• S.

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    [Briefkopf Wien] 

    13.1.17 

    Lieber Freund 

    Warmen Dank für Ihr Schreiben! Das 
    Wichtigste ist, daß Sie wol sind u sich 
    der Ihrigen freuen können. Der Wert 
    einer guten Frau, an sich kaum zu schätzen, 
    steigt in solchen Verhältnißen ins 
    Riesige. Ich denke mir wol, daß die kleine 
    Stadt Ihnen nichts anderes bietet 
    als Arbeit, Arbeit, und nicht die Arbeit, 
    die man sich wünscht. Aus einem dem 
    Ihrigen gleichzeitigen Brief erfahre ich, 
    daß Liebermann wieder mit Ihnen ist. 

    Ihre zweite, kaum weniger vortreff-
    liche Arbeit soll in No 4 der Zeitschrift 
    kommen. No 3 ist bereits im Druck 
    mit einem Aufsatz von mir, den 
    ich Ihnen noch in der Korrektur 
    schicken werde, sobald das zuge-
    hörige Cliché fertig ist. Mit dem Jahrb 
    ist es ja unsicher. Deuticke scheint be-
    leidigt, daß die Vorlesungen bei 
    Heller erscheinen, obwol ich ihm lange 
    vorher angekündigt, daß seine wieder-
    holten Abweisungen unserer Periodika 
    endlich diese Folge haben werden.

  • S.

    2

    Ich habe Karger den Auftrag gegeben, Ihnen 
    die V Auflage des Alltagslebens direkt 
    zuzustellen. Nach meiner Schätzung muß 
    das Buch lange fertig sein, ich habe 
    es aber noch nicht erhalten. 

    Ihr Lob der Vorlesungen hat mir gerade 
    jetzt sehr wolgethan. Isolirt wie man 
    jetzt liebt, muß man sich gewaltsam 
    erinnern, daß es ja noch im̄er einige 
    Menschen giebt, für die es zu schreiben 
    sich lohnt. Man vergäße sonst daran u für 
    sich arbeitet man zwar, schreibt es aber 
    nicht nieder. 

    Ihr Eulenspiegeltraum soll in Zeitsch ver-
    wertet werden. 

    Meine Jungen sind für den Moment 
    außer Gefahr. Martin in Wien beim Cadre, 
    Ernst, der eine Angina hatte u sich in 
    S Cristoforo am Caldonazzosee erholen 
    durfte, soll nächste Woche auf Urlaub 
    kom̄en, u Oli genießt noch die Abrichtung 
    in Krakau. Was dieses Frühjahr der 
    Welt an schmerzlichen Eindrücken bringen 
    wird, soll lieber nicht vorher bedacht 
    werden. Der kleine Ernst behandelt mich 
    wie seinen Papa im Krieg, er läßt sich 
    helfen u bedienen, ignorirt mich aber 
    sonst u hält sich mit deutlicher Beton-
    ung an Mammi, Tante u andere jugend-
    liche Frauenspersonen. Er ist sehr amüsant. 

    Herzliche Grüße 
    von Ihrem Freud