüche eine ähnliche Resistenz wie etwa
die Zwangssymptome.Den Inhalt des Ubw. kann man einer psychischen Ur-
bevölkerung vergleichen. Wenn es beim Menschen ererbte
psychische Bildungen, etwas dem Instinkt der Tiere Ana-
loges gibt, so macht dies den Kern des Ubw. aus. Dazu
kommt später das während der Kindheitsentwicklung als
unbrauchbar Beseitigte hinzu, was seiner Natur nach von
dem Ererbten nicht verschieden zu sein braucht. Eine scharfe
und endgültige Scheidung des Inhaltes der beiden Systeme
stellt sich in der Regel erst mit dem Zeitpunkte der
Pubertät her.Die Agnoszierung des Unbewußten
Soviel, als wir in den vorstehenden Erörterungen zusam-
mengetragen haben, läßt sich etwa über das Ubw. aussagen,
solange man nur aus der Kenntnis des Traumlebens und der
Übertragungsneurosen schöpft. Es ist gewiß nicht viel, macht
stellenweise den Eindruck des Ungeklärten und VerwirrendenS.
328
und läßt vor allem die Möglichkeit vermissen, das Ubw. an
einen bereits bekannten Zusammenhang anzuordnen oder es
in ihn einzureihen. Erst die Analyse einer der Affektionen,
die wir narzißtische Psychoneurosen heißen, verspricht uns
Auffassungen zu liefern, durch welche uns das rätselvolle
Ubw. nähergerückt und gleichsam greifbar gemacht wird.Seit einer Arbeit von Abraham (1908), welche der ge-
wissenhafte Autor auf meine Anregung zurückgeführt hat,
versuchen wir die Dementia praecox Kraepelins (Schizo-
phrenie Bleulers) durch ihr Verhalten zum Gegensatz von
Ich und Objekt zu charakterisieren. Bei den Übertragungs-
neurosen (Angst‑ und Konversionshysterie, Zwangsneurose)
lag nichts vor, was diesen Gegensatz in den Vordergrund
gerückt hätte. Man wußte zwar, daß die Versagung des
Objekts den Ausbruch der Neurose herbeiführt, und daß die
Neurose den Verzicht auf das reale Objekt involviert, auch
daß die dem realen Objekt entzogene Libido auf ein phan-
tasiertes Objekt und von da aus auf ein verdrängtes zurück-
geht (Introversion). Aber die Objektbesetzung überhaupt wird
bei ihnen mit großer Energie festgehalten, und die feinere
Untersuchung des Verdrängungsvorganges hat uns anzu-
nehmen genötigt, daß die Objektbesetzung im System Ubw.
trotz der Verdrängung – vielmehr infolge derselben – fort-
besteht. Die Fähigkeit zur Übertragung, welche wir bei diesen
Affektionen therapeutisch ausnützen, setzt ja die ungestörte
Objektbesetzung voraus.Bei der Schizophrenie hat sich uns dagegen die Annahme
aufgedrängt, daß nach dem Prozesse der Verdrängung die
abgezogene Libido kein neues Objekt suche, sondern ins Ich
zurücktrete, daß also hier die Objektbesetzungen aufgegeben
und ein primitiver objektloser Zustand von Narzißmus wiederhergestelltS.
329
werde. Die Unfähigkeit dieser Patienten zur Über-
tragung, – soweit der Krankheitsprozeß reicht, – ihre dar-
aus folgende therapeutische Unzugänglichkeit, die ihnen
eigentümliche Ablehnung der Außenwelt, das Auftreten von
Zeichen einer Überbesetzung des eigenen Ichs, der Ausgang in
völlige Apathie, all diese klinischen Charaktere scheinen zu
der Annahme eines Aufgebens der Objektbesetzungen treff-
lich zu stimmen. Von seiten des Verhältnisses der beiden
psychischen Systeme wurde allen Beobachtern auffällig, daß
bei der Schizophrenie vieles als bewußt geäußert wird, was
wir bei den Übertragungsneurosen erst durch Psychoanalyse
im Ubw. nachweisen müssen. Aber es gelang zunächst nicht,
zwischen der Ich‑Objektbeziehung und den Bewußtseinsrela-
tionen eine verständliche Verknüpfung herzustellen.Das Gesuchte scheint sich auf folgendem unvermuteten
Wege zu ergeben. Bei den Schizophrenen beobachtet man,
zumal in den so lehrreichen Anfangsstadien, eine Anzahl von
Veränderungen der Sprache, von denen einige es verdienen,
unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet zu wer-
den. Die Ausdrucksweise wird oft Gegenstand einer beson-
deren Sorgfalt, sie wird „gewählt“, „geziert“. Die Sätze er-
fahren eine besondere Desorganisation des Aufbaues, durch
welche sie uns unverständlich werden, so daß wir die Äuße-
rungen der Kranken für unsinnig halten. Im Inhalt dieser
Äußerungen wird oft eine Beziehung zu Körperorganen oder
Körperinnervationen in den Vordergrund gerückt. Dem kann
man anreihen, daß in solchen Symptomen der Schizophrenie,
welche hysterischen oder zwangsneurotischen Ersatzbildungen
gleichen, doch die Beziehung zwischen dem Ersatz und dem
Verdrängten Eigentümlichkeiten zeigt, welche uns bei den
beiden genannten Neurosen befremden würden.S.
