• S.

    11. Okt 08

    Dear Dr Brill

    Seien Sie nicht überrascht, daß meine Antwort so spät
    eintrifft. Ich bin erst am letzten Sept nach Wien gekom̄en
    u brauchte Zeit, in Ordnung zu kom̄en u die angehäuften
    Correcturen der Trdeutung, die jetzt vollendet ist,
    zu erledigen. Dafür kann ich Ihnen die eine Auskunft
    geben, die mir früher gefehlt hätte. Jones, der auch
    für Jung verschollen war, hat mir vor einigen Tagen
    geschrieben. Seine Adresse ist Toronto, Canada, aber
                                                         85 Bloor St East.
    vielleicht hat er sich unterdeß auch bei Ihnen gemeldet.

    Es konnte mir nicht unbekannt bleiben, daß um
    die Zeit des Salzburger Congreßes bei Jung eine
    bedenkliche Schwankung eingetreten war. Seine Empfind-
    lichkeit gegen Abraham mußte auch ich zurückweisen,
    obwol es von letzterem nicht eben taktvoll war, in
    sein Arbeitsgebiet, als das er die Dem. pr. ansehen darf,
    einzufallen. Während meiner 4 1/2 tägigen Anwesenheit
    in Zürich sind wir einander aber wider sehr nahe
    gekom̄en, u ich glaube ich habe ihn auch mit A. versöhnt.
    Ich fand eine sehr günstige Situation bereits vor. Sein
    Verhältniß mit Bleuler, dessen Einfluß doch die
    Ursache seiner Unsicherheit in unseren Dingen war,
    ist sehr gespannt, in gewißer Hinsicht unhaltbar,
    u Jung macht sich von der Anstalt ganz frei, um
    selbständig in unserem Sinn arbeiten zu können.
    Er behält die Leitung des Laboratoriums.

  • S.

    Sie haben übrigens Recht zu erwarten, daß alle persön-
    lichen Mittheilungen diskret bleiben sollen.

    Vorgestern waren ebe Bleuler u Frau meine Gäste an
    dem auch Ihnen bekannten Tisch und unter der von
    Ihnen hoffentlich erin̄erten Kinderschaar. Sie waren
    sehr liebenswürdig, soweit ihre Naturen es zulassen.
    Bleuler hat seine Überzeugg von der Bedeutung
    der infantilen Sexualität sehr nachdrücklich betont.
    Entscheidende Schritte in der Demenzfrage, auf die alles
    ankom̄t, wird er wol nicht wagen.

    W. B. Parker von der Columbia University hat mir wider
    geschrieben u mir dießmal die Wal des Themas
    für meinen Beitrag freigestellt. Möglich, daß mir
    etwas einfällt, was ich für diesen Zweck verwenden
    kann; ich bin noch nicht voll beschäftigt. Die zweite, un-
    veränderte Auflage der „Studien“ ist bereits im Umlauf.
    Ich höre jetzt, dass auch das „Bruchstück“ eine Neuauf-
    lage erleben soll. Vielleicht stecke ich in ein zweites
    Heft von Schriften z. Neurosenlehre.

    Was machen Ihre Übersetzgen? Ich setze große Hoffnungen
    auf dies Interesse, das Sie in Amerika erwecken
    werden. Ihre praktischen Erfolge verfehlen gewiß nicht
    Aufsehen zu machen.

    In der Hoffnung bald von Ihnen zu hören, bin ich
    mit herzlichem Gruß für Sie u Ihre junge Frau
    Ihr
    Freud