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    [Briefkopf Wien] 

    18. 2. 15. 

    Lieber Freund 

    Ihren Brief vom 30/1 habe ich am 12/2 erhalten, 
    Ihre Karte vom 16/2 heute, es scheint also wieder 
    zu gehen. Vorher dürfte allerdings ein 
    Brief von Ihnen untergegangen sein . 
    Wir waren ganz trostlos über die Absperrung, 
    von Hamburg blieben wir 18 Tage ohne 
    Nachricht. 

    Erfreulich, daß bei Ihnen wieder alles wol 
    ist. Ebenso von kleineren Störungen abge-
    sehen bei uns. Martin schreibt eifrig von 
    seinem anonymen Aufenthalt in Galizien 
    u lobt sein Befinden sehr, er ist jetzt in 
    einem zerschoßenen Schloß irgendwo mit 
    deutscher Infanterie einquartirt. Ernst 
    wird in Klagenfurt in der Schule strenge ge-
    halten, der noch übrige Oli kommt am 3/3 
    zur Musterung wird sich aber wahrscheinlich 
    vorher freiwillig zu einem Jägerbataillon 
    stellen. Am liebsten möchte er als ab-
    solvirter Techniker ins Eisenbahnregiment 
    eintreten, kann aber keine Aufnahme 
    finden. 

    Ich kann von einer weiteren Entwicklg 
    der Praxis nicht berichten. Mit Ende 
    dieser Woche sinken meine 4 Arbeits-
    stunden zu 3 herab. Ich habe etwas 

  • S.

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    Neues zur Melancholie, was jetzt bei Ferenczi 
    ist, er wird es Ihnen zuschicken. Die erste Nr 
    der Zeitschrift ist im Druck, wird durch einen 
    technischen Beitrag von mir eingeleitet, 
    den ich Ihnen zur gef. Äußerung übersende. 
    Ich gedenke zur Zeitsch. möglichst viel beizu-
    steuern. Wir wissen, daß wir auf Sie 
    rechnen dürfen, soweit u sobald Sie können. 
    Pfister nähert sich uns sehr u hat einen 
    kritischen Aufsatz über die „Brandstiftung“ 
    des famosen Z Schmid beigesteuert, 
    sowie einen kleinen Essay einer neuen 
    Kraft eingeschickt, der die Analogie zwischen unserer 
    Libido und der Erostheorie von Plato behandelt. 
    (Ein Dr. Nachmannsohn in Zürich.)

    Rank hat mir gestern einen Brief von Jones 
    gezeigt. Es geht ihm sehr gut, er hat 10 Analysen 
    im Tag usw. Die Gruppe hat ihre Sitzungen suspen-
    dirt, scheint arg gespalten zu sein.

    Alles Interesse konzentrirt auf die 
    Ereigniße, die mit dem 18, also dem 
    heutigen Tage einsetzen. Mögen sie uns 
    Sieg u damit Befreiung u Frieden 
    bringen. Ich neige diesmal zum Optimism.

    Ich grüße Sie und Ihre liebe Frau herzlich 
    u hoffe, nun wieder öfter von 
    Ihnen zu hören.

    Ihr Freud