330
Herr Dr. V. Tausk (Wien) hat mir einige seiner Be-
obachtungen bei beginnender Schizophrenie zur Verfügung
gestellt, die durch den Vorzug ausgezeichnet sind, daß die
Kranke selbst noch die Aufklärung ihrer Reden geben wollte.
Ich will nun an zweien seiner Beispiele zeigen, welche Auf-
fassung ich zu vertreten beabsichtige, zweifle übrigens nicht
daran, daß es jedem Beobachter leicht sein würde, solches
Material in Fülle vorzubringen.Eine der Kranken Tausks, ein Mädchen, das nach
einem Zwist mit ihrem Geliebten auf die Klinik gebracht
wurde, klagt:Die Augen sind nicht richtig, sie sind verdreht.
Das erläutert sie selbst, indem sie in geordneter
Sprache eine Reihe von Vorwürfen gegen den Geliebten vor-
bringt. „Sie kann ihn gar nicht verstehen, er sieht jedesmal
anders aus, er ist ein Heuchler, ein Augenverdreher, er
hat ihr die Augen verdreht, jetzt hat sie verdrehte Augen,
es sind nicht mehr ihre Augen, sie sieht die Welt jetzt mit
anderen Augen.“Die Äußerungen der Kranken zu ihrer unverständlichen
Rede haben den Wert einer Analyse, da sie deren Äquivalent
in allgemein verständlicher Ausdrucksweise enthalten; sie
geben gleichzeitig Aufschluß über Bedeutung und über Genese
der schizophrenen Wortbildung. In Übereinstimmung mit
Tausk hebe ich aus diesem Beispiel hervor, daß die Be-
ziehung zum Organ (zum Auge) sich zur Vertretung des
ganzen Inhaltes aufgeworfen hat. Die schizophrene Rede hat
hier einen hypochondrischen Zug, sie ist Organsprache
geworden.Eine zweite Mitteilung derselben Kranken: „Sie steht
in der Kirche, plötzlich gibt es ihr einen Ruck, sie muß sichS.
331
anders stellen, als stellte sie jemand, als würde
sie gestellt.“Dazu die Analyse durch eine neue Reihe von Vorwürfen
gegen den Geliebten, „der ordinär ist, der sie, die vom Hause
aus fein war, auch ordinär gemacht hat. Er hat sie sich
ähnlich gemacht, indem er sie glauben machte, er sei ihr
überlegen; nun sei sie so geworden, wie er ist, weil sie
glaubte, sie werde besser sein, wenn sie ihm gleich werde.
Er hat sich verstellt, sie ist jetzt so wie er (Identifizie-
rung!), er hat sie verstellt.“Die Bewegung „des sich anders Stellen“, bemerkt Tausk,
ist eine Darstellung des Wortes „verstellen“ und der Iden-
tifizierung mit dem Geliebten. Ich hebe wiederum die Prä-
valenz jenes Elements des ganzen Gedankenganges hervor,
welches eine körperliche Innervation (vielmehr deren Emp-
findung) zum Inhalt hat. Eine Hysterika hätte übrigens im
ersten Falle krampfhaft die Augen verdreht, im zweiten den
Ruck wirklich ausgeführt, anstatt den Impuls dazu oder die
Sensation davon zu verspüren, und in beiden Fällen hätte sie
keinen bewußten Gedanken dabei gehabt und wäre auch nach-
träglich nicht im stande gewesen, solche zu äußern.Soweit zeugen diese beiden Beobachtungen für das, was
wir hypochondrische oder Organsprache genannt haben. Sie
mahnen aber auch, was uns wichtiger erscheint, an einen
anderen Sachverhalt, der sich beliebig oft z. B. an den in
BleulersMonographie gesammelten Beispielen nachweisen
und in eine bestimmte Formel fassen läßt. Bei der Schizo-
phrenie werden die Worte demselben Prozeß unterworfen,
der aus den latenten Traumgedanken die Traumbilder macht,
den wir den psychischen Primärvorgang geheißen
haben. Sie werden verdichtet und übertragen einander ihreS.
