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    [Briefkopf Wien] 

    25. 1. 15 

    Lieber Freund 

    Es ist so lange her seit Ihrer kärglichen 
    u unerfreulichen letzten Karte, daß 
    ich Ihnen wieder schreiben muß. 

    Zunächst von mir. Ich bin wieder animalisch 
    wol, fest in der Stimmung, arbeite aber 
    nichts u habe alles Angefangene, darunter 
    sehr hoffnungsvolle Dinge, liegen lassen. 
    Ich denke noch immer, es ist eine lange 
    Polarnacht u man muß warten, bis 
    die Sonne wieder aufgeht. Ob das ein 
    Stück einer progredienten Entwicklg 
    ist oder nur einer organischen Periodiz-
    ität, die jetzt in der Entblößung von 
    sovielem zum Vorschein kommt, wird 
    sich erst später entscheiden lassen. 
    Von anderer Seite kann ich Ihnen Gutes 
    mitteilen. Ich war in Sorge, daß uns 
    Heller die Fortsetzung der beiden 
    Zeitschriften verweigert. Das ist nun 
    nicht geschehen. Die endgültige Entscheidung 
    wird zwar erst nächsten Don̄erstag 
    fallen, aber wir sind doch soweit 
    einig, daß beide neuen Jahrgänge 
    beginnen sollen, in mäßiger Reduk-
    tion, die Internat. Zeitschrift in

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    6 Heften wie bisher zu je 4 Bogen, die Imago 
    in vier Heften zu 6 Bogen. Unsere Erwartungen 
    in Betreff der Zeitungen sind also förmlich 
    umgekehrt worden. Natürlich müßen wir 
    Nächststehenden alles selbst schreiben 
    und rechnen dabei erheblich auf Sie. 

    Meinen Sohn Martin habe ich vorigen 
    Mittwoch früh zwischen zwei Zügen 
    als schmucken Korporal gesehen, 
    ehe er auf den galizischen Kriegsschauplatz 
    abging. Ich habe in aller Klarheit an 
    den Zweifel gedacht, ob und wie wir 
    ihn wiedersehen werden. 

    Ärztliche Tätigkeit dauernd auf ein 
    Viertel reduzirt; sonst nichts Neues. 
    Van Eeden hat in der letzten Num̄er 
    seiner holländ. Wochenschrift eine mir 
    abverlangte Äußerung über den Krieg 
    gebracht, in der ich natürlich die ΨΑ zu 
    Wort kommen ließ. 

    Ich grüße Sie und die Ihrigen herzlich 
    und erwarte Ihre Nachrichten, hoffent-
    lich aus Berlin. 
    Ihr Freud