332
Besetzungen restlos durch Verschiebung; der Prozeß kann
so weit gehen, daß ein einziges, durch mehrfache Beziehungen
dazu geeignetes Wort die Vertretung einer ganzen Gedanken-
kette übernimmt. Die Arbeiten von Bleuler, Jung und
ihren Schülern haben gerade für diese Behauptung reich-
liches Material ergeben.*)Ehe wir aus solchen Eindrücken einen Schluß ziehen,
wollen wir noch der feinen, aber doch befremdlich wirkenden
Unterschiede zwischen der schizophrenen und der hyste-
rischen und zwangsneurotischen Ersatzbildung gedenken. Ein
Patient, den ich gegenwärtig beobachte, läßt sich durch den
schlechten Zustand seiner Gesichtshaut von allen Interessen
des Lebens abziehen. Er behauptet, Mitesser zu haben und
tiefe Löcher im Gesicht, die ihm jedermann ansieht. Die
Analyse weist nach, daß er seinen Kastrationskomplex an
seiner Haut abspielt. Er beschäftigte sich zunächst reuelos
mit seinen Mitessern, deren Ausdrücken ihm große Befrie-
digung bereitete, weil dabei etwas herausspritzte, wie er
sagt. Dann begann er zu glauben, daß überall dort, wo er
einen Komedo beseitigt hatte, eine tiefe Grube entstanden
sei, und er machte sich die heftigsten Vorwürfe, durch sein
„beständiges Herumarbeiten mit der Hand“ seine Haut für
alle Zeiten verdorben zu haben. Es ist evident, daß ihm
das Auspressen des Inhaltes der Mitesser ein Ersatz für die
Onanie ist. Die Grube, die darauf durch seine Schuld ent-
steht, ist das weibliche Genitale, d. h. die Erfüllung der
durch die Onanie provozierten Kastrationsdrohung (resp. der
sie vertretenden Phantasie). Diese Ersatzbildung hat trotz*)Gelegentlich behandelt die Traumarbeit die Worte wie die Dinge
und schafft dann sehr ähnliche „schizophrene“ Reden oder Wortneu-
bildungen.S.
333
ihres hypochondrischen Charakters viel Ähnlichkeit mit einer
hysterischen Konversion, und doch wird man das Gefühl
haben, daß hier etwas anderes vorgehen müsse, daß man
solche Ersatzbildung einer Hysterie nicht zutrauen dürfe,
noch ehe man sagen kann, worin die Verschiedenheit be-
gründet ist. Ein winziges Grübchen wie eine Hautpore wird
ein Hysteriker kaum zum Symbol der Vagina nehmen, die
er sonst mit allen möglichen Gegenständen vergleicht, welche
einen Hohlraum umschließen. Auch meinen wir, daß die
Vielheit der Grübchen ihn abhalten wird, sie als Ersatz für
das weibliche Genitale zu verwenden. Ähnliches gilt für einen
jugendlichen Patienten, über den Tausk vor Jahren der
Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft berichtet hat. Er
benahm sich sonst ganz wie ein Zwangsneurotiker, verbrauchte
Stunden für seine Toilette u. dgl. Es war aber an ihm auf-
fällig, daß er widerstandslos die Bedeutung seiner Hem-
mungen mitteilen konnte. Beim Anziehen der Strümpfe störte
ihn z. B. die Idee, daß er die Maschen des Gewebes, also
Löcher, auseinanderziehen müsse, und jedes Loch war ihm
Symbol der weiblichen Geschlechtsöffnung. Auch dies ist
einem Zwangsneurotiker nicht zuzutrauen; ein solcher, aus
der Beobachtung von R. Reitler, der am gleichen Verweilen
beim Strumpfanziehen litt, fand nach Überwindung der Wider-
stände die Erklärung, daß der Fuß ein Penissymbol sei, das
Überziehen des Strumpfes ein onanistischer Akt, und er mußte
den Strumpf fortgesetzt an‑ und ausziehen, zum Teil, um
das Bild der Onanie zu vervollkommnen, zum Teil, um sie
ungeschehen zu machen.Fragen wir uns, was der schizophrenen Ersatzbildung
und dem Symptom den befremdlichen Charakter verleiht,
so erfassen wir endlich, daß es das Überwiegen der WortbeziehungS.
334
über die Sachbeziehung ist. Zwischen dem Aus-
drücken eines Mitessers und einer Ejakulation aus dem
Penis besteht eine recht geringe Sachähnlichkeit, eine noch
geringere zwischen den unzähligen seichten Hautporen und
der Vagina; aber im ersten Falle spritzt beide Male etwas
heraus, und für den zweiten gilt wörtlich der zynische Satz:
Loch ist Loch. Die Gleichheit des sprachlichen Ausdrucks,
nicht die Ähnlichkeit der bezeichneten Dinge, hat den Ersatz
vorgeschrieben. Wo die beiden – Wort und Ding – sich
nicht decken, weicht die schizophrene Ersatzbildung von der
bei den Übertragungsneurosen ab.Setzen wir diese Einsicht mit der Annahme zusammen,
daß bei der Schizophrenie die Objektbesetzungen aufgegeben
werden. Wir müssen dann modifizieren: die Besetzung der
Wortvorstellungen der Objekte wird festgehalten. Was wir
die bewußte Objektvorstellung heißen durften, zerlegt sich
uns jetzt in die Wortvorstellung und in die Sachvorstellung,
die in der Besetzung, wenn nicht der direkten
Sacherinnerungsbilder, doch entfernterer und von ihnen ab-
geleiteter Erinnerungsspuren besteht. Mit einem Male glau-
ben wir nun zu wissen, wodurch sich eine bewußte Vorstel-
lung von einer unbewußten unterscheidet. Die beiden sind
nicht, wie wir gemeint haben, verschiedene Niederschriften
desselben Inhaltes an verschiedenen psychischen Orten, auch
nicht verschiedene funktionelle Besetzungszustände an dem-
selben Orte, sondern die bewußte Vorstellung umfaßt die
Sachvorstellung plus der zugehörigen Wortvorstellung, die un-
bewußte ist die Sachvorstellung allein. Das System Ubw.
enthält die Sachbesetzungen der Objekte, die ersten und
eigentlichen Objektbesetzungen; das System Vbw. entsteht,
indem diese Sachvorstellung durch die Verknüpfung mit denS.
335
ihr entsprechenden Wortvorstellungen überbesetzt wird. Sol-
che Überbesetzungen, können wir vermuten, sind es, welche
eine höhere psychische Organisation herbeiführen und die
Ablösung des Primärvorganges durch den im Vbw. herrschen-
den Sekundärvorgang ermöglichen. Wir können jetzt auch
präzise ausdrücken, was die Verdrängung bei den Übertra-
gungsneurosen der zurückgewiesenen Vorstellung verweigert:
Die Übersetzung in Worte, welche mit dem Objekt verknüpft
bleiben sollen. Die nicht in Worte gefaßte Vorstellung oder
der nicht überbesetzte psychische Akt bleibt dann im Ubw.
als verdrängt zurück.Ich darf darauf aufmerksam machen, wie frühzeitig wir
bereits die Einsicht besessen haben, die uns heute einen der
auffälligsten Charaktere der Schizophrenie verständlich macht.
Auf den letzten Seiten der 1900 veröffentlichten „Traum-
deutung“ ist ausgeführt, daß die Denkvorgänge, d. i. die von
den Wahrnehmungen entfernteren Besetzungsakte an sich
qualitätslos und unbewußt sind und ihre Fähigkeit, bewußt
zu werden, nur durch die Verknüpfung mit den Resten der
Wortwahrnehmungen erlangen. Die Wortvorstellungen ent-
stammen ihrerseits der Sinneswahrnehmung in gleicher Weise
wie die Sachvorstellungen, so daß man die Frage aufwerfen
könnte, warum die Objektvorstellungen nicht mittels ihrer
eigenen Wahrnehmungsreste bewußt werden können. Aber
wahrscheinlich geht das Denken in Systemen vor sich, die
von den ursprünglichen Wahrnehmungsresten so weit ent-
fernt sind, daß sie von deren Qualitäten nichts mehr erhalten
haben und zum Bewußtwerden einer Verstärkung durch neue
Qualitäten bedürfen. Außerdem können durch die Verknüpfung
mit Worten auch solche Besetzungen mit Qualität versehen
werden, die aus den Wahrnehmungen selbst keine QualitätS.
336
mitbringen konnten, weil sie bloß Relationen zwischen den
Objektvorstellungen entsprechen. Solche erst durch Worte
faßbar gewordene Relationen sind ein Hauptbestandteil un-
serer Denkvorgänge. Wir verstehen, daß die Verknüpfung
mit Wortvorstellungen noch nicht mit dem Bewußtwerden
zusammenfällt, sondern bloß die Möglichkeit dazu gibt, daß
sie also kein anderes System als das des Vbw. charakterisiert.
Nun merken wir aber, daß wir mit diesen Erörterungen unser
eigentliches Thema verlassen und mitten in die Probleme
des Vorbewußten und Bewußten geraten, die wir zweck-
mäßigerweise einer gesonderten Behandlung vorbehalten.Bei der Schizophrenie, die wir ja hier auch nur so weit
berühren, als uns zur allgemeinen Erkennung des Ubw. un-
erläßlich scheint, muß uns der Zweifel auftauchen, ob der
hier Verdrängung genannte Vorgang überhaupt noch etwas
mit der Verdrängung bei den Übertragungsneurosen gemein
hat. Die Formel, die Verdrängung sei ein Vorgang zwischen
dem System Ubw. und dem Vbw. (oder Bw.) mit dem Erfolg
der Fernhaltung vom Bewußtsein, bedarf jedenfalls einer Ab-
änderung, um den Fall der Dementia praecox und anderer
narzißtischer Affektionen miteinschließen zu können. Aber
der Fluchtversuch des Ichs, der sich in der Abziehung der
bewußten Besetzung äußert, bleibt immerhin als das Gemein-
same bestehen. Um wie vieles gründlicher und tiefgreifender
dieser Fluchtversuch, diese Flucht des Ichs bei den narziß-
tischen Neurosen ins Werk gesetzt wird, lehrt die oberfläch-
lichste Überlegung.Wenn diese Flucht bei der Schizophrenie in der Ein-
ziehung der Triebbesetzung von den Stellen besteht, welche
die unbewußte Objektvorstellung repräsentieren, so mag es
befremdlich erscheinen, daß der dem System Vbw. angehörigeS.
337
Teil derselben Objektvorstellung – die ihr entsprechenden
Wortvorstellungen – vielmehr eine intensivere Besetzung
erfahren sollen. Man könnte eher erwarten, daß die Wort-
vorstellung als der vorbewußte Anteil den ersten Stoß der
Verdrängung auszuhalten hat, und daß sie ganz und gar un-
besetzbar wird, nachdem sich die Verdrängung bis zu den
unbewußten Sachvorstellungen fortgesetzt hat. Dies ist aller-
dings eine Schwierigkeit des Verständnisses. Es ergibt sich
die Auskunft, daß die Besetzung der Wortvorstellung nicht
zum Verdrängungsakt gehört, sondern den ersten der Her-
stellungs‑ oder Heilungsversuche darstellt, welche das kli-
nische Bild der Schizophrenie so auffällig beherrschen. Diese
Bemühungen wollen die verlorenen Objekte wiederbekom-
men, und es mag wohl sein, daß sie in dieser Absicht den
Weg zum Objekt über den Wortanteil desselben einschlagen,
wobei sie sich aber dann mit den Worten an Stelle der Dinge
begnügen müssen. Unsere seelische Tätigkeit bewegt sich ja
ganz allgemein in zwei entgegengesetzten Verlaufsrichtungen,
entweder von den Trieben her durch das System Ubw. zur
bewußten Denkarbeit, oder auf Anregung von außen durch
das System des Bw. und Vbw. bis zu den ubw. Besetzungen
des Ichs und der Objekte. Dieser zweite Weg muß trotz
der vorgefallenen Verdrängung passierbar bleiben und steht
den Bemühungen der Neurose, ihre Objekte wieder zu ge-
winnen, ein Stück weit offen. Wenn wir abstrakt denken,
sind wir in Gefahr, die Beziehungen der Worte zu den un-
bewußten Sachvorstellungen zu vernachlässigen, und es ist
nicht zu leugnen, daß unser Philosophieren dann eine un-
erwünschte Ähnlichkeit in Ausdruck und Inhalt mit der
Arbeitsweise der Schizophrenen gewinnt. Anderseits kann
man von der Denkweise der Schizophrenen die CharakteristikS.
338
versuchen, sie behandeln konkrete Dinge, als ob sie ab-
strakte wären.Wenn wir wirklich das Ubw. agnosziert und den Unter-
schied einer unbewußten Vorstellung von einer vorbewußten
richtig bestimmt haben, so werden unsere Untersuchungen
von vielen anderen Stellen her zu dieser Einsicht zurück-
führen müssen.
Freud_1918_Kleine_Schriften_Vierte_Folge_k
294
–338